Posts Tagged ‘Konzertkritik’

Soundtrack meines elektronischen Lebens – Jean-Michel Jarre live in Stuttgart 2025

26. Juli 2025

Jean-Michel Jarre und ich sind zusammen alt geworden. Als Schüler war ich von seinen Alben Oxygène, Equinoxe und Les Chants Magnétiques begeistert und bin dem französischem Musiker all die Jahre treu geblieben. Ich verbeuge mich vor der enormen Wandlungsfähigkeit des 76jährigen. Während meine anderen Helden der elektronischen Musik wie Kraftwerk kaum eine Veränderung ihres Werkes zulassen, schreitet Jarre immer weiter voran.

In Stuttgart auf den JazzOpen hatte ich mal wieder die Gelegenheit Jean-Michel Jarre mit seiner bombastischen Show live zu erleben – soundtechnisch, musikalisch und optisch ein Erlebnis.

Ich bin mit meiner Konzertkritik ein paar Tage hinten dran, aber wollte dennoch meine Eindrücke festhalten. Der Schlossplatz im Herzen Stuttgarts verwandelte sich in ein elektrisierendes Gesamtkunstwerk aus Klang, Licht und Vision. Vor 6.400 begeisterten Besucherinnen und Besuchern setzte der französische Elektronik-Pionier mit einer multimedialen Show Maßstäbe und bestätigte seinen Legendenstatus eindrucksvoll.

Bühnenbild & Atmosphäre
Das visuelle Konzept des Abends unterstrich Jarres Anspruch auf Innovation: Zwölf hochauflösende LED-Stelen verschmolzen mit riesigen Projektionen und einer Armada von Lasern. Jarres berühmte Lasertechnik wurde nicht nur als klassisches Showelement genutzt, sondern als integraler Bestandteil des künstlerischen Konzeptes. Die Strahlenfächer, Wellen und dynamischen Muster tauchten Schlossplatz und Publikum in ein sich ständig wandelndes Farbenmeer.
Dabei hatte fast jeder Song eine eigene Lichtsprache. Durch intelligente Abstimmung zwischen Sound und Technik entstand für jedes Stück eine individuelle Atmosphäre – von sphärisch-ruhig bis hin zu explosiv-lebendig.

Für mich der Höhepunkt war die Musik aus Zoolook. Zoolookologie war damals und heute für mich ein Beispiel für die Experimentierfreudigkeit des Franzosen. Das Album Zoolook setzte 1984 die noch recht neue Sample-Technik massiv ein, indem er Sprachaufnahmen aus unterschiedlichen Ethnien in kleine Sequenzen zerschnitt. Eine wunderbare Weiterführung von Pierre Schaeffers Musique concrète. Und auch wunderbar und nur für Hardcore-Fans erkennbar, gab es vor dem Countdown Musik aus dem Soundtrack zur Ausstellung Amazônia, eine Verbeugung vor dem Fotoreporter Sebastião Salgado, der im Mai 2025 in Paris verstarb.

Die Kunstwerke, teils poetisch von Künstlicher Intelligenz generiert, begleiteten jeweils die Songs — weit entfernt vom typischen „AI-Slop“ überzeugten die Animationen mit einer eigenen, künstlerischen Handschrift.

Die Atmosphäre war elektrisierend, ohne aufgesetzt zu wirken. Das Publikum – eine internationale Mischung, darunter viele französische Fans – feierte Jarre enthusiastisch. Der fast 77-Jährige wirkte auf der Bühne überraschend jugendlich und interagierte charmant mit den Zuschauern, darunter sogar ein spontaner Handylichter-Sternenhimmel auf seine Einladung.

Jarre präsentierte einen Querschnitt seines Schaffens von Klassikern wie „Oxygene“ und „Équinoxe“ über experimentelle Neuheiten bis hin zu technoiden Soundcollagen. Die Soundqualität war dabei unfassbar transparent, druckvoll und dennoch nie zu laut – jedes Klangdetail kam zur Geltung.

Der Abschluss seiner Europa-Tour bei den JazzOpen 2025 in Stuttgart hatte für Jean-Michel Jarre eine besondere Bedeutung: Das Konzert wurde als Finale der Tour inszeniert und war sowohl für das Festival als auch für Jarres aktuelle Karrierephase ein Meilenstein.

Wenn Klänge atmen – Ein Abend mit Martin Kohlstedt bei den Jazzopen 2025

17. Juli 2025

Es war einer dieser lauen Sommerabende, an denen das Schlossplatz-Flair in Stuttgart wie elektrisiert in der Luft lag. Die Jazzopen 2025 hatten schon viele magische Momente geboten – doch als Martin Kohlstedt die Bühne betrat, wurde es still und erwartungsvoll zugleich. Im ersten Moment kaum greifbar, wie ein zaghafter Hauch, tastete sich sein Spiel — irgendwo zwischen akustischer Poesie und elektronischer Vision — in die Herzen des Publikums.

Ich kenne und schätze Martin Kohlstedt seit Jahren und als ich hörte, dass er vor dem großen Jean-Michel Jarre in Stuttgart auftritt, dann war klar: Da muss ich hin.

Meines Wissens war in Stuttgart das größte Publikum versammelt, vor dem Kohlstedt je gespielt hat. Daher war der Musiker sicherlich nervös, was man seinem Spiel aber nicht anmerkte, wohl aber seinen Ansagen.

Kohlstedts Hände flogen förmlich über die Tasten, als suchten sie nach einer Sprache jenseits der Worte. Seine Klavierlinien verschlangen sich mit feinen elektronischen Texturen, mal zart wie Morgentau, dann wieder fordernd, fast eruptiv. Mit jedem einzelnen Takt schien die Musik zu pulsieren, zu atmen, sich neu zu formen — getragen von einer Intimität, die das Publikum mitten ins Geschehen holte. Die modulare Kompositionsweise des Künstlers sorgte dafür, dass Altvertrautes urplötzlich in neuen Farben leuchtete, dass die Grenzen zwischen Improvisation und festem Werk verschwammen.

Die meisten Menschen im Publikum waren sicherlich wegen Jean-Michel Jarre gekommen und kamen zum ersten Mal in Kontakt zu Martin Kohlsted. Für mich steht fest: Kohlstedt hat durch diesen Auftritt neue Fans gewonnen, die über die musikalische Begabung des Thüringers begeistert waren.

Der Abend war ein Fluss von Emotionen — an manchen Stellen schwebte sanfte Nachdenklichkeit durch die Luft, dann wieder blitzten Momente purer Euphorie auf. Kohlstedts Mut, musikalisch das Ungewisse zu suchen, zog sich wie ein roter Faden durch das Set. Jeder Ton, jede Pause, jeder elektronische Impuls schien eine Botschaft zu sein: Hier entsteht etwas Einzigartiges – gemeinsam, im Hier und Jetzt.

Das Publikum ließ sich mittragen, leise erste „Bravo“-Rufe gingen in tosenden Applaus über. Wer zuvor vielleicht noch skeptisch war, stand am Ende berührt und inspiriert da, dankbar für einen Musiker, der den Mut hat, Musik als lebendigen Dialog zu begreifen. Die Jazzopen 2025 erhielten in diesem Augenblick eine neue Facette: Martin Kohlstedts Klangwelten verdichteten sich zu einer Erfahrung, die weit mehr war als ein Konzert — sie war ein emotionales Eintauchen in den unvorhersehbaren Zauber des Moments.

Wie ich auf Nachfrage bestätigt bekam, gab es hinter der Bühne einen Handschlag vom französischen Meister schon während des Soundchecks. Ich denke, hier ist auch ein Herzenswunsch von Kohlstedt in Erfüllung gegangen. Ich freu mich auf die nächsten Konzerte mit diesem Künstler.

Zwischen Vision und Wirklichkeit – Ein elektrisierender Abend mit Kraftwerk

14. Juli 2025

Es gibt diese seltenen Momente, in denen Musik nicht nur erklingt, sondern den Raum verwandelt. Am 8. Juli 2025 wurde der Stuttgarter Schlossplatz zur digitalen Kathedrale, als Kraftwerk die Bühne der Jazzopen betraten. 7.200 Menschen, ausverkauftes Haus, und doch lag eine gespannte Ruhe in der Luft, als die ersten Vocoder-Klänge den Countdown zur „Mensch-Maschine“ einleiteten.

Der Himmel über dem Schlossplatz färbt sich langsam violett. Die Jazzopen 2025 haben geladen, und mit Kraftwerk steht eine Legende der elektronischen Musik auf dem Programm. Schon Stunden vor Beginn ist die Atmosphäre elektrisiert. Menschen aller Generationen strömen herbei, viele tragen T-Shirts mit den ikonischen Kraftwerk-Grafiken, einige sogar in Anzügen und Krawatten – Hommage an die Ästhetik der Band. Ich habe nach Essen und Wien nun die wichtigste deutsche Band zum dritten Mal gesehen, jedes Mal mit einem anderen Konzept, aber immer mit der für mich wegweisenden Musik. Es wird immer weiter gehen, Musik als Träger von Ideen.

Die Bühne als Zeitmaschine
Als die Lichter erlöschen, ist es, als würde eine Zeitmaschine anspringen. Vier Silhouetten erscheinen hinter ihren Pulten, umgeben von geometrischen Formen, die über die Leinwand tanzen. Die ersten Takte von „Nummern“ erklingen, und sofort ist klar: Hier wird keine Nostalgie zelebriert, sondern eine musikalische Vision, die nie an Aktualität verloren hat. Die Beats sind präzise, die Sounds glasklar – und doch schwingt eine Wärme mit, die Kraftwerk immer von ihren Nachfolgern unterschieden hat. Der Sound in Stuttgart war wirklich für mich hervorragend. Mich drückte der Sound regelrecht in den Klappstuhl.

Wackelkontakt
Ich will nicht päpstlicher sein als der Papst, aber dieses Mal hatte die Band ihre Anzugtechnik nicht im Griff. Da schaffen es die Techniker eine großartige Light- und Multimedia-Show auf die Bühne zu bekommen, aber die Lampen an den Anzügen der vier Akteure flackerten. Techniker kamen während des Konzerts auf die Bühne und legten wohl eine Duracell nach. Am Ende stand Mastermind Ralf Hütter mit halberleuchteten Anzug hinter seinem Pult. Ist es wirklich so schwer, Lampen in einen Bühnenanzug zu schrauben? Es gab wohl bei fast allen im Team Schwierigkeiten.

Der Puls der Stadt
Der Schlossplatz vibriert. „Computerwelt“ und „Autobahn“ – Hymnen einer digitalisierten Gesellschaft – entfalten ihre hypnotische Wirkung. Die Menge wiegt sich im Takt, von den ersten Reihen bis zu den hinteren Stehplätzen. Die Projektionen, mal minimalistisch, mal verspielt, erzählen Geschichten von Datenströmen, urbaner Mobilität und dem ewigen Traum vom Fortschritt. Es ist, als würde der Puls der Stadt mit dem der Musik verschmelzen. Erinnerungen kommen hoch, als Alexander Gerst einmal von der ISS zugeschaltet wurde. Was war das für ein geschichtsträchtiger Moment! So etwas lässt sich nicht toppen. Ausfallende Lampen am Anzug sind vielleicht ein Zeichen, dass Ralf Hütter vielleicht mal was neues auflegen sollte.

Zwischen Euphorie und Melancholie
Doch Kraftwerk können auch anders. Bei „Radioaktivität“ wird die Stimmung nachdenklicher. Die Projektionen zeigen atomare Warnzeichen und Mahnungen an die Verantwortung des Menschen. Die Musik wird düsterer, fast bedrohlich. Es ist ein Moment der Reflexion, der zeigt, wie politisch und relevant Kraftwerk immer noch sind. Für mich eines der stärksten Songs der Band.

Die Roboter tanzen – und wir mit ihnen
Als die Zugabe „Die Roboter“ erklingt, wird die Bühne zur futuristischen Performance. Die Musiker bewegen sich kaum, und doch ist alles Bewegung: Die Visuals, die Musik, das Publikum. Für einen Moment scheint es, als wären wir alle Teil einer großen Choreografie – Mensch und Maschine, vereint im Rhythmus. Es ist ein Gänsehautmoment, in dem die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum verschwindet.

Ein Fest für die Sinne
Die Setlist ist ein Streifzug durch fünf Jahrzehnte Musikgeschichte: „Das Model“, „Spacelab“, „Tour de France“ „Trans Europa Express“ – jeder Song ein Meilenstein, jeder Beat ein Stück Zukunft. Die Visuals sind ein Fest für die Sinne: Mal leuchtende Zahlenkolonnen, mal rasende Autobahnen, dann wieder die ikonischen Roboterfiguren. Wer mittig steht, erlebt ein Gesamtkunstwerk aus Klang und Bild; an den Rändern bleibt manches Detail verborgen, doch die Energie ist überall spürbar. Die Mensch-Maschine funktioniert.

Das Publikum: Von jung bis alt, von Nerd bis Tänzer
Was besonders berührt: Das Publikum ist so vielfältig wie selten bei einem Konzert. Ältere Fans, die Kraftwerk noch aus den 70ern kennen, tanzen neben jungen Menschen, die die Band erst durch Techno und Electro für sich entdeckt haben. Es ist ein generationenübergreifendes Erlebnis, das zeigt, wie zeitlos und verbindend Musik sein kann.

Finale mit Zukunftsvision
Nach mehr als zwei Stunden endet das Konzert mit „Musique Non Stop“. Die Musiker verabschieden sich einzeln, jeder mit einer kleinen Verbeugung, während die Musik weiterläuft. Es ist ein symbolischer Akt: Die Maschine spielt weiter, auch wenn der Mensch die Bühne verlässt. Ein letzter Blick auf die leuchtenden Projektionen, dann verschwindet Kraftwerk im Dunkel der Nacht – und hinterlässt ein Publikum, das noch lange nach dem letzten Ton auf dem Schlossplatz verweilt. Als Zugabe gab es die Roboter. Ralf Hütter, Henning Schmitz, Falk Grieffenhagen und Georg Bonartz machten die gewohnte Verbeugung vor der Zugabe.

Ein Abend, der bleibt
Kraftwerk bei den Jazzopen 2025 war weit mehr als ein Konzert. Es war eine Reise durch Raum und Zeit, ein Fest der Sinne, ein Nachdenken über Technik, Kunst und Menschlichkeit. Es war ein Abend, der zeigte, dass Musik nicht nur unterhalten, sondern bewegen, verbinden und inspirieren kann. Wer dabei war, wird diesen Moment nicht so schnell vergessen – denn für ein paar Stunden war die Zukunft in Stuttgart zu Gast. Jetzt bin ich gespannt auf München im Winter. Dort spielen die Herrschaften in der schlechtesten Halle der Stadt. Ich hoffe, dass ausgefallene Anzugslampen das kleinste Übel sein werden.

Privatkonzert: Paul Armfield live in München 2025

20. Juni 2025

Die Konzertatmosphäre bei einem Auftritt des britischen Sängers Paul Armfield ist intim, warmherzig und tief emotional und sie hat mich bei seinem Privatkonzert in München sofort in den Bann gezogen. Ich tauchte tief in die Musik ein. Mit seiner akustischen Gitarre schaffte er es, durch seine sanfte Stimme und seine poetischen Texte eine fast meditative Stimmung zu erzeugen. Seine Musik bewegt sich zwischen Folk, Chanson, Americana und Kammerpop, oft getragen von leisen, melancholischen Tönen.

Es war kein Konzert zum Mitklatschen, sondern sein Publikum hört aufmerksam zu und lässt sich auf die feinen Nuancen seiner Musik ein. Zwischen den Liedern erzählte Armfield oft persönliche Anekdoten oder humorvolle Geschichten, was seine Auftritte sehr menschlich und nahbar machen. Wie viele Briten hat auch Paul Armfield eine Verbindung zur Natur. Gardening ist auf der Insel weit verbreitet und gerne hätte ich ihm den Englischen Garten in München gezeigt. Er wäre begeistert gewesen. Ein Teil seiner Lieder dreht sich um Bäume und erinnerten mich an das ehemalige Genesis-Mitglied Anthony Phillips, dessen ruhige Musik ich schätze.

Bei Paul Armfield hatte ich das Gefühl, nicht nur einem Musiker, sondern auch einem Geschichtenerzähler und feinsinnigen Beobachter zuzuhören. Die Atmosphäre ist dadurch fast familiär, und am Ende des Münchner Konzerts blieb ein Gefühl von Nachdenklichkeit und innerer Ruhe zurück.
Viele Songs handelten von Zuhause („Home“), Bibliotheken, Bäumen – alles Stoff für nachdenkliches, fast meditatives Flair. Sein britischer Humor zeigte sich in Wortspielen und charmanten Kommentaren.
Paul Armfield überzeugt mit einer warmen, entspannten Bühnenpräsenz. Er wirkte erfahren und souverän, ohne dabei distanziert zu sein. Seine ruhige Ausstrahlung und die Gelassenheit, mit der er seine Songs präsentiert, schaffen eine offene und einladende Atmosphäre, in der sich das Münchner Publikum auf dem Privatkonzert wohlfühlte. Ein Künstler zum Anfassen.

Die Musik von Armfield ist geprägt von emotionaler Tiefe und Sinnlichkeit. Seine klare, warme Stimme und die literarisch anmutenden Liedtexte erzeugten eine fast schon transzendente Stimmung.
Paul Armfields Konzerte sind geprägt von Wärme, Intimität und einer tiefen emotionalen Verbindung. Seine entspannte Präsenz, die literarischen Texte und die klare Stimme schaffen eine Atmosphäre, in der sich das Publikum aufgehoben und berührt fühlt – ein Erlebnis, das lange nachklang.

Paul Armfield schaffte es bei seinem Konzerten eine intime Atmosphäre durch mehrere ineinandergreifende Elemente:
Seine Auftritte fühlen sich an wie ein persönliches Gespräch – nah, ehrlich und berührend. Er interagiert mit dem Publikum, erzählt Geschichten und zieht die Zuhörer aktiv in seine Welt hinein.
Armfield überzeugt mit einer warmen, entspannten Ausstrahlung, die sofort Vertrauen schafft. Diese Gelassenheit und Authentizität lassen das Publikum zur Ruhe kommen und sich auf die Musik einlassen.
Seine Lieder sind kleine Geschichten voller Poesie, Tiefe und Wärme. Die Themen reichen von Erinnerungen über Natur bis hin zur Suche nach Verbundenheit. Diese Inhalte sprechen die Zuhörer auf einer emotionalen Ebene an und schaffen eine besondere Verbindung.
Armfield setzt auf akustisches Spiel und eine klare Stimme, wodurch seine Musik unmittelbar und unverfälscht wirkt. Die Reduktion auf das Wesentliche – ohne unnötigen Schnickschnack – verstärkt das Gefühl von Intimität.
Seine Konzerte laden zum Innehalten ein. Das Motto „Slowing down Time“ beschreibt treffend, wie Armfield mit seiner Musik eine entschleunigte, konzentrierte Stimmung erzeugt, in der das Publikum die Musik bewusst erleben kann. Ich kaufte mir gleich Vinyl-Platten wie Domestic

Konzertkritik: Bob Dylan in Nürnberg 2024

16. Oktober 2024

Ich habe ihn nochmals gesehen. Ich habe fast geweint. Ich bin glücklich. Es war irgendwie auch ein Abschiednehmen von einer langen Freundschaft. Ich habe den 83jährigen Bob Dylan jetzt nochmals in Nürnberg gesehen und ich glaube nicht, dass ich HisBobness nochmals auf einer Europatour erleben darf.

Zum zweiten Mal durfte ich ein Konzert seiner „Rough and Rowdy Ways Tour“ besuchen. Berlin hatte nicht geklappt, aber in Nürnberg war ich ziemlich weit vorne mit dabei. Zwei Stunden spielte er zusammen mit seiner bewährten Tourband sein Set. Wer Gassenhauer hören wollte, der ist bei Dylan an der falschen Adresse. Zwar spielte er ein paar Klassiker, doch musste man – wie gewohnt – ein geschultes Ohr haben, um die Interpretationen zu erkennen. Für mich die musikalischen Highlights waren When I Paint My Masterpiece und Watching the River.

Das Wegsperren der Smartphones ist beim Meister üblich und so konnte ich ein Konzert ganz ohne Displays genießen. Aufmerksam lauschten die meist älteren Fans und huldigten ihm nach jedem Song mit Applaus. Im Netz ist nur dieses Bild von einem Halodri aufgetaucht, der sich nicht an die Regel hielt.

Und dann geschah etwas, was doch schon etwas seltsam und ungewöhnlich ist. Der Meister bedankte sich. „Der Meister spricht zu uns!“ Kam mir in den Sinn und musste grinsen. Noch mehr freute es mich, dass der 83 ab und zu hinter seinem Klavier hervorkam und so etwas wie Tanzschritte machte, Ach Bob, es war einfach schön. Musikalisch auf hohem Niveau, unterhaltsam und redselig wie selten – der Abend in der Frankenhalle war für alle ein Gewinn.

Dann hieß es Abschied nehmen. Der Zug nach München wartete nicht und so war kein Fachsimpeln mit anderen Fans nicht möglich. So reiste ich mit einem Grinsen im Gesicht nach Hause und sag einfach danke Bob.

Konzertkritik: Little Quirks – das erste Deutschlandkonzert

2. August 2023

Durch Zufall bin ich in YouTube und Facebook auf eine erfrischende Indie-Folk-Band aus Australien gestoßen: Little Quirks. Bisher spielten sie nur Down Under und hatte ein paar US-und GB-Auftritte. Nun waren sie das erste Mal im alten Europa und machten auch in München Station. Ich war also dabei beim allerersten Deutschlandkonzert der Little Quirks im Lost Weekend in München Schwabing.

Little Quirks ist eine australische Indie-Folk-Band, die 2015 an der Central Coast (New South Wales) von den Schwestern Abbey Toole (Gitarre, Gesang) und Mia Toole (Schlagzeug, Gesang) sowie ihrer Cousine Jaymi Toole (Mandoline, Gesang) gegründet wurde. Die Gruppe hat Australien bereist und vier Extended Plays veröffentlicht. Im Jahr 2019 wurde die Gruppe durch Alex Toole (Jaymis älterer Bruder) am Bass und seit Ende 2021 durch Jordan Rouse an der E-Gitarre ergänzt.

Ich habe den Auftritt absolut genossen. Abbey Toole feierte an diesem Abend ihren 21. Geburtstag und die Band war gut aufgelegt und spielte ihre Setliste mit viel Charme und bekannten Temperament ab. Natürlich waren die Damen standesgemäß barfuß unterwegs, so kenne ich sie aus Facebook. Abbey trug den siebziger Jahre Klamottenlook und das Make-up erinnerte an frühe Bowie-Zeiten. Und die bekannten Gitarreninstrumente trugen auch das wunderbare Blitzlogo, wie wir sie aus Bowie-Zeiten von Aladdin Sane kennen. Ich geriet beim Auftritt ins Schwärmen, denn ich bin überzeugt, den Little Quirks steht eine erfolgreiche Karriere bevor. Ihre kraftvollen Show beherrschen die jungen Damen auf jeden Fall einwandfrei. Der Harmoniegesang wirkte, die Fans waren angetan – inklusive mir. Die Musik aus einer Mischung aus Indie-Folk und Alternative-Pop macht einfach Spaß.

Im März 2022 veröffentlichten sie die Single „The Rain“, die australische Rezensentin des NME, Ellie Robinson, beschrieb den Song als „kraftvoll“ mit einem „gefühlvollen, balladesken Lauf, angetrieben von kühl gezupften akustischen Gitarren und hellen Klavierakkorden“ Das Musikvideo wurde von Tim Swallow gedreht. Im August 2022 veröffentlichte die Gruppe ihre vierte EP, Call to Unknowns, die sechs Tracks enthält, darunter die drei vorangegangenen Singles „Someone to Hold“, „Florence’s Town“ und „The Rain“.Die EP wurde von Adam Toole in den Grove Studios und in seinem Heimstudio aufgenommen und produziert. Leider ist es mir bisher nicht gelungen einen physischen Datenträger von der Band zu bekommen und auch auf der Tour in München gab es keinerlei Merch oder Tonträger. So bleibt mir erst mal nur das Streaming über Apple Music.

Nachdem es kein großes Management oder Backstage-Bereich gab, kam ich mit den Australierinnen nach dem Konzert ein bisschen ins Plaudern und brauchte unbedingt ein Autogramm und ein Selfie mit der Band. Also hört euch die Band einmal an und genießt die frische Musik der jungen Damen.

Konzertkritik: Claudio Simonetti’s Goblin live in Berlin

4. November 2019

Es war eine Reise in meine Vergangenheit. Als Filmfan genoss ich eine Phase des italienischen Horrorfilms der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Regisseure wie Dario Argento oder Lucio Fulci standen bei mir hoch im Kurs. Und weil ich diese schrägen, zumeist blutigen Filme mochte, hörte ich auch die entsprechenden Soundtracks von u.a. Claudio Simonetti und seiner Band Goblin.

Jetzt bekam ich die Gelegenheit, Claudio Simonetti’s Goblin live in Berlin im ehemaligen Kino Lido in Kreuzberg zu hören. Ich war überrascht, wie gut Simonettis Musik funktioniert. Als Fan von Filmscore bewundere ich Meister wie John Williams oder Jerry Goldsmith. Diese schufen große orchestrale Werke. Claudio Simonettis Musik ist anders – es war Bandmusik. Musiker wie der leider verstorbene Keith Emerson von einer meiner Lieblingsbands ELP hämmerten ein paar Soundtracks herunter, darunter auch für italienische Horrorstreifen, aber Claudio Simonetta’s Goblin blieb eine besondere Ausnahme.

Es war ein theatralischer Prog-Rock mit starken Synthesizer-Elementen, mal gefühlvoll, mal hart. Damit wurde die Musik von Streifen wie Rosso – Farbe des Todes (Profondo rosso), Suspiria, Tenebrae (Tenebre), Phenomena oder Terror in der Oper (Opera) von Dario Argento untermalt. Mein Gott, was waren dies für brutale stilvolle Filme – eine Mischung zwischen Gothic Horror und verrückten Hexenmärchen. Ich habe noch einige der Filme auf VHS, DVD, Bluray und sogar seltene Laserdisc im Archiv. Besonders mag ich die Regiearbeit von Dario Argento. Vielleicht ist sein Suspiria sogar mein Lieblingsfilm des italienischen Horrors, weil er in Freiburg dem „Mekka der Parapsychologie“ und München spielt. Der Film macht mir Angst und wirkt vor allem durch die Musik von Goblin hervorragend. Schön ist, dass es auch andersherum funktioniert: Ich höre die Musik von Suspiria und reise geistig ins Horrorkino zurück. Suspiria wurde auch gegen Ende des Konzerts gespielt und das Publikum miteinbezogen – Claudio Simonetta wir danken dir dafür.

Das Konzert der Band fand am Halloween-Abend in Berlin statt. Einige Besucher erschienen verkleidet. Meine Nachbarin brachte eine (Plastik-)Sense in ihrer Handtasche mit. Im Publikum waren allerhand Grufties und Gestalten der Nacht anzutreffen, wobei ich mir nicht sicher war, ob sie sich zu Halloween extra herausgeputzt haben oder ob es ihre Standardbekleidung war.

Auch ein Michael Myers mit weißer Maske war im Publikum. Als Claudio Simonetti ihn entdeckte, brach er vom regulären Konzertprogramm ab und spielte unter dem Jubel der Fans die Titelmelodie von John Carpenter Halloween – damit hatte Simonetti einen klaren Pluspunkt bei seinem Publikum.

Die Band spielte vor einer Leinwand. Per Beamer wurden visuelle Effekte und Filmausschnitte der jeweiligen Horrorstreifen ohne Ton eingespielt. So bekamen wir die italienische Gewaltorgie zu sehen: Das Abtrennen des Kopfes in Profondo rosso, der Verfall und das Verwesen der Körper von Demoni und mehr. Wenn kein Film vorhanden war, dann kamen einfach bunte Effekte wie bei einer neueren Aufnahme wie Roller.

Kurz, nur ganz kurz, besinnlich wurde es, als Dawn of the Dead gezeigt und von der Band gespielt wurde. Goblin hat Argento viel zu verdanken, aber internationale Bekanntheit bekam die Band durch George R. Romero und seiner Zombie-Version. Das wusste auch Claudio Simonetta, der sich ausdrücklich beim verstorbenen Romero auf der Bühne bedankte. Nein, lieber Claudio Simonetta wir haben zu danken für einen außergewöhnlichen Abend, der mir sehr viel Spaß gemacht hat.

Am Merch-Stand nutzte ich die Möglichkeit, ein paar CDs noch zu erwerben. Ich hatte zudem einige CD-Covers nach Berlin mitgebracht und wollte ein Autogramm. Mir gelang es und fand den Weg in die Garderobe der Band und wechselte ein paar freundliche Worte mit Claudio Simonetta. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich meine Laserdiscs und Picture-Discs nicht zum Unterschreiben mit nach Berlin genommen habe. Aber ich hoffe auf ein Wiedersehen mit Claudio Simonetta’s Goblin irgendwann. Die Band hat eine kleine Tour in den USA und Japan hinter sich, spielte nur ein einziges Konzert in Deutschland und zieht dann weiter. Aber sie werden sicher wiederkommen und ich werde dann wieder die Musik von Claudio Simonetta’s Goblin genießen. Bis es soweit ist, schaue ich mir Suspira nochmals an.

Konzertkritik: Bob Dylan in Stuttgart 2019 – Jazz Open

12. Juli 2019

Bereits zum zweiten Mal habe ich Bob Dylan live in diesem Jahr gesehen. Nach Augsburg jetzt vor kurzem in Stuttgart beim Jazz Open. Bereits zum zweiten Mal war es ein herausragendes Konzert. Mit 78 Jahren rockt er zusammen mit seiner bewährten und famosen Combo die Hütte.

Routiniert begann der Bühnenaufbau. Auf der linken Seite (von der Bühne aus gesehen) stand die Statue aus Tempest und dahinter der Oscar für Things have Changed. Die Clubscheinwerfer waren zunächst während der Abendsonne über Stuttgart ausgeschaltet. Dylan sprach wie immer kein Wort in Richtung Publikum.

Oscar links, Tempest rechts

Oscar links, Tempest rechts

Und dennoch war es anders als sonst: Ich habe viele Dylan-Konzerte in aller Herren Länder gesehen, doch dieses war anders: Es gab links und rechts neben der Bühne zwei große Display-Wände, die Dylan den rund 7000 Zuschauern auf dem Stuttgarter Schlossplatz näher brachten. Ich hatte Dylan noch nie zuvor auf einer Monitorwand gesehen. So nah war ich optisch den Meister noch nie begegnet.

Zwar hatte ich in Stuttgart Front of Stage Karten, aber der Bühnenaufbau in Stuttgart war katastrophal. Wer vorne stand, sah Dylan aufgrund der hohen Bühne kaum, der die meiste Zeit hinter seinem Klavier stand oder saß. Ab und zu kam bis Bobness hervor und sang posend hinter dem Standmirko – wunderbar seine Gesten. Daher genoss ich es, Dylan auf den Großbildleinwänden zu sehen. Und wenn der Kameramann bei Charlie Sexton vielleicht die Sache mit der Schärfe hinbekommen hätte, wäre es perfekt gewesen. 

Und was anderes war neu: Der erste Song des Abends war Ballad of a Thin Man. Damit wich Dylan von der klassischen Setlist seiner Tour ab und machte Stuttgart zu einem Highlight unter uns Dylan-Fans.

Ich hatte den Eindruck, dass es Dylan auch gut gefallen hat. Er hatte Spiellaune. Ab und zu sah es fast so aus, als ob er zu uns Fans was sagen wollte, was er freilich nicht tat. Er grinste, zog Grimassen und genoss scheinbar den Abend. Als er im letzten Drittel des Konzerts seinen Hut abnahm und die wilde Lockenpracht des 78jährigen hervorkam, wurde heftig applaudiert. Offiziell gibt es keine Fotos, denn der Meister hat wie immer ein Fotoverbot ausgesprochen. Das wird von den Ordnern auch durchgesetzt – und von den Fans. Als eine Reihe vor mir ein Mann sein Smartphone zücken will, raunzt ihn ein Fan an. Wir wissen ja, was vor kurzem in Wien passiert ist. Und ich will mir den Abend wegen eines solchen Deppen nicht versauen lassen. Fans überwachen Fans – so beginnt es. 

Keine Fotos bei Bob Dylan.

Keine Fotos bei Bob Dylan.

Musikalisch war Bob Dylan top. Neue Arrangements seiner alten Lieder, wunderbar verändert, dass man sie zunächst nur am Text erkannte. Er gab uns ein Best-of, ohne uns ein Best-of der alten Sachen zu geben. Genau so etwas erwartet der Fan von Dylan. Alte Songs in neuen Kleidern – damit mögen ein paar neue Fans in Stuttgart nicht gerechnet haben. Hinter mir maulte eine Mitfünfzigerin in breitesten Württembergschwäbisch, dass es anders sei als auf CD. Ja gute Frau und deshalb gehen wir zu einem Dylan-Konzert. A daube Nuss und halt dei Gosch.

Die Band war wieder grandios. Tony Garnier am Bass hat den Chef im Auge und gibt die Kommandos weiter. Die Combo ist so perfekt eingespielt, wie selten eine Tourband. Schlagzeuger George Recile, Gitarrist Charlie Sexton und Multiinstrumentalist Donnie Herron sind eine Einheit. Dylan dirigiert sie mit Blicken, Handzeichen – alles ist aufeinander abgestimmt und sie rocken, was das Zeug hält. 

Nach einer Zugabe ist alles vorbei. Exakt 1 Stunde 45 Minuten war vereinbar und bezahlt, exakt 1 Stunde 45 Minuten wurde gespielt. Am Ende verbeugt sich die Band und Abgang. Vielleicht sagt Dylan in London im Hyde Park etwas, wenn er mit seinem Kumpel Neil Young auftritt. Karten hab ich keine, aber das Netz wird uns Fans versorgen. 

Hier die Setlist vom Stuttgarter Konzert: 

Ballad of a Thin Man

It Ain’t Me, Babe

Highway 61 Revisited

Simple Twist of Fate

Can’t Wait

When I Paint My Masterpiece

Honest With Me

Tryin‘ to Get to Heaven

Scarlet Town

Make You Feel My Love

Pay in Blood

Like a Rolling Stone

Early Roman Kings

Girl From the North Country

Love Sick

Thunder on the Mountain

Soon After Midnight

Gotta Serve Somebody

Zugabe:

Blowin‘ in the Wind

 

Konzertkritik: Neil Young in München, Olympiahalle 2019

7. Juli 2019

Ja, Neil Young war gut aufgelegt, trotz der persönlichen Rückschläge in jüngster Zeit. Der Kanadier zog in der Münchner Olympiahalle eine Show ab, die einfach gepasst hat: Laut, intensiv, melodiös – mal Punk, mal Folkie, mal Hardrock, genau wie ich es mir von dem musikalischen Chamäleon Neil Young gewünscht hatte. Ok, Jazz war nicht dabei, aber egal. Unterstützt wurde er dieses Mal nicht von Crazy Horse, aber die jungen Männer von Promise of the Real standen dem Meister perfekt zur Seite.

Das Bühnenset war wie bei den meisten Shows von Neil Young eher schlicht gehalten. Bei meinen letzten Konzert war es eher eine Country-Umgebung. Dieses Mal mal waren die Instrumente da und das wars. Neil Young – und ein Großteil seines gealterten Publikums  erinnert sich noch an die Zeiten des Röhrenfernsehers. Und so hingen die Monitorwände links und rechts von der Bühne in Verkleidung als Röhrenfernseher mit Neil Young-Testbild. Schöner Humor. 

Einziges Showelement am Ende des Konzerts war eine Art Engel, der sich in die Lüfte zu einem genialem Like a Hurrican schwebt. 

Schön ist, dass Neil Young auf ein umfangreiches Repertoire an Songs zurückgreifen kann, deren Hits er an einem Abend gar nicht alle spielen kann. So gibt es eine Auswahl aus vielen Perioden des grimmigen Herrn. Es begann mit Buffalo Springfield und ihrem Mr. Soul. Kein großes Geblubber wie „ich liebe dich München“ und so Zeug, sondern Licht aus, Musik an – los gehts. Und Neil Young kann es: Mit der „Old Black“, seiner legendären Les Paul, und der Gretsch „White Falcon“ zauberte er den typischen Neil Young Sound. Mit was er an dem Münchner Abend akustisch gespielt hatte, konnte  ich nicht erkennen. 

Die einen nennen es Krach, ich nenne es Musik, die Young und seinen Mannen da ihren Instrumenten entlocken. Und wenn schon beim zweiten Song Mansion on the Hill das gesamte Auditorium mitsingt und mitwippt, dann hat Neil Young etwas richtig gemacht. There’s a mansion on the hill – Psychedelic music fills the air – Peace and love live there still – In that mansion on the hill – und muss es sein und nicht anders. 

2014 wurde der nächste Song im Rolling Stone Sonderheft Neil Young als sein bester Song ausgezeichnet. Gemeint ist natürlich Powderfinger, 1979 auf Rust Never Sleeps zum ersten Mal öffentliche und immerfort ein extrem starker Song samt Text. Hätte Neil mal besser die Knarre nicht abgeschossen. 

Harvest Moon ist für mich persönlich eines der schönsten Lieder von Neil Young. Sehr schön interpretiert mit Mond und Love auf den Großbildmonitoren und der Bühne. Spätestens hier hat Neil Young sein Publikum in der Hand und sein Publikum weiß, dass sich der heftige Eintrittspreis gelohnt hat. Ein paar Songs spielte er Words (Between the Lines of Age), für mich einer der besten Songs von Harvest, der es aber nie richtig zur Berühmtheit gebracht hatte. 

Neil Young wurde als Papa des Grunge bezeichnet, was ich für Quatsch halte. Dennoch war Mirror Ball ein Album, dass der jungen Holzfällerhemd-Generation zeigte, wo der Hammer hängt. Throw Your Hatred Down interpretierte er einst mit Pearl Jam, heute mit seinen Mitmusikanten und es ist nachwievor ein intensiver Song. Hart und klar – so wollen wir das, danke Neil.

Fuckin‘ Up war immer mein Gassenhauer-Song von 1990 aus Ragged Glory neben Mansion on the Hill. Promise of the Real gingen ab wie ein Zäpfchen und schaukelten sich mit Neil Young in den Rock‘n Roll Himmel. Tolle, eindringliche Interpretation, wie ich meine. 

ok, dann ging es Schlag auf Schlag und Neil Young ließ uns keine Luft mehr. Cortez the Killer und später Cinnamon Girl. 

Und wer bei Rockin‘ in the Free World noch nicht weggedreht wahr, der ist bereits tot. Der Song kam aus einer Phase, in der Young nicht unbedingt wegweisend war, aber hier schuf er ein Meisterwerk. Die Halle sang mit und der Ohrwurm setzte sich für den Heimweg fest. Und schön, wie die Band mit dem Publikum spielte. 

Die Zugaben waren I’ve Been Waiting for You und Like a Hurricane mit dem Vocoder aus Trans von 1982, eines der unterschätzen Alben. Like a Hurricane ist der Live-Klassiker von Neil Young und ein wirklicher Abschluss eines eindrucksvollen Konzerts in München. In anderen deutschen Städten habe ich gemischte Kritiken von dortigen Kritiken gelesen, von München kann ich sagen. Obwohl Hey Hey, My My (Into the Black) nicht gespielt wurde, war es immer präsent: „it’s better to burn out than to fade away“

Hier nochmals die komplette Setlist:

Mr. Soul

Mansion on the Hill

Powderfinger

Harvest Moon

Winterlong

Walk On

Words (Between the Lines of Age)

Lotta Love

Throw Your Hatred Down

Milky Way

Fuckin‘ Up

Cortez the Killer

Cinnamon Girl

Change Your Mind

Rockin‘ in the Free World

Zugaben:

I’ve Been Waiting for You

Like a Hurricane

Konzertkritik: Rainbow in München Juni 2019

14. Juni 2019

Rainbow in München - ich wollte Herrn Blackmore nochmal sehen.

Rainbow in München – ich wollte Herrn Blackmore nochmal sehen.

Memories of Rock – so war die Tour betitelt und wenn ich mich an Rainbow erinnere, dann kommt mir als erstes der legendäre Auftritt der Jungs um Ritchie Blackmore von 1977 in der Münchner Olympiahalle in den Sinn. Gleich vorweg: So ein Auftritt ist es im Juni 2019 am gleichen Ort nicht geworden.
Ich war kein Freund von Blackmores Mittelalter Gedöns und so freute ich mich, dass der ehemalige Guitar Hero wieder mit seiner Hardrock Combo Rainbow auf Tour ging. Und er kam für ein einziges Konzert nach Deutschland und sogar in meine Heimatstadt München. Die bayerische Landeshauptstadt bedeutet für Blackmore viel und er strengte sich an.
Nachdem Ronnie James Dio und Cozy Powell von 1977 ja nicht mehr unter uns weilen, musste Blackmore seine Band neu aufbauen und es ist ihm gelungen. Die Spielfreude der Band ist ihnen hoch anzurechnen.
Aber was ist aus unserem Helden Blackmore geworden? Einst ein Berserker auf der Bühne, der musikalisch provozierte, der den meisten der heutigen Gitarristen „den Arsch“ abspielen konnte (Zitat Blackmore) – ja was ist aus ihm geworden? Der launische Mann an der weißen Stratocaster ist ruhig geworden. Keine emotionalen Ego-Ausbrüche mehr wie zu alten Zeiten. Er steht ruhig da und konzentriert sich auf sein Gitarrenspiel. Sein Instrument beherrscht er noch, ohne Zweifel. Aber lieber Ritchie – schau mal zu Steve Morse rüber und da sieht man wie man heute Gitarre in einer Hardrock-Band spielt.

Aber nachdem ich mit Fans gesprochen habe, die sich die letzten Konzerte von ihm angetan haben, ist München wohl dagegen ein Hochgenuss gewesen. Blackmore hat sich bemüht, aber mit Arthritis spielt sich halt nicht mehr meisterhaft Gitarre. Mit den Hochgeschwindigkeitssolos ist es vorbei, aber für eine Memories in Rock-Tour reicht es dann noch. Experimente ließen sich nicht erwarten, dennoch hatte ich den Eindruck, dass viele Songs spontan angestimmt wurden. Sänger Ronnie Romero ist nicht Dio, aber er machte seine Sache sehr, sehr gut. Manches wirkte für mich uninspiriert, wie die Solos in Mistreated – ich habe immer David Coverdale im Ohr.

Schön war, dass ein Brite Freude schöner Götterfunken in Difficult to Cure zitierte. Ein Synthesizer mag in den Siebzigern und Achtzigern noch eine Innovation gewesen sein, aber das Thema ist durch, egal welche Improvisation da Jens Johansson abgibt.

Die Setlist variierte im Vergleich zu früheren Konzerten der Tour. Und natürlich bei Memories in Rock durften die Gassenhauer nicht fehlen. Das meist ältere Publikum feierte ihren Helden, wippte mit und nachdem die Plattencover auf der Videowand eingespielt wurden, konnte man sich erinnern, was so die Klassiker sind, die man haben musste. Emotional wurde es dann noch zum Schluss – eine Verbeugung an den alten Kumpel Jon Lord und als Abschluss noch Smoke on the Water. Was will man mehr?

Bei der Heimfahrt mit dem Auto legte ich erst einmal Live in Munich 1977 ein. Das war eben noch ein richtig gutes Konzert, eben Rock Memories von 1977 und nicht ein gutes Konzert von 2019.