Eigentlich begann es ganz ausgeglichen. Es war Montag und meine Arbeitswoche sollte erst gegen 9:52 Uhr beginnen. Ich hatte gegen 13 Uhr einen Seminarstart in Waldkraiburg und wollte wie fast immer mit dem Zug zu meinem Seminar fahren, entspannt ankommen. Daraus wurde an diesem Montag nichts.
Um 7:15 Uhr K1/2 aus dem Haus gebracht, damit sie ihre S-Bahn zur Schule erwischen. Gegen 7:40 Uhr machte sich dann die Ehefrau auf dem Weg zur Münchner S-Bahn. Ich hatte also rund zwei Stunden Zeit Koffer zu packen, Kaffee zu trinken, mich über die Nachrichtenlage zu informieren.
Und dann begann es: Gattin erklärte, dass sie ihre S-Bahn erreicht hatte und scheinbar die Züge Verspätung haben. Sie schrieb von vielen Fahrgästen, die bei der Warterei auf die Züge des Münchner Verkehrsverbundes MVV froren. Sie hatte dagegen Glück gehabt und hüpfte frohen Mutes in die einfahrende S-Bahn. Doch nach wenigen Stationen begann für sie das Chaos.
Streckenagent schlägt an
Derweil empfing ich zu Hause am Smartphone Meldungen des Streckenagenten, die von einer Störung auf der Stammstrecke berichteten. Naja, nichts neues in München. Es vergeht kaum ein Tag bei dem das marode ÖPNV-System irgendeine Störung hat. Doch dann kam die Meldung: Bahnhof Pasing gesperrt. Pasing liegt im Westen von München und ist Beginn der sogenannten Stammstrecke durch die fast alle Züge des öffentlichen Personennahverkehrs müssen. Wenn Pasing gesperrt ist, dann beginnt das Chaos. Mitten im morgendlichen Berufsverkehr blieben im Westen von München zwei Züge der Linien S3 und S6 auf freier Strecke liegen. Sie mussten bei eisigen Temperaturen evakuiert werden. Die S3 wird von der Gattin benutzt und ich wollte sie später auch nutzen.
SMS an die Gattin: Die war nicht in der liegengebliebenen Bahn, sondern in einem Zug vor Pasing, der freilich auch nicht weiterkam. Sie standen und sie froren. Die Kälte an diesem Tag war besonders heftig, die Meteorologen sprachen von einer sibirischen Kälte.
Ich beobachte den Streckenagenten genau, denn mein Abfahrttermin rückte näher. Ich las in sozialen Medien, dass die beiden betroffenen S-Bahn-Züge wegen der Kälte evakuiert werden mussten. Immer wieder SMS von der Gattin, das nichts vorangeht. Irgendwann beschloss sie in Olching, wie ihre Bahn stand, den Zug zu verlassen und wieder nach Hause zu fahren, sobald ein Zug in Gegenrichtung kommt. Als Glückspilz kam sogar einer und sie war wieder zu Hause – Homeoffice war bei ihr angesagt. Eine absolut richtige Entscheidung. Telearbeitsplatz hieß das früher.
Das Chaos lag vor mir
Ich dagegen hatte den Irrsinn noch vor mir. Die Stammstrecke war zu, komplett dicht. Kurz vor dem Rosenheimer Platz blieb auf der Stammstrecke ein Zug der S7 wegen eines technischen Defekts liegen. Kurze Zeit später konnte ein Zug der S8 wegen eines Notarzteinsatzes an der Hackerbrücke nicht weiter fahren.
Von der Ehefrau hörte ich, dass die S2 aus Dachau die einzige Bahn sei, die noch irgendwie fahren würde. Und weil es die beste Ehefrau von allen ist, packte sie mich ins Auto und wir fuhren nach Karlsfeld, damit ich die S2 besteigen kann. Der Autoverkehr um München herum hielt sich noch in Grenzen – trotz Montag. Am Bahnhof Karlsfeld herrschte ein eisiger Wind. Die Wartenden froren sichtlich. Sie hatten Schals um den Kopf geschlungen, Mützen tief ins Gesicht gezogen. An den Händen trugen sie Handschuhe und ein eisiger Wind pfiff. Ein paar Jugendliche waren mit Sneekers und blanken Knöcheln unterwegs, Flanking eben. Flanking setzt sich zusammen aus “flashing” und “ankle”, was in etwa so viel bedeutet wie “hervorblitzender Knöchel”. Man bekommt vom Flanking selbst keine Erkältung, aber der Trend bietet Erkrankungen durchaus Vorschub, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Dies dürfte bei sibirischen Temperaturen der Fall sein.
Zeitpuffer schrumpft
Ich hatte T-Shirt, Hoodie, Tweed-Mantel an und war gegen die Kälte geschützt. Und es hieß Warten. Fahrgäste diskutierten über Alternativen, wie sie zur Arbeit kommen könnten. Andere beklagten sich und grantelten auf Bayerisch herum. Es gab das eine oder andere Schimpfwort gegen die Bahn, das ich nicht zitieren werde. Und dann kam eine S2 – hurra. Die Aktion Heringsdose begann. Die Wagons waren gut gefüllt und nun kamen wir vom Bahnhof Karlsfeld auch noch in den Zug. Es wurde schön kuschelig, um es freundlich zu sagen. Ich war guter Dinge, denn ich war noch im Zeitplan. Die Aktion der Ehefrau hatte mich gerettet. Der Zug fuhr los, Richtung München. Und dann kam die Durchsage. Der Zug fährt ab Obermenzing nicht durch die Stammstrecke, sondern direkt zum Ostbahnhof über den Südring. Kurzes Erschrecken, aber nach einen Blick in die Bahn-App zeigte mir, dass ich eine andere Reiseroute nach Waldkraigburg ab Ostbahnhof nehmen kann – für mich also kein Problem.
Ein Problem kam nur als wir in Laim plötzlich stoppten und es hieß: Notarzteinsatz und der Südring sei nun auch zu. Wir saßen fest. Hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert und – ich bin hier sehr egoistisch – hoffentlich kommen wir weiter. Ich musste den Anschlusszug am Ostbahnhof erwischen und zu meinem Seminar kommen, sonst geht mein Honorar flöten.
Minute um Minute verging. Die Situation im Zug war unangenehm. Die S-Bahn-München verfügt über keine Toiletten und es kam die Kälte von außen herein. Mein Zeitpuffer schrumpfte. Irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit ging es weiter. Mein Zeitpuffer war zusammengeschrumpft, aber ich konnte es noch schaffen. Der Ostbahnhof war voll mit wartenden und frierenden Reisenden. Viele Touristen wollten zum Flughafen, ganze Ströme von Werktätigen gingen Richtung U-Bahn.
Ich kämpfte mich zum EC nach Graz durch und schaffte es. Der Zug hatte Verspätung und damit ideal für mich. Reingesprungen und nach Rosenheim gefahren. In der bayerischen Provinz herrschte kein Chaos, aber die Kälte war da. Mein Anschluss nach Mühldorf kam pünktlich und ich stieg in Waldkraiburg aus. Alles gut, ich kam zu meinem Seminar einigermaßen pünktlich und ich hatte Glück. Meine Kinder K1/2 hatten weniger Glück und froren am Bahnhof bis ihr Zug nach Hause kam.
Kommentar: Ich habe die Schnauze voll
Insgesamt dürften allein am Morgen 200.000 Menschen betroffen gewesen sein. Die Ursache ist noch unklar. Die Kälte sei vermutlich nicht schuld, erklärte die Bahn. Gegen 19:50 Uhr kam dann die Meldung, dass meine S-Bahn wieder im Regelweg verkehrt.
Nun mein Fazit: Ich habe die Schnauze voll vom Krisenmanagement der Verantwortlichen, verzeiht die Wortwahl. Ein Oberleitungsschaden kann passieren, aber in München vergeht keine Woche, in der nicht etwas passiert. Das ganze System wurde kaputtgespart, die Technik ist marode und eine zweite Stammstrecke würde dieses Chaos nicht lösen. Es gibt keine Ringlösung. Ich bin furchtbar enttäuscht. Der einzelne Bahnmitarbeiter kann nichts dafür, aber hier wird meiner Meinung falsch geplant. Mal sehen, was uns diese Woche vom MVV noch erwartet.