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Eine Reise in die Finsternis – Nosferatu-Drehorte in Lübeck hautnah erleben

11. September 2025

Für mich als Vampirfan ist es natürlich Ehrensache, die Drehorte eines meiner Lieblingsfilme Live vor Ort anzuschauen: Nosferatu – eine Sinfonie des Grauens, von 1922 unter der genialen Regie von Friedrich Wilhelm Murnau. Für mich ist Nosferatu noch immer einer der besten und wichtigsten Vertreter des fantastischen Films und des deutschen Expressionismus.

Dieses Mal standen für mich zwei Ziele in Lübeck fest: der Salzspeicher und der Füchtingshof.

Die Tourismusinfo am Holstentor veranstaltet Führungen zu Drehorten in Lübeck, natürlich Buddenbrooks und Nosferatu, aber leider wurde keine Führung bei meiner Anwesenheit angeboten. gib mir eine Vertreterin der Tourismusinfo auch enttäuscht zu, dass die Resonanz auf dieses Angebot auch eher zurückhaltend sei. Das kann ich absolut nicht verstehen. Leider gab es in der Touristeninfo auch keine Buttons oder Kühlschrankmagnete zu Nosferatu. Wenn ich ehrlich bin, habe ich schon ziemlich viel Zeug, aber ich sehe hier noch eine gewisse Marktlücke (für mich).

Die Kulissenwahl für den Film „Nosferatu“ (1922) in Lübeck war geprägt von einem bewussten Einsatz realer, historischer Orte, um der Geschichte eine authentische und bedrohliche Atmosphäre zu verleihen. Friedrich Wilhelm Murnau entschied sich gegen aufwändige Studiokulissen und setzte stattdessen größtenteils auf Außenaufnahmen in realen Städten und Gebäuden, vor allem in Lübeck und Wismar. Dies verlieh dem Film eine besondere Authentizität und schuf die Vorstellung, dass das Grauen direkt in unserer bekannten Welt stattfindet. Die Altstadtorte trugen zur realistischen Darstellung des norddeutschen Stadtbilds bei und sorgten für einen starken Kontrast zu den expressionistischen Elementen des Films.

Der Fokus auf echte Kulissen statt Studiobauten war in der damals üblichen Stummfilmzeit ungewöhnlich und machte „Nosferatu“ künstlerisch besonders. Die Wahl der Kulissen hatte die Wirkung, dass das Unheimliche sehr nah und greifbar erscheint, was den Horror verstärkt und die Zuschauer stärker involviert.

Der Salzspeicher
Das Salzlagerhaus beziehungsweise die Salzspeicher in Lübeck spielen im Film „Nosferatu“ von 1922 eine zentrale atmosphärische und visuelle Rolle: Sie dienen als markantes Filmmotiv für Graf Orloks neues Domizil im fiktiven Wisborg, nachdem er von Transsilvanien dorthin übersiedelt. Die Drehorte an der Trave prägen die düstere und unheimliche Wirkung der Außenaufnahmen und steigern die Authentizität des Films, denn die historischen Gebäude vermitteln eine besondere Kulisse für das Grauen des Vampirs.

Im Handlungsverlauf bezieht Nosferatu sein Quartier in den Salzspeichern direkt am Hafen, wo sein Sarg lagert und von wo aus er mit starrem Blick seine Angebetete beobachtet. Die berühmten Szenen, in denen Nosferatu am Fenster steht – charakteristisch für seine zwischen Welt und Schatten existierende Figur – wurden in diesen Gebäuden gedreht und zählen heute zu den ikonischen Bildern des deutschen Expressionismus.

Das Fenster steht als ikonisches visuelles Motiv für die Verbindung von Angst, Sehnsucht und der unheimlichen Nähe des Bösen. Es macht deutlich, wie Orlok zwischen Schatten und Licht wandelt und dabei ständig die Grenze zwischen Leben und Tod übertritt. Das Nosferatu-Fenster wurde zu einem dauerhaften Denkmal in Lübeck, als Hommage an die Filmgeschichte und den bedeutenden Beitrag der Stadt zur Entstehung des Films.

In den Abendstunden am Salzspeicherfenster in Lübeck wird zum Gedenken an den Film „Nosferatu“ von 1922 eine besondere Installation gezeigt: Ab Einbruch der Dunkelheit wird das Nosferatu-Fenster im historischen Salzspeicher beleuchtet, um eine der legendärsten Filmszenen neu erlebbar zu machen. Die eindrucksvolle Lichtinstallation führte mich an den originalen Drehort und macht die Atmosphäre des Stummfilmklassikers im nächtlichen Lübeck nachfühlbar. Die Sache zu fotografieren gestaltete sich als kompiliert wegen der Hell-Dunkel-Kontraste in später Nacht.

Bei Tage ist Salzspeicherfenster aber das Modegeschäft Heick & Schmaltz. Während die Gattin Kleidung probierte, zeigte mir eine freundliche Verkäufer das Nosferatu-Fenster. Hinter der engen Installation befand sich eine Wand und dafür ein Ständer mit Damenjacken. Ich machte ein paar Fotos und Videos von der Enge und der Holzkonstruktion zur Verwunderung einiger Damen, die auch an der Damenmode interessiert waren.

Großen Dank an das Modehaus. Heick & Schmaltz wurde im Jahre 1870 von den Kaufleuten Bernhard A. Th. Heick und Karl F. C. Schmaltz als „Manufactur-, Weiss- und Hölländisch- Waarengeschäft“ gegründet. Als ihre Gebäude in der Sandstrasse 1942 durch Bomben zerstört wurden fanden die beiden in einem der Salzspeicher ein Ausweichquartier. Ihr damaliger Inhaber, Dr. Erich Henschel, beschloss nach dem Krieg, das Geschäft in den Salzspeichern zu belassen.

Der Füchtingshof
Der Füchtingshof in Lübeck spielt im Film „Nosferatu“ von 1922 eine Rolle als Drehort für wichtige Außenaufnahmen. Im größten und schönsten Stiftungshof in der Glockengießerstraße wurden Szenen gedreht, unter anderem diejenige, in der Thomas Hutter einem Anwohner von seiner bevorstehenden Reise erzählt. Diese Szene ist ein bedeutender Moment im Film, da sie Hutters Aufbruch zu Graf Orlok einleitet.

Der Füchtingshof dient damit als authentische städtische Kulisse, die dem Film durch ihre historische Architektur eine realistische Atmosphäre verleiht. So wird ein Stück Lübecker Geschichte und Baukultur Teil der filmischen Erzählung und verankert den Horrorfilm stärker in einem realen, norddeutschen Umfeld.

In der im Füchtingshof gedrehten Szene aus „Nosferatu“ (1922) erzählt Thomas Hutter einem Anwohner von seiner bevorstehenden Reise nach Transsilvanien. Diese Szene ist wichtig, weil sie symbolisch den Aufbruch des Protagonisten in die gefährliche, fremde Welt von Graf Orlok einleitet.

Im Film stellt der Füchtingshof eine authentische Stadtkulisse dar, in der die dörfliche, alltägliche Atmosphäre vor dem dunklen Übernatürlichen geschaffen wird. Hutters Gespräch dort zeigt seine Unbekümmertheit und Naivität, kurz bevor er in die Bedrohung durch den Vampir gerät. Die Szene markiert so den Übergang vom normalen Leben in den Horror und ist dramaturgisch entscheidend für den Verlauf der Handlung.

Achtung: Der Füchtingshof ist bewohnt, daher ist das Tor nicht jederzeit geöffnet. Vom 16. August 2025 bis zum 25. Oktober 2025 ist der Innenhof an Montag bis Sonntag jeweils von 10:00–12:00 Uhr und 15:00–18:00 Uhr für Besucher geöffnet. Auch außerhalb der genannten Zeiten ist eine Besichtigung möglich – jedoch nur, wenn sich das Tor zufällig geöffnet befindet.

Filmkritik: Nosferatu – der Untote

3. Dezember 2024

Nein, ein Murnau ist und kann es nicht geworden sein, dazu war die Sinfonie des Grauens für die Filmgeschichte einfach zu wichtig. Aber Robert Eggers hat aus dem Thema einen angsteinflößenden, obzessiven Vampirfilms gemacht, der mich auf vielfältige Weise intellektuell und emotional berührt hat. Eggers Nosferatu – der Untote ist ein eindringlicher Film nach den Motiven Bram Stokers geworden, der sexualisierter als Murnnau oder Herzog das Drama in Szene setzt. Premiere fand übrigens in Berlin statt, wie zuvor Murnaus Film vor 102 Jahren. Leider hab ich keinen Interviewslot bekommen.

Die Kamera von Jarin Blaschke setzt konsequent auf eine Zentralperspektive und fängt so das Schauspielkino in faden, fast schwarzweißen Bilder ein. Color Grading macht es möglich. Oft werden Bilder der Romantik gezeigt, ein Kamerabild des Expressionismus wie in der Vorlage wird nicht angestrebt. Die Optiken haben sich in den vergangenen Hundert Jahren verbessert. Bis der Graf zu erkennen ist, wird viel auf eine geringe Tiefenschärfe eingesetzt, bei dem einzig die langen Finger mit alten Nägeln fokussiert sind. Das Symbol der Hände zieht sich durch ganzen Film, suchende Hände, verlangende Hände, grausame Hände, oft in Begleitung der mahnenden Worte „er wird kommen“.

Von Beginn an verbreitet der Film eine depressive Stimmung der Angst und der Hoffnungslosigkeit. Obwohl der Stoff ja allbekannt ist, gelingt es Eggers immer wieder neue Szenen des Grauens zu erzeugen. Wer sich wirklich Zeit nimmt für die Geschichte, wer sich die Zeit nimmt, sich auf die Bilder, die Musik einlässt, wird einen Schauerfilm mit gotischen Elementen entdecken und eine besondere Faszination zum Film entwickeln. Und es werden Motive verwendet, die wir Fans des Schauerfilms so lieben. So beginnt und endet der Film mit der schwarzen Katze Greta und wird auch bei dem Besuch beim okkulten Wissenschaftler Prof Albin (!) Eberhart von Franz (hervorragend Willem Dafoe) wieder aufgenommen. Albin Grau lässt grüßen.

Eggers ist ja Vertreter des Folk-Horrors und so dürfen die folkloristischen Elemente nicht fehlen, wie die Suche nach einem Vampir auf einem Friedhof durch eine nackte Schönheit auf dem Pferde. Das Pferd kann nicht über das Grab eines Untoten steigen und so wird ein begrabener Vampir entdeckt und gepfählt – eine schöne Interpretation des Themas durch Eggers,

Natürlich interessiert den Fan die Rolle des Vampirs, des Untoten. Hier muss sich Bill Skarsgárd mit Max Schreck und Klaus Kinski als Orloks Namensvetter messen lassen. Skarsgárd macht nicht mit Eggers den Fehler und versucht eine Kopie dieser Darstellungen zu erreichen, sondern er bringt eine tierische, brutale, untote Version des Vampirs auf die Leinwand. Im englischen Original kommt die Stimme Skarsgárd aus den tiefen eines Grabes, die deutsche Version habe ich (noch) nicht gehört. Es ist ein grausamer, unbarmherziger Ton mit schweren Atmen. Der Vampir wird nicht edel dargestellt wie in den Dracula-Versionen von Bela Lugosi, Christopher Lee oder Frank Langella oder Gary Oldman. Von deren Eleganz ist bei Bill Skarsgárd keine Spur zu sehen und auch das Leiden von Kinski weicht dem brutalen Terror und dem Wahn der Worte „du kannst nicht lieben.“ Der Vampir wird hier zum Tier und nicht zum Gentleman. Das zeigt sich auch in der Opferszene. Der Vampir beißt nicht in den Hals, wie seine filmischen Vorgänger, sondern saugt das Blut, die Energie aus der Brust der Schönheit. Dabei wird der Körper aufgerissen, wie bei der Attacke eines Tieres.

Ellen Hutter, dargestellt von Lily-Rose Deep, ist Opfer und Heldin zugleich. Verletzlich und schockiert erkennt sie das Schicksal ihrer Mission der Opferung und lockt den Grafen bis zum Hahnenschrei in ihr Bett. Sie gibt sich hin und rettet dadurch ihre rattenverseuchte Heimatstadt Wisbourg. Versteckt und offen wird hier eine Sexualität gezeigt, wie sie ins viktorianische Zeitalter nur schwerlich vorstellbar war, Hier schafft es Eggers die verklemmte Sexualmoral von Bram Stokers in den Fokus zu stellen, die in Wahrheit eine triebgesteuerte Obsession ist, obwohl von Liebe gesprochen wird.

Auf der anderen Seite verbeugt sich Eggers vor den großen Bildern der Vorgänger. Wir finden Motive von Murnau und Herzog. Der Spaziergang durch die mit Kreuzen versetzten Dünen sind das eine, die Fahrt mit der Kutsche am Borgo-Pass ist die erste Schlossszene bei Tod Browning. Das Motiv der Ratten erschreckt heute keinen mehr, wie noch zu Murnaus Zeiten als Symbol der Wirren von Weimar oder bei Herzog als Zeichen des kalten Kriegs. Das ist vielleicht ein Manko des Films, dass die Symbole der Vergangenheit in dieser Neuinterpretation nicht mehr funktionieren, trotz der Analogien Spanische Grippe oder Aids mit Corona oder Inflation des Geldes. Daher legt Eggers wohl eher seinen Schwerpunkt auf den inneren Kampf der Darsteller mit Besessenheit, Liebe und schlechter Träume.
Das Betreten des Schlosses, das erste Mahl mit dem Grafen, überall zitiert Eggers ohne zu kopieren. Der Fan sitzt im Kinosessel, erkennt, nickt und genießt. Eggers hätte so gerne seinen Film im Zeitalter des Expressionismus gedreht, aber dafür kommt er 102 Jahre zu spät, obwohl er seine Bilder in Szene zu setzen weiß.

Die Motive der Hand, die nach der Weiblichkeit sucht, waren bei Murnau, bei Herzog und nun auch bei Eggers zu sehen und zu genießen. So macht Kino Spaß, wenn Vorgängerfilme zitiert und interpretiert werden. Eggers ist ein Könner seines Genres.

Persönlich war mir die Interpretation von Exozist, auch schon 50 Jahre alt, zu weit gegangen. Wenn Art Professor von Franz die besessen Ellen untersucht und sich der Dämon zeigt, sehe ich in erster Linie Linda Blair und Max von Sydow und nicht Lily-Rose Deep und Willem Dafoe.

Also Nosferatu – der Untote kommt nicht an Friedrich Wilhelm Murnaus Vorbild Nosferatu – eine Sinfonie des Grauens heran, steht mindestens gleichberechtigt neben Werner Herzogs Nosferatu – Phantom der Nacht. Es ist eine schaurige Verbeugung vor der Kathedrale des deutschen Films, wie Herzog einsmals Murnaus Meisterwerk bezeichnet hat. Und es ist endlich wieder ein Vampirfilms, der richtig Angst macht. Mein Tipp: Lasst euch auf Nosferatu – der Untote ein, lasst euch nicht ablenken vom Popcorn und vom Smartphone und genießt einen grauenhaften Kinofilm (und das meine ich positiv)

Dracula im Film (35): Die letzte Fahrt der Demeter

11. August 2023

Endlich, endlich wieder ein Dracula, den wir als Fan ernst nehmen können: atmosphärisch dicht, schonungslos brutal – ein Film, der den Fürst der Finsternis viel Ehre macht. Die letzte Fahrt der Demeter ist ein gelungenes Kammerspiel, ein Spiel mit Beklemmung und Angst. Vielleicht eine Art Alien auf einem Segelschiff, nur dass das Alien Dracula ist und das Schiff Demeter statt Nostromo heißt.

Und ab jetzt kommen Spoiler.
Der Film von André Øvredal hält sich im großen und ganzen an die literarische Vorlage von Bram Stoker. Er beschreibt die Reise Draculas von Transsilvanien nach London. 24 Kisten mit Erde werden im Bauch der Demeter verladen, darunter auch eine Kiste mit dem Drachen-Symbol des Grafen. Das Schiff nimmt die Reise auf und die Besatzung wird Zug um Zug dezimiert. Das Logbuch des Captains zeugt vom verzweifelten Kampf gegen das blutrünstige Monster, gegen die Vorurteile der Seemänner und deren Ängste. Es ist auch ein Kampf der Wissenschaft in Person des Arztes mit dem religiösen Glauben und Aberglaube – wunderbar eingefangen, ohne dass eine Partei bloßgestellt oder gar lächerlich gemacht wird.

Es ist ein ernsthafter Film ohne den üblichen überflüssigen Comic-Relief-Jokes. Vielleicht ein wenig zuviel Jump Scares zu Beginn, aber erträglich um die Atmosphäre nicht zu zerstören. Bei Erfolg des Films wird eine Fortsetzung in der Carfax Abbey angedeutet- zu wünschen wäre es der Produktion. Der Graf mit Wolfstock und Fledermaus-Ohren.

Dracula selbst ist kein Gentleman wie Bela Lugosi, Christopher Lee oder gar Frank Lagalla. Dracula ist eine erschreckende Hommage an die Nosferatu-Darstellungen von Friedrich Wilhelm Murnau oder Werner Herzog – Max Schreck und Klaus Kinski sind gegenwärtig, aber ohne deren romantischen Leidenschaft.

Vielleicht zeigt sich hier mehr der erbarmungslose Vampir aus Brennen muss Salem gemischt mit einer Fledermaus. Der Spanier Javier Botet spielt Dracula. Auch die Opfer des Grafen werden zu Dienern gemacht. Ihre Vernichtung durch die Sonne tut dem Zuschauer richtig weh und ist eindrucksvoll gemacht.

Interessant ist, dass der Film die Regel bringt, dass sympathische Kinder und treue Tiere in einem Film immer davonkommen. Da hilft ihnen auch ein Kreuz als christliches Symbol gegen Vampire nichts. Sehr schön ist die Szene als ein Diener des Grafen die Tür zur Kabine des Kapitäns mit dem Kopf einschlägt und den Kopf hereinsteckt. Hier habe ich nur noch den Ausruf „Here’s Johnny“ erwartet, dann wäre die Hommage an Shining perfekt gewesen. Solche Anspielungen finden sich im ganzen Film, der meines Erachtens zu sehr mit der geringen Tiefenschärfe spielt, so dass der Hintergrund unscharf wird und Dracula dort herumwandern kann. Toll ist aber die expressionistische Atmosphäre, der Einsatz von Schatten und Wolken. Hier kommt ganz der alte Murnau durch und ich hab es genossen. 1922 noch in schwarzweiß, heute in blassen Farben, als ob Herzog daran beteiligt war.

Aus der literarischen Vorlage, Diener ein paar Seiten umfasst, wurde ein ganzer Spielfilm. Ich hab mir die Geschichte vor dem Filmbesuch noch einmal in der Coppenrath-Schmuckausgabe nachgelesen. Hier das Video zu dieser Dracula-Ausgabe.

Da haben Drehbuchautor Bragi F. Schut und Regisseur André Øvredal noch einiges an Stoff gebraucht, um die Geschichte aufzublasen. Neu hinzu kommen beispielsweise der Held des Films, der Schiffsarzt Clemens (Corey Hawkins) sowie die Frau Anna (Aisling Franciosi) an seiner Seite. Sie ist eine Art Reiseproviant für Dracula, der gleich mal in die Kisten von Dracula dazu gepackt wurde.

Der Score wurde von Bear McCreary beigesteuert. Er ersetzte Thomas Newman, aus welchem Grund auch immer. Ich bin kein so richtiger Fan von McCreary, der sich einen Namen durch TV-Produktionen gemacht hat. Aber vielleicht muss ich mich noch reinhören. Den Score habe ich bisher nur als Stream entdeckt ud hoffe auf eine Vinyl-Veröffentlichung.

Für mich ist der Film ein absoluter Muss für Fans des Grafens. Endlich mal ein Horrorfilm, der ernsthaft daherkommt.

Ausstellung Phantome der Nacht 100 Jahre Nosferatu

4. Juli 2023

Ich besuche gerne Ausstellungen und die wichtigste Ausstellung im ersten Halbjahr war für mich Phantome der Nacht 100 Jahre Nosferatu, die in der Sammlung Scharf-Gerstenberg in Berlin zu sehen war.

Der Film Nosferatu – eine Symphonie des Grauens (1922) von Friedrich Wilhelm Murnau ist für mich eine Ikone des deutschen Stummfilms und für mich einer der besten fantastischen Filme überhaupt. Ich habe so viel über den Film gelesen, ihn mehrmals gesehen zuletzt in der wunderbar restaurierten Version der Murnau-Stiftung, ich habe einige Seminare zu diesem Meisterwerk des Grauens gehalten – nun wollte ich ein paar neue Hintergründe entdecken.

Nosferatu ist nicht ohne kunsthistorische Vorbilder zu denken. In den Entwürfen für die Ausstattung befinden sich Motive, die an die Radierungen Francisco de Goyas erinnern, an die deutsche Romantik oder an die phantastische Kunst und Literatur des frühen 20. Jahrhunderts. Anleihen bei Caspar David Friedrich sind ebenso zu erkennen wie bei Alfred Kubin, Stefan Eggeler oder Franz Sedlacek. Darüber hinaus warf die Ausstellung einen Blick auf die Auswirkungen „Nosferatus“ im Bereich der zeitgenössischen Kunst, Alltagskultur und Populärkultur. Nosferatu wirkt noch immer, trotz seiner über 100 Jahre. Werner Herzog drehte eine Neuverfilmung, Shadow of the Vampire erzählt von den Dreharbeiten und im Moment ist die Produktion für einen neuen Nosferatu-Film abgeschlossen.

Für mich sehr interessant waren die Ideen von Albin Grau, dem Produzenten des Films, der sich später ganz den Okkultismus verschrieben hat. In Nosferatu flossen viele seiner okkulten Gedanken ein und es waren viele seiner Zeichnungen zu bestaunen.

Während Murnaus Biografie weitgehend geschrieben ist, weiß man von Albin Grau bislang nur wenig. Dass er Anfang der 1920er Jahre in Berlin einer der führenden Köpfe der esoterischen, der okkulten Szene war, dass er 1924 während der in der satanischen Szene höchst wichtigen Weida-Konferenz auf Aleister Crowley traf und ihm, nach anfänglicher Faszination, die Stirn bot und mit seinem LIBER I einen Alternativ-Entwurf zu Crowleys grundlegendem LIBER AL veröffentlichte, dass er im Dritten Reich eine entscheidende Rolle in Sachen Wehrmacht-Kraftfahrtwesen einnahm, dass er seinen Lebensabend im bayrischen Luftkurort Bayrischzell verbrachte und sich mit Landschaftsmalerei bis zu seinem Tod über Wasser hielt, dass er kurz vor seinem Tod dem O.T.O. beitrat und mit dem Weltbund der Illuminaten in Kontakt stand, all dies wird in einer neuen Biografie erzählt, die irgendwann erscheint und die ich sehnsüchtig erwartete. Bis es soweit ist, lese ich den Katalog zur Ausstellung wieder und immer wieder. Auch wenn man in Berlin nicht vor Ort war und die Exponate live sehen konnte, gibt es einen sehr guten Eindruck und die Gedanken zum Film müssen sowieso mehrmals gelesen werden, um sie komplett zu erfassen.

Wenig zu sehen gab es allerdings über den großen Max Schreck, der den Vampir darstellt. Das kam mir bei der Ausstellung ein wenig zu kurz, wobei die Ausstellung wohl einen anderen Schwerpunkt gelegt hat.

Ich habe zwei VR 360 Grad Filme über die Ausstellung gedreht, damit man einen Eindruck bekommt.

Dracula Musical im Deutschen Theater

24. Oktober 2022
Foto: Susanne Brill/Deutsches Theater München

Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann findige Produzenten nach dem Erfolgsmusical Tanz der Vampir das Originalbuch Dracula des Iren Bram Stokers auf die Musical-Bühnen bringen würden. Und genau dieses Dracula-Musical hatte jetzt im Deutschen Theater München seine umjubelte Münchner Premiere. Ich war als Fan des Grafen eingeladen, um dieser Premiere beizuwohnen – vielen Dank dafür.

Alex Balgas Inszenierung des Musicals von Frank Wildhorn wurde nach der Premiere auf der Ulmer Wilhelmsburg von Publikum und Presse gefeiert. In München ist der starke Thomas Borchert in der Titelrolle zu erleben. Den Part seines Gegenspielers van Helsing übernimmt Patrick Stanke. Bevor allerdings in den bequemen Theaterstühlen des Deutschen Theaters Platzgenommen wurde, gab es ein Schaulaufen auf dem Roten Teppich mit Prominenz, Stars und Sternchen. Darüber habe ich ein Video gedreht:

Mich hat es vor allem interessiert, wie man den komplizierten Tagebuchroman von Bram Stoker auf eine Musicalbühne bringen kann. Bei der Theateradaption von Dracula wurden ja Änderungen vorgenommen – und so auch bei der Musicalinszenierung. Mich faszinierte es, was man durch Projektion, Licht, Nebel und Effekte die Handlung in nur einem Bühnenbild darstellen kann. Keine aufwendigen Umbauten, sondern ein Set, aber unterschiedlich bespielt – das war wirklich großartig. Auch die komplizierte Schiffspassage auf der Demeter von Transsilvanien nach England wurde geschickt erzählt. Und mein Herz als Dracula-Fan jubelte, als die Bühne für einen kurzen Moment in Schwarzweiß gehüllt wurde – Friedrich Wilhelm Murnau und Max Schreck ließen grüßen (meinen lauten Aufschrei im Publikum wurde von meinen Nachbar irritiert zur Kenntnis genommen). Als relativ neue Inszenierung hielt sich die Produktion aber eher an die erfolgreiche Francis Ford Coppola-Verfilmung von Dracula. Im Grunde war das Musical damit kein Kammerspiel, sondern ein MTV-Video auf der Bühne des Deutschen Theaters: Schrill, laut, bunt und in großen Teilen unterhaltsam.

Kreisch, wenn es Schwarzweiß wird.

Der amerikanische Komponist Frank Wildhorn, bekannt geworden durch seine Bühnenwerke „Jekyll & Hyde“, „Der Graf von Monte Christo“ und „Bonnie and Clyde“, lässt in seinem Dracula den Kampf zwischen Hell und Dunkel auch musikalisch spannungsreich austragen, mit Gitarrenriffs und Beats als rockiges Musical. Und die Songs gehen ins Ohr – die CD hab ich gleich bestellt. Für den mächtigen Sound sorgt ein 17-köpfiges Orchester unter der Leitung des Dirigenten Andreas Kowalewitz (Ex-Gärtnerplatz-Kapellmeister).

Foto: Susanne Brill/Deutsches Theater München

Auch mehr im Dunkel fand der Tod des Texaners Quincey Morris (Daniel Rakasz) statt als im hellen Licht. Das Ableben des Grafen geschieht nicht durch Professor Abraham van Helsing (Patrick Stanke), sondern erinnert an Murnaus und Herzogs Nosferatu-Version durch die Opferung von Mina Murray (großartig Roberta Valentini). Der Graf selbst wurde von einem Vampirprofi gespielt. Thomas Borchert beißt sich durch das Stück auf der Suche nach Erlösung. Borchert spielte einstmals den Grafen Krolock in der Musical-Version von Tanz der Vampire – so schließt sich der Kreis.

Persönlich hätte ich gerne mehr von Renfield (John Davies) gesehen, der durch seine Darstellung absolut überzeugen sollte – ich mochte seine Interpretation von Tom Waits Renfield sehr.

Aber nach all meinen Begeisterungsstürmen kam auch der kritische Vampir-Fan in mir aus dem Sarg. Stoker schrieb Dracula im viktorianischen Zeitalter, was zu großen Teilen von den Musical-Machern geflissenlich ignoriert wurde. Van Helsing war so of beschäftigt, seinen coolen Ledermantel an- und dann gleich wieder auszuziehen, so oft, dass es fast schon nervte.
Aber wirklich nervig war, dass man die Kostümierung von Lucy und den drei Bräuten Draculas eher in eine Rocky Horror Picture Show gepasst hätten. Viel Bein mit Strapse sorgten für die entsprechende Aufmerksamkeit beim männlichen Musicalpublikum. Ob der alte Bram Stoker damit einverstanden gewesen wäre?

Foto: Susanne Brill/Deutsches Theater München


Draculas Kostümierung war fein, orientierte sich Gary Oldman in Francis Ford Coppolas Filmversion, wobei Eiko Ishioka wunderbare Kostüme nicht im Ansatz erreicht wurden, dafür ist die Produktion zu preiswert.

Leider wurde auch die Sexualität der viktorianischen Zeit fast völlig aus dem Stück gestrichen, wahrscheinlich weil die Anspielungen von Stoker einem modernen Publikum sowieso entgangen wären. Die jungfräuliche Lucy hat symbolisch mit vier Männern sexuellen Kontakt. Oder der bisexuelle Auftritt des Grafen mit Harker als Dracula seine attraktiven Bräute in die Schranken weist mit den Worten „Dieser Mann gehört mir.“ Diese Szene ist zwar enthalten, bringt aber die revolutionäre Dramatik von Stokers Stoff nicht rüber.

Egal, was soll es: Dracula als Musical ist eine schöne Unterhaltung für zwei Stunden. Und wer in München Karten bekommt, kann eine schöne Inszenierung im Deutschen Theater bis 13. November 2022 genießen.

Dracula im Film (22): Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens

5. März 2022

Der Film ist die Mutter aller Vampirfilme. Nachdem Nosferatu am 4. März 1922 ins Kino kam, änderte sich die Welt des fantastischen Films. Friedrich Wilhelm Murnau schuf ein Meisterwerk des expressionistischen Horrorfilms – vielleicht nur mit dem Einfluss des Kabinetts des Dr. Caligari vergleichbar.

Und auch 100 Jahre nach seiner Premiere ist der Stummfilm Nosferatu – eine Symphonie des Grauens unheimlich. Das liegt zum einen an der Regiearbeit von Murnau, zum anderen an der Darstellung des Vampirs durch Max Schreck, der in Klaus Kinski, Willem Dafoe und Reggie Nalder seine Nachfolger hatte. Dabei hätten wir beinahe den Film nie zu Gesicht bekommen. Die Produktionsfirma Prana-Film von Enrico Dieckmann und des Okkultisten Albin Grau nahmen die Dracula-Vorlage von Bram Stoker ohne sich um die Rechte zu kümmern. Stokers Witwe klagte, bekam 1925 recht und alle Kopie sollten vernichtet werden. Das geschah allerdings nur teilweise und so wurde der Filmschatz bis in die heutige Zeit gerettet. Es tauchten Szenen von Nosferatu noch in dem Film „die zwölfte Stunde“ 1930 als erweiterte Raubkopie auf. Ich hab über diesen Film und eine Live-Klavierbegleitung von Richard Siedhoff mal gebloggt.

Ich sehe nach 100 Jahren Parallelen zur heutigen Zeit. Murnaus Nosferatu traf damals den Nerv der Zeit und tut es sicher heute auch noch. Das Ende des schrecklichen ersten Weltkriegs lag 1922 noch nicht lange Zeit. Europa lag in Trümmern, die Menschen hatten schwerste körperliche und seelische Verletzungen. Und auch die spanische Grippe hatte auf dem Kontinent gewütet und die Seuche forderte viele Todesopfer. Und es stand damals die gewaltige Inflation vor der Tür, die 1928 ausbrach und die wirtschaftliche Welt zusammenbrechen ließ. Weimar scheiterte und der Nationalsozialismus stürzte die Welt in den nächsten schrecklichen Krieg. Die eine oder andere Parallele gibt es zu heute: Krieg, Corona, Inflation. Und ich sehe den Einfluss des Übernatürlichen. 1922 war es der Okkultismus, heute ist es New Age oder Esoterik.


Ohne Nosferatu hätte es keinen Carl Theodor Dreyers Vampyr – Der Traum des Allan Grey gegeben, wir hätten nie Bela Lugosi in Tod Brownings Dracula 1931 genießen können, Christopher Lee hätte 1958 bei Hammer nie seinen Einstand gehabt und auch Werner Herzog hätte 1979 nie Kinski als Nosferatu die Kamera verführen dürfen, MTV wäre bei Coppola Dracula in Kostümen geschwelgt und auch Shadow of the Vampire hätte nie das Gedankenspiel durchspielen können, ob Max Schreck vielleicht doch ein Vampir war.

Hinweis: Zum Jubiläum des Films bin ich zu einem kleinen Filmsymposium eingeladen. Am Sonntag, 6. März, kehrt das Grauen nach 100 Jahren zurück. Mit einer Matinee ehren wir im Scala Kino Fürstenfeldbruck um 12 Uhr das Meisterwerk des Vampirfilms. Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens.

Dracula im Film (10): Herzogs Nosferatu – das Phantom der Nacht (1979)

31. August 2020

Werner Herzog hat nie kleine Brötchen gebacken: Es musste immer großes Kino auf seine Art sein. Und als er sich 1979 an seine Neuinterpretation von Dracula gemacht hat, musste sich Herzog mit einer der besten Dracula-Verfilmungen messen lassen.
Herzogs Nosferatu – das Phantom der Nacht ist eine Neuinterpretation von Murnaus Nosferatu – eine Symphonie des Grauens – Klaus Kinski contra Max Schreck. Für mich ist der Stummfilm von Murnau noch immer der bessere Film, aber Herzogs Verfilmung des Stoffes hat seine großen Momente. In Ermangelung einer Laserdisc habe ich mir die Bluray angesehen, was dem Film Nosferatu technisch nicht gutgetan hat. Optisch bietet die Abtastung für Bluray allerdings dramaturisch interessante Elemente. Der Film versinkt in manchen Teilen in eine gewisse Unschärfe und wirkt für mich wie ein Fiebertraum beim Betrachten. Ob es Herzog so gewollt hat, kann ich nicht sagen. Die DVD in meinen Besitz erzeugt diesen Effekt nicht.


Herzog wollte nie ein Remake von Murnaus Klassiker machen, wozu auch. Er liefert uns eine Verbeugung vor dem Stoff. Heutigen Sehgewohnheiten kommt die Verfilmung nicht entgegen – er kommt sperrig daher, langatmig und langweilig für viele Zuschauer. Das Tempo des Films ist europäisch. Deutschland kann nicht mit Hollywood konkurrieren und Herzog will auch kein Coppola sein, dessen Dracula sich fulminant breitmacht und einer jüngeren Generation als Maßstab dient. Herzog orientiert sich dagegen am Stummfilm – und diese Verbeugung vor dem deutschen Expressionismus ist wunderschön. Die Nebendarsteller agieren kaum, sondern füllen den Raum, seien es Zigeuner oder Stadträte. Isabelle Adjani, eine große Schauspielerin, interpretiert die Lucy einfach göttlich und könnte sofort als Star des Expressionismus durchgehen.
Bruno Ganz ist Harker und was soll man über das Talent von Ganz schreiben, was nicht schon geschrieben wurde? Er war einfach ein großer Schauspieler.
Und der Graf selbst? Klaus Kinski als unbarmherziger Blutsauger ist wirklich unheimlich. Vor Max Schreck hatte ich schaurige Angst, vor dem Terror von Klaus Kinski habe ich mich gefürchtet. Die Kamera von Jörg Schmidt-Reitwein, der auch für Kluge und Achternbusch arbeitete, ist sein Partner. Kinski spielt mit diesem Partner Kamera, umgarnt sie, zischt sie an – großes Schauspielkino. Von Schreck kamen die Zähne und Ohren, der Mantel und der Hut, aber Kinski erfüllt den Charakter mit seinem eigenem Schauspiel. Mir hat es großen Spaß gemacht – vor allem die Szenen mit Isabelle Adjani sind ergreifend.
Van Helsing ist ein Mann der Wissenschaft, der sich zum Pfählen hinreißen lässt, und dann mit der deutschen Polizeiverwaltung in Konflikt gerät – wunderbar humorvoll von Herzog gelöst. Und ähnlich wie bei Polanskis Tanz der Vampire siegt das Böse und verbreitet sich über die Welt.


Ein Wort zur Musik: Hauptsächlich stammte er Score Nosferatu von Florian Fricke und Popol Vuh. Die Krautrocker aus München arbeiteten oft mit Herzog zusammen und schaffen mit ihrer elektronischen Musik eine besondere Atmosphäre für Nosferatu. Der Film beginnt mit Aufnahmen vom Museum der Mumien von Guanajuato (aus México) und das Musikstück „Brüder des Schattens“ zieht uns sofort in ihren Bann. Dann setzt Herzog noch auf Wagners Rheingold und am Ende auf das Sanctus der Cäcilienmesse von Charles Gounod.
Die Vision Nosferatu von Werner Herzog ist absolut gelungen. Seine Bilder von gewaltig, die Atmosphäre ist unheimlich – das 12000 Töten der Ratten aus Ungarn brachte dagegen Tierfreunde auf die Barrikaden.
Für mich ist Herzogs Nosferatu – das Phantom der Nacht eine gelungene Dracula-Verfilmung mit leichten Schwächen im Drehbuch. Aber es ist vor allem ein bildgewaltiges Schauspielerkino.

Die Nibelungen – Entdeckungsreise in den Expressionismus

14. Februar 2019

Ich liebe den deutschen Film des Expressionismus und der Folgezeit. Das heißt, ich verehre Leute wie Friedrich Wilhelm Murnau oder Fritz Lang. Die Murnau-Stiftung hat einige der Klassiker auf Bluray in exzellenter Qualität herausgebracht, darunter Metropolis, Nosferatu, Caligari oder der Zweiteiler Die Nibelungen. Vor kurzem dürfte ich der Deutschlandpremiere von Golem beiwohnen.

Der Drache aus den Nibelungen in der UFA-Ausstellung.

Der Drache aus den Nibelungen in der UFA-Ausstellung.

Als ich mal wieder in Potsdam weilte, besuchte ich das Filmmuseum Potsdam, weil mich ein Freund darauf aufmerksam gemacht hat, dass dort etwas interessantes zu sehen sei. Ich hatte in München die UFA-Ausstellung besucht und ein schönes Bild vom Drachen aus den Nibelungenfilm gesehen. Auf Nachfrage sagte man mir, dass mehr Material im Filmmuseum Potsdam zu sehen sei.

Maria in Metropolis
Also auf nach Potsdam und ab ins Filmmuseum. Zunächst stieß ich nur auf ein Abbild von Maria aus Metropolis von 1927.

Maria aus Metropolis im Filmmuseum Potsdam.

Maria aus Metropolis im Filmmuseum Potsdam.

Maria, die später zum Roboter wird, bedeutet mir sehr viel. Ich habe auf meinem Schreibtisch eine Statue von Maria stehen und es für mich immernoch der schönste Roboter schlechthin.

Gespielt wurde der Maschinenmensch von Brigitte Helm. In der UFA-Ausstellung war eine Tonbüste dieser schönen Schauspielerin zu sehen, die mich faszinierte. Die Büste wurde von Jussuf Abbo (1888-1953) angefertigt.

Brigitte Helm - die Maria - hier in der UFA-Ausstellung.

Brigitte Helm – die Maria – hier in der UFA-Ausstellung.

Die Nibelungen
Aber ich war ja eigentlich auf der Suche nach der Nibelungen-Saga, die Fritz Lang 1924 vor Metropolis verfilmt hatte. In einer Nische des Potsdamer Filmmuseums fand das gesuchte Material: Es gab Bilder und Skizzen von dem Fritz Lang-Zweiteiler Nibelungen.

Ein wirklicher Schatz, der dort ausgestellt ist. Mein Herz als Filmfan schlug höher. Die Reise von München nach Potsdam und der Besuch des Museums hatte sich also gelohnt. Die Nibelungen-Filme Die Nibelungen habe ich einst im Fernsehen gesehen und später dann auf Bluray erworben. Es gab später noch eine schwache Neuverfilmung des Sagenstoffs Die Nibelungen , aber mit einer gewaltigen Musik Die Nibelungen von Rolf Wilhelm.

Mechanischer Drache – lange vor CGI
Bei all der Schwere der Nibelungensaga war für mich als Kind der Drache immer das Wichtigste. Während es heute ein Drache wie Smaug bei Peter Jackson aus CGI wäre, war der Drache bei Fritz Lang noch klassische Handarbeit. Ich zeigte meinen Kindern den Drachen von damals. Natürlich grinsten sie über die Effekte aus der Stummfilmzeit im Vergleich zum CGI der Neuzeit, aber sie wollten wissen, wie der Drache damals gemacht wurde.
In der Drachen-Szene muss sich Filmarchitekt Karl Vollbrecht als Drachenlenker bewähren. Er war Mitarbeiter des legendären Otto Hunte, der den Drachen konstruiert hat. An vorderster Stelle dirigiert er Kopf und Augen des Drachens, der aus Eisen, Hartholz, Draht und Kaschierung bestand. Innen waren Mitarbeiter, die den Drachen in Bewegung versetzen. Es muss furchtbar heiß im Inneren des Drachens gewesen sein und Fritz Lang gilt ja als unnachgiebiger Filmemacher. Er ließ die Szenen wiederholen bis er zufrieden war.

Der Drache allein war schon ein Hingucker. Aber nun muss ja der Drache noch gegen Siegfried ins Felde ziehen. Und Siegfried kämpft heldenmütig gegen das Ungetüm. Sein Schwert Balmung trifft das Auge des Drachens. Der Drache windet sich vor Schmerzen. Das berstende Auge ist übrigens eine gefüllte Schweinsblase. Der Drache wird besiegt, blutet und Siegfried wird unverwundbar durch das Drachenblut, wäre da nicht ein Lindenblatt. Der Rest der Geschichte ist ja bekannt.

Otto Hunte schuf die vier Welten
Der Ur-Wald mit dem Drachen ist eine von vier Welten, die Fritz Langs damalige Ehefrau Thea von Harbous in ihrem Drehbuch forderte. Dann gibt es noch den ritualisierten Burghof, Brunhilds nordische Burg, und König Etzles Hunnenburg. „Hunte, du sollst mir die Nibelungen bauen“, soll Regisseur Fritz Lang zu seinem Filmarchitekten gesagt haben.

Und der fing detailreich für das „geistige Heiligtum einer Nation“ (Lang) zu bauen. Und Otto Hunte schuf ein Meisterwerk des Expressionismus mit Kontrasten, Ornamenten, Gewändern, Symbolen. Das Spiel mit dem Licht ist grandios. Otto Hunte war der vielleicht bedeutendste Architekt der Universum-Film AG (Ufa) in den zwanziger und dreißiger Jahren und für die opulente Ausstattung vieler Ufa-Großproduktionen verantwortlich, die Filmgeschichte schrieben.
Leider habe ich bisher ein Art of Nibelungen-Buch gefunden, denn das in Potsdam ausgestellte Material ist grandios. Es gibt nur einen vergriffenen Band vom Deutschen Filmmuseum: Otto Hunte: Architekt für den Film

Stummfilmpianist Richard Siedhoff sorgt für den richtigen Ton bei der Zwölften Stunde

9. März 2017

Richard Siedhoff Macht Quatsch mit mir. Dabei ist er ein seriöser Musiker.

Richard Siedhoff Macht Quatsch mit mir. Dabei ist er ein seriöser Musiker.

Als Fan des deutschen Expressionsmus im Film war ich nervös, als mein Kollege Christopher Link mir erzählte, dass im Münchner Filmmuseum eine seltene Kopie des Vampir-Films „die zwölfte Stunde“ gezeigt wird. Den Streifem musste ich sehen. Am Ende war ich vom Film total enttäuscht – und dennoch war der Abend ein voller Gewinn. Zum Film gab es Live-Klaviermusik von Stummfilmpianist Richard Siedhoff aus Weimar. Virtuos begleitete Siedhoff den Film und wir trafen uns nach der Vorstellung zu einem kleinen Videointerview.

Nicht autorisierter Klassiker
Der Film „die zwölfte Stunde“ ist im Grunde eine Art erweiterte Raubkopie. Er kam 1930 in die Kinos. Ihm liegt der legendäre Film von Friedrich-Wilhelm Murnau „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“ zu Grunde, einer meiner Lieblingsfilme. Die zwölfte Stunde ist dagegen eine nicht autorisierte Bearbeitung von Murnaus „Nosferatu“ aus dem Jahr 1922.
1930 kam der Tonfilm auf und die „die zwölfte Stunde“ bediente den Wunsch des Publikums nach mehr Toneffekte. Die Stummfilmteile wurden mit Geräuschen und Musik unterlegt, Szenen wurden vertauscht und entfernt, neue Tonfilmszenen wurden von Waldemar Roger hinzugefügt, die Rollenbezeichnungen wurden geändert. Für mich steht fest: Der großartige Murnau Film wurde einfach nur verstümmelt. Die ergänzenden Szenen waren belanglos und dauerten viel zu lange, wie die Szene aus dem Gasthaus, das Hochamt, die Hafenszene oder Impressionen aus dem Südtirolurlaub von Waldemar Roger. Der Rhythmus des Meisterwerks von Murnau wurde zerstört. Naja, am Ende hatte ich die „die zwölfte Stunde“ eben auch gesehen.

Stummfilmpianist Richard Siedhoff
Viel wichtiger für mich im Nachhinein war die Filmmusik. Am Abend im Filmmuseum spielte Stummfilmpianist Richard Siedhoff. Er improvisierte neben der Leinwand und schaffte es, dass aus dem schlechten Film ein unvergesslicher Abend wurde.


Der Film hatte ursprünglich eine eigene Tonspur. Sie bestand aus der nicht mehr erhaltenen Musik von Georg Fliebiger, die auf Schallplatte synchron zum Film angespielt wurde.
Richard Siedhoff hatte die Sache virtuos im Griff und ließ den schlechten Film zu einem Kulturgenuss werden. Seine Website von Richard Siedhoff gibt umfangreich über den Künstler Auskunft. Mehr als 200 Filmklassiker hat Richard Siedhoff mit eigenen Kompositionen und Improvisationen sowie einigen adaptierten Originalmusiken begleitet. Richard Siedhoff ist Hauspianist im Lichthaus Kino Weimar, dessen Stummfilmprogramm er kuratiert. Zudem ist er als Komponist für Film, Theater und Kabarett tätig. Leider gibt es noch keine CD von ihm.

Ich traf Richard Siedhoff nach der Aufführung der Zwölften Stunde zu einem Kurzinterview in München. Christopher Link, erfolgreicher Dokumentarfilmer, filmte unser Gespräch mit meiner Lingra. Siedhoff ist seine Begeisterung für die alten Werke anzumerken. Er lebt für die Klassiker. Er hat Nosferatu schon einige Male gespielt und einige Motive selbst komponiert. Diese Motive variiert er immer wieder während des Spiels. Für die Zwölfte Stunde wurde es komplett adaptiert.

Dracula im Film 2: Shadow of the Vampire 2000

22. März 2012

Sonnenaufgang für einen Vampir.

Sonnenaufgang für einen Vampir.

Eine wohltuende Überraschung ist dieses Bonbon, das wahren Vampirfreunden einfach Spaß machen muss. Der Film Shadow of the Vampire ist ein Genuss. Shadow of the Vampire zeigt in einer fiktiven Story, was wirklich hinter der besten Dracula-Verfilmung aller Zeiten stecken könnte. Was wäre, wenn Max Schreck in Murnaus Klassiker Nosferatu – eine Symphonie des Grauens in Wahrheit doch ein Vampir gewesen wäre?

Ein netter Gedanke und daraus entstand ein atmosphärisch dichter Film mit den beiden Hollywoodstars John Malkovich als Friedrich Wilhelm Murnau und Willem Dafoe als Vampir Max Schreck. Dafore wurde mit dem Oscar für seine eindrucksvolle Leistung und nochmal für die ausdrucksstarke Maske nominiert. Als Gage für sein realistisches Auftreten im Film bekommt der Vampir die Hauptdarstellerin versprochen – auch ein interessantes Geschäftsmodell, das Hollywood wieder einführen sollte.

Der Film ist voller Extreme: Murnau ist ein Besessener und Schreck ist es ebenso – aber eben jeder auf seine Weise. Aber anders als bei klassischen Dracula-Verfilmungen kommt dieses Mal keine Sympathie für den Vampir auf. Die gnadenlosen Helden des düsteren Filmes gehen buchstäblich über Leichen. Murnau opfert bedenkenlos seine Mitarbeiter für die Kunst, denn wir wissen ja, für die Kunst müssen Opfer gebracht werden. Der Vampir dagegen hat einfach nur Hunger, fett Kohldampf und spielt sich selbst als gieriger verbitterter Mann. Wer ist nun das größere Monster? Der Künstler oder der Vampir?

Und der Film von No-Name E. Elias Merhige ist eine wunderbare Hommage an den Meisterregisseur Plumpe, der sich als Künstler Murnau nannte. Der Film spielt wunderbar mit der Filmtechnik der damaligen Zeit – wir standen mitten im Expressionismus. Sehr schön ist ein Dialog von Murnau und Schreck vor einer gemalten Sonne in der Höhle des Vampir. Wir lernen viel über das Filmemachen im Stummfilmzeitalter, wenngleich das Genie des wahren Murnaus mit seiner neuartigen Montageart ein wenig auf der Strecke bleibt. Wenn ein Film wie „The Artist“ den Stummfilm im heutigen Kino wieder aufleben lässt, dann ist Shadow of the Vampire eine schöne Verbeugung an diese vergangene Zeit und ein blutiger Leckerbissen für Vampirfans.