
Wenn andere den Ruhestand genießen, ist Jean-Michel Jarre weiterhin produktiv tätig. Seine beiden jüngsten VR Konzerte hauten mich vom Hocker. Jetzt legt der 72jährige einen Soundtrack zu einer Fotoausstellung vor: Amazônia nach den Fotografien von Sebastião Salgado. Der Meister der Schwarzweiß-Fotografie war in Südamerika unterwegs und hat Eindrücke vom Amazonas eingefangen, Jarre liefert jetzt den Sound dazu. Ich schreibe bewusst nicht, dass er die Musik dazu liefert, denn es ist weitaus mehr. Es ist die Atmosphäre des Amazonas in Klang gepackt. Stimmen, Sprachsamples, Geräusche, Klänge, Wörter, Husten, Kreischen, das Prasseln des Feuers als wiederkehrendes Element, verknüpft mit Rhythmen, Schläge, Ambient-Klängen – eine elektronische Weltmusik, die inspiriert und provoziert.
Wie schon bei Zoolook 1984, also vor Jahrzehnten, geht Jarre weit über die klassische elektronische Musik hinaus. Er, der eigentlich auch für Bombastik bekannt ist, reduziert in Amazonia und durchbricht als 72 etablierter Musiker wieder Grenzen. Jarre lässt sich nicht einengen. Er macht keinen gefälligen Sound und stößt mit diesem Album die Tanzbären des Techno vor den Kopf. Amazônia ist ein Album für den Kopf und ich habe mir einen älteren Fotoband von Salgado mit dem wegweisenden Titel GENESIS herausgeholt. Amazonia erscheint erst im Mai 2021 bei meinem Lieblingsverlag Taschen. Sebastião Salgado bereiste sechs Jahre lang das brasilianische Amazonasgebiet und fotografierte die unvergleichliche Schönheit dieser einzigartigen Region: den Regenwald, die Flüsse, die Berge, die Menschen, die dort leben – ein unersetzlicher Schatz der Menschheit, in dem die ungeheure Kraft der Natur wie nirgendwo sonst auf der Erde zu spüren ist. 200 Bilder umfasst die Ausstellung, die seit dem 7. April 2021 in der Pariser Philharmonie zu sehen ist. Mal sehen, ob und wann die Ausstellung nach Deutschland kommt.
Seite für Seite habe ich den Band Genesis durchgeblättert und mich in den teils meditativen Sound von Jean-Michel Jarre vertief und verloren. Ja, der Sound ist gewöhnungsbedürftig und ich möchte das Album nicht als Musiktipp, sondern eher als Audiotipp bezeichnen. Es ist der Klang eines Ökosystems. Ich habe es mir genau zum Erscheinungstag bei Apple Music geladen und am selben Tag traf die CD bei mir ein.
Mein Rat: Lasst euch auf den Meister und seine Interpretation von Amazônia ein.