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Konzert-/Filmkritik: Koyaanisqatsi in der Münchner Philharmonie 2020

13. Februar 2020

Es gibt Filme, die schaue ich mir zur Unterhaltung an. Und dann gibt es Filme, die gehen tiefer: Filme, die einen aufwühlen und inspirieren. Filme, die einen nicht mehr loslassen und beschäftigen. Ein solcher Filme ist Koyaanisqatsi aus dem Jahre 1982. Der Film ist Teil der Die Qatsi Trilogie
Ich habe den Film zum ersten Mal im Schulkino bei mir am Gymnasium auf 16 mm gesehen und dann immer wieder mal auf DVD, mal im linearen Fernsehen. Jetzt habe ich den Film mit Live-Musik in der Münchner Philharmonie endlich auf der großen Leinwand erleben dürfen. An der Orgel spielte Stefan Moser.
Moser ist in der Filmszene kein Unbekannter. Er spielte live Orgelmusik zu verschiedenen Stummfilmklassikern, wie Nosferatu, Metropolis und Panzerkreuzer Potemkin. Ich erlebte ihn nun zum ersten Mal bei seiner Interpretation des Avantgarde-Films Koyaanisqatsi, wie er die Musik von Philip Glass spielte. Moser ist Konzertorganist, Cembalist und Kirchenmusiker und Agenturgründer von Orgelpunkt, einer Agentur für Orgelmusik.


Durch Koyaanisqatsi entdeckte ich als Jugendlicher die Minimal Music von Glass, der für mich bis dahin nur in Klassik gemacht hat. Glass war durch den Film für mich als besonderer Filmmusikkomponist etabliert. Sein Werk zu Dracula höre ich immer wieder gerne. Die Musik zu Koyaanisqatsi war für mich hypnotisch und ich ertappte mich, Als ich aus den Gasteig ging und nach Hause fuhr und immer wieder den Hopi-Gesang Koyaanisqatsi vor mich hin sang. Die Wirkung der Musik ist enorm und in Verbindung zu den Bilder beamt sie einen weg. Einen ähnlichen Effekt hatte ich bei 2001: Odyssee im Weltraum als es zum Ende hin psychedelisch wurde und ich Atmosphères von György Ligeti für mich entdeckte. Die Musik in Verbindung mit den Bildern in Koyaanisqatsi war ein Rausch. Wie in Trance saugte ich das Filmkunstwerk von Godfrey Reggio auf. Als die Endcredits über die Leinwand liefen, erwachte ich aus diesem Sog an Bilder und Tönen. Das hervorragende Orgelspiel von Stefan Moser leistete dazu einen gehörigen Beitrag.


Der Wechsel zwischen Zeitlupen- und Zeitraffer-Aufnahmen war für seine Zeit enorm. Zudem die Abwesenheit von Dialogen. Der Einsatz verschiedener Optiken wie Totale und Macro, Blenden von 22 bis 2.0 verfehlen ihre Wirkung beim Publikum nicht. Wie würde Godfrey Reggio mit heutiger Technik einen solchen Film drehen, wenn er statt Hubschrauber Drohnen einsetzen könnte? Mich hat Koyaanisqatsi auf jeden Fall inspiriert und meine Frau und ich haben anschließend viel über den ungewöhnlichen Film gesprochen. Für mich steht fest: Ich möchte 2020 stärker experimentieren – erste Anläufe sind gemacht.
Und das Thema von Koyaanisqatsi ist aktueller denn je. Die Übersetzung von Koyaanisqatsi in der Sprache der Hopi ist in etwa so: „Leben im Ungleichgewicht“. Dazu führt der Regisseur die Hopi-Gedanken an:
„Wenn wir wertvolle Dinge aus dem Boden graben, laden wir das Unglück ein.
Wenn der Tag der Reinigung nah ist, werden Spinnweben hin und her über den Himmel gezogen.
Ein Behälter voller Asche wird vom Himmel fallen, der das Land verbrennt und die Ozeane verkocht.“

Heute ist RECORD STORE DAY

18. April 2015

Heute ist der RECORD STORE DAY. Jede Branche hat ihre Feier- und Gedenktage und heute am 18. April 2015 ist eben der RECORD STORE DAY. Ich komme noch aus einer Ära, in der wir Schallplatten gehört haben. Kassetten waren nicht so mein Ding, ich mochte die Langspielplatte und die Covers.

Plakat zum RECORD STORE DAY in Coburg.

Plakat zum RECORD STORE DAY in Coburg.

Meine Bezugsquelle für Schallplatten war der Sound in Fürstenfeldbruck, der aber trotz RECORD STORE DAY vor Jahren schließen musste. Ich habe darüber gebloggt. Eine andere Quelle war der damalige Saturn Hansa (so hieß der Laden damals noch). Er befand sich auf der Theresienhöhe in München und das Schallplattenangebot war enorm. Und es gab in München noch zweimal den WOM – World of Music. Der Laden in der Münchner Sonnenstraße hatte die Billigplatten à la Nice Price für 10 Mark und in der Fußgängerzone war im Keller der hochpreisige Dealer. Ein guter Freund arbeitete dort und versorgte mich immer mit Infos über Neuerscheinungen – so lief Kommunikation damals. Später kam für mich dann der Drogeriemarkt Müller als Quelle für LPs hinzu. Im Bereich des Sendlinger Tors und in Schwabing waren die Second Hand-Händler, bei denen ich so manche D-Mark für Schallplatten ließ. Berüchtigt waren auch die Fahrten als Schüler nach London, um eine Woche die Second Hand-Läden unsicher zu machen, um vor allem britische Singles zu kaufen.

Nein, Vinyl ist kein Massenmarkt.

Nein, Vinyl ist kein Massenmarkt.

All das ist vorbei. Der Schallplattenmarkt ist zusammengebrochen. Musik ist digital. Es gibt ein gewisses Revival des Vinyls, aber wir sprechen hier nicht von einem Massenmarkt. Wenn jemand meint, seine Karriere als Plattenhändler steht aufgrund des RECORD STORE DAY bevor, kann man ihn nur warnen. Das Zeitalter der Schallplatte als Massenmarkt ist vorbei und kommt auch nicht wieder. Geblieben ist der Liebhabermarkt und ein paar Audiophile, die über richtig Geld verfügen. Der Spiegel spricht sogar von einem „Vinyl-Boom“ und das zeigt die journalistische Qualität des Magazins. Es gibt wieder Vinyl-Charts und der Spiegel veröffentlicht sie auch – für mich ein Sturm im Wasserglas.
In Zahlen heißt es: Der Bundesverband Musikindustrie meldet für 2014 insgesamt 1,8 Millionen verkaufte Schallplatten. Das sind die Zahlen von 1992. Aber um realistisch zu bleiben: Der Marktanteil des Vinyls an allen Musikverkäufen beträgt nur schlappe 2,6 Prozent.


Ab und zu gehe ich noch auf Börsen, kaufe die eine oder andere CD oder sogar noch seltene Schallplatten. Erst neulich habe ich für einen Soundtrack in Vinyl viel Geld hingelegt. Es handelte sich um den Soundtrack zum Kubrick-Film The Shining von 1980. Der wunderbare Score von Wendy Carlos mit der Musik von György Ligeti, Béla Bartok und Krzysztof Penderecki ist meines Wissens nie auf CD erschienen. Also musste die analoge Scheibe für viel Geld her und sie wurde dann gleich digitalisiert. Die letzte Schallplatte, die ich mir gekauft habe, war eine Single von den Kinks für meine Rock-o-la.
Am heutigen RECORD STORE DAY werde ich mich auf meine schwarzen Scheiben besinnen. Ich werde dieser Tage in mein Archiv hinabsteigen und meine Schallplatten durchschauen. Vielleicht finde ich den ein oder anderen Schatz zum Digitalisieren. Gerade Bootlegs von Bob Dylan hatte ich einige auf Vinyl, die ich ins digitale Zeitalter retten möchte.
Und endlich konnte ich Gladsax nutzen. Gladsax ist kein spezielles Saxophon, sondern ein Bilderrahmen für Schallplatten von IKEA. Bei meinem jüngsten IKEA-Besuch habe ich drei Gladsax-Rahmen mitgenommen. Ich rahmte drei Picture Disc, über die schon einmal gebloggt habe. Gladsax hat die Größe von 32×32 Zentimeter und ist ideal für Schallplatten. Also kamen unlängt Bob Dylan, Elvis Presley und Jimi Hendrix hinter Glas. Die Herrschaften hängen jetzt zum RECORD STORE DAY  an den Wändern zum Archiv.

Filmtipp: Interstellar

9. April 2015
Interstellar auf Blu ray

Interstellar auf Blu ray

Im Kino hatte ich Interstellar verpasst, weil ich irrtümlicherweise annahm, dass der Film in Stereoskopie gezeigt wird. Aber jetzt ist der Streifen von Christopher Nolan auf Blu ray veröffentlicht worden und ich habe mir angesehen. Ich bin hin und her gerissen: Habe ich jetzt ein Meisterwerk gesehen, einen unterhaltsamen Film, einen Beitrag zur Gesellschaftskritik oder einfach nur 169 Minuten Geschwätzigkeit?
Das Problem mit Interstellar ist, dass sich der Film an Erklärungen versucht und daran scheitern muss. Meine angeregte Fanatsie wird durch wissenschaftliche Erklärungen eingeschränkt und das ärgert mich. Das macht aus dem Film von Christopher Nolan beileibe keinen schlechten Film, nein im Gegenteil: Interstellar hat mir auf Blu ray gut gefallen, sehr gut sogar. Dennoch hat der Film viele Schwächen. Seine größte Schwäche für mich ist seine Geschwätzigkeit. Zugegeben, einige Ideen sind visionär für den zeitgenössischen SF-Film und dafür müssen wir Nolan auf Knien danken. Aber im Vorfeld wurde er mit der Vision von 2001: Odyssee im Weltraum vergleichen und daran muss er scheitern. Interstellar fehlt die visionäre Kraft, den Blick über den Tellerrand und das Spiel der Gedanken in meinem Kopf. Nolan ist kein Kubrick und will es hoffentlich auch nicht sein. Fans und Kritiker haben ihn auf dieses Podest gehoben und Nolan muss daran scheitern. Nolan ist ein extrem begabter Filmemacher, aber ein Kubrick sicher nicht. Aber Nolan ist sicher fasziniert von seinem Vorbild und zitiert ihn überall. Dagegen ist nichts zu sagen.
Der Film ist überfrachtet mit Ideen und das führt damit zur Geschwätzigkeit. Die Thematik ist interessant und nach all den Star Trek-Folgen kennen wir inzwischen das Raum-Zeit-Dilemma und die Theorie der Wurmlöcher, so dass wir bereit sind für die wissenschaftlichen Erklärungsversuche von Nolan, der sich als Berater den Astrophysiker Kip Thone zur Seite und aus Produzenten genommen hat. Aber irgendwie kam das Thema in Contact geschmeidiger herüber, vielleicht lag es hier an der Vorlage des großen Carl Sagan.
Zeitweise kommen wissenschaftliche Erklärungen in Hülle und Fülle daher. Was bei mir aber hängen geblieben ist, sind nur die Zeilen von Dylan Thomas, der immer wieder zitiert wird. Albert Einstein versus mit Dylan Thomas. Relativitätstheorie und Quantenmechanik mit „Geh nicht gelassen durch die gute Nacht“. Und am Ende siegt, wie in Hollywood üblich, das Herz über die Wissenschaft. Und natürlich sind einige Wissenschaftler Teil einer weltweiten Verschwörung, also kann man den Eierköpfen in ihren Elfenbeinturm nicht trauen. Als Bösewicht gibt es einen großartigen Michael Caine zu sehen. Da ist auf der anderen Seite ein ehrlicher Farmer, der zuvor Flieger und Raumfahrer war, eine ehrliche Haut, dem es um seine Familie geht.
Der Film hat einen schönen Humor. Am witzigsten empfand ich die Diskussion mit der Lehrerin zu Beginn des Films. Diese Lehrerin unterrichtet nach einem Lehrbuch, dass die Mondlandung nie stattgefunden habe und nur ein Propaganda-Trick der Amerikaner gewesen sei. Dieser Humor hat für mich zwei Stufen. Stufe 1 ist die allgemeine Diskussion in den USA um die Evolutionstheorie von Charles Darwin. Der Mensch dürfe im Land der Tea Party nicht vom Affen abstammen. Hier hält Nolan den Amerikanern einen Spiegel vor. Stufe 2 ist die Satire um die gefakte Mondlandung, bei der auch Stanley Kubrick seine Hand im Stil gehabt haben soll. Hier zitiert Nolan den filmischen Übervater Kubrick.
Zur Musik – und ich habe es befürchtet: ich sag es offen heraus. Der Soundtrack Interstellar ist schrecklich, kein Wunder, denn er stammt aus der Feder von Hans Zimmer. Wenn ich böse wäre, würde ich sagen: Hans Zimmer ist beim Komponieren auf seiner Orgel eingeschlafen. Ja, ich mag seine Musik nicht und dieses Mal tritt Zimmer gegen György Ligeti oder sogar gegen die Strauß-Brüder an und scheitert fulminant. Nolan hatte mit Zimmer schon bei den Batman-Filmen zusammengearbeitet. Zimmer sagt, er habe die Musik ohne den Film machen dürfen/müssen. Nolan habe ihn nur Manuskriptseiten zur Verfügung gestellt und dann sei die Musik nur so geflossen. Ja, ja, Blabla. Sphärische Klänge haben wir schon anderswo besser gehört, zum Beispiel vor ein paar Jahren bei Gravity von Steven Price. Selbst der Soundtrack von Oblivion von M38 war um Welten besser.
Vorbildlich und ausnahmslos atemberaubend waren für mich aber die Special Effects. Diese sind allererste Sahne und da setzt das Team von Double Negative Maßstäbe. Wer VFX liebt, dem wird Interstellar auf jeden Fall gefallen, da bin ich mir sicher. Der Bilderrausch ist enorm. Hier kann Christopher Nolan zeigen, dass er sein Handwerk als moderner Filmemacher versteht. Für die visuellen Effekte wurde der Film auch mit einem Oscar ausgezeichnet.
Für mich ist Interstellar auf der einen Seite eine Mischung aus 2001, Contact und Gravity, auf der anderen Seite ein aufwendig gemachter Science Fiction-Film, wie es heute nur noch wenige gibt. Nach dem ersten Betrachten des Films war ich aufgewühlt, visuell überwältigt und musste erst einmal eine Nacht schlafen, um meine Gedanken und Emotionen zu ordnen. Nach dem zweiten und dritten Anschauen meine ich: Sehr gut gemacht, aber beileibe kein Meisterwerk.

Interstellar_blu