Posts Tagged ‘Hans-Jürgen Syberberg’

Persönliche Geburtstagswünsche an Hans-Jürgen Syberberg zum 90. Geburtstag

8. Dezember 2025

Einer meiner filmischen Helden wird heute 90. Jahre alt und ich gratuliere tief bewegt zum Geburtstag: Hans-Jürgen Syberberg. Bis auf ein kurzes Hallo habe ich Hans-Jürgen Syberberg nie persönlich kennengelernt. Ich war einmal bei der Tochter mit Freunden zu Gast als der Meister hereinschaute und ich zu doof war, ihn zu erkennen. Jahre später besorgte mir ein Kumpel über seine Tochter ein Autogramm, was in meinem Arbeitszimmer hängt. Für mich ist Hans-Jürgen Syberberg ein wirklicher Held des Kinos. Er hat viele Filme gedreht. Persönlich sind für mich Parsifal und Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfriedd seine Meisterwerke.

Parsifal
Hans-Jürgen Syberbergs Parsifal ist ein filmisches Monument, ein Werk, das sich jeder einfachen Einordnung entzieht und gerade deswegen so überwältigend wirkt. In diesem Film bündelt Syberberg all das, was sein Schaffen seit den 1970er-Jahren geprägt hat: den Mut zur ästhetischen Radikalität, die kompromisslose Auseinandersetzung mit deutscher Kultur und Geschichte, und den Glauben daran, dass Film mehr sein kann als Illusion – nämlich ein metaphysischer Raum, ein innerer Kontinent. Leider ist der Film nur auf DVD erschienen. Ich habe noch die signierte Langspielplatte und das Filmbuch.

Sein Parsifal aus dem Jahr 1982 ist keine Verfilmung der Oper Richard Wagners im klassischen Sinne. Es ist vielmehr eine Beschwörung, ein rituelles Sich-Hineinbewegen in den Kern des Mythos. Syberberg hebt die Oper nicht nur ins Filmische, er seziert und überhöht sie zugleich. Bühnenbilder werden zu Symbolwelten, Requisiten zu Metaphern, und die Kamera wird zum schweifenden Blick eines Wanderers, der durch eine Traumlandschaft aus deutscher Kulturgeschichte streift. Figuren sind weniger Charaktere als Archetypen, und mittendrin entfaltet sich Parsifals Reise – eine Seelenwanderung, die sich vor den Augen des Publikums fast wie ein Gebet entwickelt.

Syberberg schafft Bilder, die nicht nur gesehen, sondern empfunden werden wollen: das Dunkel, aus dem plötzlich Lichtkegel schneiden; die ikonischen, manchmal verstörenden Arrangements; die stille Größe der Tableaux, die lange im Gedächtnis nachhallen. In einer Zeit, in der sich der Film mehr und mehr von großen symbolischen Erzählungen entfernte, wagte Syberberg das Gegenteil: Rückkehr zum Mythos, zur großen Form, zur metaphysischen Frage nach Schuld, Erlösung, Identität. Parsifal wird dadurch zu einem Film über Deutschland – und über den Menschen überhaupt.

Doch Syberbergs Leistung erschöpft sich nicht in diesem Werk. Sein Gesamtœuvre erzählt von einer beharrlichen Suche nach dem Umgang mit Geschichte und Erinnerung. Bereits Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König (1972) war ein filmischer Traum, ein elegisches, fast schwebendes Porträt des Märchenkönigs, das historisches Material und poetische Vision miteinander verbindet. Mit Hitler – Ein Film aus Deutschland (1977) schuf er ein gigantisches, siebenstündiges opus magnum, das als eines der mutigsten, kontroversesten und zugleich bedeutendsten filmischen Projekte der Nachkriegszeit gilt. Hier verschränkt er Theater, Puppenspiel, Archivmaterial, Bühnenmagie und symbolische Überfrachtung zu einer radikal subjektiven Begegnung mit dem deutschen Trauma. Kein Regisseur zuvor oder danach hat es gewagt, Hitler so zu „inszenieren“ – nicht als Person, sondern als kulturellen Schatten, der das kollektive Gedächtnis durchdringt.

Sein Werk folgt dabei nie den Regeln des Mainstream-Kinos. Syberberg ist ein Solitär – ein Künstler, der unbeirrt seinen eigenen Weg verfolgt, auch wenn dieser steinig ist. Seine Filme sind Kunstinstallationen, Gedankenräume, ästhetische Expeditionen. Sie fordern Geduld, Aufmerksamkeit, Hingabe. Und sie belohnen mit Momenten von atemberaubender Schönheit und geistiger Tiefe.

Wenn man Syberbergs Leistung würdigt, würdigt man nicht nur einen Regisseur, sondern einen Visionär. Einen Künstler, der sich weigert, einfache Antworten zu geben. Der den Mut hat, das Dunkle zu zeigen, um das Helle überhaupt sichtbar zu machen. Der glaubt, dass Film heilen kann – nicht durch Vergessen, sondern durch Anschauen, durch Bewusstwerden, durch das schmerzhafte, aber notwendige Hinsehen.

Parsifal ist in diesem Sinne vielleicht sein reinster, poetischster Film. Ein Werk, das tröstet und gleichzeitig verstört. Ein Film, der von der Sehnsucht nach Erlösung erzählt – und von der unerschütterlichen Hoffnung, dass Kunst ein Weg dorthin sein kann.

Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried
Hans-Jürgen Syberbergs Dokumentarfilm „Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried“ ist eines der eindringlichsten, mutigsten und zugleich intimsten filmischen Zeitzeugnisse des 20. Jahrhunderts. Mit derselben schonungslosen Offenheit, derselben poetischen Wucht und demselben melancholischen Blick auf die deutsche Kulturgeschichte, die sein Gesamtwerk durchzieht, wagt Syberberg sich hier an eine Person, deren Name wie kaum ein anderer im Spannungsfeld zwischen Genieverehrung, politischer Blindheit und moralischem Abgrund steht.

Winifred Wagner, Schwiegertochter des Komponisten Richard Wagner und Hüterin des Hauses Wahnfried, öffnet Syberberg im Film eine Tür, die man kaum für möglich hält. Über Stunden hinweg spricht sie – frei, ungeschützt, ohne das Bedürfnis nach Rechtfertigung. Und Syberberg hört zu. Er bedrängt nicht, er verurteilt nicht; er lässt einen Raum entstehen, in dem Winifreds Erinnerungen, Verdrängungen, Treuebekundungen und unerschütterliche Überzeugungen sichtbar werden. Ihr ungebrochener Glaube an Adolf Hitler, ihre Verklärung einer Zeit, die millionenfaches Leid brachte – all das legt sich offen vor die Kamera. Es ist kein Porträt der Anklage, sondern eines der entwaffnenden Selbstdarstellung.

Syberbergs Leistung besteht in dieser besonderen Art des Zuhörens. Er erlaubt der Protagonistin, sich selbst zu zeigen – und darin zeigt sich alles. Der Film wird so zu einem moralischen Brennspiegel, der nicht durch Agitation, sondern durch das gesprochene Wort erschüttert. Da sitzt eine Frau, die sich ihr Leben lang als Hüterin eines künstlerischen Erbes verstand, als Vermittlerin zwischen Vergangenheit und Zukunft, und die gleichzeitig einem politischen Wahn verfallen war, dessen Tragweite sie nie begriff. Syberberg macht diese Ambivalenz nicht erklärbar – er macht sie erfahrbar.

In den langen Einstellungen, in der ruhigen Kamera, in der ungefilterten Präsenz Winifreds entsteht ein Gefühl, das selten im Dokumentarfilm gelingt: Man betritt eine Atmosphäre. Das Haus Wahnfried wird darin zum Symbol – ein Ort, an dem Kunst, Ideologie, Sehnsucht und Irrtum untrennbar miteinander verwoben sind. Syberberg verknüpft die Geschichte des Hauses mit der Stimme Winifreds, mit den Schatten der Vergangenheit, die über Bayreuth liegen, und mit den Fragen, die auch sein übriges Werk durchziehen: Was macht der Mythos aus dem Menschen? Und was macht der Mensch aus dem Mythos?

Wie schon in Hitler – Ein Film aus Deutschland oder seinem Parsifal arbeitet Syberberg nicht mit klassischen dokumentarischen Methoden. Er will nicht erklären – er will offenlegen. Er nimmt das Publikum mit hinein in die innere Welt seiner Figuren und in die symbolische Landschaft, die sie umgibt. Winifred Wagner wird dadurch nicht entschuldigt, aber verständlich gemacht: als Teil eines historischen Gefüges, als Trägerin eines Erbes, als Mensch in einer Mischung aus Stolz, Verblendung und ungebrochener Verehrung.

Die Dokumentation ist dadurch ein erschütterndes, gleichzeitig faszinierendes Werk. Sie trägt jene emotionale Intensität, die Syberbergs Filmkunst auszeichnet: ein langsames, aber gnadenlos ehrliches Sezieren der Vergangenheit. Und sie ist ein wichtiger Baustein in seinem Gesamtwerk, das immer wieder darum kreist, wie Deutschland mit seinen Mythen, seinen Künstlern, seinen Ideologien und seinen eigenen Schatten umgeht.

Syberbergs Film über Winifred Wagner ist ein Dokument der Wahrheit – nicht im journalistischen, sondern im tief existenziellen Sinne. Ein Werk, das zeigt, dass Erinnerung kein einfaches Terrain ist. Und dass der Mut, jemanden wirklich aussprechen zu lassen, manchmal die brutalste Form der Aufklärung sein kann.

Hans-Jürgen Syberberg bleibt für mich eine der großen, unbeugsamen Stimmen des deutschen und europäischen Kinos. Eine Stimme, die man nicht überhören kann – und nicht überhören sollte.

Lizenzjäger Walter Potganski – Der Netzwerker des deutschen Films

22. Juli 2024

Die Filmbranche ist ein hartes Geschäft. In der Vergangenheit war es wichtig, wen man kennt, und dieses Netzwerkwissen ist Gold wert. Einer der wichtigsten Netzwerker der Branche ist Walter Potganski, Geschäftsführer von Moviemax. Wir, Markus Elfert von Filmreport und Matthias J. Lange von redaktion42, trafen diese Legende zum Interview auf dem Bavaria-Gelände.

Walter Potganski ist im komplizierten Lizenzgeschäft der Filmwelt zu Hause. Er rutschte bei einem Job bei Arri in die Szene hinein und ist ihr seitdem treu geblieben. Er kannte die Stars und Produzenten, angefangen bei Maria Schell und ihrem Ehemann Veit Relin, über die großartige Romy Schneider und Regielegende Hans-Jürgen Syberberg (er drehte damals weniger Kunst, sondern Reportagen über frivole Sexfilmchen), bis hin zu Alois Brummer und Klaus Lemke und viele mehr. Er verhandelte mit Leo Kirch und lernte auch eine Menge von diesem lange Zeit sehr erfolgreichen Filmhändler. Hier unser Interview:

Immer wieder veröffentlicht Walter Potganski bei Moviemax Perlen der Filmgeschichte, wie beispielsweise die Romy Schneider-Filme „Trio Infernal“ (1974), „Abschied in der Nacht“ oder „Das alte Gewehr“ (1975) auf Bluray in besonderen Ausgaben sowie „Der Pfarrer von St. Pauli“. Ich mag ihn besonders für die Wiederentdeckung von Will Tremper. Walter Potganski brachte mir die Filme „Playgirl“ (1966) und vor allem „Die endlose Nacht“ (1963) näher, letzterer ein starker Berlin-Film mit einer Hannelore Elsner, die bis zu ihrem Tode dankbar für die Wiederveröffentlichung des Ensemblefilms warb. Potganski lernte auch den Komponisten Peter Thomas kennen, und ihn verbindet eine Freundschaft mit dessen Sohn Philip.

Als Fan des fantastischen Films freute ich mich auf die Bluray-Veröffentlichung „Die Schlangengrube und das Pendel“ nach Edgar Allan Poe. „Die Schlangengrube und das Pendel“ ist ein deutscher Gruselfilm von Harald Reinl aus dem Jahr 1967 mit Lex Barker, Karin Dor und Christopher Lee in den Hauptrollen. Ich hatte den Film nur als heruntergerockte Super-8-Kopie und genieße den fabelhaft restaurierten Film mit den zahlreichen Hinweisen auf die christliche Symbolik. Walter Potganski überraschte uns mit einem humorvollen Plakat von Karin Dor, als sie 1965 eine Maß trinkt, als Werbeplakat für „Die Schlangengrube und das Pendel“.

Natürlich kamen wir im Interview auch auf den persönlich schönsten Coup von Walter Potganski zu sprechen: die komplette Wiederveröffentlichung einer meiner Lieblingsserien als Jugendlicher: Enid Blytons „Fünf Freunde„, eine britische TV-Serie von 1976. Die Geschwister Julian, Dick und Anne treffen während ihrer Ferien auf ihre Cousine George mit ihrem Hund Timmy (ein Border Collie). Gemeinsam geraten sie in Abenteuer, lösen Rätsel und helfen damit auch der Polizei. Ich habe die Bücher und die Serie verschlungen, den Kinofilm aber abgelehnt.

Ich musste mich so zusammenreißen, dass ich nicht während des Interviews anfing, die Titelmelodie der Serie zu trällern, die meine Generation wohl auch mitsingen kann: „Wann immer sich ein Abenteuer lohnt: Angst und Schrecken kennen wir nicht, denn das sind wir gewohnt. Wo immer ein Rätsel zu lösen ist: Hoch in dem alten Schloss oder im Schmugglernest. Fünf Freunde das sind wir: Julian, Dick und Anne, George und Timmy der Hund. Fünf Freunde das sind wir: Wir kommen schnell herbei, wann immer ihr es wollt. Wir kommen schnell herbei, und schon sind wir da.“ Herrlich. So eine Veröffentlichung der schön gestalteten roten DVD-Sammelbox ist ein komplizierter Weg, der bis zum britischen Oberhaus reichte. Walter Potganski überließ uns eine Mindmap, die das komplizierte Rechtegeschäft bei dieser Filmreihe zeigt.

Und er überließ uns einen wahren Schatz: den Sendepass des ZDF mit der Ansage für die Erstausstrahlung von „Fünf Freunde“. Danke. Mal sehen, wie wir den Geschichtenschatz von Walter Potganski heben können. Es gibt noch so viel zu erzählen.

Schatzkammer von Nosferatu – Werner Herzog Ausstellung Berlin

13. April 2023

Wir haben einige berühmte Regisseure in unserem Land hervorgebracht – und ich meine die lebenden. Dazu zählen Wim Wenders, Volker Schlöndorff, Hans-Jürgen Syberberg, Roland Emmerich und natürlich Werner Herzog. Herzogs Filme sind extreme Filme. Für mich ist die Zusammenarbeit mit dem Oberirren Klaus Kinski maßgeblich, aber ich mag auch Herzogs störrische Schauspielkunst wie in Mandalorian. Die Diskussion über seine gecastete Dokumentationen kann ich nachvollziehen.

Daher war es für mich eine Selbstverständlichkeit, die Herzog-Ausstellung in der Deutschen Kinemathek in Berlin anzusehen. Dazu ist ein kleiner, viersprachiger Katalog erschienen, der einen netten Überblick gibt, aber den es an wirklicher Tiefe fehlt. Dennoch habe ich das Buch pflichtbewusst gekauft.

Vor allem bin ich ein Fan von Werner Herzogs Nosferatu. In Berlin wollte ich erkunden, ob ich persönlich neues zu meinem Lieblingsfilm von Werner Herzog finden konnte. Und ich wurde fündig. Zunächst gab es die bekannten Aushangfotos von Nosferatu und die filmische Interpretation der Vampir-Figur von Max Schreck und von Klaus Kinski. Das ist für das klassische Ausstellungspublikum fein, bring den Vampirfan in mir aber nicht wirklich weiter.

Es gibt ein schönes Werksfoto von Herzog als er die Sonnenaufgangsszene probte und sich zur aufgehenden Sonne umdreht. Das Foto kannte ich nicht und es war der Grund, weshalb den Ausstellungskatalog für wertvoll finde. Hier werden die Filme des Regisseurs vorgestellt. Nosferatu – Phantom der Nacht von 1979 bekommt eine Doppelseite.

ber in einem kleinen Nebenraum öffnet sich die Schatztruhe, Wunderkammer in der Ausstellung genannt. Dort verharrte ich über eineinhalb Stunden und studierte die ausgestellten Objekte so gut es ging. Es handelte sich um Requisiten aus Filmen von Werner Herzog. Leider gibt es davon keine Bilder im Ausstellungskatalog, so dass ich selbst Fotos von diesen Schätzen gemacht habe. Für Nosferatu-Fans interessant waren u.a. für mich eine von 3000 Ratten, gerochene Fingernägel als Fundstücke im Schloss in den Karpaten, herausgebrochene Beißzähne aus der Sammlung von Dr. van Helsing, Sargerde mit Medaillon von Lucy Harker, Teile der Schublade von Harpers Bett im Schloss, Sargerde, Fasanenflügel vom Festschmaus im Schloss, ein Brief von Renfield, das Nachthemd von Lucy Harker, Totenschädel vom Schreibtisch Draculas, eine Buchlektüre aus dem Wohnzimmerschrank der Harkers, eine Kutschenlaterne aus den Karpaten, Holzpfahl (blutig) sowie eine Wanduhr.

Das ist der Grund für mich diese Ausstellung zu besuchen. Ich habe hier einen Rundgang in VR 360 durch die Ausstellung gemacht, damit man einen besseren Eindruck bekommt.

Und dann noch einige Bilder, damit man einen weiteren Eindruck über das Schaffen von Herzog gewinnt.

Alles Gute zum 100. Geburtstag Wolfgang Wagner

30. August 2019

Am 30. August wäre der Patriarch vom Grünen Hügel 100 Jahre alt geworden: Wolfgang Wagner. Der jüngste Enkel Richard Wagners, leitete die Bayreuther Festspiele fast 60 Jahre und prägte diese Institution der deutschen Hochkultur wie kein anderer als Intendant, Regisseur und Bühnenbildner. Er war das dritte Kind von Siegfried und Winifred Wagner, ein Enkel von Richard Wagner und ein Urenkel von Franz Liszt.

Respekt für Wolfgang Wagner
Respekt zolle ich Wolfgang Wagner, als er als Festspielleiter seiner Mutter Winifred Wagner den Zutritt zu den Festspielen untersagte. Winifred war dem Nationalsozialismus verfallen und schwor auch nach dem Krieg Hitler und seiner Ideologie nicht ab. Es gibt einen hervorragenden Dokumentarfilm von 1975 des großen Hans-Jürgen Syberberg Winifred Wagner-Die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914-1975. In diesem fünfstündigen sehenswerten Filminterview, das unter dem Titel Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914–1975 in die Filmgeschichte einging, wollte Winifried nicht abschwören und sagte: „Also, wenn heute Hitler hier zum Beispiel zur Tür hereinkäme, ich wäre genauso fröhlich und so glücklich, ihn hier zu sehen und zu haben, als wie immer …“ Mir lief bei dieser Szene es kalt den Rücken herunter. Wolfgang Wagner ging dies auch zu weit und schloss seine eigne Mutter vom Geschehen am Grünen Hügel aus – richtig gemacht.

Schonungsloses Interview eines Wagner-Fans.

Schonungsloses Interview eines Wagner-Fans.

Wagner auf Laserdisc
Heute besuche die Festspiele in Bayreuth, wann immer ich die Möglichkeit habe und Karten bekomme. Ich bin vom Wagner-Virus befallen. Inszenierungen von Wolfgang Wagner habe ich nie in Bayreuth live gesehen. Das erste Mal bin ich auf Wolfgang Wagner durch die Aufnahmen des Jahrhundertrings gestoßen. Mir haben die Inszenierungen sehr gut gefallen, so dass ich als Jugendlicher in Laserdiscs investiert habe. Später habe ich die DVD-Version zu Weihnachten bekommen.

Mein Einstieg zu Wolfgang Wagner

Mein Einstieg zu Wolfgang Wagner

Geschichtswälzer
Dieses Jahr hatte ich das Glück bei der Premiere von Tannhäuser dabei zu sein. Meine Frau reiste ein paar Tage früher an und traf im Hotel Opel in Heinersreuth Oswald Georg Bauer. Er war die rechte Hand von Wolfgang Wagner und koordinierte die Medienarbeit der Festspiele. Meine Gattin erhielt ein Autogramm für mich, dass heute bei mir im Arbeitszimmer hängt.
Gerne hätte ich mich mit Oswald Georg Bauer unterhalten. Ich hatte ihn nie bei seiner Arbeit angetroffen, aber ich habe sein Buch Die Geschichte der Bayreuther Festspiele: Band I: 1850–1950 und Band II: 1951–2000 verschlungen. Die beiden kiloschweren Wälzer bieten zum ersten Mal die vollständige Geschichte der Bayreuther Festspiele. Wer sich für Wagner, die Festspiele und die Inszenierungen interessiert, kommt nicht umher, in diese beiden Bücher zu investieren. Die Bücher quellen über vor Detailwissen – das war mir bei der einen oder anderen Inszenierung sogar ein wenig zuviel. Was aber kein Vorwurf an Bauer ist. Die Fotos sind einmalig und in einer solchen Fülle, dass es eine Freude ist, die Bücher als Coffeetable-Book zu nehmen und immer wieder zu blättern. Hier wird Oswald Georg Bauer sicher vom Stuhl fallen, wenn ich bei einem schönen Glas Rotwein die Musik von Wagner und sein Buch genieße. Wer sich wissenschaftlich dem Phänomen Bayreuth näher will, der wird hier fündig.

Standardwerk mit Autogramm

Standardwerk mit Autogramm

Und sein Bruder Wieland Wagner
Bereits 2017 erschien ein das Buch Wieland Wagner: Revolutionär und Visionär des Musiktheaters, verfasst von Till Haberfeld und Oswald Georg Bauer, das einen sehr guten Überblick über das Werk von Wolfgang Wagners Bruder zeigt. Mit der Wiederaufnahme der Bayreuther Festspiele im Jahr 1951 begann die bedeutende Epoche von »Neu-Bayreuth«, die von Wieland Wagner wesentlich geprägt war. Mich haben vor allem die Bilder von den großformatigen Inszenierungen interessiert und begeistert. Damit schuf Wieland Wagner einen komplett neuen Stil in Bayreuth. Dieses Buch lässt mit eindrucksvollen Bildern seiner kühnen Inszenierungen das Wirken Wieland Wagners wieder lebendig werden.

In diesem Sinne alles Gute Wolfgang Wagner zum 100. Geburtstag. Ich werde den Tag mit der Musik Richard Wagners verbringen.

Am Grab von Richard Wagner

19. August 2016

Das Grab des Meisters.

Das Grab des Meisters.

Es war mir ein Bedürfnis bei meinem jüngsten Besuch in Bayreuth das Grab von Richard Wagner zu besuchen. Schließlich will ich an der Blogparade meines IronBlogger-Kollegen Florian Westermann Sehenswürdigkeiten in Deutschland teilnehmen. Ich höre gerne Klassik und es gibt für mich vier absolute Musikgötter: Bach, Beethoven, Mozart und Wagner. Und da ich in Bayreuth weilte, wollte ich das Grab von Richard Wagner besuchen. Es liegt hinter der Villa Wahnfried („Hier wo mein Wähnen Frieden fand – Wahnfried – sei dieses Haus von mir benannt.“), die inzwischen renoviert ist. Die Villa und das Museum habe ich mir aus Zeitgründen nicht angesehen, aber dem Grab wollte ich einen kurzen Besuch abstatten.

Mit den Opern von Richard Wagner verbinde ich tiefe Gefühle. Wagner hatte sich mir nicht gleich erschlossen. Da tat ich mir mit Bach, Beethoven und vor allem Mozart viel leichter. Für die Musik von Wagner brauchte ich eine lange Zeit. Den politischen Wagner lehne ich strikt ab, aber den musikalischen Wagner verehre ich auf jeden Fall.
Immer wieder werde ich gefragt: Was ist denn gut von Wagner? Naja, irgendwie alles ist meine Antwort, aber man muss es für sich selbst herausfinden. Es gibt kaum etwas zum Mitschunkeln oder Klatschen. Wagner eignet sich auch nicht zum Entspannen in der Badewanne – zumindest für mich nicht. Zum Einstieg würde ich den Neulingen immer den fliegenden Holländer und Tannhäuser empfehlen. Gerade Tannhäuser hat mich emotional berührt. Mehr Zeit brauchte ich für Tristan und Isolde mit dem genialen Tristan-Akkord und den wunderschönen Lohengrin. Der Ring selbst ist gewaltig, aber richtig schwere Kost. Wer am Ring scheitert, der braucht sich nicht zu schämen. Am Meistersinger kann ich mich immer noch nicht statthören, aber das eindrucksvollste Werk ist für mich das Bühnenweihfestspiel Parsifal. Parsifal ist auch das letzte Werk des Meisters und es war ihm so wichtig, dass er testamentarisch verfügte, dass Parsifal ausschließlich im Bayreuther Festspielhaus aufgeführt werden sollte. Naja, die Erben hielten sich nicht daran, der schöne Mamon lockt. Mein Einstieg zu dem Werk Parsifal war sicher eine Verfilmung von Hans-Jürgen Syberberg.


Nun stand ich also zum ersten Mal vor dem Grab von Richard Wagner. Die Stadt Bayreuth, der Festspielchor und die Richard Wagner-Gesellschaft hatten Kränze vor dem Grab aufgebaut. Auf der Grabplatte lagen Blumen.
Am 18. Februar 1883 wurde er hier begraben, nachdem er am 13. Februar in Venedig verstarb. Die Asche seiner Frau Cosima wurde 1930 an der Südseite des Grabhügels bestattet. In der Nähe liegt auch der Hund von Wagner Russ. Und welche Gedanken hatte ich am Grab? Ich muss entsetzt zugeben, dass ich nichts dachte. Keine Melodie ging mir durch den Kopf. Sicherlich spürte ich eine gewissen Ergriffenheit. Mein Kopf war leer. Ich betrachte die Grabplatte, umrundete das Grab zwei-, dreimal und ging dann wieder. Das war es dann. Vielleicht beim nächsten Mal.
Wagners Musik lässt der Romantik zuordnen und er hat sicherlich die moderne Musik revolutioniert. Berühmte Filmkomponisten wie John Williams verehren Wagner und haben die Leitmotive aus seinen Werken übernommen. Vielleicht kommt daher auch meine Verehrung für die großen Filmkomponisten und mein Abscheu vor Kitschkomponisten wie Hans Zimmer.

Wagner im Kino – Parsifal mit Popcorn und Bier #KultTrip

27. Juli 2016

Das erste Mal, dass ich mit der Musik von Parsifal konfrontiert war, muss Anfang/Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gewesen sein. Eine kulturbeflissene Freundin aus Bildungsbürgerkreisen schleifte mich in die Verfilmung von Hans-Jürgen Syberberg in ein Münchner Kino mit. So etwas hatte ich bis dato nicht gesehen. 255 Minuten eröffnete sich mir eine komplett neue Welt. Das war bewusst mein erster Kontakt zu Richard Wagner und Parsifal ist bis heute meine prägendste Oper des Meisters.

Parsifal neben Star Trek.

Parsifal neben Star Trek.

So hab ich mich gefreut, als ich hörte, dass es in Bayreuth eine Neuinszenierung des Bühnenweihfestspiels geben sollte. Ich hätte sogar eine Karte für die Premiere in Bayreuth bekommen können, aber eben nur eine. Meine Frau hätte zuhause bleiben müssen, was ich nicht wollte. Daher entschieden wir uns für einen anderen Weg des Kulturgenusses, der mich an meine ersten Erlebnisse mit Parsifal erinnerte. Wir schauten uns die Übertragung von Parsifal live im Kino an. Das ist dann auch gleichzeitig mein Beitrag zur 4. Blogparade #Kulttrip meiner IronBlogger-Kollegin Tanja Praske.
Übertragungsort von Wagner im Kino war wie die vergangenen Jahre zuvor das Scala Kino in Fürstenfeldbruck. Neben Fans von Independence Day 2 und Star Trek Beyond trafen sich rund 30 lokale Wagner-Fans zumeist älteres Semesters in der Lobby des Kinos. Ich muss den Betreibern des Scala Kinos mein Lob und meine Anerkennung aussprechen, dass sie eine Übertragung aus Bayreuth zeigen und nicht auf einen US-Blockbuster setzen, der garantiert mehr Umsatz bringt. Vielen Dank liebes Scala-Team, dass ihr uns wie die Jahre zuvor dieses Kulturereignis ermöglicht. Chapeau.

Danke liebes Scala in FFB für die Übertragung des Parsifal.

Danke liebes Scala in FFB für die Übertragung des Parsifal.

Wagner im Kino ist dann doch etwas anders als Wagner im Bayreuth. Im August bin ich wieder beim Holländer vor Ort und quetsche mich in die engen Stühle. Im Kino geht es lockerer zu. Es begann damit, dass ich mir Bier und Popcorn in den Saal mitnahm. In Bayreuth wäre ich dafür am Fahnenmast des Opernhauses aufgeknüpft worden. Klamottentechnisch hatte ich Anzug, Fliege und besondere Schuhe im Kino an – FashionShow muss eben auch im Kino sein.

Sekt vor der Übertragung.

Sekt vor der Übertragung.

Es gab ein Glas Sekt zum Einstand für mich, den ich alleine genoss. Meine Gattin verspätete sich aufgrund eines ärgerlichen S-Bahn-Schadens des MVV. In Bayreuth zu spät zu kommen, kommt einer Todsünde gleich. Wer zu spät kommt oder während der Vorstellung den Saal verlässt, der bleibt vor der Tür bis der Akt/Aufzug beendet ist. Strenge Gesetze sind dies in Bayreuth. Im Kino konnte meine Frau nach Vorstellungsbeginn einfach in den Kinosaal huschen und neben mir Platz nehmen.

Axel Brüggemann gibt sich Mühe, aber Katharina Wagner ist nicht bei der Sache.

Axel Brüggemann gibt sich Mühe, aber Katharina Wagner ist nicht bei der Sache.

Zudem gab es im Kino ein Erläuterungsprogramm. Locker wie immer spricht Musikjournalist Axel Brüggemann mit den Verantwortlichen am grünen Hügel, wobei Katharina Wagner mal wieder komplett unsympathisch herüber kommt. Die Dame des Hauses schaut während des Interviews nach oben und ihre Antworten sind nicht gerade das, was ich unter Begeisterung verstehe. Da hätte ich gerne den musikalischen Direktor Christian Thielemann im Gespräch gehabt. Der hätte sich auch gleich zum Abgang des Dirigenten Andris Nelsons äußern können, an dem Thielemann seiner Meinung nicht Schuld gewesen sein soll. Nein, da lieber die Decke des Schweigens über den Eklat legen und Blabla machen.
Schön war daher das Interview mit dem eingesprungenen Dirigenten Hartmut Haenchen. Ich bin begeistert, von seiner Interpretation von Parsifal. Nach seinen Worten gibt er den Parsifal, wie ihn Wagner sich vorgestellt hat. Das bedeutet, Haenchen hat massiv an Tempo und Ausdruck gearbeitet und einen vergleichsweise kurzen Parsifal dargeboten. Andere Dirigenten brauchen für die gleiche Oper fast eine Stunde länger. Ich war bisher auf die Version von Knappertsbusch eingeschworen. Mir hat die neue musikalische Interpretation des Werkes durch Haenchen gefallen – und dies nach einer vergleichsweise kurzen Probephase, nachdem Nelsons das Handtuch geschmissen hat. Ich erinnere mich gerne an die schnelle Bayreuth-Aufnahme Parsifalvon Pierre Boulez. Haenchen durfte 1971 hospitieren und hat nun seine Interpretation geschaffen. Auch das Problem mit dem Bayreuther Graben hat Hartmut Haenchen wunderbar gelöst. Orchester und Sänger spielen zeitversetzt.

Stark: Georg Zeppenfeld als Gurnemanz

Stark: Georg Zeppenfeld als Gurnemanz

Für mich die beste Sängerleistung war Georg Zeppenfeld als Gurnemanz sowie Elena Pankratova als Kundry. Und auch die Inszenierung hat mir zugesagt. Die Neuinszenierung von Uwe Eric Laufenberg passte für mich ideal in die heutige Zeit. Parsifal ist ein sakrales Werk voller Leid. Und wenn am Ende die Sänger die religiösen Symbole aller Religionen in einen Sarg packten, hatte das für mich starke Symbolkraft. Diese religionskritische Interpretation angesiedelt an einem Ort zwischen Nordirak und Syrien fand ich prima. Gralsritter und das Mysterium des Grals und der heiligen Lanze im neuen Gewand. Die Verwandlungsmusik wird optisch durch das Herumstreifen im Weltall dargestellt. Es regnet Kreuze, die Kirche als Schutzplatz für andere Religionen – viel Stoff für Interpretationen. Über allen schwebte die göttliche Musik von Richard Wagner. Der Schluss mit dem Höchsten Heiles Wunder! demonstriere mir wieder, warum ich die Musik von Richard Wagner so mag. Politisch lehne ich Wagner ab, musikalisch verehre ich ihn.

Tolle Interpretation durch Hartmut Haenchen

Tolle Interpretation durch Hartmut Haenchen