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Buchtipp: Cinemas – From Babylon Berlin to La Rampa Havana von Margarete Freudenstadt

21. November 2025

Wer meinen Blog kennt, der weiß: Ich liebe das Kino. Meine Liebe zum Kino beginnt oft im Dunkeln – in dem Moment, wenn das Licht ausgeht und der Alltag leise hinter einem die Tür schließt. Auf der Leinwand öffnet sich eine andere Welt, und für zwei Stunden darf man jemand anders sein, an anderen Orten leben, andere Leben fühlen.

Viele Kinos sterben heute aus den unterschiedlichsten Gründen und wenn ich die Gelegenheit habe, dann fotografiere Kinos. Zwei schmerzhafte Erfahrungen waren die Schließungen des Gabriels und des Sendlinger Tor Filmtheaters – beides in München. Ich habe darüber gebloggt. Immer wieder schwebst es mir vor, einen Buch zum Thema Kinos zu produzieren.

Schon vor langer Zeit traf ich eine Leidensgenossin in Sachen Kino. Die Fotografin Margarete Freudenstadt. Bei einer Ausstellung in Gauting stellte sie ihrem Bildband Cinemas – From Babylon Berlin to La Rampa Havana vor, der von Christoph Wagner herausgegeben wurde. Das Buch zeigt auf eindrucksvolle Weise eine nostalgische Reise durch Lichtspielhäuser zwischen Ost­deutschland und Kuba – und erzählt damit zugleich von Zeiten, Träumen und Verfalls­erscheinungen.

Der Band beginnt im Osten Deutschlands, in den frühen 1990er Jahren. Freudenstadt lässt alte DDR-Kinos auftreten: Gebäude wie das „Filmtheater Kosmos“ oder „Fortschritt-Lichtspiele“, einst Symbol für moderne Unterhaltung im Sozialismus, erscheinen nun ruhig, teilweise leer und von der Zeit gezeichnet. Die Fotografin dokumentiert Architektur, Foyers, Fassaden und Straßenzüge, oft mit einem Blick, der Ruhe, Leere und Erinnerung zugleich einfängt – als würde jedes Foto eine Art Nachklang einer Epoche sein, die bereits durch Umbruch und Wandel erschüttert wurde.

Im zweiten großen Kapitel führt das Buch nach Kuba – nach Havanna und Umgebung –, wo die filmische Begeisterung der 1950er Jahre unter US-Einfluss in prachtvollen Kinopalästen wie „Riviera“, „Acapulco“ oder „Florida“ gipfelte. Doch auch hier hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen: Die einst glanzvollen Säle sind heute in vielen Fällen verfallen, verwittert, überzeichnet von Patina und Geschichte. Kubanische Kinos erscheinen im Bildband als stille Mahnmale einer Träumerei von Unterhaltung und Illusion, die einst pulsierte und nun – vielfach – ihre Zuschauer verloren hat.

Was das Buch und ihre Bilder so stark macht, ist nicht nur die gegensätzliche geografische wie historische Gegenüberstellung – Ost­deutschland nach der Wende versus Kuba im Wandel –, sondern der emotionale Eindruck, den diese Räume hinterlassen. Wir Leser spüren eine Mischung aus Vergänglichkeit und Faszination: Die Magie des Kinos, die einst in diesen Sälen lebte, klingt nach. Auch im Zustand des Verfalls bewahren die Bilder eine Präsenz – das Lichtspielhaus wird zur Metapher für Zeit, Erinnerung und Wandel.

Freudenstadts Fotografien sind großformatig, hochwertig gedruckt auf mattiertem, festen Papier. Jede Aufnahme zeigt detailreich Fassaden, Interieurs, Straßenraumeindrücke – Menschen sind teilweise präsent, doch nie Haupt­motiv; das Kino als Ort steht im Vorder­grund.

Begleitet werden die Bilder von einführenden Essays verschiedener Autoren, die über die Geschichte der Kinos in Kuba sowie in der DDR reflektieren – etwa zur Architektur, zur Film- und Kinokultur oder zur Rolle der Technik- und Sozialgeschichte.

Die Wirkung des Buches liegt in seiner stillen Kraft: Es lädt ein zu verweilen, zu schauen, zu erinnern. Man könnte sagen: Die vergessenen Lichtspielhäuser sprechen – über Vergangenes, über Wandel, über das, was aus dem Glanz wurde. Für Kinoliebhaber, Architektur- und Fotografie-Begeisterte ist der Band ein visuell wie inhaltlich beeindruckendes Werk.

Mit seinen 96 Seiten, einem Format von ca. 26 × 29 cm und rund 80 farbigen Abbildungen ist der Bildband hochwertig ausgestattet und ein Kunstwerk für sich.

Ich geb es nicht auf und fotografiere selbst weiter. Unlängst konnte ich in Estland ein sozialistisches Kino fotografieren, das auf dem Grundstück des Nazis Alfred Rosenberg erbaut wurde.

Estland (18): Vorbild für Digitalisierung

27. Januar 2025

„Die Deutschen denken zuerst nach und handeln dann – nicht!“ Diesen Spruch hörte ich in Estland immer wieder. Natürlich ist der Ausspruch überspitzt, aber er trifft schon ins Schwarze. Drücken wir es mal diplomatisch aus: Digitalisierung hat bei uns noch Luft nach oben.

Ganz anders in Estland. Dieser baltische Staat ist Spitzenreiter der Digitalisierung in Europa. Natürlich ist das Estland von Größe und Bevölkerungszahl nicht mit der Bundesrepublik vergleichbar, aber der Spirit des Aufbruchs ist dort spürbar. Nicht bewahren, sondern verändern ist dort angesagt.

Fachkräftemangel
Das Problem der fehlenden Fachkräfte wird durch Service-Roboter gelöst und von den Gästen als völlig selbstverständlich angesehen. Gezahlt wird freilich meist mit eCash und nicht mit Bargeld. Und ich habe sehr viele Self-Scanning-Kassen gesehen, die eifrig genutzt wurden.

Das Nationalmuseum ist voll mit Technik. Die Schaubilder kommen als eInk, werden in verschiedene Sprachen übersetzt und die Texte können per Link mit nach Hause genommen werden.

Und natürlich hatte Estland eine andere Ausgangsposition. Das kleine Land wurde 1991 von der zerfallenden Sowjetunion unabhängig und konnte seine Strukturen neu aufbauen und sich auf eine neue Zeit einstellen.

Zum Abschluss meiner Estland-Reise besuchte ich das e-Estonia Briefing Center in Tallinn. Mitarbeiterin Johanna-Kadri Kuusk stellte in einem einstündigen Vortrag die Digitalisierungsstrategie des Landes und einer modernen estnischen Gesellschaft vor. Alles mit einer ID-Card: Personalausweis, Führerschein, Versicherungskarte, Ausweis für Bücherei, Treue-Karte im Supermarkt, Steuernummer und vieles mehr! Hier der Vortrag (auf Englisch) über die Digitalisierung der Gesellschaft. Ich kann jedem Politiker empfehlen dort einmal einen Termin zu machen und sich über die Fortschritt zu informieren.

Und damit beende ich meine Reihe über meine Reise nach Estland. Danke, dass Sie mir 18 Teile lang gefolgt sind.

Estland (17): Widerstand gegen Russland lohnt sich

26. Januar 2025

Wenn ich durch die Straßen von Tallinn spaziere, erkenne ich ein klares Statement der Esten zu ihren ukrainischen Nachbarn. Estland steht uneingeschränkt der Ukraine zur Seite.
Dies wird besonders am Freiheitsplatz deutlich.

Eine übergroße ukrainische Fahne weißt auf die ungebrochene Solidarität der Esten mit dem ukrainischen Volk hin. Kein Wunder, denn die Esten wissen was es heißt, von den Russen überfallen und unterdrückt zu werden. Zweimal marschierte die Sowjetunion in dem baltischen Staat ein und hielten gefälschte Wahlen ab. So lag die offizielle Zustimmung 1940 zur von Stalin eingesetzten Marionettenregierung zwischen 90 und 110 Prozent. Die Sowjets betrieben Wahlfälschung im großen Stil und verkündeten bereits die Endergebnisse obwohl die Wahllokale noch eine Stunde geöffnet waren. Die estnische Intelligenz wurde verurteilt und in Arbeitslager nach Sibirien deportiert, in den so genannten Gulag. Nur wenige kehrten davon zurück.

Viele Esten flohen, einige nahmen Fischerboote übe die Ostsee. Das kleine Land blutete als Vasall der Sowjetunion aus. Man war vor allem Lebensmittellieferant für Moskau.

Freiheitskampf
Zuvor wurde das Gebiet von Estland vom russischen Zar besetzt. 1710 erklärte Zar Peter der Große nach der Besetzung „Jetzt sollen sie alle Russen werden“. Und diese Angst hält bis heute an.
Widerstand gegen Russland lohnt sich, dass zeigte das geschichtliche Beispiel der Finnen gegenüber den Intervention der Sowjetunion. Und diese Einstellung haben die Esten heute noch und unterstützen den Freiheitskampf der Ukrainer gegen die russische Besatzung.

1991 kam es zur Unabhängigkeit. Für die Esten ist Jelzin der große Mann. Michael Gorbatschow wird in Estland kritisch gesehen. Seine Truppen des Innenministeriums griffen im Baltikum hart durch. Die Esten antworteten 1991 mit einer Menschenkette durch das ganze Land als eindrucksvolles Symbol. Der Putsch gegen Gorbatschow und die Machtergreifung durch Jelzin war die Rettung für Estland.

Russische Minderheit
In Estland gibt es bis heute eine starke russische Minderheit. In Tallinn gibt es ein Stadtviertel mit gewaltigen Hochhausbauten aus der Sowjetzeit und in diesen Wohnsilos wohnt diese russische Minderheit. Bei den Wahlen beträgt der Stimmenanteil über 10 Prozent der gesamten Stimmen. Ein Stadtteil mit russischer Minderheit kann bei den Wahlen in Estland wahlentscheidend sein. Bedenklich für viele Esten: Die Minderheit ist seit über 40 Jahren im Land und kann kaum die estnische Sprache. Die russische Minderheit ist vom Militärdienst befreit, darf aber bei den Kommunalwahlen die Stimme abgeben. Putin lockt diese Minderheit mit der russischen Staatsbürgerschaft.

Estland (16): Kino auf dem Geburtsort einer Nazi-Größe

25. Januar 2025

Ich bin ein Kinofan und schaue mir in aller Welt gerne Kinos und Filmtheater an. So auch in Estland. Dort gab es Multiplex-Kinos wie bei uns und auch kleine Arthouse-Kinos. Und es gibt das Sõprus in Tallinn. Das Sõprus (Estnisch für „Freundschaft“) ist das Kino der Altstadt für Filmbegeisterte und zeigt die Filme aus dem internationalen Festivalgeschehen. Die Filme werden meist in der Originalsprache mit estnischen und/oder russischen Untertiteln gezeigt. Aber es ist auch ein Ort schwieriger Vergangenheit.

Das Cinema Sõprus wurde 1955 eröffnet und spiegelt die sowjetische Architektur und Ideologie jener Zeit wider. Der Name „Sõprus“, was auf Estnisch „Freundschaft“ bedeutet, ist ein Relikt aus der sowjetischen Ära und sollte die Idee der Freundschaft zwischen den sozialistischen Staaten symbolisieren.

Das Gebäude wurde im Stil des sozialistischen Klassizismus erbaut, einer Mischung aus monumentaler Architektur und dekorativen Elementen, die die sowjetische Macht und den kulturellen Anspruch der damaligen Zeit widerspiegeln sollten. Die prächtige Fassade mit ihren Säulen und dekorativen Details zeigt, dass das Kino als kulturelles Aushängeschild der Stadt dienen sollte. Es war eines der modernsten Kinos in Tallinn und ein wichtiger Treffpunkt für Filmfreunde.

Im Inneren verfügte das Kino über einen großen, luxuriös gestalteten Saal, der sowohl für Filmvorführungen als auch für kulturelle Veranstaltungen genutzt wurde. Es war ein Ort, der nicht nur Filme präsentierte, sondern auch die sowjetische Kulturpolitik förderte, indem er vor allem Filme aus dem sozialistischen Block zeigte.

Wandel nach der Unabhängigkeit
Nach der Wiedererlangung der estnischen Unabhängigkeit im Jahr 1991 erlebte das Cinema Sõprus, wie viele Institutionen aus der Sowjetzeit, einen Wandel. Die Nutzung des Gebäudes veränderte sich, und es wurde zunehmend ein Ort für ein breiteres Publikum. Der Fokus verlagerte sich von der Propaganda hin zur Präsentation internationaler Filme, unabhängig von politischen Agenden.

Das Kino wurde restauriert, wobei der historische Charme des Gebäudes erhalten blieb. Es entwickelte sich zu einem Zentrum für Cineasten, das besondere Filme abseits des Mainstreams zeigt, darunter Arthouse-Produktionen, Retrospektiven und internationale Festivalhits.

Geburtsort von Alfred Rosenberg
Aber der Ort hat auch eine Vergangenheit des Nationalsozialismus. Der spezifische Standort des Cinema Sõprus, an der Kreuzung von Vana-Posti und Suur-Karja, war im frühen 20. Jahrhundert von Wohn- und Geschäftshäusern geprägt, die jedoch während des Zweiten Weltkriegs insbesondere durch die Bombardierungen im März 1944 stark beschädigt wurden. Viele dieser Gebäude wurden entweder im Krieg zerstört oder später während der sowjetischen Besatzung abgerissen, als Tallinns Stadtbild im Rahmen der sowjetischen Ideologie teilweise modernisiert wurde.

Dort stand auch das Geburtshaus von Alfred Rosenberg, einer der ideologischen Architekten des Nationalsozialismus. Er wuchs in der Nähe des heutigen Standorts des Cinema Sõprus in Tallinn auf. Rosenberg wurde am 12. Januar 1893 in Reval (dem heutigen Tallinn) geboren und verbrachte seine Kindheit in einem Haus in der Suur-Karja-Straße, die sich unweit des heutigen Kinos befindet.

Das Wohnhaus, in dem Rosenberg aufwuchs, stand in einem Viertel, das damals von der deutschbaltischen Oberschicht geprägt war. Tallinn (damals Reval) war ein kulturelles Zentrum der Deutschbalten, und Rosenbergs Herkunft und Erziehung in dieser Gemeinschaft prägten seine späteren Überzeugungen und Ideologien.

Das Gebäude, in dem er aufwuchs, existiert heute nicht mehr, da viele Gebäude in der Umgebung während des Zweiten Weltkriegs beschädigt oder zerstört wurden. Der heutige Standort des Cinema Sõprus wurde nach dem Krieg neu bebaut, sodass keine sichtbaren Spuren von Rosenbergs früherem Wohnhaus mehr vorhanden sind.

Die Verbindung von Alfred Rosenberg mit Tallinn ist jedoch ein historischer Aspekt, der in der Stadt wenig thematisiert wird, da seine späteren Rollen und Ideologien in der nationalsozialistischen Bewegung von großer historischer Kontroverse geprägt sind.

Estland (13): Sitten und Eigenheiten in der Unistadt Tartu

20. Januar 2025

Jede Unistadt hat seine eigenen Sitten und Gebräuche. Das ist im Baltikum nicht anders. Die älteste Universität des Estlands steht in Tartu und ist über die gesamte Stadt verstreut.

Karzer und Uhr
Im Hauptgebäude der Universität in dessen Dachgeschoss befinden sich noch fünf Karzer. Der Karzer war bis ins frühe 20. Jahrhundert eine Arrestzelle in Universitäten. Leider konnte ich diese bei meinem Besuch in Estland nicht besichtigen. Im Erdgeschoss im Eingangsbereich gibt es noch eine historische Uhr. Das ist ein beliebter Treffpunkt der Studenten. Paare treffen sich unter der Uhr, damit keine behaupten kann, man wisse nicht, wieviel Uhr es ist.

Gesang von den zwei Brücken
Gesungen wird in Estland sehr viel – auch in Tartu und ich meine nicht das Studium des Gesangs. So treffen sich die Studenten auf zwei Brücken im Park. Die einen auf der Teufelsbrücke, eine Steinbrücke, und die anderen auf den gelben hölzernen Engelsbrücke und sie singen gegeneinander an. Eine Art von Sängerkrieg, den ich gerne einmal hören würde.

Balancieren über die Bogenbrücke
Zu den studentischen Sitten in Tartu gehört es, einmal im Studium über die Bogenbrücke zu balancieren. Das ist zwar eigentlich verboten, doch gemacht wird es trotzdem. Das Erklimmen der Brücke ist vergleichsweise einfach. Viel schwieriger ist der Abstieg von dem gebogenen Geländer. So mancher Student ist in en darunter fließenden Fluss gefallen.

Die Polizei ahndet diese Ordnungswidrigkeit. Wenn den Studenten bei ihrer Flucht vor der Polizei auf den etwas höheren Eingangsbereich der Universität gelingen, dann greift ein althergebrachtes Uni-Recht: Die Studenten unterstehen dann der „Gerichtsbarkeit“ des Universitätsrektors und die Polizei darf die Übeltäter nicht festnehmen. Es ist kein Fall bekannt geworden, dass die Universität die Studenten für das Erklimmen der Bogenbrücke bestraft.

Konflikt mit Lenin
Einen besonderen Humor hatten die Studenten von Tartu schon immer – auch als man unter sowjetischer Herrschaft stand. So hatten die verhassten Sowjets in den achtziger Jahren ein Denkmal eines sitzenden Lenins ersetzt durch einen stehenden Lenin. Unter den Studenten hieß es dann: „Jetzt steht er, bald geht er!“ Sie hatten Recht. 1991 wurde Estland wieder selbstständig und der steinerne Lenin wurde abgebaut.

Blick vom Turm
Unter den Jugendlichen von Tartu gab es eine gefährliche Mutprobe. Es gab zur Sowjetzeit einen hohen Turm der katholischen Kirche. Unter Lebensgefahr und bei strengem Verbot wurde der Turm bestiegen. Auf dem Turm war ein Blick auf den sowjetischen Miltärflughafen möglich und die aufsteigenden und landeten MIGs konnten beobachtet werden. Dass wurde in sowjetischer Zeit als Spionage geahndet, denn offiziell gab es diesen Miltärflughafen nicht und war sowjetisches Sperrgebiet. Heute liegt auf dem ehemaligen Flugfhafengelände das estnische Nationalmuseum. Den Turm der katholischen Kirche gibt es heute noch immer. Er wurde allerdings befestigt.

Estland (12): Estnische Nationalmuseum: so muss ein Museum heute sein

18. Januar 2025

Das Gebäude fasziniert mich. Das Estnische Nationalmuseum (Eesti Rahva Muuseum) in Tartu ist eines der bedeutendsten Kultur- und Geschichtsinstitutionen Estlands.

Das heutige Gebäude des Estnischen Nationalmuseums befindet sich in Raadi, am Stadtrand von Tartu, und wurde im Jahr 2016 eröffnet. Das Gelände, auf dem das Museum heute steht, war ursprünglich Teil des historischen Raadi-Gutshofs, der bis zum Zweiten Weltkrieg als Anwesen der deutschbaltischen Familie Liphart diente. Der Gutshof beherbergte einst eine bedeutende Kunst- und Büchersammlung, die weit über die Grenzen Estlands hinaus bekannt war. Mit der sowjetischen Besetzung Estlands im Jahr 1940 endete diese Ära jedoch abrupt.

Der Standort spielte eine zentrale Rolle für die sowjetischen Luftstreitkräfte und diente als Basis für strategische Bomber und andere Flugzeuge. Wie viele sowjetische Militärstandorte war der Raadi-Flugplatz streng geheim. Zugang zum Gelände war streng reglementiert, und die Bevölkerung Tartus hatte kaum Einblick in die Aktivitäten vor Ort.

Der Flugplatz umfasste mehrere Start- und Landebahnen, Hangars und militärische Gebäude.
Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1991, im Zuge der Wiedererlangung der estnischen Unabhängigkeit, blieb der Flugplatz verlassen und wurde zum Symbol der sowjetischen Besatzung. Das Gelände verfiel zusehends, und seine einstige Nutzung als Kulturort schien für immer verloren.

Symbol der Transformation
Darauf wurde das Museum errichtet, was symbolisch für die Transformation von Estland in einen modernen, unabhängigen Staat steht. Die Architektur des Gebäudes ist ebenso beeindruckend wie seine Inhalte. Entworfen von den französischen Architekten Dorell Ghotmeh Tane, gleicht das Gebäude einer schwebenden Landebahn, die sich aus der Landschaft erhebt. Mit einer Länge von 356 Metern und einer Fläche von 34.000 Quadratmetern ist es eines der größten und modernsten Museen in Nordeuropa. Es dient als Bewahrer der Geschichte, Traditionen und Identität des estnischen Volkes und ist gleichzeitig ein moderner Ort der Bildung und Inspiration.

Die innovative Bauweise kombiniert moderne Ästhetik mit funktionalem Design. Große Glasfronten und offene Räume schaffen eine Verbindung zwischen dem Museum und seiner Umgebung, während die minimalistische Gestaltung den Fokus auf die Ausstellungen lenkt.

Verschiedene Ausstellungen
Das Estnische Nationalmuseum beherbergt eine Vielzahl von Dauerausstellungen und wechselnden Sonderausstellungen, die unterschiedliche Aspekte der estnischen Kultur, Geschichte und Gesellschaft beleuchten. Das Museum besitzt eine der umfangreichsten Sammlungen zur Kultur und Geschichte Estlands. Die Sammlung umfasst:

Volkskunst und Handwerk: Traditionelle Kleidung, Textilien, Werkzeuge und Möbelstücke, die die Lebensweise und das Kunsthandwerk der Esten dokumentieren.

Dokumente und Fotografien: Historische Aufzeichnungen, Briefe, Karten und Fotografien, die einen Einblick in die Entwicklung der estnischen Gesellschaft geben.

Audiovisuelle Materialien: Aufzeichnungen von Liedern, Geschichten und Dialekten, die die Vielfalt der estnischen Sprache und Kultur zeigen.

Ethnografische Objekte: Artefakte aus den finno-ugrischen Kulturen, die die ethnischen Wurzeln der Esten erfahrbar machen.

Mein persönlicher Eindruck ist, dass das Museum ist mehr als nur ein Ort zur Aufbewahrung historischer Artefakte. Es spielt eine zentrale Rolle in der Identitätsbildung und Selbstreflexion des Landes. Das Museum trägt dazu bei, das Bewusstsein für die Geschichte und Kultur Estlands zu stärken und die Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herzustellen.

Was mich aber bei all der Geschichte und Kultur begeistert hat, war die Digitalisierung als Museumskonzept. So stelle ich mir moderne Museumspädagogik vor.

Die Digitalisierung ist ein zentraler Bestandteil des Konzepts des Estnischen Nationalmuseums (Eesti Rahva Muuseum) und prägt sowohl die Präsentation der Ausstellungen als auch die Zugänglichkeit und Verwaltung der Sammlungen. Das Museum hat es sich zur Aufgabe gemacht, modernste Technologien einzusetzen, um die kulturelle Vergangenheit mit der Gegenwart und Zukunft zu verbinden. Dabei dient die Digitalisierung nicht nur der Bewahrung des Kulturerbes, sondern auch der Erweiterung des Besuchererlebnisses und der Erschließung neuer Zielgruppen. Hier ein VR 360 Rundgang:

Digitalisierung der Sammlungen
Ein wesentlicher Aspekt der Digitalisierung im Estnischen Nationalmuseum ist die digitale Erfassung und Archivierung der umfangreichen Sammlungen. Das Ziel ist es, das kulturelle Erbe Estlands langfristig zu bewahren und gleichzeitig weltweit zugänglich zu machen.

Faszinierend für mich als ausländischer Besucher waren die interaktive Ausstellungen und dadurch ein optimales Besuchererlebnis. Die Digitalisierung hat auch die Gestaltung der Ausstellungen revolutioniert. Das Estnische Nationalmuseum setzt auf interaktive Technologien, um die Inhalte auf innovative und ansprechende Weise zu präsentieren. Dadurch wird das Museumserlebnis nicht nur informativer, sondern auch emotionaler und persönlicher.

Persönlich fand ich das erste Satellitentelefon super interessant und der Stuhl auf dem Skype erfunden wurde.

Es gibt eine Reihe Beispiele für digitale Technologien in den Ausstellungen, die mir aufgefallen sind.

Touchscreens und interaktive Displays: Besucher können über digitale Bildschirme zusätzliche Informationen zu den ausgestellten Objekten abrufen. Diese reichen von detaillierten historischen Hintergründen bis hin zu virtuellen Rekonstruktionen. Und die Texte werden auf Wunsch durch E-Ink-Technologie sofort in vielen Sprachen übersetzt, darunter auch Deutsch.

Augmented Reality (AR): Mithilfe von AR-Technologie können Besucher vergangene Epochen erleben, beispielsweise durch das Betrachten von rekonstruierten Szenen aus dem Alltag der Finno-ugrischen Völker oder traditionellen estnischen Festen.

Virtuelle Zeitreisen: In speziellen Bereichen des Museums können Besucher VR-Brillen nutzen, um in historische Szenarien einzutauchen. Sie können beispielsweise in ein traditionelles estnisches Dorf reisen oder historische Ereignisse hautnah erleben.

Personalisierte Inhalte: Viele Ausstellungsbereiche bieten Besuchern die Möglichkeit, Informationen nach ihren Interessen zu filtern, sodass sie eine individuelle und maßgeschneiderte Erfahrung machen können.

Ein besonderes Anliegen des Estnischen Nationalmuseums ist es, digitale Technologien als Vermittlungstool zu nutzen, um komplexe Themen auf verständliche Weise zu erklären. Durch multimediale Inhalte können historische Kontexte, kulturelle Praktiken und soziale Zusammenhänge anschaulich dargestellt werden.

Estland (11): Das Gut Palmse – Eine Zeitreise in die Pracht des deutsch-baltischen Adels

16. Januar 2025

Aus dem ehemaligen Ostpreußen kenne ich noch die großen Landgüter des Adels oder Junker. Ähnliches traf ich im Baltikum wieder. Ich besichtigte das ehemals deutsch-baltisches Landgut in Estland, das Gut Palmse.

Eingebettet in die unberührte Schönheit des Lahemaa-Nationalparks erhebt sich das Gut Palmse, ein Ort, an dem Geschichte, Architektur und Natur zu einer Einheit verschmelzen. Dieses Gut, einst ein Stück des deutsch-baltischen Adelslebens in Estland, lädt seine Besucher auf eine Reise in eine vergangene Welt ein – voller Eleganz, Privilegien, aber auch Herausforderungen. Ich spazierte durch das Gebäude und hing meinen Gedanken nach, wie das Leben in der alten Zeit wohl war. Der Landsitz wurde zwar restauriert, aber langsam blättert die Farbe wieder ab. Hier ein Rundgang:

In der Zeit der ersten Unabhängigkeit und später nach der Einverleibung als Estnische Sozialistische Sowjetrepublik in die Sowjetunion wurden die ehemaligen Gutsgebäude und Ländereien unterschiedlichen Verwendungszwecken zugeführt, wobei die Erhaltung der Bausubstanz nur eine untergeordnete bis gar keine Rolle spielte.

Ein Juwel der deutsch-baltischen Geschichte
Das Gut Palmse wurde erstmals im Jahr 1510 erwähnt und gehörte über Jahrhunderte der angesehenen deutsch-baltischen Adelsfamilie von der Pahlen. Heute ist die Familie weitgehend vergessen, Es war nicht nur ein Zentrum landwirtschaftlicher Produktivität, sondern auch ein kulturelles und soziales Herzstück. Die Familie prägte das Gut durch ihre Visionen und schuf ein Ensemble, das sowohl Reichtum als auch ästhetisches Gespür widerspiegelt.

Besonders beeindruckend ist das klassizistische Herrenhaus, das im 18. Jahrhundert erbaut wurde. Seine harmonischen Proportionen, die strahlend gelben Fassaden und die edlen Säulen vermitteln den Eindruck von Macht und Anmut. Doch es ist nicht nur das Äußere, das fasziniert. Im Inneren des Hauses können Besucher eine Welt aus kunstvoll eingerichteten Salons, historischen Möbeln und kostbaren Gemälden entdecken, die vom Leben der ehemaligen Bewohner erzählen. Allerdings gibt es nicht mehr die Originalmöbel mehr. Natürlich faszinierte mich eine Musikbox mit Walzenlaufwerk. Hier der etwas schräge Klang.

Die Menschen hinter dem Glanz
Das Leben auf Gut Palmse war geprägt von der Symbiose zwischen Herrschaft und Landbevölkerung. Während die Adelsfamilie die kulturellen und politischen Geschicke lenkte, war es die Arbeit der Bauern, die das Gut wirtschaftlich trugen.

Diese Geschichte, voller sozialer Spannungen und Veränderungen, spiegelt sich in den verschiedenen Gebäuden wider – von den Stallungen bis hin zu den kleinen Häusern der Gutsarbeiter. Scheinbar war die Familie Pahlen um ihre Arbeiter besorgt, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ein repressives Herrschaftssystem Adel-Bauer war.

Ein Ort der Veränderung
Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Unabhängigkeit Estlands 1918 begann auch der Niedergang des deutsch-baltischen Adels. Das Gut Palmse wurde verstaatlicht und durchlebte eine wechselvolle Geschichte, doch sein architektonischer und historischer Wert blieb unvergessen. In der Sowjetzeit verfiel das Haus und wurde erst nach der Unabhängigkeit ab 1991 wieder restauriert für den Tourismus.

Palmse heute – Ein lebendiges Museum
Heute ist das Gut Palmse ein Museum und Kulturzentrum, das Besucher aus aller Welt anzieht. Es bietet nicht nur einen Einblick in die Geschichte der deutsch-baltischen Kultur, sondern auch die Möglichkeit, die Zeit der Gutshöfe hautnah zu erleben. Veranstaltungen, Ausstellungen und die Möglichkeit, in den historischen Räumen zu verweilen, machen einen Besuch zu einem unvergesslichen Erlebnis. Hier ein VR360 Eindruck.

Estland (10): Der Cyberangriff auf Estland 2007 – Der erste digitale Krieg

14. Januar 2025

„Man ist vorsichtig bei einem Nachbarn, die einem mehrmals schon die Türe eingeschlagen haben.“So lässt sich das Verhältnis Estland zu seinen Nachbarn Russland auf den Punkt bringen. Die Esten haben schlechte Erfahrungen mit den Sowjets und später mit den Russen gemacht. Für Estland begann der Zweite Weltkrieg mit dem Überfall Stalins auf das unabhängige Land.

Aber auch nach dem Zerfall der UdSSR sind die Esten misstrauisch gegenüber Moskau. Putin lässt immer wieder die Muskeln spielen. Im Frühjahr 2007 erlebte Estland einen der ersten groß angelegten Cyberangriffe in der Geschichte, der weltweit Aufmerksamkeit erregte und als ein Wendepunkt in der Wahrnehmung von Cyberkriegsführung gilt. Der Vorfall, der sich zwischen April und Mai 2007 ereignete, legte weite Teile der digitalen Infrastruktur Estlands lahm und hatte weitreichende Folgen für die Sicherheitspolitik und das internationale Bewusstsein für Cybergefahren.

Der Streit um die „Bronzestatue“
Der Cyberangriff auf Estland fand vor dem Hintergrund politischer Spannungen zwischen Estland und Russland statt. Der Auslöser war die Entscheidung der estnischen Regierung, die Bronzestatue des sowjetischen Soldaten – ein Denkmal, das den Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg symbolisiert – aus dem Stadtzentrum von Tallinn zu entfernen und auf einen Militärfriedhof zu verlegen.

Für viele Esten symbolisierte die Statue die sowjetische Besatzung und Unterdrückung während des Kalten Krieges. Gleichzeitig war sie für viele Russischsprachige und für Russland ein Symbol des antifaschistischen Sieges und der sowjetischen Opfer im Zweiten Weltkrieg. Die Entscheidung der estnischen Regierung führte zu heftigen Protesten in Estland und einer Welle der Empörung in Russland, begleitet von diplomatischen Spannungen.

Der Ablauf des Cyberangriffs
Kurz nach Beginn der Proteste startete eine koordinierte Serie von Cyberangriffen, die Estland für mehrere Wochen heimsuchte. Die Angriffe umfassten verschiedene Formen von Cyberbedrohungen und richteten sich gegen Schlüsselbereiche der estnischen Infrastruktur.

Es gab verschiedene Arten von Angriffe:
Distributed Denial of Service (DDoS)-Angriffe: Diese Angriffe überfluteten Server mit einer massiven Anzahl an Anfragen, sodass sie unter der Last zusammenbrachen und nicht mehr erreichbar waren.
Manipulation von Webseiten: Regierungswebseiten, einschließlich der des Parlaments und des Büros des Premierministers, wurden gehackt und mit Propaganda oder manipulativen Botschaften versehen.
Angriffe auf Banken und Medien: Auch Banken und Medienunternehmen waren betroffen, wodurch es zu Unterbrechungen bei Online-Zahlungsdiensten, der Kommunikation und dem Zugang zu Nachrichten kam.
Die Angriffe trafen fast alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens in Estland:
Regierungsstellen: Ministerien, Regierungswebseiten und das estnische Parlament (Riigikogu) waren Ziel von Cyberangriffen.


Finanzsektor: Estlands Banken, die stark digitalisiert waren, sahen sich massiven Angriffen ausgesetzt, die den Zugang zu Online-Banking-Diensten und Zahlungen blockierten.
Medien und Kommunikation: Nachrichtenseiten und Telekommunikationsanbieter waren betroffen, was die Verbreitung von Informationen erheblich erschwerte.
Bildungs- und Gesundheitswesen: Auch die IT-Systeme von Schulen und Krankenhäusern wurden gestört.

Koordination und Ausmaß
Die Angriffe wurden durch Botnetze durchgeführt, bei denen Hunderttausende infizierte Computer weltweit benutzt wurden, um die Server Estlands zu überlasten. Viele der Angriffe wurden auf Online-Foren und Plattformen koordiniert, die auf russischsprachige Nutzer ausgerichtet waren.

Verdacht auf russische Beteiligung
Estland beschuldigte Moskau, direkt oder indirekt hinter den Angriffen zu stehen. Zwar wurde nie ein offizieller Beweis erbracht, dass die russische Regierung den Angriff befohlen hatte, doch es gab deutliche Hinweise darauf, dass die Attacken aus russischsprachigen Netzwerken koordiniert wurden. Zudem heizten die politischen Spannungen um die Bronzestatue die Vermutung an, dass der Cyberangriff Teil einer hybriden Strategie Russlands war, Druck auf Estland auszuüben.
Russland wies jede Verantwortung zurück und erklärte, dass die Angriffe von privaten Akteuren ausgegangen seien. Dennoch bleibt der Vorfall ein frühes Beispiel für die Nutzung von Cyberkriegsführung in geopolitischen Konflikten.

Folgen für Estland
Der Cyberangriff hatte weitreichende Konsequenzen für Estland und die internationale Gemeinschaft:
Digitale Verteidigung: Estland war eines der digitalisiertesten Länder der Welt, mit umfangreicher E-Governance und Online-Diensten. Der Angriff zeigte jedoch Schwachstellen in der Cyberabwehr auf.

Aufbau von Cybersicherheitsstrukturen: Nach dem Angriff investierte Estland massiv in Cybersicherheit und wurde zu einem Vorreiter in diesem Bereich. Heute ist Estland Gastgeber des NATO Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence (CCDCOE), das 2008 in Tallinn gegründet wurde.

Der Fall Estland war ein frühes Beispiel für hybride Kriegsführung, bei der Cyberangriffe als Mittel der politischen und wirtschaftlichen Destabilisierung eingesetzt werden. Diese Strategie wurde später in Konflikten wie in der Ukraine weiterentwickelt.

Der Angriff als Wendepunkt in der Cybersicherheit
Der Cyberangriff auf Estland 2007 gilt heute als Meilenstein in der Geschichte der Cybersicherheit. Er zeigte, dass Angriffe auf digitale Infrastrukturen genauso zerstörerisch sein können wie physische Angriffe und dass die Abhängigkeit von digitalen Systemen neue Verwundbarkeiten mit sich bringt.

Estlands Reaktion auf den Angriff – vom Aufbau robuster Cybersicherheitsmaßnahmen bis hin zur Förderung internationaler Zusammenarbeit – hat das Land zu einem globalen Vorreiter gemacht. Der Vorfall bleibt ein eindringliches Beispiel für die Bedrohung durch Cyberkriegsführung und die Notwendigkeit, sich gegen diese modernen Angriffe zu wappnen.

Und die Ukraine rüstet auf. In der ersten Januar-Woche 2025 griffen ukrainische Hacker an. Der in St. Petersburg ansässige russische Internetprovider Nodex ist Ziel eines Cyberangriffs geworden, der Hackern aus der Ukraine zugeschrieben wird. „Das Netzwerk ist zerstört“, gab der Provider selbst auf der russischen Social-Media-Plattform VKontakte bekannt.

Estland (9) Eugen Habermann und das architektonische Meisterwerk des estnischen Parlaments

13. Januar 2025

Als Fan des Expressionismus war ich sehr neugierig auf das Parlament in Estland. Das Regierungsgebäude ist im Inneren im reinen Stil dieser Kunstrichtung ausgestattet und die wollte ich unbedingt bei meinem Besuch in der estnischen Hauptstadt Tallinn bewundern.

Der Künstler möchte sein Erlebnis für den Betrachter darstellen, so lautet eine Forderung des Expressionismus. Und das ist mit der Inneneinrichtung des Parlaments gelungen. In Estland besteht ein Einkammersystem und wir konnten den leeren Sitzungssaal in den Abendstunden besichtigen. Die Abgeordneten befanden sich noch in der Winterpause.

Das Tallinner Schloss oder Revaler Schloss (estnisch Toompea loss) ist der Name einer im 13. Jahrhundert von Dänen gegründeten Festung, um die später die Stadt Tallinn entstand. Heute ist es Sitz des Parlaments von Estland (estnisch Riigikogu). Es auf der Welt das einzige Parlament in dem Stil des Expressionismus. Geschaffen wurde die Inneneinrichtung durch Eugen Habermann.

Als Architekt schuf und beaufsichtigte er einige Bauten in Tallinn wie das Opernhaus. Sein Meisterwerk war aber das Innere des Parlaments. Noch heute kommen Kunsthistoriker aus aller Welt, um den Stil zu bewundern und zu dokumentieren.

Gemeinsam mit Herbert Voldemar Johanson gestaltete er das Gebäude des estnischen Parlaments (Riigikogu) an Stelle der Ruinen des ehemaligen Konventshauses auf dem Domberg. Es war der erste repräsentative Bau des neuen estnischen Staates.

Das Gebäude orientiert sich an zwei unterschiedlichen Stilrichtungen: dem Traditionalismus bzw. späten Jugendstil der 1920er Jahre nach außen und dem Expressionismus im Inneren. Es ist weltweit das einzige Parlamentsgebäude im Stil des Expressionismus.

Habermanns Arbeit am Parlamentsgebäude ist ein Paradebeispiel für den Expressionismus, der sich durch dynamische Formen, dramatische Linien und die Betonung emotionaler Wirkung auszeichnet. Der Expressionismus war in der Architektur der 1920er Jahre eine Gegenbewegung zu funktionalistischen und rein sachlichen Designs und suchte nach einer Verbindung von Kunst und Bauwerk.

Es gibt einige Merkmale des Expressionismus im des Gebäudes
Fassade: Die rosa und cremefarben gestaltete Fassade des Parlamentsgebäudes ist schlicht, aber auffällig. Die symmetrischen Formen und die geometrischen Linien der Fenster verleihen dem Gebäude eine zeitgemäße, fast futuristische Ausstrahlung für seine Entstehungszeit.

Zentraler Sitzungssaal: Im Inneren des Gebäudes ist der Sitzungssaal ein Höhepunkt des expressionistischen Designs. Der Saal ist in einem trapezförmigen Grundriss gestaltet, der auf eine Bühne hin ausgerichtet ist. Die hohen, spitz zulaufenden Decken und die markanten Fenster mit geometrischen Mustern schaffen eine dynamische und zugleich monumentale Atmosphäre.

Beleuchtung: Der Einsatz von Licht ist ein weiteres Beispiel für expressionistische Gestaltung. Die Fenster und Leuchter wurden so konzipiert, dass sie die Räume in ein dramatisches, aber dennoch funktionales Licht tauchen. Dieses Spiel mit Licht und Schatten war typisch für den Expressionismus und gibt dem Innenraum eine künstlerische Note.

Integration in den historischen Kontext: Eine der größten Herausforderungen für Habermann und Johanson war die Eingliederung des modernen Baus in die historische Burganlage. Sie entschieden sich für eine harmonische Verbindung aus traditioneller Formensprache, wie den Burgmauern und Türmen, und modernen, expressionistischen Elementen. So entsteht ein faszinierender Kontrast zwischen Alt und Neu.

Eugen Habermann nahm ein tragisches Ende. Er kam bei seiner Flucht aus Estland ums Leben, als das deutsche Transportschiff Moero, beladen mit Verwundeten und estnischen Flüchtlingen, von sowjetischen Flugzeugen am 22. September 1944 in der Ostsee bei Windau versenkt wurde.

Estland (8): Sängerfeste in Estland – Ein kulturelles und nationales Symbol

12. Januar 2025

Im Baltikum wird viel gesungen. Es wurde auch von der singenden Revolution gesprochen und jedes der drei baltischen Ländern veranstalten eigene Sängerfestvials. In Estland wird diese nationale Großveranstaltung im Juli 2025 nach fünf Jahren wieder durchgeführt. Tausende Sänger aus dem ganzen Land kommen zusammen und singen estnische Volkslieder. Sie sind weit mehr als nur kulturelle Ereignisse – sie sind tief mit der estnischen Identität, Geschichte und dem Kampf um Unabhängigkeit verwurzelt.

Das erste Sängerfest
1869 fand das erste Sängerfest statt. Es entfaltete eine enorme nationale Kraft der Einigkeit. Deutsch war die Amtssprache, aber nun entdeckten die Esten ihre eigene Sprache. Bei so kleinen Nationen ist diese nationale Identität wichtig. So gibt es den Ausspruch: „Wenn du dein Lied in deiner Sprache nicht singst, dann singt es bald keiner mehr.“ Das erste Fest wurde in der Zeit der nationalen Erweckung Estlands abgehalten, als das estnische Volk nach Jahrhunderten der Fremdherrschaft seine nationale Identität und Kultur stärkte.

Zu den Hauptorganisatoren des ersten Sängerfestes zählten Johann Voldemar Jannsen, ein bedeutender estnischer Journalist und Nationalist, sowie weitere Kulturschaffende, die das estnische Bewusstsein stärken wollten. Beim ersten Fest traten 46 Chöre mit etwa 800 männlichen Sängern sowie eine Blaskapelle auf. Obwohl die Teilnehmerzahl bescheiden war, legte dieses Ereignis den Grundstein für eine langjährige Tradition.

Während der sowjetischen Besatzung Estlands (1940–1941 und 1944–1991) gewannen die Sängerfeste besondere Bedeutung. Obwohl sie von den Besatzungsmächten kontrolliert und reglementiert wurden, blieben sie ein Ort, an dem die Esten ihre nationale Identität und Einheit ausdrücken konnten.
Ein berühmtes Beispiel ist das Sängerfest von 1947, bei dem trotz strenger Zensur estnische Volkslieder gesungen wurden, die heimlich patriotische Botschaften enthielten. Natürlich wurden auch Lieder gesungen, die die Besatzungsmacht hochleben ließ.

In den späten 1980er Jahren, während der singenden Revolution, spielten die Sängerfeste eine zentrale Rolle. Menschenmassen sangen gemeinsam nationale Lieder, um gegen die sowjetische Herrschaft zu protestieren und die Unabhängigkeit Estlands zu fordern. 1991 wurde Estland schließlich wieder ein unabhängiger Staat.

Die Sängerfeste finden alle fünf Jahre in der estnischen Hauptstadt Tallinn statt und ziehen Chöre und Besucher aus dem ganzen Land und darüber hinaus an. Sie werden von der Estonian Song and Dance Celebration Foundation organisiert.

Das Sängerfestgelände in Tallinn (Lauluväljak) ist ein beeindruckender Austragungsort. Es wurde 1960 gebaut und umfasst eine große Freilichtbühne mit einer charakteristischen Bögenstruktur, die für ihre exzellente Akustik bekannt ist. Viele sagen auch Muschel zum Veranstaltungsort.

Das Gelände bietet Platz für bis zu 25.000 Sänger auf der Bühne und etwa 100.000 Zuschauer im Publikum. Die Sängerfeste vereinen Chöre aus allen Teilen Estlands und aus verschiedenen Altersgruppen. Kinder-, Jugend- und Erwachsenenchöre singen gemeinsam auf der Bühne. Die Gesamtzahl der Sänger kann bis zu 30.000 betragen.

Das musikalische Programm umfasst sowohl traditionelle estnische Volkslieder als auch moderne Chorwerke. Viele Lieder sind mit der nationalen Geschichte und Identität verbunden, darunter das bekannte Lied „Mu isamaa on minu arm“ („Mein Vaterland ist meine Liebe“), das während der sowjetischen Besatzung zu einer inoffiziellen Hymne wurde.

Tanzfeste
Parallel zu den Sängerfesten finden auch Tanzfeste (Tantsupidu) statt, die die estnische Tanztradition feiern. Diese Tanzfeste sind eng mit den Sängerfesten verbunden und ergänzen die musikalische Seite durch farbenfrohe, synchronisierte Aufführungen von Tänzern in traditionellen estnischen Trachten. 2003 wurden die estnischen Sänger- und Tanzfeste zusammen mit den ähnlichen Traditionen in Lettland und Litauen in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen. Diese Anerkennung unterstreicht die kulturelle und historische Bedeutung dieser Feste.