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Ein Groschen voller Träume – die Magie des Novomat

9. Oktober 2025

Ich bin kein großer Fan von Geldspielautomaten, aber als ich den Novomat bei einer Veranstaltung entdeckte, wurde ich schwach. Ein Novomat ist ein Stück Spielhallen-Geschichte – ein mechanischer Geldspielautomat aus der frühen Zeit der Firma Novomatic (die damals noch unter „Novo-Mat Apparatebau“ auftrat).

Solche Geräte gehörten zu den klassischen Unterhaltungsautomaten, wie man sie in Gaststätten, Kneipen oder kleinen Spielsalons der 1950er Jahre fand. Typisch für diese Geräte war noch die rein mechanische Technik – Zahnräder, Federn, Walzen und Hebel bestimmten das Spielgeschehen, Elektronik kam erst Jahre später dazu. Die Automaten waren laut, rasselten und klackerten beim Spielbetrieb – was zu ihrem besonderen Charme beitrug. Der Spieler warf Münzen ein (z. B. 10 Pfennig oder 1 DM), zog an einem Hebel oder drückte einen Startknopf. Die Mechanik setzte dann Walzen, Scheiben oder Zeiger in Bewegung.

Der Automat hatte eine tolle Geschichte. Meine Gedanken gingen auf Reisen. In den rauchigen Bars und belebten Tanzlokalen der Nachkriegszeit hielt Mitte der 1950er-Jahre ein neues mechanisches Wunder Einzug: der Novomat-Spielautomat. Dieses Gerät, im Volksmund auch als „einarmiger Bandit“ bekannt, zog die Gäste mit blinkenden Zahlen und verheißungsvollem Geklingel in seinen Bann. Man stelle sich die Szene vor: In einer Ecke der Kneipe steht der Novomat, ein hölzerner Kasten mit verchromten Zierelementen und einer gläsernen Front, hinter der drei Walzen mit Symbolen rotieren. Beim Ziehen des seitlich angebrachten Hebels – gekrönt von einem runden Knauf – setzt ein sattes Klack die feinmechanische Maschinerie in Gang. Für einen Augenblick hält jeder in der Nähe den Atem an, während ein leises Rattern und Klicken aus dem Inneren ertönt. Dann, nach einer kleinen Ewigkeit von vielleicht 15 Sekunden, kommen die Walzen nacheinander zum Stillstand und zeigen ihr Ergebnis . Mit etwas Glück poltert eine Handvoll Münzen in die Auszahlschale und das metallische Klimpern erfüllt den Raum – ein Geräusch, das in den 50ern unweigerlich für Begeisterung sorgte.

Ein originaler Novomat-Spielautomat aus den 1950er-Jahren. Das Gehäuse aus Holz mit Sichtfenster für die Walzen und verchromten Bauteilen verleiht dem Gerät den zeittypischen Charme dieser Ära.

Einfallsreichtum
Technisch gesehen verkörpert der Novomat den ganzen mechanischen Einfallsreichtum seiner Zeit. In seinem Inneren arbeitete er rein mechanisch, vollkommen ohne Elektronik – jedes Geräusch, jeder Ablauf entstand durch Zahnräder, Federn und Hebel. Der Spieler warf eine 10-Pfennig-Münze ein, wodurch das Gerät entriegelt wurde . Ein kräftiger Zug am Hebel spannte Federn und setzte die Walzen in Rotation. Anders als bei heutigen Automaten konnte man den Spielverlauf hier noch spüren: Den leichten Widerstand des Hebels, das Rucken der Mechanik und das surrende Auslaufen der Walzen. Eine Besonderheit des Novomat war die Möglichkeit, das Spiel selbst minimal zu beeinflussen. So verfügte er – im Gegensatz zu früheren Geräten – über eine Nachstart-Funktion: Der Spieler konnte nach dem ersten Drehen eine der Walzen gezielt nochmals in Bewegung setzen, um die Gewinnchancen zu erhöhen. Dieses kleine Element von Geschicklichkeit verlieh dem Spiel einen zusätzlichen Reiz und füllte zugleich die vorgeschriebene Mindestspieldauer von 15 Sekunden mit Spannung.

Die Gewinnmöglichkeiten waren zwar bewusst begrenzt – auf maximal das Zehnfache des Einsatzes, also 1 DM – doch genau diese Bescheidenheit passte zur Zeit. In einer Ära, in der das Wirtschaftswunder langsam Fahrt aufnahm, bedeutete ein Gewinn von einer Mark bereits eine kleine Sensation und die Hoffnung, dass das Glück einem lacht, selbst wenn es nur ein paar Groschen waren.

Auch kulturell strahlte der Novomat einen besonderen Reiz aus. In den vom Krieg gezeichneten 50er-Jahren sehnte man sich nach Ablenkung, nach ein wenig Glanz und Spannung im Alltag. Der Novomat lieferte genau das: Er vereinte den technischen Charme eines präzise gebauten Geräts mit dem aufregenden Versprechen des Zufalls. Wenn abends die Jazz- und Rock’n’Roll-Klänge aus der Jukebox erklangen und die Tanzfläche lebendig wurde, bildeten sich nicht selten Trauben von Neugierigen um den Spielautomaten. Für einige Minuten konnte man alles um sich vergessen – jeder Hebelzug erzählte eine eigene kleine Geschichte von Risiko und Hoffnung. Das leuchtende Ziffernfeld und das kunstvoll gestaltete Zählwerk zogen die Blicke auf sich, während der Gedanke mitspielte: Vielleicht trifft die Walze diesmal die richtige Kombination? Die Faszination, die solche Geräte auslösten, war universell. Vom Fabrikarbeiter bis zum Geschäftsmann – alle konnten sich gemeinsam über einen Gewinn freuen oder augenzwinkernd das Pech teilen. In Kneipen und Tanzlokalen wurden durch den Novomat fremde Leute zu Mitfiebernden, man lachte und staunte gemeinsam, wenn die Münzen klingelnd aus dem Auswurfschacht schossen.

Hergestellt wurde der Novomat von der Berliner Firma Günter Wulff Apparatebau, die in jenen Jahren zu den Pionieren der deutschen Automatenindustrie zählte . Bereits 1953 hatte Günter Wulff mit dem Rotomat den ersten vollmechanischen Drei-Walzen-Geldspielautomaten der Nachkriegszeit herausgebracht. Der Novomat folgte 1954 und wurde mit über 26.000 produzierten Exemplaren zum erfolgreichsten Modell seiner Art. Kaum ein Imbiss oder eine Gastwirtschaft, in der nicht irgendwann ein Novomat an der Wand hing oder auf dem Tresen thronte. Sogar über die Landesgrenzen hinaus fand das Gerät Verbreitung – es war sinnbildlich für den Aufbruch und die neue Vergnügungslust jener Zeit.

Die Firma Wulff traf mit dem Novomat genau den Nerv der Gesellschaft: Unterhaltung für wenig Geld, greifbare Technik zum Anfassen und die aufregende Möglichkeit, mit einem simplen Groschen den kleinen Jackpot zu knacken. Gleichzeitig achtete man streng auf Regeln: Damit das Spiel ein harmloses Vergnügen blieb, galten strenge Auflagen. Die Behörden erlaubten solche Geräte nur unter der Bedingung, dass der Einsatz gering blieb und die Ausschüttungsquote fair war. Tatsächlich mussten Automaten wie der Novomat mindestens 60 % der eingeworfenen Beträge als Gewinne wieder auszahlen – genug, um die Spieler bei Laune zu halten, aber nicht so viel, dass jemand ein Vermögen verlor. So etablierte sich der Novomat als Freizeitbeschäftigung der kleinen Leute: Ein kurzes Spiel nach Feierabend, ein paar Pfennig Einsatz, und mit etwas Glück ein paar Münzen mehr in der Tasche oder zumindest eine gute Geschichte für den Heimweg.

Die Präsenz des Novomat prägte das Freizeitverhalten der 1950er-Jahre nachhaltig. Er war mehr als nur ein Automat – er war ein Stück Zeitgeist. In einer Epoche, die von Aufbruchsstimmung und dem Wunsch nach Vergnügen geprägt war, symbolisierte das aufleuchtende, klingelnde Gerät die neu gewonnene Leichtigkeit des Seins. Jung und Alt standen davor, oft mit glänzenden Augen, und ließen sich von der Mischung aus Technik und Glücksspiel verzaubern. Viele Jugendliche jener Zeit erinnerten sich später daran, wie sie fasziniert den Erwachsenen beim Spielen zusahen, vom bunten Walzendrehen hypnotisiert, während sie selbst noch nicht alt genug waren, um mitzuspielen. Der Novomat stand in Eckkneipen neben dem Stammtisch, in Tanzcafés neben der Theke und sogar in manchem Bahnhofsbuffet – überall dort, wo Menschen zusammenkamen, um ihre Sorgen für einen Moment zu vergessen und sich dem kleinen Nervenkitzel hinzugeben. Manche Wirte berichten rückblickend, dass der Automatenplatz heiß begehrt war: Man traf sich am Novomat, wartete geduldig auf seinen Einsatz und fieberte bei jedem Spiel der anderen mit. So schuf der Apparat eine ganz eigene Gemeinsamkeit im Spiel, die in den Nachkriegsjahren von unschätzbarem Wert war.

Heute, viele Jahrzehnte später, haftet dem Novomat ein nostalgischer Glanz an. Die meisten dieser Maschinen haben die Zeit nicht unbeschadet überstanden – zu verlockend war es für Betreiber und Hersteller, die Mechanik weiterzuverwenden und alte Gehäuse zu neuen Geräten umzubauen. Trotz der einst hohen Stückzahlen sind daher nur noch vergleichsweise wenige Novomaten im Originalzustand erhalten . Wer jedoch das Glück hat, ein solches Exemplar in einem Sammlerkreis oder Museum zu sehen, spürt sofort die Aura der 50er-Jahre. Abgeblätterter Lack in Hammerschlag-Blau, abgenutzte Hebel und matte Glasscheiben erzählen von ungezählten Berührungen und hoffnungsvollen Momenten vor dem Automaten. Restauratoren und Liebhaber widmen sich mit Hingabe diesen historischen Geräten, bringen die Mechanik behutsam wieder zum Laufen und lassen die Walzen erneut drehen. So lebt der Geist des Novomat weiter: als mechanisches Märchen aus einer Zeit, in der schon ein einziger Groschen große Träume entfachen konnte. Mit jedem Klicken, Rattern und Klingeln führt uns der Novomat zurück in jene Ära – in die Nachkriegsjahre, als Technik und Hoffnung Hand in Hand gingen und ein einfacher Spielautomat namens Novomat die Menschen für einen Augenblick die Welt um sich vergessen ließ.

Wenn Vergangenheit Zukunft küsst: Isetta trifft Microlino in Fürstenfeldbruck

18. August 2025

Die Aufgabe war klar: Es galt für unseren Microlino die alten Onkels und alten Tanten zu besuchen und unsere Referenz zu erweisen. So wurden wir erzogen. Der Anlass ist klar: In Fürstenfeldbruck findet vom 22.-24. August das 48. Isetta Club Treffen auf dem Volksfestplatz statt.

Über 180 Oldtimer aus ganz Deutschland haben sich angemeldet und auch der Mirolino Stammtisch Schwaben wird mit einer Abordnung ihrer Mircolinos vorbeischauen. Schließlich ist die Isetta die Urmutter des Microlinos. Mit diesem BMW-Vorfahren hat alles begonnen.

Wir haben den Aufbau und das erste Eintreffen der Isettas beobachtet und unseren Microlino Pioneer einfach mal in die Reihe mit den alten Isettas gestellt. Und wir haben so viel Liebe und Freundlichkeit erfahren von den Isetta-Piloten, aber auch von Passanten, die unsere Fahrzeuge rumrundeten.

Die BMW Isetta ist weit mehr als nur ein Auto – sie ist ein Stück bewegte Geschichte, das bis heute Herzen höherschlagen lässt. Mit ihrer kugelrunden Form, der charmanten Fronttür und den kompakten Abmessungen wirkt sie fast wie ein rollendes Spielzeug, dabei war sie in den 1950er-Jahren für viele Menschen der erschwingliche Einstieg in die Mobilität. Nach den harten Nachkriegsjahren brachte die Isetta Freiheit auf vier Rädern und ein Lächeln ins Gesicht ihrer Besitzer. Ihr fröhliches Design, das Platz für zwei Personen bot, machte sie zum Symbol des Wirtschaftswunders: praktisch, bezahlbar und voller Optimismus. Bis heute fasziniert sie Sammler und Oldtimerfreunde, weil sie nicht nur Technik, sondern auch Lebensgefühl verkörpert – die Isetta ist eben kein gewöhnliches Auto, sondern ein liebevoller Begleiter, der den Geist einer ganzen Epoche in sich trägt. Und dann kommen wir mit unserem Elektrofahrzeug Microlino.

Die Isetta und der Microlino passen wunderbar zusammen, weil sie wie zwei Seelenverwandte aus unterschiedlichen Zeiten wirken. Die Isetta, Ikone des Wirtschaftswunders, steht für Aufbruch, Leichtigkeit und die Freude an der neu gewonnenen Freiheit. Sie brachte damals die Menschen zum Träumen – ein Auto, das klein war, aber dennoch die große Welt eröffnete. Der Microlino knüpft Jahrzehnte später genau dort an, nur mit den Mitteln unserer Zeit: elektrisch, nachhaltig und modern, doch mit dem gleichen Charme und derselben verspielten Eleganz.

Beide Fahrzeuge teilen die Idee, dass Mobilität nicht groß und protzig sein muss, sondern Herz, Stil und Lebensfreude ausstrahlen darf. Wer den Microlino sieht, fühlt sofort die liebevolle Erinnerung an die Isetta – und gleichzeitig die Hoffnung, dass dieses Gefühl von Freiheit auch in einer umweltbewussten Zukunft weiterlebt. Es ist, als hätten sich Vergangenheit und Gegenwart verabredet, um gemeinsam die Straßen mit einem Lächeln zu erobern.

Mal sehen, wie sich die Kontakte zwischen Isetta- und Microlino-Piloten entwickelt. Eins ist aber schon jetzt klar: Diese Fahrzeuge haben Charakter, Charme und Charisma.

Buchtipp: Das München Album von Gerhard Holzheimer und Katja Sebald

20. März 2025

Aus einer München-Gruppe habe ich am Rande eines Postings einen schönen nostalgischen Buchtipp bekommen. Das München Album von Gerhard Holzheimer und Katja Sebald. Beide sind im oberbayerischen Raum keine Unbekannte – Holzheimer ist Schriftsteller, Sebald ist Journalistin und Kuratorin.

Mit dem Buch das München Album hatten sie eine nette Idee. Menschen sollten ihre alten Fotoalben sichten oder auf dem Dachboden alte Fotos suchen und ihr persönliches zeitgeschichtliches Album anlegen. Mit dem München Album haben sie es uns vorgemacht. Viele Fotos wurden aufgetrieben, chronologisch geordnet und mit erklärenden Texten ergänzt. Einige Fotos aus dem Buch stammten aus dem Privatbesitz, andere aus Archiven – das passt zwar nicht zur ursprünglichen Idee der Fotos vom Dachboden, aber egal.

Ich habe diesen Streifzug durch die Stadtgeschichte genossen und es hat mich inspiriert, was für mich das Wichtigste ist. Die Bilder und Geschichten begannen nach dem Zweiten Weltkrieg als München zerbombt war und von US-Truppen besetzt wurde. München – eine Stadt voller Kontraste, eine Stadt, die sich neu erfand. In den Jahren nach dem Krieg erhob sie sich aus den Trümmern, die Wunden der Vergangenheit noch sichtbar, aber der Blick nach vorne gerichtet. Die Straßen füllten sich mit Leben, mit Menschen, die Träume hatten, mit Geschäftsleuten, die von Aufschwung sprachen, mit Familien, die sich ein neues Zuhause schufen. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, eine Epoche, in der der Glanz der Zukunft die Schatten der Geschichte überstrahlen sollte.

Die Frauen in eleganten Kleidern, die Männer mit Hüten, das geschäftige Treiben auf der Kaufingerstraße – all das erzählte von einem München, das wieder pulsierte. Biergärten füllten sich mit Lachen, und sonntags strömten die Menschen in Scharen an die Isar, um sich eine Pause vom neu entfachten Arbeitseifer zu gönnen. Die Stadt blühte auf, zwischen den frisch errichteten Gebäuden und den letzten Narben des Krieges.

Doch mit der aufstrebenden Moderne kam auch der Widerstand. In den Hörsälen der Universitäten keimte eine neue Bewegung heran – eine Generation, die nicht nur von Wohlstand sprach, sondern von Veränderung, von Freiheit. Der Muff der Vergangenheit sollte nicht in den Polstern der Republik hängen bleiben. In Schwabing und an der Ludwig-Maximilians-Universität formierten sich junge Stimmen gegen alte Strukturen. Proteste, Diskussionen, Aufbruch – München wurde zur Bühne für eine neue Zeit.

Zwischen den Wirtschaftswunderjahren und den brennenden Fragen der Jugend lag eine Stadt im Wandel. Eine Stadt, die wuchs, die sich formte, die Altes bewahrte und Neues herausforderte. Ein München, das lebte, das stritt, das lachte – und das sich, egal in welcher Zeit, immer wieder neu erfand.

Ich erbte von meinen verstorbenen Eltern ihre Fotoalben. Darin Hunderte von Fotos von Menschen und Ereignissen, die mir unbekannt waren. Ab und zu gab es aber Schnappschüsse, die einen gewissen historischen Wert haben, wie beispielsweise die Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit an denen mein Papa in Berlin teilgenommen hat. Oder Hochwasser am Rhein mit einem überschwemmten Deutschen Eck in Koblenz. Oder Spaziergänge meiner Eltern in der Mode der Sechziger und später Siebziger Jahre.

Riga: Warum wird Heinz Erhardt kein Denkmal gesetzt?

5. März 2020

Für mich einer der ganz Großen: Heinz Erhardt

Für mich einer der ganz Großen: Heinz Erhardt

Als der beliebteste deutsche Humorist nach Loriot gilt Heinz Erhardt. Der Wortakrobat verkörperte für mich die Zeiten des Wirtschaftswunders pur. Ich kenne Heinz Erhardt nur von Schallplatten und Filmen. Als ich vor kurzem in Riga weilte, machte ich mich auf die Suche nach Spuren von Heinz Erhardt.
In Riga wurde Heinz Erhardt am 20. Februar 1909 geboren. Riga gehörte damals zum russischen Kaiserreich, war aber komplett deutsch geprägt. Mein Vorwurf an Riga: Warum habt ihr Heinz Erhardt komplett vergessen? Die Stadtoberen verweisen an allen Ecken auf Richard Wagner, der ein paar Jahre in Riga gewirkt hatte, aber keine Spur eines Denkmals von Heinz Erhardt. Wagner-Büsten und -Plaketten überall, aber kein Erhardt – das ist eine Schande und hier vergibt sich Riga allerhand Tourismuswerbung, denn Heinz Erhardt hat noch immer treue Fans.

Mein deutscher Reiseführer und Erhardt-Experte Maik Habermann zeigte mir die Stätten des berühmten Mannes. Ich stand vor der ehemaligen Musikalienhandlung im Zentrum von Riga. Hier betrieb der Großvater Paul Neldner ein erfolgreiches Musikhaus. Über 120 Klaviere und Flügel wurden zum Kauf angeboten. Hier lernte der kleine Heinz auch das Klavierspiel. Es gibt Kompositionen von Erhardt aus den Jahren 1925 bis 1929, die ihn als extrem begabten Klavierspieler und Komponisten zeigen. Sie wurden erst nach dem Tod des Komikers entdeckt und veröffentlicht Heinz Erhardt, mal klassisch: 24 Klavierkompositionen. Heinz Vater war Kapellmeister und so liegt die Musik im Blut der Familie. Der Großvater war in seiner Zeit ein angesehener Mann. Er veranlasste, dass das Libretto zu Wagners Tristan ins Russische übersetzt und in St. Petersburg aufgeführt wurde. Der Großvater bekam als Dank dafür vom Zaren Manschettenknöpfe mit dem russischen Doppeladler aus Brillanten.

Die Musikalienhandlung von Heinz Erhardts Vater in Riga.

Die Musikalienhandlung von Heinz Erhardts Großvater in Riga.

Der Schüler Heinz Erhardt, der 14 Mal die Schule wechseln musste, war kein großes Notenvorbild. Da der Vater in Europa verschiedenste Anstellungen hatte, musste der kleine Heinz mit. Ohne Abschluss verließ er das Gymnasium 1926 und ging ans Konservatorium nach Leipzig und wieder zurück nach Riga, um in der Musikalienhandlung seines Opas eine kaufmännische Lehre zu beginnen. Aber die Welt der Zahlen war für Heinz nichts.

Heinz Erhardt-Experte Maik Habermann.

Heinz Erhardt-Experte Maik Habermann.

Er wollte auf die Bühne. Der erste nachweisliche Auftritt war 1928 bei der Weihnachtsfeier der Pfadfinder in Riga als Pausenfüller. Seine humoristischen Lieder zur Laute kamen extrem gut an. Später war im Zweiten Weltrieg in der deutschen Truppenbetreuung tätig und nach dem Krieg begann seine Rundfunk-, später seine Filmkarriere.
Als Jugendlicher sah ich im linearen Fernsehen die Klassiker: Natürlich die Autofahrer, Immer die Radfahrer, Witwer mit fünf Töchtern, Drillinge an Bord – später kamen Pennäler- und Beamtenfilme dazu, die ich eher schwach fand.
Ich hatte mehrere Schallplatten von Telefunken wie diese 100 Jahre Heinz Erhardt – Die kompletten Telefunken-Aufnahmen, die ich gerne hörte und las als Schüler auch seine Gedichtbände und versuchte mich am zitieren – mit mäßigen Erfolg. Erhardt hatte einen Humor, der mir lag, und in Riga zitierte mein Reiseleiter Maik Habermann immer wieder aus dem Reimwerk von Heinz Erhardt Das große Heinz Erhardt Buch. Und ich bleibe bei meiner Forderung: Setzt Heinz Erhardt ein Denkmal in Riga.

Jupp Darchinger- das fotografische Auge von Bonn

8. August 2013

Reise in vergangene Zeiten.

Reise in vergangene Zeiten.

Ende Juli  starb Josef Heinrich Darchinger im Alter von 87. Jahren. Wer im politischen Geschäft in Bonn tätig war, kannte seinen Namen, der Rest kannte seine Bilder. Er war für mich der Fotograf der Bonner Republik. Einmal auf einem Empfang in Bonn stand ich als junger Reporter zufällig neben dem alten Meister. Freilich kannte ich junger Kerl den Jupp nicht. Kollegen wiesen mich auf ihn hin und es war eine Ehre für mich, dass er sich ein paar Minuten mit mir unterhielt. Ich glaube, es ging um Kameramodelle.

Der Spiegel, für den Jupp Darchinger viel arbeitete nannte ihn “das Auge von Bonn“. Und Darchinger hatte schon einen besonderen Blick für das Wesentliche. Das politische Bonn war seine Spielwiese und er schoss Bilder, die Geschichte machten: Brandt mit seinem Kanzlerspion und immer wieder Helmut Schmidt. Mein Lieblingsbild war das Foto vom Honecker, der Schmidt zum Abschied ein Bonbon ins Zugfenster gab. Cooler Shoot.

Wirtschaftswunder2

Aber es gab noch einen anderen Darchinger als nur den politischen Fotograf. Er war Dokumentator einer längst vergangenen Zeit, die mir fremd war. Als ich meinen Eltern den wunderbaren Bildband Wirtschaftswunder von Taschen zeigte, waren sie sichtlich emotional berührt. So war das Leben in den 50er und 60er Jahren in der Ära Adenauer und Erhard. Da ich erst 1968 geboren bin, kannte ich den Wiederaufbau der Bundesrepublik nur aus Erzählungen meiner Eltern. Durch die Fotos von Jupp Darchinger bekam ich auch Bilder dazu in meinen Kopf. Der Mann hatte genau den richtigen Moment erwischt und das ohne großen Materialausschuss. Nicht wie heute im digitalen Zeitalter als meine Nikon 12 Bilder die Sekunde durchjagd. Jupp Darchinger hatte einen Schuss und der saß – das ist wahre Fotografie. Es gibt den Bildband Wirtschaftswunder in zwei Ausführungen für rund 10 Euro und für 750 Euro – ich liebe beide.

Jupp

Die Bilder hatten eine besondere Intensität. Seine Wirtschaftswunder-Fotos vermitteln Wärme und zeigen Aufbruch der jungen Bundesrepublik. Darchinger hatte das richtige Feeling und wie es Feininger nannte den fotografischen Blick. Für mich sind seine Fotos absolute Lehrbücher der Fotografie in den Bereichen Reportage und Portrait. In meinen Seminaren zeige ich gerne die Bilder von Jupp Darchinger und motiviere meine Seminarteilnehmer ihren fotografischen Weg zu gehen.

Wirtschaftswunder