Posts Tagged ‘Lost Place’

Filmtipp: Suzume von Makoto Shinkai

15. April 2023

Vielleicht ist es ja Schicksal, dass ich an dem Tag an dem deutsche Atomkraftwerke abgeschaltet werden über den japanischen Anime-Film Suzume blogge.

Der Film von Großmeister Makoto Shinkai behandelt sehr geschickt das japanisches Trauma Fukushima, ohne den Ort oder das Ereignis der Atomkatastrophe beim Namen zu nennen. Das Unglück kommt am Rande des rauschenden Bilderflusses vor. Für deutsche Zuschauer faszinierend ist das funktionierende Handywarnsystem vor Katastrophen. Katastrophen über Hiroshima und Nagasaki und die Erdbeben sind ein Motiv im japanischen Film und Makoto Shinka bringt diese Thematik in eine neue Zeit zu einem neuen Publikum, moderner als Akira und Godzilla. Die Katastrophe, die jederzeit hereinbrechen kann, ist ein klares Motiv des Films.

Suzume ist ein bildgewaltiger Film über Verlust und Vernichtung – und es ist ein Film über die Suche nach Liebe eingebettet in typischen Naturaufnahmen, wie wir sie bei Makoto Shinkai vergangenen beiden Filmen Your Name und Weathering with You gewohnt sind. Shinkai, der inzwischen in die Oscar-Jury aufgenommen wurde, versteht es wie kein Zweiter im Anime-Kino die Komplexität, Schönheit und Gewalttätigkeit von Natur auf die Leinwand zu bringen. Natur kommt wahnsinnig hyperrealistisch ins Kino.

Aber er bringt auch typisch japanische Erzählweise auch Gewalt in seine Filme. Bei Suzume ist es der rote Wurm, der Erdbeben auslöst. Das Verderben schlummert in der Erde und bricht immer wieder aus, verursacht Erdbeben und bringt den Tod und Verwüstung. So auch bei der Hauptdarstellerin Suzume, die als vierjähriges Kind ihre Mutter bei einem Erdbeben verlor und durch die verwüstete japanische Landschaft irrte. Sie wurde von ihrer Tante Takami aufgenommen und großgezogen und begegnet im jugendlichen Alter einen Fremden, der sie nach Türen in Lost Places fragt. Diese Türen müssen geschlossen werden, damit der rote Wurm nicht aus der Erde hervorbricht und Beben auslöst. Dieser Lehramtsstudent bezeichnet sich als Schließer und ist in der familiären Tradition der Schließer. Es gilt einen Schlussstein zu setzen, um den Wurm zu zähmen. Blöderweise hat Suzume einen Schlussstein entfernt und den Tornado roter Wurm entfesselt.

Makoto Shinkai erzählt die Geschichte mit viel Details und unglaublich viel Humor. Der dreibeinige Stuhl, in den der Geist des Heiden eingeht, zeugt von Humor, hat aber auch einen tieferen Sinn des Verlustes. Der Stuhl, der durch das Erdbeben ein Bein verlor, ist die letzte Erinnerung an die Mutter von Suzume. Makoto Shinkai sagt zu seinem Film: „Suzume steht stellvertretend für all die Kinder, die im Erdbeben ihre Eltern verloren haben. Suzumes Geschichte, ihre Reise, ist sehr traurig und schwer. Ich wollte einen unterhaltenden Gegenpart an ihre Seite stellen. Etwas, dass die Stimmung ein bisschen auflockert. Ein Stuhl mit drei Beinen. Das ist erstmal lustig, denn ein dreibeiniger Stuhl bewegt sich komisch. Aber es steckt mehr dahinter, denn der Stuhl wurde vom Tsunami mitgerissen und hat ein Bein verloren. Es ist aber auch eine Metapher auf die Seele von Suzume. Das fehlende Stuhlbein steht stellvertretend für ihre Mutter, die sie verloren hat. Sie lernt aber: Selbst wenn man etwas im Leben verloren hat, kann man weiterleben, weiterlachen, sich sogar verlieben.“
Das klingt alles nach Fantasie. Aber Suzume ist mehr. Filmisch gesehen ist der Anime ein gewaltiges Roadmovie mit dem klassischen Thema der Suche. Suzume sucht sich selbst und durchstreift Städte und Gemeinden Japans mit dem Rad, mit dem Motorrad, mit dem Sportwagen, mit dem Zug – die Karte immer im Blick. Ein Film, der sich wirklich im großen Kino lohnt. Ich hab den Film im Scala Kino Fürstenfeldbruck gesehen, das eine regelmäßige Anime-Reihe durchführt.

Buchtipp: Soviet Ghosts: The Soviet Union Abandoned: A Communist Empire in Decay von Owen Evans und Rebecca Litchfield

22. Februar 2023

Nachdem ich in dieser Beziehung ein Weichei bin und Bammel habe, gesicherte Lost Places in meiner Umgebung zu betreten, schaue ich mir gerne Bücher oder Videos zu diesem Thema an. Lost Places sind verlassene Orte, die vom Menschen aufgegeben und der Natur verlassen wurden. Es gibt ja mittlerweile Hunderte von Büchern aus diesem Subgenre, so dass ich bequem vom Sofa aus mich auf Expeditionsreisen zu diesen reizvollen, geheimnisvollen Plätzen machen kann.

Mich reizt dieser morbide Charmes des Vergessenen. Was vom Menschen geschaffen wurde, wird von der Natur zurückerobert. Alles ist dem Zerfall preisgegeben. Meine Gattin schenkte mir das Buch Soviet Ghosts: The Soviet Union Abandoned: A Communist Empire in Decay. Gerade der Zerfall der Sowjetunion hat einige Perlen dieser Lost Planes ans Tageslicht gebracht, die ich aufgrund der räumlichen Entfernung wohl niemals besuchen kann.
Die grausame sozialistische Architektur wird von der Natur zurückerobert und es entstanden ungewöhnliche Fotos von Owen Evans und Rebecca Litchfield. Das englischsprachige Buch lebt von diesen außergewöhnlichen Fotos. Die Reiseorte sind Orte in ehemaligen Sowjetrepubliken und Warschauer Pakt Staaten. Verlassene Gefängnisse, Heilanstalten, Kliniken, Militäreinrichtungen.

Die meisten Bilder sind ein dunklen Farben aufgenommen und wahrscheinlich nachbearbeitet. Spiegelungen in Wasserpfützen verstärken den verlassenen Eindruck. Grelle oder bunte Farben gibt es bei den gedeckten Bildern weniger zu entdecken, außer das Rot des menschenverachtenden Kommunismus, das auf abgerissenen Fahnen oder Plakaten zu sehen ist. Viele der Fotos sind in Zentralperspektive aufgenommen, das bedeutet wenig Spiel mit Perspektiven, sondern klare, sachliche Strukturen. Zentralperspektive kann auf Dauer ein wenig langweilig wirken, aber sie lenkt nichts ab – im Mittelpunkt steht der Verfall. Das Auge der Fotografen sucht die Linien der Gebäude und der verlassenen Einrichtungsgegenstände wie Möbel und Haushaltsgegenstände.

Buchtipp: Baikonur: Vestiges of the Soviet Space Programme von Jonk

12. Februar 2023

Seit ich Kind bin war ich von Raumfahrt fasziniert – und ich interessiere mich für Lost Places. Daher war die Verbindung dieser beiden Themen immer reizvoll und ich würde fündig. Die Sowjets hatten ein Shuttles Programm, das sie aufgeben mussten und ihre Buran-Shuttles und Hangar in Baikonur sind dem Verfall preis gegeben. Voller Begeisterung schaute ich ein YouTube-Video von Bob Thissen, der mit Freunden in Baikonur eingestiegen ist und atemberaubende Videos von den Buran-Shuttles gedreht hat. Das Video gibt es hier.

Ich wollte mehr von diesem Stoff. Und daher kaufte ich mir das erste Lost Place Buch zu diesem außergewöhnlichen Themenkomplex: Baikonur: Vestiges of the Soviet Space Programme von Jonk. Heute gibt es einige Bücher und Videos zu dem Thema, aber Jonk war meines Wissens der erste, der ein Buch über diesen Lost Place veröffentlichte. Der Autor nimmt uns in seiner Reportage mit nach Kasachstan. Der Kosmodrom Baikonur in Kasachstan wurde in den 1950er Jahren von den Sowjets gegründet. 1976 begann das sowjetische Shuttle-Programm. Von Baikonur aus wurde 1988 das erste sowjetische Raumflugzeug, Buran zu Deutsch Schneesturm, als Antwort auf das US-amerikanische Space Shuttle gestartet. Es flog aber nicht wie die amerikanischen Shuttles in den Weltraum, sondern umrundete 1988 die Erde. Der unbemannte Flug endete erfolgreich mit einer automatischen Landung nach zwei Erdumkreisungen in 206 Minuten.

Wir sehen Bilder der Raumfähre Buran 1.02 und des Prototyp OK-MT, Spitzname „Vögelchen“. Der Bau von Buran 1.02 wurde 1990 beendet, obwohl auch hier noch einige Systeme fehlte.
Jonk steigt mit Hilfe von drei Helfern in das heute verlassene Gelände ein und liefert uns faszinierende Bilder von verfallener Technik. Das Buran-Programm wurde im Sommer 1993 während der Präsidentschaft von Boris Jelzin aus Geldmangel offiziell beendet. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 hatte Russland die Kosten für Buran allein zu stemmen.

Dies war das erste Mal, dass Fotos dieser spektakulären Orte in einem Buch veröffentlicht wurden. Jonk reiste im Schutze der Nacht 20 km durch die kasachische Wüste, betrat die Hangars heimlich und verbrachte dort drei Nächte versteckt vor militärischen Sicherheitskräften, um eine Fotoreportage von diesem Ort zu erstellen. Jonk stellt uns seine hervorragende Sammlung von Fotos vor, die er in dem stillgelegten Teil des Kosmodroms Baikonur aufgenommen hat. Er zeigt dem Leser nicht nur diese erstaunlichen Bilder, sondern beschreibt uns auch das Abenteuer des Besuchs eines weltweit einzigartigen Ortes. Viele Aufnahmen der beiden Orbiter und ihrer Details aus verschiedenen Perspektiven sind zu sehen, und erstaunliche Bilder der Energija-Trägerrakete.

Und vielleicht ist auch dies das Problem mit dem Buch. Die ersten 50 Seiten berichten von der sicherlich anstrengenden Reise zu diesem Lost Place. Wenn ich ehrlich bin, interessierte mich dies weniger, denn ich wollte ja eigentlich die Bilder von diesem geheimnisvollen Platz sehen. Die bekam ich dann auch: Raumgleiter von oben, von unten, von der Seite, von links unten, von rechts oben und nur ein Bild vom Inneren des Cockpits. Das ist grandios und enttäuschend zugleich, denn ich bin dermaßen vom Thema angefixt, dass ich mir oben genannten Video immer wieder angeschaut habe, die meinen Voyeurismus befriedigen.
Natürlich kann ich das Buch von Jonk empfehlen, obwohl ich gerne mehr Bildunterschriften gehabt hätte, die mir die Fotos besser erklärt hätten. Der Fotograf vergisst aber auch nicht die Büros, Werkstätten, Archive und Wartungsräume, die viele Einblicke in den Arbeitsalltag einer Raumfahrttechnikeinrichtung geben. Das ist wahre Kunst.
Die Bilder wurden nur leicht nachbearbeitet und die Objekte erscheinen in einem gelblichen, warmen Licht. Das unterscheidet das Buch von zahlreichen Lost Places, die mithilfe von Lightroom und Co einen Eindruck der Apokalypse vermitteln.

Lost Place: S-Bahnhof Olympiastadion in München

21. Juni 2022

Normalerweise darf man den Ort eines Lost Place nicht verraten, aber in meinem Fall ist es offensichtlich. Der Platz ist bekannt: Es handelt sich um den S-Bahnhof Olympiastadion in München.

Es ist schon eine seltsame Atmosphäre. Ich hatte hinter dem Bahnhof lange Zeit gearbeitet, aber seinen Betrieb nicht mehr erlebt. Der Bahnhof wurde für die olympischen Spiele 1972 gebaut, um die U-Bahn zu entlasten und 1988 stillgelegt. In bester Münchner Baulage verfällt diese Infrastruktur zum Geisterbahnhof. Abgerissen darf dieses Bauwerk nicht, denn es steht unter Denkmalschutz.

Die Bahnlinie schloss 1858 einstmals Landshut an die bayerische Landeshauptstadt an. Dann gab es eine andere Trassenführung und erst 1972 wurde der neu errichtete Bahnhof zu den Olympischen Spielen angefahren. Anschließend wurde die Strecke nur bei speziellen Fußballspielen und Veranstaltungen wie der Katholikentag 1984 im Olympiastadion aktiviert.

Am 8. Juli 1988 wurde der Bahnhof geschlossen, nachdem Kinder bei Berühren der Hochspannungsleitung gestorben waren. Seitdem verfällt der Bahnhof. Das Gelände ist zu weiten Teilen mit Bauzäumen formal abgesperrt. Bei meinem Besuch standen die Zäume weit offen und ich schaute kurz zu diesem Lost Place. Am Eindrucksvollsten waren für mich die Gleise samt Vegetation, die mich an ein Videospiel oder einen Endzeitfilm erinnerten.

Lost Place: Die Glasfabrik in Windischeschenbach

12. November 2020

Die Oberpfalz in Bayern war ein Ort der Porzellan- und Glasfabriken. Beide Industriezweige sind zusammengebrochen und die Stadt Windischeschenbach kann ein Lied davon singen. Am Bahnhof, das Bahnhofsgebäude ist längst geschlossen, sehen wir die leerstehenden Industriedenkmäler vergangener Zeiten – auf der einen Seite der Gleise Porzellan, auf der anderen Seite Glas.

Nachdem mein Zug Richtung Regensburg ausgefallen ist, schaute ich mir eine Stunde die alte Glasfabrik Hofbauer von außen näher an. Das Betreten des Geländes ist ausdrücklich untersagt. Wenn ich mir die Gebäude so ansehe, droht Einsturzgefahr. Schilder weisen darauf hin, dass das Gelände per Video überwacht wird – Kameras hab ich allerdings auf den ersten Blick nicht gesehen, dafür mit einen Anlieger gesprochen, der gerne mal die Polizei ruft.

Seit 1996 liegt das Gelände brach. Insgesamt 127 000 Quadratmeter Altlasten hat die ehemalige Bleikristallfabrik hinterlassen. Einstmals gab die Fabrik Lohn für rund 1000 Familien. Im Zweiten Weltkrieg wurden hier Weck-Gläser hergestellt. Heute verfällt das Gelände und ist eine traurige Industrieruine.

Im Netz fand ich einen Rundgang durch das Fabrikgelände.

Lost-Place-Buchtipp: Naturalia: Overgrown Abandoned Places von Jonathan Jimenez

26. Mai 2020

Ich mag die Lost Place-Fotografie und hab schon oft in diesem Blog über Bücher zum Thema geschrieben. Mittlerweile habe ich eine Schrankwand zum Fotogenre voll. Heute stelle ich ein Buch vor, dass sich der Thematik aus einer interessanten Perspektive nähert: Wie sich das Grün seinen angestammten Raum zurückerobert. Das wurde in dem Buch Naturalia von Jonathan Jimenez wunderbar herausgearbeitet.
Er zeigt nicht nur vergessene, verlassene Orte aus aller Welt. Das machen viele, aber seine Herangehensweise ist eine andere. Er zeigt vor allem, wie das Grün diese Orte zurückerobert, mal langsam, mal vorsichtig, mal brutal gewalttätig, aber immer unausweichlich. Die lebende Natur siegt über tote Materie. Es brechen Bäume und Sträucher aus dem Betonboden hervor und wirken auf den Betrachter bizarr. Die Natürlichkeit als Eindringling in eine verfallene Welt.
Die meisten Fotos von Jonathan Jimenez in dem Buch Naturalia: Overgrown Abandoned Places sind aus Innenräumen heraus aufgenommen mit einem Blick aus den Fenstern und den zusammengebrochenen Wänden zeigen das Grün von außen – mal bedrohlich, mal vorsichtig, aber immer konsequent. Die grüne Wand schließt die Räume ein, umschließt sie regelrecht.

Die Bilder der Gebäude von außen erweckten bei mir den Eindruck eines verwunschenen Schlosses, wenn das Grün die Wände empor schlängelt und nach einem Eingang sucht, um sich verlorenes Terrain zurück zu erobern.
Die Atmosphäre ist durch das Grün immer warm, obwohl die Bilder den Verfall der Zivilisation beschreiben. Mal sind es Schulen, mal Fabriken, mal herrschaftliche Häuser und Anwesen, mal Hallen – am meisten haben mich verlassene Kirchen beeindruckt. Von den Aufnahmeorten berichtet Jonathan Jimenez natürlich nichts. Das macht ein Lost Place-Fotograf natürlich nicht. Aber an den Details erkennt man viele Bauwerke aus Osteuropa, sei es Schriften, Marken oder Architektur.
Rundum Naturalia: Overgrown Abandoned Places ist ein schönes Querformat-Buch für Liebhaber des Genres und eine Motivation, endlich mal wieder Lost-Places-Fotos zu machen.

Buchtipp Lost Places: Vergessene Welten – Produktion eingestellt von Agnes Hörter

27. Februar 2020

Schönes Buch von Agnes Hörter.

Schönes Buch von Agnes Hörter.

Ich bin fasziniert von Lost Places, von vergessenen Orten. Orte, bei denen einstmals das Leben tobte, die aber dann aufgegeben wurden, aus welchen Gründen auch immer. Ich habe eine ganze Reihe von Büchern über diese Orte aus aller Welt gesammelt und bin ich verschiedenen Facebook-Gruppen, die über ihre Exkursionen zu diesen Lost Places berichten. Ich selbst habe kaum Expeditionen in diese Orte vorgenommen – aus verschiedenen Gründen, aber die Magie dieser Orte fasziniert mich.
In einer Facebook-Gruppe stieß ich auf ein Angebot von Agnes Hörter. Sie hat im Selbstverlag ihr Buch „Vergessene Welten – Produktion eingestellt“ angeboten. Es erschien in einer Auflage von 100 Exemplaren und ich finde, solche Projekte müssen einfach unterstützt werden. Also bestellte ich das Buch mit Widmung. Dieser Tage wurde es – exzellent verpackt – geliefert.

Buch 30 von 100. samt Widmung.

Buch 30 von 100. samt Widmung.

Ich habe den Band 30 von 100 und ich freue mich sehr über das wertige Buch. Wie der Untertitel „Produktion eingestellt …“ verrät, geht es um verlassene Industrie- und Handwerksbetriebe, die mehr oder weniger verfallen. Ich habe magische Orte gefunden, in denen die Zeit stehen geblieben ist. Agnes Hörter hervorragendes fotografisches Auge hat Töpfereien, Glasfabriken, Heizkraftwerke, Papierfabriken, Schokofabriken, Ziegeleien und allerhand Volkseigene Betriebe der ehemaligen DDR fotografiert. Die Bilder wechseln von Totalen bis hin zur Detailfotografie.
Jeder Ort bekommt eine kurze historische Einführung und natürlich wird nicht verraten, wo dieser Ort ist. Das macht man in der Lost-Place-Branche natürlich nicht.

Leider – und das ist meine einzige Kritik an diesem wunderbaren Buch – wird nicht verraten, mit welcher Technik die Fotos aufgenommen und nachbearbeitet wurden. Welche Kameras, welche Optiken wurden eingesetzt, welche Bildbearbeitung kam zum Zuge. Hier hätte ich gerne ein wenig für mich selbst gelernt. Ich vermute, die meisten Bilder entstanden im Stil der Available Light-Fotografie mit Langzeitbelichtung mit Stativ, aber ich weiß es nicht (würde es aber gerne wissen).
Der Streifzug durch die verlassenen Orte hat aber auch einen enormen historischen Wert. Einige der Gebäude wurden nach den Aufnahmen abgerissen. Vorher war Agnes Hörter noch mit ihrer Kamera da und drückte ab. Hier leistet Agnes Hörter einen wertvollen Beitrag zur Industriegeschichte unseres Landes. Es lässt sich erkennen, unter welchen Bedingungen an diesen Orten gearbeitet wurde. An vielen Orten liegen die Produktionsmittel noch herum. Die Arbeiten haben den Ort verlassen, als ob sie zur Mittagspause gegangen sind. Zurückgekehrt sind sie allerdings nicht mehr. Die Bilder dokumentieren die Arbeitsschritte vergangener Tage. Ich freue mich, dass ich das Buch erworben habe. Auf dem Cover steht klein „Band 1“. Also hoffe ich auf einen Band 2 und ich bin wieder als Käufer dabei.

Lost Place: Hitlerbrücke im Landkreis Fürstenfeldbruck

19. November 2019

Ein Kennzeichen eines Lost Place ist, dass der Standort nicht verraten werden soll. Nun, dass ist bei der verlassenen Eisenbahnbrücke im Landkreis Fürstenfeldbruck (Bayern) nicht der Fall. Hier gibt es ein großes Bauwerk in der Nähe von Emmering, das als Hitlerbrücke in den Sprachgebrauch im Landkreis eingegangen ist. Die Bewohner in den Anwohnergemeinden sind von diesen braunen Namen nicht gerade begeistert. Die 1939 gebaute Brücke wurde lange Zeit bei Google Earth als Hitlerbrücke getaggt. Heute findet man die Brücke als Kletterbrücke.

Es gibt keinen klaren Weg zur Brücke. Wer sich durch das Gestrüpp gekämpft hat, stößt auf einen monumentalen Bau, der zum Teil im Boden versunken ist. Bäume und Sträucher wachsen darauf, die Natur holt sich den Zweckbau zurück. Es ist heute eine illegale Partylocation und einen Ort für Kletterer. Der Ort ist über und über mit Graffiti bedeckt: Witzige Motive, einfache Tags und langweilige Schmierereien. In einer Ecke sind zahlreiche Spraydosen als Müll zurückgelassen. Achtlos wurden die Dosen zu Boden geworfen und bleiben dort einfach liegen. Am Brückenbau finden sich zudem einige Kletterhaken. Immer wieder treffen sich Freizeit- und Profikletterer an der Brücke und üben das Abseilen. Hier zwei 360 Grad Videos – die Brücke von außen und von innen.

Die Hitlerbrücke war im Dritten Reich Teil des sogenannten Nordrings. Die Brücke wurde 1939 gebaut, als Überführung für die Straße über Gleise, die zum Münchner Nordring für den Güterverkehr gehörten. Hitler in seinem Wahn wollte bei der Friedenheimer Brücke in München einen Mega-Güterbahnhof auf einer 141 Meter hohen Kuppel schaffen. Daraus ist nichts geworden. Den Namen Hitlerbrücke gab es nie offiziell. Meines Wissens hatte die Brücke nie einen richtigen Namen.

Die Brücke wurde errichtet, um darüber die Straße nach Eichenau und Olching zu führen. Dazu kam es nicht. Die Gleise wurden kaum benutzt und nach dem Krieg demontiert. Zum Kriegsende soll ein Gefangenentransport an der Brücke gehalten haben. Laut Erzählungen soll die SS Gefange aus einem Wagon getrieben haben. Ob es sich KZ-Häftlinge handelte, ist unbekannt.
Die braune Zeit liegt lange zurück und sie darf nicht wiederkommen. Die Brücke verfällt. Ich habe mir das Bauwerk ausführlich angeschaut. Heute kommt es immer wieder zu illegalen Partys. Zuletzt im August 2019 als ein DJ großes Equipment mit Generator aufbaute und die Gegend mit Rave-Musik beschallte. Die Polizei schritt ein und der DJ erhielt eine Anzeige.

Café Rieger in FFB – eine Institution meiner Jugend ist geschlossen

26. Februar 2019

Beim Durchblättern von Fotoalben meiner Kindheit entdeckte ich Faschingsfotos von mir. Meist ging ich als Cowboy. Ein paar Mal versuchte ich mich als Zorro, denn das schwarze Cape und der Degen beeindruckten mich. Leider war die Kombination Brille und Zorro-Maske für mich als Brillenträger etwas unglücklich. Ich war als Kind beim Kinderfasching beim Café Rieger in meiner Heimatstadt Fürstenfeldbruck anzutreffen. Der Kinderfasching hatte Tradition. 

Das Café Rieger in Fürstenfeldbruck bleibt wohl dauerhaft geschlossen.

Das Café Rieger in Fürstenfeldbruck bleibt wohl dauerhaft geschlossen.

Ein Zufall führte mich nach Fürstenfeldbruck und ich dachte mir: Der Fasching naht und ich möchte ein exzellentes Stück Torte essen. Also auf zum Café Rieger in die Heimstättenstraße. Und ich wollte mit dem Personal vom Rieger über die Kinderfaschinge vergangener Tage sprechen, die ich so genossen habe. Vielleicht gibt es diese Faschingsfeiern ja heute noch. 

Doch als ich beim Café Rieger eintraf, stand ich vor verschlossenen Türen. Das Café ist seit langem geschlossen. Die Schaufenster sind verhangen. Dort wo der Sichtschutz abgefallen ist, kann man noch in die verlassenen Räume blicken. Die braune Theke ist noch da. An die Decke der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts kann ich mich noch erinnern. Scheinbar wandelte sich das Café Rieger von Café, Bäckerei und Konditorei auch zum Pilspub, aber das weiß ich nicht genau. Es war die einzige Bäckerei im Brucker Westen. Die Backwaren waren hervorragend, nicht so schnöde Teiglinge aus dem Backshop. 

An die Decke erinnere ich mich noch.

An die Decke erinnere ich mich noch.

Ich sprach einen Mann an, der wohl in der Nähe des Café Riegers wohnte. Viel wusste er nicht zu erzählen. Seit Dezember 2017 wurde das Geschäft aus Krankheitsgründen aufgegeben. Die Bäcker-Familie habe die Stadt verlassen und der gesamte Gebäudekomplex stehe nun zum Verkauf. Backwaren und Torten müsse man woanders kaufen. Das Café Rieger wird zum Lost Place. Fürstenfeldbruck hat eine Institution verloren. Wieder ein Teil meiner Jugend verloren. 

Alte Schule als Lost Place

3. August 2018

Eine alte Schule als Lost Place

Eine alte Schule als Lost Place

Lost Places sind Plätze, die verlassen sind, aufgegeben wurden und ihre eigene Geschichte erzählen. Es gibt viele dieser Lost Places, die oft vergessen sind und dennoch weiter existieren. Ich selbst habe einige wunderbare Bücher zu dem Thema, es gibt starke Websites und ich bin Mitglied in ein paar Facebook-Gruppen, die sich dem Thema widmen.
Selbst bin ich fasziniert von diesen zum Teil märchenhaften, zum Teil erschreckenden Orten, die dem Verfall preisgegeben sind. Viele Kolleginnen und Kollegen machen sich auf die Jagd nach solchen Orten. Ich bin nicht so jemand, sondern treffe ab und zu auf einen solchen geheimnisvollen Ort und mache ein paar Fotos. Noch treibt es mich nicht über Zäune oder Mauern, um diese Plätze zu erkunden – noch. Eine Regel besagt, dass Lost Places nicht mit einem genauen Ort verraten werden dürfen.

Ich will diese Regel in diesem Fall durchbrechen, denn dem aufmerksamen Besucher ist klar, wo dieser Lost Place ist. Es handelt sich um eine Mittelschule in Bayerisch-Schwaben, die aufgelassen wurde und abgerissen werden soll. Gleich daneben wurde der Neubau errichtet und so schauen die Schüler während der Schulzeit auf ihre alte Schule als Ruine.

Als ich die neue Schule aufgrund eines Vortrags besuchte, betrachtete ich das alte Schulhaus. Es sah ein wenig aus, wie im Krieg, obwohl ich einen Krieg Gott sei Dank noch nie erlebt habe. Schüler und ehemalige Schüler erzählten mir ihre Geschichten aus dem alten Schulhaus. In Kürze werden die Bagger anrücken und Platz für eine Schulhauserweiterung machen. So gilt es für mich diesen Lost Place nochmals zu dokumentieren.