Nein, ein Murnau ist und kann es nicht geworden sein, dazu war die Sinfonie des Grauens für die Filmgeschichte einfach zu wichtig. Aber Robert Eggers hat aus dem Thema einen angsteinflößenden, obzessiven Vampirfilms gemacht, der mich auf vielfältige Weise intellektuell und emotional berührt hat. Eggers Nosferatu – der Untote ist ein eindringlicher Film nach den Motiven Bram Stokers geworden, der sexualisierter als Murnnau oder Herzog das Drama in Szene setzt. Premiere fand übrigens in Berlin statt, wie zuvor Murnaus Film vor 102 Jahren. Leider hab ich keinen Interviewslot bekommen.

Die Kamera von Jarin Blaschke setzt konsequent auf eine Zentralperspektive und fängt so das Schauspielkino in faden, fast schwarzweißen Bilder ein. Color Grading macht es möglich. Oft werden Bilder der Romantik gezeigt, ein Kamerabild des Expressionismus wie in der Vorlage wird nicht angestrebt. Die Optiken haben sich in den vergangenen Hundert Jahren verbessert. Bis der Graf zu erkennen ist, wird viel auf eine geringe Tiefenschärfe eingesetzt, bei dem einzig die langen Finger mit alten Nägeln fokussiert sind. Das Symbol der Hände zieht sich durch ganzen Film, suchende Hände, verlangende Hände, grausame Hände, oft in Begleitung der mahnenden Worte „er wird kommen“.

Von Beginn an verbreitet der Film eine depressive Stimmung der Angst und der Hoffnungslosigkeit. Obwohl der Stoff ja allbekannt ist, gelingt es Eggers immer wieder neue Szenen des Grauens zu erzeugen. Wer sich wirklich Zeit nimmt für die Geschichte, wer sich die Zeit nimmt, sich auf die Bilder, die Musik einlässt, wird einen Schauerfilm mit gotischen Elementen entdecken und eine besondere Faszination zum Film entwickeln. Und es werden Motive verwendet, die wir Fans des Schauerfilms so lieben. So beginnt und endet der Film mit der schwarzen Katze Greta und wird auch bei dem Besuch beim okkulten Wissenschaftler Prof Albin (!) Eberhart von Franz (hervorragend Willem Dafoe) wieder aufgenommen. Albin Grau lässt grüßen.
Eggers ist ja Vertreter des Folk-Horrors und so dürfen die folkloristischen Elemente nicht fehlen, wie die Suche nach einem Vampir auf einem Friedhof durch eine nackte Schönheit auf dem Pferde. Das Pferd kann nicht über das Grab eines Untoten steigen und so wird ein begrabener Vampir entdeckt und gepfählt – eine schöne Interpretation des Themas durch Eggers,
Natürlich interessiert den Fan die Rolle des Vampirs, des Untoten. Hier muss sich Bill Skarsgárd mit Max Schreck und Klaus Kinski als Orloks Namensvetter messen lassen. Skarsgárd macht nicht mit Eggers den Fehler und versucht eine Kopie dieser Darstellungen zu erreichen, sondern er bringt eine tierische, brutale, untote Version des Vampirs auf die Leinwand. Im englischen Original kommt die Stimme Skarsgárd aus den tiefen eines Grabes, die deutsche Version habe ich (noch) nicht gehört. Es ist ein grausamer, unbarmherziger Ton mit schweren Atmen. Der Vampir wird nicht edel dargestellt wie in den Dracula-Versionen von Bela Lugosi, Christopher Lee oder Frank Langella oder Gary Oldman. Von deren Eleganz ist bei Bill Skarsgárd keine Spur zu sehen und auch das Leiden von Kinski weicht dem brutalen Terror und dem Wahn der Worte „du kannst nicht lieben.“ Der Vampir wird hier zum Tier und nicht zum Gentleman. Das zeigt sich auch in der Opferszene. Der Vampir beißt nicht in den Hals, wie seine filmischen Vorgänger, sondern saugt das Blut, die Energie aus der Brust der Schönheit. Dabei wird der Körper aufgerissen, wie bei der Attacke eines Tieres.
Ellen Hutter, dargestellt von Lily-Rose Deep, ist Opfer und Heldin zugleich. Verletzlich und schockiert erkennt sie das Schicksal ihrer Mission der Opferung und lockt den Grafen bis zum Hahnenschrei in ihr Bett. Sie gibt sich hin und rettet dadurch ihre rattenverseuchte Heimatstadt Wisbourg. Versteckt und offen wird hier eine Sexualität gezeigt, wie sie ins viktorianische Zeitalter nur schwerlich vorstellbar war, Hier schafft es Eggers die verklemmte Sexualmoral von Bram Stokers in den Fokus zu stellen, die in Wahrheit eine triebgesteuerte Obsession ist, obwohl von Liebe gesprochen wird.

Auf der anderen Seite verbeugt sich Eggers vor den großen Bildern der Vorgänger. Wir finden Motive von Murnau und Herzog. Der Spaziergang durch die mit Kreuzen versetzten Dünen sind das eine, die Fahrt mit der Kutsche am Borgo-Pass ist die erste Schlossszene bei Tod Browning. Das Motiv der Ratten erschreckt heute keinen mehr, wie noch zu Murnaus Zeiten als Symbol der Wirren von Weimar oder bei Herzog als Zeichen des kalten Kriegs. Das ist vielleicht ein Manko des Films, dass die Symbole der Vergangenheit in dieser Neuinterpretation nicht mehr funktionieren, trotz der Analogien Spanische Grippe oder Aids mit Corona oder Inflation des Geldes. Daher legt Eggers wohl eher seinen Schwerpunkt auf den inneren Kampf der Darsteller mit Besessenheit, Liebe und schlechter Träume.
Das Betreten des Schlosses, das erste Mahl mit dem Grafen, überall zitiert Eggers ohne zu kopieren. Der Fan sitzt im Kinosessel, erkennt, nickt und genießt. Eggers hätte so gerne seinen Film im Zeitalter des Expressionismus gedreht, aber dafür kommt er 102 Jahre zu spät, obwohl er seine Bilder in Szene zu setzen weiß.
Die Motive der Hand, die nach der Weiblichkeit sucht, waren bei Murnau, bei Herzog und nun auch bei Eggers zu sehen und zu genießen. So macht Kino Spaß, wenn Vorgängerfilme zitiert und interpretiert werden. Eggers ist ein Könner seines Genres.
Persönlich war mir die Interpretation von Exozist, auch schon 50 Jahre alt, zu weit gegangen. Wenn Art Professor von Franz die besessen Ellen untersucht und sich der Dämon zeigt, sehe ich in erster Linie Linda Blair und Max von Sydow und nicht Lily-Rose Deep und Willem Dafoe.

Also Nosferatu – der Untote kommt nicht an Friedrich Wilhelm Murnaus Vorbild Nosferatu – eine Sinfonie des Grauens heran, steht mindestens gleichberechtigt neben Werner Herzogs Nosferatu – Phantom der Nacht. Es ist eine schaurige Verbeugung vor der Kathedrale des deutschen Films, wie Herzog einsmals Murnaus Meisterwerk bezeichnet hat. Und es ist endlich wieder ein Vampirfilms, der richtig Angst macht. Mein Tipp: Lasst euch auf Nosferatu – der Untote ein, lasst euch nicht ablenken vom Popcorn und vom Smartphone und genießt einen grauenhaften Kinofilm (und das meine ich positiv)





