Archive for the ‘Kunst’ Category

Wenn Autos zu Erde werden – ein Abschied von Münchens Blechträumen

6. Dezember 2025

Ich war bei einem Vortrag in München und stieß auf Kunst von Folke Köbberling im öffentlichen Raum. ‌Erst schüttelte ich den Kopf, dann begann das Nachdenken, denn ich war vom Autoverkehr in München genervt.

Die Künstlerin Folke Köbberling hatte im September 2024 drei SUVs aus organischen Materialien im Münchner Stadtraum platziert, die sich über einen Zeitraum von einem Jahr zersetzten. Als kritischer Kommentar zur Dominanz des Automobils und der Flächenversiegelung der Stadt fungierten die Skulpturen als Gradmesser für die Nutzung des öffentlichen Raums in München. An den drei Standorten – Europaplatz, Herzog-Wilhelm-Straße / Kreuzstraße und Schleißheimerstraße / Dach-auer Straße – wurden sie unterschiedlich genutzt: Sie dienten als Behausung, erlebten Vandalismus oder wurden von Nachbarn gepflegt und bewahrt.

Noch vor der IAA Mobility 2025 – und der Enthüllung des neuesten BMW-SUV – endete das Kunstprojekt mit einem besonderen Schlusspunkt: Zwei der Fahrzeug-Imitate wurden in einer Prozession durch München getragen und dort mit dem dritten Automobil an der Schleißheimer Straße zusammengeführt – einem symbolischen Begräbnis gleich. Dort wird nun die letzte SUV-Skulptur über zwei weitere Jahre kompostieren und sich schließlich in eine grüne Skulptur verwandeln.

Ich sehe darin ein Statement zu Mobilität, Urbanismus und Nachhaltigkeit in der Stadt München. „Mash & Heal“ nimmt das allgegenwärtige Symbol des SUVs — ein Auto als Zeichen von Mobilität, Status und individueller Freiheit — und transformiert es in etwas Vergängliches, Organisches: Drei Großskulpturen in Originalgröße, gefertigt aus kompostierbaren Materialien wie Lehm, Holz, Wolle, Erde und Samen.

Indem Folke Köbberling die Skulpturen an prominenten und stark frequentierten innerstädtischen Orten wie dem Europaplatz, der Ecke Herzog‑Wilhelm‑Straße / Kreuzstraße und der Ecke Schleißheimerstraße / Dachauer Straße platziert wurden, brachten sie den Konflikt um Raum – wer darf ihn nutzen, wer beansprucht ihn – buchstäblich ins Gesicht der Stadt.

Die Stadt wird dabei als materielles und soziales Geflecht verstanden: Nicht nur als Verkehrsraum, sondern als Ort des Lebens, der Öffentlichkeit, der Gemeinschaft — und nicht als Parkplatz oder Asphaltwüste. Köbberling stellt die richtigen Fragen: Wem gehört der städtische Raum? Wem gehört die Stadt?

München gilt als eine der am stärksten versiegelten Städte Deutschlands — viel Fläche ist durch Straßen, Parkplätze und Bebauung überdeckt. Mit „Mash & Heal“ lenkt Köbberling den Blick auf die Folgen dieser Versiegelung: weniger unbehandelter Boden, weniger Raum für Pflanzen, weniger Raum für andere Formen des Lebens.

Die SUVs aus natürlichen Materialien sind ein Kommentar auf das wachsende Phänomen der SUV-Flut in Städten: große, häufig überdimensionierte Fahrzeuge, die viel Raum beanspruchen – nicht zuletzt Parkraum, Straßen und städtischen Platz. Durch die Verwandlung dieser SUV-Nachbildungen in Erde wird diese ressourcenintensive Spitze des Individualverkehrs symbolisch „zur Erde zurückgeführt“.

Der Begriff „automobiles Wettrüsten“ taucht explizit in der öffentlichen Wahrnehmung dieses Projekts auf: Die Kunstwerke entlarven die SUV als Statussymbol und zeigen auf, dass hinter der glatten Karosse etwas Rohes, Vergängliches und Ressourcenverbrauchendes steckt — eine Einladung zur Reflexion über Konsum, Umwelt und Stadtentwicklung.

Die Materialien der Skulpturen sind biologisch und kompostierbar. Über rund zwölf Monate sollen sie verrotten, ihre Struktur aufgeben und sich in Erde zurückverwandeln — idealerweise mit Pflanzenbewuchs. Damit schlägt Köbberling einen Bogen von Konsum und Überdimensionierung hin zu Kreislauf, Natur und Regeneration.

Die Vergänglichkeit wird bewusst inszeniert — als künstlerisches Mittel, das Zeit, Wandel und Entsiegelung spürbar macht. Die SUV bleiben nicht starr, sondern unterliegen einem Prozess: Aus Symbolen des Luxus werden Reste des Ursprungs — Erde. Das wirkt wie ein Ritual der Rückkehr: eine Umkehr von Wegwerfmentalität und Betonierung hin zu Natürlichkeit und Verwurzelung.

Das Projekt fordert die Betrachter der Stadt dazu auf, ihr Verhältnis zu Mobilität, Besitz und öffentlichem Raum zu überdenken: Was bedeutet es, wenn Autos zu dominierenden Objekten im Stadtbild werden? Wen verdrängen sie? Wer hat Zugang zu städtischem Raum — und wer nicht? Diese Fragen werden nicht theoretisch gestellt, sondern visuell und räumlich erlebbar gemacht.

Ästhetisch provoziert „Mash & Heal“ mit der unheimlichen Mischung aus vertrauter Form (SUV) und ungewohnter Materialität (Erde, Lehm, Wolle). Die Fahrzeuge wirken echt — erst bei genauerem Hinsehen erkennt man ihre Fragilität. Dieser Kontrast öffnet einen Raum für Reflexion: Schönheit vs. Zerbrechlichkeit; Luxus vs. Vergänglichkeit.
Gleichzeitig verbindet die Arbeit künstlerisches Gestalten mit sozialer und ökologischer Verantwortung: Kunst als Intervention, nicht als (nur) ästhetische Ergänzung des öffentlichen Raums, sondern als aktiver Beitrag zu Debatten über Stadt, Umwelt und Zukunft.

Buchtipp: Cinemas – From Babylon Berlin to La Rampa Havana von Margarete Freudenstadt

21. November 2025

Wer meinen Blog kennt, der weiß: Ich liebe das Kino. Meine Liebe zum Kino beginnt oft im Dunkeln – in dem Moment, wenn das Licht ausgeht und der Alltag leise hinter einem die Tür schließt. Auf der Leinwand öffnet sich eine andere Welt, und für zwei Stunden darf man jemand anders sein, an anderen Orten leben, andere Leben fühlen.

Viele Kinos sterben heute aus den unterschiedlichsten Gründen und wenn ich die Gelegenheit habe, dann fotografiere Kinos. Zwei schmerzhafte Erfahrungen waren die Schließungen des Gabriels und des Sendlinger Tor Filmtheaters – beides in München. Ich habe darüber gebloggt. Immer wieder schwebst es mir vor, einen Buch zum Thema Kinos zu produzieren.

Schon vor langer Zeit traf ich eine Leidensgenossin in Sachen Kino. Die Fotografin Margarete Freudenstadt. Bei einer Ausstellung in Gauting stellte sie ihrem Bildband Cinemas – From Babylon Berlin to La Rampa Havana vor, der von Christoph Wagner herausgegeben wurde. Das Buch zeigt auf eindrucksvolle Weise eine nostalgische Reise durch Lichtspielhäuser zwischen Ost­deutschland und Kuba – und erzählt damit zugleich von Zeiten, Träumen und Verfalls­erscheinungen.

Der Band beginnt im Osten Deutschlands, in den frühen 1990er Jahren. Freudenstadt lässt alte DDR-Kinos auftreten: Gebäude wie das „Filmtheater Kosmos“ oder „Fortschritt-Lichtspiele“, einst Symbol für moderne Unterhaltung im Sozialismus, erscheinen nun ruhig, teilweise leer und von der Zeit gezeichnet. Die Fotografin dokumentiert Architektur, Foyers, Fassaden und Straßenzüge, oft mit einem Blick, der Ruhe, Leere und Erinnerung zugleich einfängt – als würde jedes Foto eine Art Nachklang einer Epoche sein, die bereits durch Umbruch und Wandel erschüttert wurde.

Im zweiten großen Kapitel führt das Buch nach Kuba – nach Havanna und Umgebung –, wo die filmische Begeisterung der 1950er Jahre unter US-Einfluss in prachtvollen Kinopalästen wie „Riviera“, „Acapulco“ oder „Florida“ gipfelte. Doch auch hier hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen: Die einst glanzvollen Säle sind heute in vielen Fällen verfallen, verwittert, überzeichnet von Patina und Geschichte. Kubanische Kinos erscheinen im Bildband als stille Mahnmale einer Träumerei von Unterhaltung und Illusion, die einst pulsierte und nun – vielfach – ihre Zuschauer verloren hat.

Was das Buch und ihre Bilder so stark macht, ist nicht nur die gegensätzliche geografische wie historische Gegenüberstellung – Ost­deutschland nach der Wende versus Kuba im Wandel –, sondern der emotionale Eindruck, den diese Räume hinterlassen. Wir Leser spüren eine Mischung aus Vergänglichkeit und Faszination: Die Magie des Kinos, die einst in diesen Sälen lebte, klingt nach. Auch im Zustand des Verfalls bewahren die Bilder eine Präsenz – das Lichtspielhaus wird zur Metapher für Zeit, Erinnerung und Wandel.

Freudenstadts Fotografien sind großformatig, hochwertig gedruckt auf mattiertem, festen Papier. Jede Aufnahme zeigt detailreich Fassaden, Interieurs, Straßenraumeindrücke – Menschen sind teilweise präsent, doch nie Haupt­motiv; das Kino als Ort steht im Vorder­grund.

Begleitet werden die Bilder von einführenden Essays verschiedener Autoren, die über die Geschichte der Kinos in Kuba sowie in der DDR reflektieren – etwa zur Architektur, zur Film- und Kinokultur oder zur Rolle der Technik- und Sozialgeschichte.

Die Wirkung des Buches liegt in seiner stillen Kraft: Es lädt ein zu verweilen, zu schauen, zu erinnern. Man könnte sagen: Die vergessenen Lichtspielhäuser sprechen – über Vergangenes, über Wandel, über das, was aus dem Glanz wurde. Für Kinoliebhaber, Architektur- und Fotografie-Begeisterte ist der Band ein visuell wie inhaltlich beeindruckendes Werk.

Mit seinen 96 Seiten, einem Format von ca. 26 × 29 cm und rund 80 farbigen Abbildungen ist der Bildband hochwertig ausgestattet und ein Kunstwerk für sich.

Ich geb es nicht auf und fotografiere selbst weiter. Unlängst konnte ich in Estland ein sozialistisches Kino fotografieren, das auf dem Grundstück des Nazis Alfred Rosenberg erbaut wurde.

Ein leiser Abschied: Das Kunsthaus Lübeck schließt nach fünf Jahrzehnten

14. September 2025

Ein Verlust, ein wirklicher Verlust für die Kunst die angedrohte Schließung des Kunsthauses Lübeck zum Jahresende 2025. Immer wenn ich die stolze Stadt besucht habe, schaute ich beim Kunsthaus Lübeck in der Königsstraße 20 vorbei und nicht selten ging ich mit dem einen oder anderen Kunstwerk nach Hause. Damit ist zum Jahresende 2025, genau am 20. Dezember 2025 am vierten Advent Schluss.

Bei meinem jüngsten Besuch bekam ich nach dem Kauf eines Horst Janssen eine Karte in die Hand gedrückt. Dort stand „Fünf Jahrzehnte haben wir, Klaus Oestmann und Frank-Thomas Gaulin, die Galerie und den Verlag gemeinsam geführt. Wir danken allen, die uns z.T über viele Jahrzehnte begleitet haben für die geleistete Treue. Nunmehr in unserem 82. bzw. 88. Lebensjahr haben wir beschlossen, zum Jahresende in den „beruflichen Ruhestand“ zu gehen und das Kunsthaus Lübeck zu schließen.“

Was für ein Verlust. Das Kunsthaus Lübeck befindet sich in der Königstraße 20 in der Hansestadt Lübeck und ist eine renommierte Adresse für Originalgraphiken der klassischen Moderne sowie zeitgenössischer Kunst. Es ist für mich ein herausragender kultureller Anlaufpunkt in der traditionsreichen Hansestadt Lübeck, der sowohl die Freunde der klassischen Moderne als auch der zeitgenössischen Kunst begeistert. Das Haus präsentiert eine faszinierende Bandbreite von Originalgraphiken bedeutender Künstler: Zu den Hauptwerken zählen Stücke von Ernst Barlach, Marc Chagall, Max Beckmann, Otto Dix, Käthe Kollwitz, Max Liebermann, Juan Miro, Edvard Munch, Emil Nolde und Max Pechstein. Ebenso würdigt das Kunsthaus das bildkünstlerische Werk von herausragenden Persönlichkeiten wie Günter Grass und Armin Mueller-Stahl, deren graphische Arbeiten und Editionen exklusiv hier vertreten werden. Ich habe mir selbst ein paar Armin Mueller-Stahl geleistet.

Die Rolle des Kunsthauses Lübeck geht deutlich über die reine Ausstellungstätigkeit hinaus. Es versteht sich für mich als lebendiges Zentrum für das Sammeln, Vermitteln und Erleben von Kunst auf höchstem Niveau. Das Kunsthaus Lübeck ist bis heute nicht nur ein Hort der Schönheit und künstlerischen Reflexion, sondern auch ein wichtiger Impulsgeber für neue Entwicklungen auf dem Kunstmarkt und der Vermittlung künstlerischer Bildung. Es bereichert das kulturelle Leben der Stadt Lübeck spürbar und inspiriert Menschen, sich mit den vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten der Kunst von der klassischen Moderne bis zur Avantgarde auseinanderzusetzen. Damit ist bald Schluss. Ich sollte wohl noch einmal nach Lübeck. Mich reizt eine Hahnenzeichnung von Günter Grass.

Wer in Lübeck ist, sollte unbedingt hinschauen. Die Öffnungszeiten sind von Dienstag bis Freitag. Einen Nachfolger gibt es wohl nicht.

Der Weiße Hai zum Anfassen – ein Diorama, das Geschichten erzählt

7. August 2025

Der weiße Hai ist wieder in den Kinos, das freut mich. Aber noch mehr freut mich ein Geschenk von meinem Kollegen Markus von Filmreport. Er hat mir ein Diorama vom Weißen Hai geschenkt. Vielen lieben Dank für das wertvolle Geschenk.

Ein Diorama ist ein dreidimensionales Modell, oft in einem Schaukasten mit einem bemalten Hintergrund, das eine illusionistische Darstellung erzeugt. Es wird verwendet, um Geschichten zu erzählen, historische Ereignisse oder natürliche Lebensräume darzustellen und ist sowohl für Bildungs- als auch für Unterhaltungszwecke geeignet. Hier wird das bekannte Plakat des Weißen Hais dreidimensional dargestellt.

Das wunderbare Diorama stammt aus dem Jahr 2006 und wurde von McFarlane herausgegeben. Die Firma McFarlane Toys ist ein US-amerikanischer Hersteller von hochrealistischen Sammler‑Actionfiguren, gegründet 1994 von Todd McFarlane, dem bekannten Comic-Schöpfer von Spawn.

Ursprünglich hieß das Unternehmen Todd Toys, wurde aber 1995 wegen eines Markenkonflikts mit Mattel in McFarlane Toys umbenannt. Die Firma setzt Standards im Bereich präziser Sculpting-Techniken, Comic-Realismus und hochwertiger Sammlerartikel. McFarlane Toys steht für ein kreatives Zusammenspiel von Comic-Kunst, Popkultur und Sammlerleidenschaft. Die Marke zeichnet sich durch detailreiche Figuren für Erwachsene aus berühmten Franchises und Sportlern aus, ist über Jahrzehnte kontinuierlich gewachsen und hat in Sammlerkreisen ein hohes Renommee erlangt.

Für den Weißen Hai sind nach dem Erfolg des Films von 1975 verschiedene McFarlane-Modelle erschienen. Das Wichtigste ist aber natürlich der Spielberg-Film – immer ein Genuss.

Ich habe mal einen Vortrag über den Weißen Hai im Rahmen meiner phantastischen Matinee gehalten. Hier das Video.

Und hier noch ein Video über einen Buchtipp zum Film.

Wenn Mauern sprechen – Glasgows Herz in Farbe

5. August 2025

Bei uns im Dorf dürfen sich Schüler an der dunklen Bahnunterführung mit ihren Malkünsten austoben, damit bei diesen traurigen Zustand optisch etwas ändert. Ähnliches hab ich auf meiner Schottland-Tour durch Glasgow beobachtet.

Glasgow gilt heute als eine der bedeutendsten Street-Art-Städte Europas – ein Ruf, der nicht aus Vandalismus oder willkürlicher Schmiererei hervorgegangen ist, sondern aus einem bewussten Wandel in der Stadtentwicklung und Kulturpolitik. Die vielen Graffitis und Wandbilder, die sich über Häuserfassaden, Unterführungen, Brückenpfeiler und ganze Gebäudewände ziehen, sind Ausdruck einer kreativen Auseinandersetzung mit dem städtischen Raum, seiner Geschichte, den Menschen und sozialen Themen. Es macht unheimlichen Spaß durch diese Stadt zu spazieren und immer neue Graffitis zu entdecken.

Ein wesentlicher Grund für die Vielzahl an Graffitis liegt in der gezielten Förderung durch die Stadt selbst. Seit den 2000er Jahren unterstützt Glasgow aktiv Street-Art-Projekte, nicht zuletzt im Rahmen größerer Stadtverschönerungs- und Revitalisierungsmaßnahmen. Früher für Industrie und Schwerarbeit bekannt, hat sich Glasgow in den vergangenen Jahrzehnten neu erfunden – als Kulturstadt, Kreativmetropole und Zentrum für Design, Musik und zeitgenössische Kunst. Graffiti und Mural Art wurden dabei nicht als Problem, sondern als Potenzial gesehen: als Möglichkeit, leere oder heruntergekommene Flächen zu beleben und Identität zu stiften.

Ein Paradebeispiel dafür ist das Projekt City Centre Mural Trail, das von der Stadt in Zusammenarbeit mit lokalen Künstlern und Organisationen wie Art Pistol Projects initiiert wurde. Es handelt sich dabei um einen offiziell ausgewiesenen Rundgang durch die Innenstadt, auf dem man über 25 großformatige Wandbilder entdecken kann – von detailreichen Porträts über surrealistische Kompositionen bis hin zu politischen oder sozialkritischen Werken. Viele dieser Murals sind nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern erzählen Geschichten aus Glasgow: über lokale Berufe, Migration, Musikgeschichte oder den Alltag im Viertel.

Hinzu kommt, dass Glasgow eine lebendige Underground-Kunstszene hat. In Vierteln wie Finnieston, Trongate oder entlang des Clyde findet man viele kleinere, nicht offiziell geförderte Werke, die oft ebenso eindrucksvoll und gesellschaftlich relevant sind. Die tolerante Haltung der Stadt gegenüber Street Art hat dazu beigetragen, dass Künstler aus ganz Großbritannien und darüber hinaus Glasgow als Bühne nutzen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen „legaler“ und „illegaler“ Graffiti zunehmend – in vielen Fällen werden einst illegale Arbeiten heute als kulturelles Kapital betrachtet.

Nicht zuletzt spiegelt die Fülle an Graffitis in Glasgow auch den Stolz und den Humor seiner Bewohner wider. Die Wandkunst ist oft augenzwinkernd, manchmal melancholisch, aber fast immer geprägt von einem starken Lokalbezug. Sie macht die Straßen der Stadt zu einem offenen Museum und bringt damit Kunst dorthin, wo sie jeder sehen kann – ohne Eintritt, ohne Schwelle, mitten im Alltag.

Ein Ort der Stille am Rand der Bewegung – mein erster Besuch in der Autobahnkapelle Maria am Wege

3. August 2025

Ich kann nicht von mir behaupten, dass ich ein sehr religiöser Mensch im Sinne der Amtskirche bin, aber dennoch fasziniert mich das Mysterium des Glaubens. Etliche Male bin ich an der Autobahnkapelle vorbeigefahren und habe mir immer mal gedacht, wie es dort wohl aussieht. Nun sind meine Frau und ich herausgefahren und haben zum ersten Mal die Autobahnkapelle „Maria am Wege“ in Windach, Landkreis Landsberg am Lech besucht.

Sie ist ein bedeutendes architektonisches und spirituelles Bauwerk an der Autobahn A96 nahe der Ausfahrten Schöffelding und Windach. Erbaut wurde die Kirche zwischen 1968 und 1971 nach den Plänen des renommierten Architekten Josef Wiedemann aus München. Die Weihe erfolgte im Jahr 1971 durch den damaligen Diözesanbischof Josef Stimpfle.

Ich muss sagen, die Architektur hat mich beeindruckt. Ursprünglich wurde das Gebäude als katholische Pfarrkirche für die örtliche Gemeinde geplant. Aufgrund ihrer verkehrsgünstigen Lage an einer stark Frequentierten Autobahn wurde die Kirche 1992 auch offiziell als Autobahnkapelle für Reisende geöffnet.

Die Architektur der Kapelle verzichtet auf Prunk und Symbolüberladung und setzt stattdessen auf Schlichtheit, Offenheit und Natürlichkeit. Das hat mich beeindruckt und fasziniert.

Architektonisch zeichnet sich „Maria am Wege“ durch ihre außergewöhnliche Zeltform aus – ein Symbol für das Unterwegssein, das die Nähe zur Reisebewegung der Autobahnreisenden betont und im Namen „Maria am Wege“ seine Entsprechung findet. Die Kapelle wirkt von außen schlicht und modern, während der Innenraum von sakraler Stille und ausgewählten Kunstwerken geprägt ist. Die Tageslichtführung durch einen schmalen Lichtschlitz an der Decke lenkt den Blick nach oben und schafft eine ruhige, spirituelle Atmosphäre. Die Innenausstattung ist bewusst schlicht gehalten – ein Holzkreuz, reduzierte Bänke und eine Statue der Maria laden zum stillen Verweilen und Gebet ein.

Besonders auffällig ist die Marienstatue aus dem 13. Jahrhundert, die einen direkten Bezug zur Namenspatronin und zur langen Tradition der Marienverehrung herstellt. Ergänzt wird die Ausstattung durch einen ebenso romanischen Ambo und einen Taufstein, die auf die historischen Wurzeln der Kirche hinweisen.

Ein weiteres Highlight stellt der Osterkerzenleuchter dar, der ein mittelalterliches Steinfragment aus der Normandie beinhaltet. Dieses Steinfragment zeigt Christus, Maria und einen schützenden Engel und gibt dem Raum eine besondere spirituelle Tiefe. Die 17 eigens für die Kapelle angefertigten, farbenfrohen Kreuzwegbilder sind künstlerisch interessant und eröffnen den Besuchern einen Zugang zur Passion Christi. Die Orgel wurde 1976 aufgestellt, ein Werk der Firma Anton Staller, Grafing, mit 31 Registern, verteilt auf drei Manuale und Pedal.

Mit etwa 500 Sitzplätzen bietet die Kapelle ausreichend Raum für größere Gottesdienste und ist vollständig barrierefrei zugänglich. Dies macht sie sowohl für Gemeindemitglieder als auch für das breite Spektrum der Reisenden attraktiv. Als wir dort das Gotteshaus besuchten, war die Kirche leer. Besucher finden umfangreiche Parkmöglichkeiten direkt vor der Kapelle, darunter auch Stellplätze für Busse und Lastkraftwagen. Die ganztägigen Öffnungszeiten von 8:00 bis 18:00 Uhr ermöglichen es auch Reisenden mit engem Zeitplan, die Kirche zur Ruhe, Meditation oder zum Gebet zu nutzen.

Die Lage der Autobahnkapelle ist zudem landschaftlich reizvoll: Sie liegt in unmittelbarer Nähe zum Ammersee, rund 45 km westlich von München und nicht weit vom berühmten Benediktinerkloster St. Ottilien entfernt. Dadurch wird sie nicht nur zu einem geistlichen und architektonischen Anziehungspunkt, sondern auch zu einem touristisch interessanten Ziel in der Region. Die Kombination aus moderner Architektur, spiritueller Tiefe und praktischer Ausrichtung auf Reisende macht die Kapelle „Maria am Wege“ zu einem einzigartigen Ort, an dem Glaube, Kunst und Erholung zu einer harmonischen Einheit verschmelzen. Sie ist ein Beispiel für gelungene Integration sakraler Räume in den Kontext der Mobilitätsgesellschaft und leistet einen wichtigen Beitrag zur christlichen Präsenz im öffentlichen Raum der Gegenwart.

Zwischen Parsecs und Poesie – Star Wars auf schottisch

31. Juli 2025

Ich mag ja den besonderen Humor der Schotten. Er ist etwas eigen, wenn man sich darauf einlässt. Und als Star Wars-Fan hab ich diesen Humor im Botanischen Garten entdeckt.

Als wir eine Brücke überquerten und uns orientieren wollte, entdeckte ich Wegweiser und musste lachen. Dort stand Kessel → 20 parsecs / 12 parsecs, einmal für den X-Wing, einmal für den Rasenden Falken. Dann gab es noch Tatooine mit Cantina in der Stadt Mos Eisley 52 parsecs / 30 parsecs, Endor → 64 parsecs / 48 parsecs und dann noch Dagobah → 200 parsecs / 140 parsecs. Köstlich, ich hab mich prächtig amüsiert.

Zeichnungen von Robert Bailey
Und in der Castle Fine Art fand ich wirkliche Star Wars-Schätze. Es waren Zeichnungen von Robert Bailey. Robert Bailey ist ein renommierter Künstler, der eine besondere Rolle im erweiterten Star-Wars-Universum spielt – nicht als Schauspieler oder Filmschaffender, sondern als offiziell von Lucasfilm autorisierter Illustrator.

Seine präzisen, von Hand gezeichneten Werke zeigen Szenen und Charaktere aus der klassischen Star-Wars-Trilogie in beeindruckender Detailtiefe. Besonders markant ist sein Stil: Bailey arbeitet fast ausschließlich mit Bleistift und feinen Schraffuren, wodurch seine Bilder eine besondere Tiefe und Textur erhalten. Beim nächsten Besuch werde ich zuschlagen.

Seine Verbindung zur Star-Wars-Welt reicht bis in das Projekt „Star Wars: Visions“ zurück, bei dem verschiedene Künstler ihre persönliche Interpretation des Franchise präsentierten. Seine Arbeiten überzeugten auch George Lucas persönlich, der mehrere Originale von Bailey erwarb. Auch Schauspieler wie Harrison Ford, Carrie Fisher und John Travolta zählen zu den Besitzern seiner Kunst.

Bailey lebt heute in Kanada und ist über seine Star-Wars-Motive hinaus für seine realistischen Darstellungen historischer Kriegsflugzeuge bekannt. Innerhalb der Star-Wars-Community gilt er als einer der gefragtesten Zeichner, dessen Werke nicht nur Sammler, sondern auch langjährige Fans der Saga begeistern. Seine Arbeiten sind in ausgewählten Galerien, etwa bei Castle Fine Art, erhältlich und verbinden cineastische Erinnerung mit handwerklicher Präzision.

Ein Stück Dylan in Glasgow – und ich mittendrin: Wenn Bob Dylan malt, erzählt er weiter – diesmal ohne Gitarre

10. Juli 2025

Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein großer Fan von Bob Dylan bin. Ich höre seine Musik seit Jahrzehnten, ich interessiere mich für sein Werk und habe ich London mal die Halcyon Gallery mit seinen Gemälden besucht. Jetzt stand in Schottland der Besuch der Castle Fine Art Galerie in Glasgow an.

Die Castle Fine Art Galerie in Glasgow, Teil eines renommierten britischen Filialnetzwerks, präsentiert regelmäßig hochwertige Kunsteditionen, darunter auch exklusive Werke des berühmten Musikers und Künstlers Bob Dylan. Dylan, der seit einigen Jahren auch als bildender Künstler auftritt, hat über seine Sammlung hinweg mehrere Editionen realisiert, die in der Glasgower Galerie zu sehen und zu erwerben sind.

Bob Dylans Kunstwerke
Ein zentraler Teil der ausgestellten Dylan‑Editionen ist seine „The Beaten Path“-Serie, die erstmals 2016 erschien und seitdem mehrfach erweitert wurde. Sie umfasst Silkscreen‑Drucke in limitierten Auflagen, die typisch amerikanische Straßenszenen, Motels, Bahnlinien und Stadtausschnitte zeigen – eingefangen in seinem rauen, erzählerischen Stil. Die Sammlung vermittelt das Amerika abseits der Touristenroute, Reiserouten entlang von Landstraßen und kleinen Orten – stets mit einem nostalgischen Blick für Alltag und Atmosphäre.

Weitere markante Werke stammen aus der „Deep Focus“-Reihe (2023), die sich durch eine filmisch-inspirierte Komposition auszeichnet. Dylan nutzt eine Tiefenschärfe-ähnliche Technik und inszeniert Motive in Vorder- und Hintergrund mit erzählerischem Charme. Diese Arbeiten zeigen Szenen mit Figuren, Interieurs und Straßenszenen, oft mit einem cineastischen Touch und subtiler Spannung. Besonders eindrucksvoll sind Titel wie Hideaway Woman, Edge of Town oder Man on a Bridge, die Menschen in verlassenen Bars, Nachtmomenten oder urbanen Zwischenräumen inszenieren.

Neueste Präsentationen umfassen „Point Blank“ (2025) – eine Serie von acht Originalgemälden, offenbar als intime Momentaufnahmen konzipiert. Jedes wirkt wie eine visuelle Notiz oder Erinnerungsschnipsel mit emotionaler Direktheit. Besucher der Glasgow-Galerie erhalten somit Zugang zur neuesten künstlerischen Phase Dylans, die deutlich persönlicher und spontaner wirkt als seine früheren Editionen.

Atmosphäre und Präsentation in der Galerie
Die Castle Fine Art Galerie in Glasgow legt Wert auf eine hochwertige, ruhige Präsentation: sauber ausgestellte Rahmen, klare Beschilderung der Editionen und professionelle Beratung. Bob Dylan-Werke sind in der Regel signierte Limited Editions und oft schnell vergriffen. Manche Ausgaben, etwa aus der Silkscreen-Kollektion, sind als „sold out“ markiert oder nur vereinzelt verfügbar. Die Ausstellung vermittelt sowohl einen Blick auf Dylans künstlerische Entwicklung als auch auf die verschiedenen Themenkreise seiner visuellen Kunst.

Insgesamt bietet die Castle Fine Art Galerie Glasgow einen überzeugenden Einblick in Bob Dylans kunsthistorisch relevante Arbeit. Mit Serien wie „The Beaten Path“, „Deep Focus“ und „Point Blank“ zeigt Dylan eine beeindruckende visuelle Bandbreite: von urbaner Americana über filmische Szenen bis hin zu persönlichen Momentporträts. Die Galerie fungiert als wichtiger Ort für Sammler und Interessierte, die Dylans bildnerisches Werk im Original erleben möchten.

US-Künstler nutzt britischen Vertrieb
Dass Bob Dylan seine bildende Kunst primär über Castle Fine Art, ein renommiertes britisches Galerienetzwerk, und nicht über US-amerikanische Galerien vertreibt, lässt sich durch eine Kombination aus strategischen, künstlerischen und vielleicht auch persönlichen Gründen erklären. Ich habe dazu Becca von Castle Fine Art in Glasgow befragt. Sie verschickt die Dylan-Bilder in die ganze Welt, auch nach Deutschland.

Kontrollierte Präsentation über Castle Fine Art
Castle Fine Art hat sich auf exklusive Kooperationen mit Prominenten spezialisiert, die nicht aus dem klassischen Kunstbetrieb stammen – etwa Musiker, Schauspieler oder Popkulturikonen. Für Dylan bietet diese Partnerschaft einen maßgeschneiderten Rahmen, um seine Werke hochwertig, limitiert und kuratiert zu präsentieren – ohne sich mit dem kritischeren, oft elitären Kunstmarkt der USA auseinandersetzen zu müssen.

Britisches Publikum: kulturell offener für Promi-Kunst
Im Vereinigten Königreich herrscht ein etwas entspannterer Umgang mit prominenten Künstlern, die sich auch außerhalb ihres Hauptmetiers künstlerisch ausdrücken. Während in den USA Kunstkritik und akademischer Anspruch oft dominieren, ist das britische Publikum – und damit auch der Kunstmarkt – zugänglicher für „Crossovers“ wie Dylan.

Dylans enge kulturelle Beziehung zu Europa
Bob Dylan hatte schon immer ein starkes Verhältnis zu Europa – sei es durch ausgedehnte Tourneen oder durch die Tatsache, dass seine Musik und Texte dort besonders literarisch rezipiert werden. Seine bildende Kunst spiegelt oft europäisch geprägte Einflüsse wider (z. B. durch Städtebilder, melancholische Straßenszenen). Der europäische Markt scheint daher empfänglicher für die atmosphärische, erzählerische Qualität seiner Werke. In Schottland hatte der Künstler ein großzügiges Anwesen, was aber vor kurzem verkauft wurde. Auch Songs deuten auf Schottland hin. Der wohl schottischste Songtitel in Dylans Werk ist „Highlands“ – ein knapp 17-minütiges Stück über Sehnsucht, Entfernung und innere Leere. Zwar ist nicht klar, ob die „Highlands“ buchstäblich die schottischen Highlands meinen, aber Dylan selbst sagte in Interviews, dass der Song stark von Robert Burns, dem schottischen Nationaldichter, inspiriert sei. Die Zeile „My heart’s in the Highlands, wherever I roam“ ist eine direkte Anspielung auf Burns’ Gedicht My Heart’s in the Highlands.

Distanz zum US-Kunstbetrieb
Dylan hat zeitlebens eine Distanz zum Establishment gesucht – auch zur amerikanischen Kunstszene, die stark durch Prestige, Galeriensysteme und Sammlereliten geprägt ist. Es passt zu seiner Haltung, nicht in den klassischen Galerien in New York oder L.A. auszustellen, sondern einen alternativen Weg zu gehen – in diesem Fall über einen kommerziellen, aber kunstorientierten Anbieter wie Castle Fine Art.

Professionelles Vertriebsmodell
Castle Fine Art übernimmt nicht nur die Ausstellung, sondern auch Vertrieb, PR und Kundenkontakt, und zwar in einem hochprofessionellen, aber auch stark kommerziell ausgerichteten Rahmen. Für Dylan – der lieber Kunst schafft als Netzwerke pflegt – ist das eine ideale Lösung: maximale künstlerische Kontrolle, keine Verpflichtungen gegenüber dem traditionellen Kunstbetrieb, und gleichzeitig ein starker Markt.

Der Tanz der Quadrate – Wenn der Wind die Skulptur zum Leben erweckt

27. Juni 2025

Oft bleibe ich vor einer Installation stehen und lasse sie auf mich wirken. So auch hier, als ich bei strahlendem Sonnenschein auf ein Werk von George Rickey stieß. Zunächst verstört, aber mehr und mehr interessiert schaute ich mir die Installation an und recherchierte.

Die Installation Three Squares Gyratory des amerikanischen Kinetik-Künstlers George Rickey ist ein Beispiel für die Verbindung von Technik, Kunst und Natur. Sie befindet sich im West Quadrangle der University of Glasgow und wurde Anfang der 1970er Jahre installiert. Rickey, der bis 1913 selbst in Glasgow lebte, schuf mit diesem Werk nicht nur ein bewegliches Kunstobjekt, sondern ein subtiles Spiel mit Raum, Zeit und physikalischen Kräften, das seither Studierende und Besucher wie mich gleichermaßen fasziniert.

Die Skulptur besteht aus drei großen, frei schwebenden Quadraten aus glänzendem Edelstahl, die auf einem etwa drei Meter hohen Mast montiert sind. Jedes Quadrat ist über ein ausgeklügeltes Gelenksystem so befestigt, dass es sich unabhängig von den anderen im Wind bewegen kann. Bereits ein leichter Lufthauch genügt, um die Elemente in eine schwebende, fast meditative Drehung zu versetzen. Dabei wirken sie nie hektisch, sondern bewegen sich in langsamen, rhythmischen Abläufen, als tanzten sie nach einer unsichtbaren Choreografie. Rickey nutzte dabei die Prinzipien der Kinetik, nicht um Natur zu imitieren, sondern um deren physikalische Gesetze künstlerisch umzusetzen.

Durch die reflektierende Oberfläche des Edelstahls interagiert die Skulptur ständig mit dem Licht und der Umgebung. Die Bewegung der Quadrate erzeugt immer neue Formen und Schattenbilder, was dem Werk eine permanente visuelle Wandelbarkeit verleiht. Je nach Tageszeit, Wetterlage oder Standpunkt des Betrachters verändert sich seine Wirkung – es gibt keinen festen Blick, keinen endgültigen Eindruck. So schafft Rickey ein Werk, das mit dem Raum kommuniziert und sich stets neu erfindet.

Die Wahl des Standorts an einer Universität ist dabei besonders passend. Inmitten der historischen Architektur bildet das moderne, bewegliche Objekt einen bewussten Kontrast und gleichzeitig eine stille Einladung zum Innehalten, Beobachten und Nachdenken. Die Skulptur steht sinnbildlich für das Zusammenspiel von Stabilität und Wandel – ein Prinzip, das auch der Wissenschaft und dem Denken eigen ist.

Three Squares Gyratory ist damit nicht nur ein technisches Meisterwerk der kinetischen Kunst, sondern auch ein poetischer Impulsgeber im öffentlichen Raum. Es steht für eine stille, unaufdringliche Ästhetik, die sich nicht aufdrängt, sondern durch ihre Ruhe und Eleganz besticht. George Rickey hat hier ein Werk geschaffen, das seiner Umgebung nicht widerspricht, sondern sie bereichert – und das seit Jahrzehnten in sanfter Bewegung bleibt.

Buchkritik: Vergängliche Schönheit – Unterwegs mit Agnes Hörter zu den verlorenen Orten Bayerns

15. Juni 2025

Ich muss Agnes Hörter einfach dankbar sein. Sie dokumentiert mit ihrer Kamera Lost Places und hat sich in ihrem neuen Buch Lost Places in Bayern auch zur Aufgabe gemacht, ehemalige Lost Places zu porträtieren.

Viele der Gebäude, Fabriken und Freizeitanlagen, die Agnes mit einem guten Auge fotografiert hat, gibt es nicht mehr. Sie wurden abgetragen oder abgerissen – und es bleibt die Erinnerung an vergangene Geschichten. Als Beispiel seien nur die Königstherme in Königsbrunn bei Augsburg oder das geschichtsträchtige Hotel Lederer genannt, in dem 1934 Adolf Hitler seinen SA-Gefährten Ernst Röhm verhaften ließ. Die Nazis erfanden die Geschichte vom Röhm-Putsch und ließen die SA-Führung ermorden.

Agnes hat mit Lost Places in Bayern nunmehr ihr drittes Buch auf den Markt gebracht. Nach zwei Eigenpublikationen ist sie nun Autorin des Münchner Volk Verlags.

Agnes Hörters Lost Places in Bayern ist ein eindrucksvoller Bildband, der auf besondere Weise die Schönheit des Verfalls sichtbar macht. Die Fotografin, die in Augsburg lebt, entwickelt einen außergewöhnlich einfühlsamen Blick auf verlassene Orte – stille Zeugen vergangener Zeiten, die sie mit viel Gespür für Atmosphäre und Geschichte ins Bild setzt. Ich hatte neulich ein ausführliches Interview mit ihr geführt.

Auf über 200 Seiten nimmt Hörter die Leser mit zu rund zwei Dutzend „Lost Places“ in ganz Bayern – darunter stillgelegte Bunker, aufgegebene Thermen, leerstehende Hotels, verlassene Bauernhöfe und sogar Kirchen. Jeder Ort wird dabei nicht nur durch ausdrucksstarke Fotografien, sondern auch durch kurze, prägnante Begleittexte zum Leben erweckt. Diese Texte erzählen kleine Geschichten: vom einst mondänen Hotel, das später zum Lazarett wurde, oder vom Freizeitpark, der einst Kinderaugen zum Leuchten brachte und nun langsam von der Natur zurückerobert wird.

Die Bildsprache ist poetisch, manchmal melancholisch, dabei stets respektvoll. Man spürt: Hier wird nicht nur dokumentiert, sondern gewürdigt. Die Kombination aus Licht, Perspektive und Motiv macht viele Bilder zu kleinen Kunstwerken, die lange nachwirken. Man verweilt vor jedem Foto, entdeckt Details, spürt die Stille der Orte – und gleichzeitig deren Geschichte.

Lost Places in Bayern ist mehr als ein Fotobuch. Es ist eine stille Liebeserklärung an das Vergängliche, eine Einladung zum Innehalten, ein Nachdenken über Erinnerung, Zeit und Wertschätzung. Für alle, die sich für verlassene Orte interessieren, für Menschen mit einem Faible für visuelle Erzählkunst oder für Liebhaber Bayerns mit seinen vielen verborgenen Winkeln: Dieses Buch ist eine klare Empfehlung.

Dass die Edition im hochwertigen Großformat erscheint, unterstreicht die Wertigkeit des Projekts. Das Buch ist ideal als Geschenk, als Coffee-Table-Schmuckstück oder als Inspiration für eigene Entdeckungsreisen – und beweist einmal mehr, dass Schönheit oft dort liegt, wo man sie nicht erwartet.

Agnes Hörter ist mit diesem Werk ein atmosphärisch dichter, berührender und gleichzeitig visuell beeindruckender Band gelungen, der den Zauber des Verfalls mit einer stillen Würde einfängt. Ein Buch, das man nicht einfach durchblättert – sondern erlebt. Und irgendwann möchte ich Agnes einmal bei einer ihrer Touren begleiten.