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Informationskrieg Putins entgegen wirken durch Medienkompetenz

26. Juli 2022

In meinem wöchentlichen kostenlosen Newsletter gehe ich auch immer auf dem Informationskrieg in der Ukraine ein. Als Journalist habe ich die Schwierigkeit, welcher der beiden Kriegsparteien soll ich glauben, wenn ich die Informationen nicht überprüfen kann. Das ist ein echtes Problem. Also heißt es kritisch sein und wenn möglich, die Informationen auf ihre Plausibilität checken.

Olga Kotlytska betreibt mit Kolleginnen den Sender „Radio Wahrheit für Russland“

Diese Chance hat die russische Bevölkerung nicht, nachdem in Russland die Medien einer Zensur unterliegen. Dennoch gibt es Möglichkeiten auch unter Putin an unabhängige Informationen zu kommen. Wie diese hier: Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, die ukrainische Reporterin Olga Kotlytska zu treffen, die mit Kolleginnen zusammen den Radiosender „Radio Wahrheit für Russland“ betreibt. Zusammen mit meiner Kollegin Maria Filina habe ich Olga Kotlytska nach Geretsried eingeladen, um bei unserer Veranstaltung „Wir müssen reden“ sich vorzustellen.

Russische und ukrainische Journalistinnen haben in München den Sender „Radio Wahrheit für Russland“ gegründet. Olga Kotlytska erzählte mir von dem Senderkonzept. Mit unabhängigen Berichten über den Krieg wollen sie der russischen Propaganda entgegenwirken. Sie machen ein Radioprogramm aus München in russischer Sprache. Einmal pro Woche zeichnen sie in München auf und gehen auf Sendung – und zwar neben Youtube und Telegram vor allem auf Kurzwelle. Anders als Websites werden diese nur zum Teil von Russland geblockt und haben eine hohe Reichweite. Die Hörer lassen sich anders wie im Netz nicht nachverfolgen. Radio an und fertig. Kein Stream im Netz, dessen IP-Adresse für russische Behörden nachvollziehbar ist, wer was wann gehört hat.

„Radio Wahrheit für Russland“ will mit Interviews und Berichten gegen die russische Propaganda wirken – und das mit kleinen Erfolg, wie Mails beweisen, so Olga Kotlytska.

Auch die Bitkom in Berlin schaut auf die Berichterstattung im Ukraine-Krieg. Ob über Blogs, Messenger-Kanäle oder Video-Plattformen: Kremltreue Nachrichtenangebote und selbst ernannte „alternative Medien“ verbreiten nicht erst seit Beginn des Ukraine-Krieges pro-russische Propaganda und gezielte Desinformation im Netz. Die überwiegende Mehrheit der Bundesbürger zeigt sich dafür allerdings nicht empfänglich, so die Bitkom: So geben lediglich 4 Prozent an, russische Medien für vertrauenswürdig zu halten, wenn es um den Wahrheitsgehalt von Informationen zum Krieg in der Ukraine geht. 3 Prozent sagen dies über die russische Regierung. Im Gegenzug halten 87 Prozent die russische Regierung für wenig bis überhaupt nicht vertrauenswürdig und 80 Prozent sagen dies über russische Medien. Die übrigen können die Vertrauenswürdigkeit nicht beurteilen oder machen dazu keine Angabe. Das ist das Ergebnis einer aktuellen repräsentativen Befragung des Digitalverbands Bitkom unter 1.004 Menschen in Deutschland ab 16 Jahren. Umgekehrt wird der ukrainischen Regierung (78 Prozent) und den ukrainischen Medien (70 Prozent) von einem deutlichen größeren Teil der Befragten Vertrauen geschenkt. Insbesondere der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj meldet sich nahezu täglich in sozialen Medien, um seine Sichtweise auf den Krieg gegen sein Land zu teilen. „Der rechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird von einer massiven Desinformationskampagne begleitet, mit der der Kreml destabilisierend wirken und in westlichen Ländern bewusste falsche Narrative setzen will. Die allermeisten Menschen trauen russischen Medien nicht. Viele erkennen die zahlreichen Inhalte und Posts, die direkt oder mittelbar auf den Kreml zurückgehen, allerdings als solche nicht. Es wird immer wichtiger und dringender, die Medienkompetenz in der gesamten Breite der Gesellschaft zu entwickeln“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. Da stimme ich ihn zu. Zusammen mit meinen Kollegen Maria Filina und Thomas Gerlach führe ich Seminare zum Thema Fake News durch, um die Medienkompetenz zu verbessern.
Fast drei Viertel der Deutschen (72 Prozent) sorgen sich über die Verbreitung von Falschinformationen in sozialen Medien zum Krieg in der Ukraine. 57 Prozent finden es schwierig, Informationen über den Krieg in der Ukraine richtig einzuordnen und 62 Prozent der Internetnutzer prüfen die Vertrauenswürdigkeit einer Quelle, bevor Informationen im Netz geteilt werden. Das werte ich als großen Aufklärungserfolg.
Jeder und jede sechste (17 Prozent) konsumiert seit dem Krieg in der Ukraine auch mehr internationale Nachrichten als zuvor.

Der Feind ist nicht das russische Volk

28. März 2022

Als ich einen Post der bayerischen Landtagsabgeordneten Barbara Becker vom 10. März in Instagram sah, gab ich ihr sofort recht. Der Ukraine-Krieg tobt, Putin überfällt völkerrechtlich seinen Nachbarn und die Welt setzt Sanktionen in Kraft und liefert Waffen. Und dennoch: Die Abgeordnete schrieb den richtigen Satz: „Unser Feind ist nicht das russische Volk!“

Dieser Instagram-Beitrag trifft meine Stimmung sehr gut.

Und als sich US-Präsident Joe Biden in Warschau am Wochenende an die Menschen in Russland wandte und erklärte, sie seien nicht der Feind. Präsident Putin habe sein Volk vom Rest der Welt abgeschnitten. Da gab ich Biden recht.

Wir müssen aufpassen, dass wir der Desinformation und hybriden Kriegsführung des Kreml nicht auf den Leim gehen. Für mich steht fest: Es ist richtig, sich gegen den Kriegstreiber Putin zu Wehr zu setzen. Aber ich sehe auch eine Angst unter den russischsprechenden Deutschen, die mit Putin in einen Topf geworfen werden.

Beispiele gibt es viele: Ein Fall von falsch verstandener Solidarität mit der Ukraine schlug hohe Wellen in München. Eine Klinik am Stiglmaierplatz hat mitgeteilt, keine Russen mehr behandeln zu wollen. In dem Schreiben der Privatklinik heißt es: „Die Invasion der russischen Armee mithilfe der weißrussischen Regierung wird von uns aufs Schärfste verurteilt.“ Daraus zieht die Praxis Konsequenzen: „Daher werden wir ab sofort und bis auf Weiteres keine russischen und weißrussischen Staatsbürger mehr bei uns behandeln.“
Als der Protest Wellen schlug, ruderte die Klink zurück.: Unser Schreiben vom 04.03. entstand aus der Indignation über die Vorgänge in der Ukraine und war als Zeichen der Solidarität gedacht. Uns erschien die Vorstellung an russischen „Oligarchen“ Geld zu verdienen, während in der Ukraine Zivilisten getötet werden falsch. Diese Botschaft wollten wir transportieren. Rückblickend erkennen wir, dass die Formulierung mehr als unglücklich war, zu Recht scharf kritisiert wurde und vollkommen von dem weggeführt hat, was wir eigentlich sagen wollten. Das bedauern wir zutiefst.“

Aber natürlich hatten russische vom Kreml gesteuerte Staatsmedien diese und andere Fälle aufgenommen und in unterschiedliche Kanäle transportiert. In mehreren Seminaren habe ich erfahren, dass die Community verunsichert ist. Putin gelingt es, einen Keil in die bundesdeutsche Gesellschaft zu treiben. Menschen aus Russland oder mit russischen Wurzeln sehen sich in Deutschland seit dem Angriff auf die Ukraine Anfeindungen ausgesetzt. Wie der „Spiegel“ unter Berufung auf Zahlen des Bundeskriminalamts berichtet, wurden bis Mitte März 318 strafrechtlich relevante Ereignisse registriert. Es handle sich um Sachbeschädigungen, Beleidigungen sowie Bedrohungen im Internet und auf der Straße.

Meine Kollegin die Wirtschaftspsychologin Maria Filina und ich greifen diese und andere Themen aus dem Umfeld der russischsprachigen Deutschen auf und starten eine regelmäßige Streaming-Reihe in YouTube mit dem Titel „Wie ist das Leben?“. „Wie ist das Leben?“ ist ein Ausspruch mit dem der deutsche Russland-Journalist Gerd Ruge das Eis in der russischen Bevölkerung gebrochen hat. Die erste Folge ging online.

In Russland wurden sie einst als Faschisten bezeichnet, weil sie Deutsch sprachen. In Deutschland werden sie heute als Faschisten bezeichnet, weil sie mit dem Kriegstreiber Putin gleichgesetzt werden. Viele Deutsche aus Russland, aber auch andere russischsprachige Eingewanderte aus der ehemaligen Sowjetunion fühlen sich verunsichert und diskriminiert und ziehen sich zurück. Hier müssen wir aufpassen.

Hybride Kriegsführung
Verschleierung auf mehreren Ebenen ist ein typisches Merkmal dieser hybriden Kriegsführung, bei der klassische und verdeckte Militäreinsätze, politischer sowie wirtschaftlicher Druck, Cyberangriffe und Propaganda sowie Desinformation kombiniert werden. Das kann der ehemalige KGB-Agent Putin sehr gut. Ich berichte in meinem wöchentlichen Newsletter über diesen Cyberwar. Ihren Ursprung hat die russische Desinformation in der ehemaligen Sowjetunion unter Leonid Iljitsch Breschnew. Falschinformationen über politische Gegner wurden schon damals bewusst vom KGB platziert.

Die sozialen Medien sind heute zum Konfliktfeld geworden. Falschinformationen aus Russland verteilen sich über die Welt. Putin führt den „ersten Weltinformationskrieg­­“, schreibt meine Kollegin Miriam Meckel im Handelsblatt.
Das liegt auch daran, dass Russland seine Taktiken weiterentwickelt hat. Der wichtigste Faktor im russischen Social Media-Konflikt sind nun offizielle Accounts von Kreml-gesteuerten Medienunternehmen, russischen Regierungsbehörden oder Regierungsbeamten. Diese verbreiten auf Social Media falsche oder irreführende Informationen und werden von privaten Accounts weiterverbreitet. Bei Accounts von Privatpersonen greifen Twitter und Facebook schneller durch, sie löschen Beiträge oder sperren gleich ganze Profile. Doch Accounts, die zu einer Regierung oder einem großen Medienunternehmen gehören, wird sehr viel mehr Freiheit gewährt.

Gedanken zum 50. Geburtstag von Michael Schumacher

3. Januar 2019

Heute wird Michael Schumacher 50. Jahre alt und natürlich gratuliere ich dem vielfachen Weltmeister zum Geburtstag und wünsche ihm alles Gute. Er kann sicher die Genesungswünsche brauchen. Michael Schumacher hatte bei einem Skiunfall im Dezember 2013 ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Es gibt so gut wie keine Meldungen über seinen aktuellen Gesundheitszustand. 

Gestern, am Tag vor seinen 50. Geburtstag, hatte sich seine Familie via Facebook gemeldet und den Fans für die Grüße und Wünsche gedankt: „Wir freuen uns darüber und möchten uns von ganzem Herzen bedanken dafür, dass ihr Michaels 50. Geburtstag morgen gemeinsam mit ihm und mit uns feiert.“ 

Familie Schumacher dankt und bittet um die Achtung der Privatsphäre.

Familie Schumacher dankt und bittet um die Achtung der Privatsphäre.

Im Netz lese ich neben vielen Genesungswünschen immer wieder Kommentare mit Forderungen nach Infos über seinen aktuellen Gesundheitszustand. Meinungen wie: Früher waren wir Fans gut genug und heute sind wir denen nichts mehr wert. 

Nun, Michael Schumacher ist natürlich eine Person der absoluten, nicht nur der realtiven Zeitgeschichte, aber solch dumme Kommentare hat der siebenfache Formel 1-Weltmeister nicht verdient. Wer ein wirklicher Fan oder einfach nur ein Mensch mit Manieren ist, für den gilt meiner Meinung nach: Lasst den Mann und seine Familie einfach in Ruhe. Wenn es entscheidende Fortschritte über seinen Gesundheitszustand gibt, wird es uns die Familie schon mitteilen, aber sonst einfach Fresse halten. 

Die Familie Schumacher dazu in Facebook: „Bitte habt Verständnis, wenn wir uns nach Michaels Wünschen richten und ein so sensibles Thema wie Gesundheit, so wie früher auch immer, in der Privatsphäre belassen.“

Natürlich sollen die Fans an Schumachers Geburtstag ihr Idol feiern und sich an die sportlichen Erfolge erinnern. Das steht außer Frage. Aber das permanente Einforderung des Gesundheitszustandes geht meiner Meinung nach zu weit. 

Und nachdem je mittlerweile jede durch soziale Netzwerke ein Massenmedium ist, wird im Falle Michael Schumacher schlimmer Schindluder getrieben. Fake News verbreiten sich in Windeseile. Ich habe hier eine solche Falschmeldung, die ich in meinen Seminaren über Fake News verwende. Mit dem Kommentar „Ruhe in Frieden“ wird über den Tod des Rennfahrers berichtet. „Michael Schumacher nach jahrelangen Kampf verstorben – Welt“ Durch den Zusatz „Welt“ wird der unbedarfte Leser aufs Glatteis geführt, denn man nimmt an, dass es sich um die Springer-Zeitung „Die Welt“ als Quelle handelt. Es ist aber alles komplett gelogen. Und es ist einfach nur ekelhaft.

Fake News zum vermeintlichen Tod von Schumacher. Ekelhaft.

Fake News zum vermeintlichen Tod von Schumacher. Ekelhaft.

 

Lust der Täuschung in der Kunsthalle München

25. Dezember 2018

Wem die Zeit zwischen Weihnachten und Jahreswechsel zu langweilig wird und etwas Zerstreuung sucht, dem sei die unterhaltsame Ausstellung Lust der Täuschung in der Kunsthalle München empfohlen. Es ist ein Streifzug von der antiken Kunst bis zur VR, ideal für ein breites Publikum. Bis zum 13. Januar 2019 hat die Ausstellung Lust der Täuschung geöffnet. 

Beim ersten Durchgang war ich zugegeben etwas enttäuscht. Ich hatte mir etwas anderes erwartet, mehr Ausstellungsstücke im Stile von Maurits Cornelis Escher und seinen unmöglichen Figuren. 

Die Ausstellung fasst über vier Jahrtausende Augentäuschung zu einem Kunsterlebnis zusammen. Dabei gilt es, sowohl unbekanntere Künstler zu entdecken als auch Werke großer Meister der Kunst- und Designgeschichte zu bestaunen, darunter Cornelis Gijsbrechts, Viktor&Rolf, Laurie Anderson, Jean Paul Gaultier, Thomas Demand und viele weitere. Für mich waren Gerhard Richter und Andy Warhol sicherlich die absoluten Highlights. 

Zu Laurie Anderson konnte ich nur reinschauen, aber die Schlange der Besucher war zu lange und so hatte ich für diese großartige Künstlerin keine Zeit – und das tut mir sehr leid. Ein Foto des Raumes – mehr war nicht drin.

only you can make me feel this way von Philipp Messner

Als Medienfuzzi fand ich zwei, drei Werke sehr interessant, die mich zum Nachdenken gebracht haben. Gleich zu Beginn der Ausstellung Lust der Täuschung traf ich auf die Masken des in München arbeitenden Künstlers Philipp Messner. Der Titel: only you can make me feel this way Er fragt in unseren digitalen Zeiten nach Identität und Privatsphäre. Gesichtserkennung und digitaler Daumenabdruck sind allgegenwärtig und Messner antwortet mit seinen Masken für jedermann, denn die Überwachungskameras lassen sich täuschen. Es gibt ein ausdrucksstarkes Foto von Philipp Messner unter einer Überwachungskamera am Münchner Hauptbahnhof, der durch den Grundig-Schriftzug erkennbar ist. 

Newspaper von Robert Gober

Nachdem ich als Referent im Moment sehr viel über Fake News spreche, hat mich das Werk Newspaper von Robert Gober von 1992 angesprochen. In einer Ecke der Kunsthalle liegt ein Stapel von gebündelten Tageszeitungen. Ich verstand die Absicht von Gober nicht, beugte mich über den Zeitungsstapel und bekam eine Ermahnung von einem Guide der Kunsthalle. Erst beim Lesen der Artikel erkannte ich die Fake News. Gober manipulierte die Artikel und Fotos. Es handelt sich um die Diskriminierung von Homosexuellen durch den Vatikan. Dieses Ausstellungsstück war für mich aktueller denn je: Fake News in den Medien – der Spiegel lässt zum Jahresende 2018 grüßen.

Virtuelle Welten

Im Vorfeld des Besuchs haben mir viele Besucherinnen und Besucher den Tipp gegebenen: „Du musst dir die VR-Installation ansehen, die haut dich um.“

Nun, das tat sie nicht. Es ist eine Standard-VR-Umgebung. Das Laufen auf einem Brett in großer Höhe. In den Staaten habe ich eine ähnliche Simulation mal ausprobiert, die aber noch mit Ventilatoren arbeitete, um einen 4D-Effekt heraufzubeschwören. 

Was mich mehr in München beeindruckte, war die Reaktion der Besucherinnen und Besucher, die das erste Mal mit virtueller Realität in Beruhigung kamen. Die Probanden schreckten auf, bekamen Angst, manche riefen auf, als die wohl das erste Mal in ihrem Leben eine VR-Brille übergezogen bekamen. Als Gamer, der seit längerer Zeit VR-Spiele mit der Sony VR spielt, ließ mich die Installation in der Kunsthalle völlig kalt. Und mit mir absolvierten viele jungen Menschen, die mit Videogames aufwachsen, das Abschreiten über das Brett mit Leichtigkeit.

Aber der Kunsthalle gehört hier meine größte Hochachtung. Sie bringen das Thema VR einer breiten Schicht von Bevölkerung näher. Menschen, die absolut keine Gamer sind oder in VR-Umfeld arbeiten. Hier leistet die Kunsthalle einen großen Dienst für die Medienkompetenz, in dem sie einen kunstinteressiertem Otto Normalverbraucher die virtuelle Realität näher bringen, eine Welt, die für eine ganze Generation bereits völlig normal ist. Das ist für mich vielleicht die größte Erkenntnis des Ausstellungsbesuchs Lust der Täuschung in der Kunsthalle München.

Aktionskunst in der Kunsthalle

Am Ende der Ausstellung stieß ich auf einen wunderbaren Scherz, eigentlich war es ein doppelter Scherz. In einer Ecke war ein junges Mädchen mit Cape gelehnt. Sie blicke Richtung Wand und hatte sich ein Shirt über den Kopf gezogen. Eine Puppe? Schließlich waren wir in dem Raum der Modepuppen mit Kostümen von Gautier. 

Auf einer Bank in der Nähe saß eine zusammengesunkene junge Frau in einem Hoodie mit der Aufschrift Abitur 2017. Sie bewegte sich auch nicht. Vielleicht auch eine Puppe? Besucherinnen und Besucher blätterten im Katalog und fotografierten die beiden Damen. Ist das eine Installation? Ist das Kunst? Ich setzte mich neben die Frau, machte ein Selfie. Irgendwann fragte eine Aufpasserin die Puppe bzw. Frau auf der Bank, ob es ihr nicht gut gehe. Und da löste sich die Aktionskunst auf. Das junge Mädchen lachte und erhob sich. Freunde von ihr hatten die ganze Aktion gefilmt. Besucherinnen und Besucher, auch ich, klopften der jungen Dame auf die Schulter und beglückwünschten sie zur gelungenen Kunstaktion. Die Truppe zog weiter, nur die Dame, die sich mit dem Kopf gegen die Wand lehnte, blieb bewegungslos zurück. Vielleicht doch eine Puppe? 

Die Lust der Täuschung endete mit dieser humorvollen Lust auf Täuschung. 

Stern: Hitler-Tagebücher, die Fake News vor 35 Jahren

18. September 2018

Bringt viel Lichts ins Dunkel: Das Buch über die Hitler-Tagebücher.

Bringt viel Lichts ins Dunkel: Das Buch über die Hitler-Tagebücher.

Ich könnte mir in den Hintern beißen – Verzeihung für meine Ausdrucksweise. Ich Depp habe meine Originalausgabe mit der Enthüllung der Hitler-Tagebücher vom Stern irgendwann ins Altpapier gegeben. Wie konnte ich als Sammler so blöd sein, solch ein medienhistorisches Dokument einfach wegzuwerfen. Jetzt kocht der Ärger über mich wieder hoch. Dieser Tage wird die Enthüllung der Hitler-Tagebücher 35 Jahre alt. Diese Tagebücher entpuppten sich als Fälschung. Der renommierte Stern saß einer Ente auf, verlor an Reputation und fiel ganz tief. 

Im Moment läuft gerade eine Ausstellung zum 70. Geburtstag des Sterns in Hamburg. Wenn ich Zeit habe, schaue ich sie mir als Medienfuzzi an. Der Stern hatte insgesamt 62 Bände von dem Fälscher Konrad Kujau angekauft und dafür 9,3 Millionen DM gezahlt. Obwohl sie Fälschungen sind, gehören sie zur Pressegeschichte. Die Hitler-Tagebücher hatten Wellen geschlagen. Es war einer der größten Skandale der deutschen Pressegeschichte. 

Nun, der Fall Hitler-Tagebücher ist beim Stern aufgearbeitet worden und der Verlag hat seine Konsequenzen gezogen. Es heißt, dass bei der heutigen Recherche so etwas nicht mehr passieren kann. Das glaube ich gerne. Der Mediendienste turi2 hat ein schönes Interview mit dem amtierenden Chefredakteur gemacht. 

Die Fake News sind inzwischen andere und werden heute viral in sozialen Netzwerken produziert und verbreitet. Sie stammen nicht in der Regel nicht mehr von ausgebildeten Redakteuren und Kunstfälschern, sondern von Otto Normalverbraucher, der durch soziale Netzwerke und deren Netzwerkeffekte Macht in die Hände bekommen hat. Oder die Fake News werden gleich von Regierungen selbst verbreitet. Auf einem Schüler-Seminar sprach ich einmal über Werte und dann meldete sich ein Schüler mit den Worten: „Was Sie da über Werte in einer Gesellschaft erzählen, dass verstehe ich. Doch wenn mich der mächtigste Mann der Welt regelmäßig anlügt, wen oder was soll ich dann noch glauben?“ Aber nicht nur Präsidenten lügen, ganze Parteien ballern im Stundentakt Lügen heraus. In Twitter habe ich 2015 einen schönen Spruch gelesen: Der Neider erfindet das Gerücht, der Dumme erzählt es allen und der Vollidiot glaubt es.“ 

Wir müssen besser hinschauen. Wir müssen unsere Quellen verifizieren. Wir müssen nicht alles glauben, nur weil es uns in den Kram passt. Als Lokalreporter habe ich vor 25 Jahren  gelernt, die Damen und Herren Gemeinderäte erzählen mir unter 1, unter 2 oder unter 3 nichts, ohne dass sie ein Eigeninteresse daran haben. Also wir brauchen Medienkompetenz. 

Aber zurück zum Stern und den Hitler-Tagebüchern. Wie beschrieben, habe ich meinen Stern von damals weggeworfen (unverzeihlich). Aber der Umgang mit dem Thema interessiert mich als Medienschaffender. Vor zehn Jahren, also 2008, 25 Jahre nach der Veröffentlichung der Fälschungen erschien ein sehr lesenswertes Buch von Michael Seufert Der Skandal um die Hitler-Tagebücher. Michael Seufert war damals beim Stern und wurde vom Verleger Henri Nannen beauftragt, den Skandal aufzuklären. Ich habe das Buch an einem Tag in einem Rutsch durchgelesen. Es ist sehr gut geschrieben, was kein Wunder ist, denn Journalist Michael Seufert versteht sein Handwerk. Die dargebrachten recherchierten Fakten sind belegt und gut redigiert. Seufert nimmt uns als Leser mit auf eine Reise durch Gier nach Auflage und Lizenzen. Nun, es ist natürlich nicht so komisch wie Dietls Schtonk!, für mich eine hinreißende Verfilmung des Stoffes, sondern das lesenswerte Buch ist schon eine Aufarbeitung, die es in sich hat. Das Buch zeigt Abgründe aus dem Mediengeschäft, widerliche Abgründe von Selbsttäuschung eines Medienhauses. Absolute Leseempfehlung für Der Skandal um die Hitler-Tagebücher von meiner Seite.