Posts Tagged ‘Fotoband’

Espresso – ein Reiseführer des guten Geschmacks von Walter Vogel

13. Juni 2022

Morgens das Erste nach dem Aufwachen ist der Kuss an die beste Ehefrau und dann kommt der Ruf „Alexa, Steckdose Kaffee an“. Ich freue auf die erste Tasse frischen Bohnenkaffee am frühen Morgen. Bis ich soweit aufgestanden und fertig bin, ist die Siebträgermaschine aufgeheizt und ich bereite mir den ersten Espresso des Tages zu, ein tägliches, leibgewonnenes Ritual.

Schon lange plante ich eine Fotoserie zum Thema Espressobars, die heiligen Orte an denen das köstliche Getränk ausgeschenkt wird. Im Leica-Store München stieß ich dabei auf das Buch Espresso Cafe-Bars in Italien vom legendären deutschen Fotografen Walter Vogel, der vor Jahren diese Idee bereits in ein grandioses Buch umgesetzt hat. Es ist 1993 in der Edition Christian Brandstätter erschienen und widmet sich in großartigen Bildern der italienischen Kaffeekultur, die so dann und wann auch bei uns aufblitzt. Ich habe die erste Auflage des Buches besorgt.

Vogler hat eine Kaffeebar-Karte von Norden nach Süden Italiens in seinem Buch abgedruckt, quasi als Reiseführer des guten Geschmacks. Und er liefert die eindrucksvollen Bilder – alle in Schwarzweiß. Nur zur Klarstellung: Wir reden jetzt nicht von Starbucks oder San Francisco Coffee Bar, die sicherlich auch ihre Reize haben, sondern wir sprechen von den kleinen und großen Palästen des Genusses. Und wir reden auch nicht von den Hipstern, die als Barista verkleidet sind, sondern von den Helden der Bohne, die ihre Profession von Vater oder Mutter gelernt und verinnerlicht haben. Barista ist im Grunde die italienische Form des Barkeepers.

Der Düsseldorfer Walter Vogl, Jahrgang 1932, ist ein Meister seines Fachs. Er erhielt 1963 den World Press Photo Award und 2019 den Leica Hall of Fame Award. Sein Buch Espresso ist eine Reise in die Vergangenheit. Er erzählt von Zeiten als Kaffee etwas Besonderes war, die kleine Peitsche, die Belebung der Sinne, die zelebriert wird. In Vogels Buch werden Geschichten dieser Zeiten erzählt neben den historischen Fakten. Diese kann heute Wikipedia liefern, die Geschichten der italienischen Familien und ihrer Kunden aber nicht. Als ich das Buch genoss, erinnerte ich mich an die großen italienischen Geschichtenerzähler Visconti, Fellini, Pasolini oder Antonioni.

Sehr schön der Satz: „Die Maschine ist der produktionstechnische Mittelpunkt der Bar, der Barista der kommunikative.“ Sie sind Magier der Konzentration, die den ganzen Tag gleichbleibende Kaffeequalität produzieren. Beim Mahlen explodiert das Aroma und der Kaffee muss so schnell als möglich in die Maschine. Dann kommt das Aroma zur Geltung. Während ich diese Zeilen schreibe, genieße ich übrigens einen heißen Kaffee und genieße das Leben.

Buchtipp zu Corona: Udo Lindenberg – Stärker als die Zeit von Tine Acke

21. Mai 2020

Moderne Konzertfotografie und Dokumentation von Udo Lindenberg.

Moderne Konzertfotografie und Dokumentation von Udo Lindenberg.

Verständlicherweise werden aufgrund Corona reihenweise Konzerte abgesagt oder verschoben. Dafür habe ich Verständnis. Um dieser Situation als Konzertgänger wenigstens etwas Positives abgewinnen zu können, ziehe ich mich mit Live-Aufnahmen aufs Sofa zurück und blättere Fotobücher von Konzertveranstaltungen durch.
Und ich habe in meinem Bücherschrank gegriffen und mir das imposante Buch Udo Lindenberg – Stärker als die Zeit, Der Bildband zur großen Stadiontour herausgeholt. Ich bin ein Fan der alten Lindenberg-Platten und respektiere die neuen Aufnahmen. Konzerte des neuen Lindenbergs habe ich mir nie angeschaut. Aber ich freue, dass der alte Recke noch einmal großen Erfolg hat.

Wenn ich den Fotoband Udo Lindenberg – Stärker als die Zeit mir so durchschaue, bin ich neidisch auf die Fotografin Tine Acke. Sie kommt nah ran, richtig nah ran. Das ist aber kein Wunder, denn Tine Acke ist die Lebensgefährtin von Udo Lindenberg und hat dadurch eine gewisse Sonderstellung unter den Konzertfotografen. Und sie nutzt diese Sonderstellung schamlos aus, was vollkommen okay ist. Aber Tine Acke ist auch ohne diese Position eine absolute Top-Fotografin. Technisch hoch professionell, aber vor allem voller Energie und Empathie. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich die Stadiontour nicht besucht habe, auch wenn ich die neue Musik von Lindenberg nicht so mag. Aber es wurden ja nicht nur neue Songs gespielt. Die Show muss einfach stark gewesen sein, wenn ich den Bildband so betrachte.
Anders als zu früheren Zeiten, in denen der wackere Musikant einfach die Bühne betrat, sind die modernen Shows perfekt durchchoregrafiert. Das wird in dem Buch wunderbar deutlich. Das Buch wurde im 16:9-Format gedruckt und entfaltet dadurch seine Wirkung um so mehr. Mitglieder des Panikorchesters kommen dort ebenso vor, wie der Chef selbst – mal in Starpose, mal privat in Unterhose (aber immer mit Hut). Dabei gibt es immer wieder die netten Zeichnungen von Lindenberg, die für mich zwar keine große Kunst sind, aber unheimlich Spaß machen und die er für gutes Geld unters Volk bringt. Hier hat er von seinem verstorbenen Bruder Erich Lindenberg gelernt. Während Erich als Künstler wenig Erfolg hatte, schaffte es Udo dafür um so mehr.
In seinen Konzerten und damit auch im Buch gibt es ausgefeilte Licht- und Stellproben. Mit kleinen Männchen wird auf einer Minibühne geprobt – ein Männchen hat sogar einen Hut auf. So gelingt Tine Acke ein schöner Blick hinter die Kulissen des modernen Showgeschäfts. Sex, Drugs und Rock‘n Roll sind der Professionalität gewichen und Udo hat nach seiner Suff-Phase die Kurve bekommen.
Aber nicht nur die Bilder sind klasse. Auch die Textbeiträge können sich sehen lassen. Benjamin von Stuckrad-Barre aber vor allem der von mir sehr verehrte Tim Pröse haben Gedanken zu Papier gebracht. Ich habe gleich darauf zum Buch Panikherz von Benjamin von Stuckrad-Barre gegriffen, der sehr eng an Udo Lindenberg gebunden war und selbst abstürzte. Eindrucksvolles Buch und ich stelle nach der Lektüre fest: Ich führe ein langweiliges Leben. Journalistenkollege Tim Pröse schreibt Udo Lindenberg in seinem Buch Samstag Abend Helden sehr einfühlsam. Ich habe mal eine Lesung mit ihm erlebt und gefilmt.

Aber zurück zum Bildband Udo Lindenberg – Stärker als die Zeit. Das Buch hat bei mir nicht nur die Lust auf Musik geweckt, es hat bei mir auch wieder die Lust auf Fotografie geweckt. In der Vergangenheit durfte ich einige Konzerte fotografieren. Ich denke, ich werde mich wieder mehr mit Licht und Schatten und Bildkomposition beschäftigen. Danke Tine Acke für diese Inspiration.

Fotoband: Nibelungenhalle – Räume der Erinnerung von Rudolf Klaffenböck

14. Februar 2018

Wer in Passau ist, sollte nach diesem Buch Ausschau halten:

Wer in Passau ist, sollte nach diesem Buch Ausschau halten:

Fotografen müssen mit ihren Bildern eine Geschichte erzählen. Damit unterscheiden sie sich von den Knipsern, die eine Situation ablichten wollen. Es ist schwer in einem Bild, eine Geschichte zu erzählen. Es ist noch viel eindrucksvoller, in einer Bildreportage diese Geschichte zu vertiefen. Auf ein hervorragendes Projekt bin ich in Passau gestoßen als der Künstler Rudolf Klaffenböck ein Buch mit dem Titel Nibelungenhalle: Räume der Erinnerung veröffentlichte.
Die Fotos waren auch Teile einer Ausstellung, die bis März 2006 in Passau lief. Ich erwarb jetzt erst den Katalog samt Autogramm.

Sogar ein Buch mit Autogramm hab ich erwischt.

Sogar ein Buch mit Autogramm hab ich erwischt.

Bei einem Besuch in Passau hörte ich in einer Gastwirtschaft wie ältere Passauer von den CSU-Veranstaltungen am Aschermittwoch in der Nibelungenhalle schwärmten. Ich spitze die Ohren und erfuhr so von dem hervorragendem Fotobuch von Rudolf Klaffenböck. Er fotografierte das Gebäude von 2002 bis zu seinem Abriss 2004 in einer Serie der „Räume der Erinnerung“. Die Schwarzweiß-Fotos erzählen die letzten Jahre des Baus und ich finde die Idee dahinter genial. Der politischen Nation ist die Nibelungenhalle durch die jährlichen CSU-Veranstaltungen zu früheren Zeiten bekannt. Ich selbst war noch nie bei einem politischen Aschermittwoch und würde gerne einmal die Atmosphäre spüren. Die Nibelungenhalle ist weg, die Dreiländerhalle ist da. Inhaltlich wird mir der größte Stammtisch der Republik wohl wenig geben. Den Bürgerinnen und Bürgern von Passau war die Nibelungenhalle als Zentrum für Veranstaltungen aller Art bekannt. Und das stellt dieser ausgezeichnete Fotoband in schwarzweiß dar. Die Nibelungenhalle war eine Halle und sie bot Raum für allerhand Geschichten, gute und schlechte. Als größter Kult- und Zweckbau der „Bayerischen Ostmark“ wurde es 1934/35 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten errichtet, berichtet Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Museums Moderner Kunst, Passau. Eigentlich sollte die Nibelungenhalle Ostmarkhalle heißen.
Die 74 Duotone-Tafeln der Ausstellung und des Buches haben mich fasziniert. Beim ersten Durchblättern suchte ich nach mir Bekannten und das waren natürlich die CSU-Veranstaltungen zum Aschermittwoch. Aber die Halle hat noch viel, viel mehr zu bieten. Für meine Passauer Freunde war sie ein klassischer Veranstaltungsort. Es gab Konzerte, Tanz, Treffen, Versammlungen. Es gab Stoiber, Erotikmesse, Hallenfußball und Motivationskapser. Trachtler trafen auf Vertriebene und Studenten sowie Kabarettisten. Daniel Küblböck folgte auf Haindling und Schülerinnen und Schüler schwitzten bei ihrer Abschlussprüfung. Klaffenböck dokumentiert Veranstaltungen und er dokumentiert die Halle selbst. In den letzten Jahren ihres Bestehens haben die Betreiber nicht mehr viel saniert und der Zahn der Zeit nagt an dem Gebäude und der Struktur. Es gibt Momentaufnahmen und Details, Stimmungen. Klaffenböck hat einen Blick für Skurriles. Als der Abriss der Nibelungenhalle begann hält Klaffenböck mit seiner Kamera drauf. Der Betrachter sieht die Wunden an dem Gebäude bis es schließlich vollständig verschwunden ist.
Wer in Passau zu Gast ist, sollte nach dem Buch Nibelungenhalle – Räume der Erinnerung von Rudolf Klaffenböck Ausschau halten. Der Kauf lohnt sich.