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Filmkritik: Nosferatu – der Untote

3. Dezember 2024

Nein, ein Murnau ist und kann es nicht geworden sein, dazu war die Sinfonie des Grauens für die Filmgeschichte einfach zu wichtig. Aber Robert Eggers hat aus dem Thema einen angsteinflößenden, obzessiven Vampirfilms gemacht, der mich auf vielfältige Weise intellektuell und emotional berührt hat. Eggers Nosferatu – der Untote ist ein eindringlicher Film nach den Motiven Bram Stokers geworden, der sexualisierter als Murnnau oder Herzog das Drama in Szene setzt. Premiere fand übrigens in Berlin statt, wie zuvor Murnaus Film vor 102 Jahren. Leider hab ich keinen Interviewslot bekommen.

Die Kamera von Jarin Blaschke setzt konsequent auf eine Zentralperspektive und fängt so das Schauspielkino in faden, fast schwarzweißen Bilder ein. Color Grading macht es möglich. Oft werden Bilder der Romantik gezeigt, ein Kamerabild des Expressionismus wie in der Vorlage wird nicht angestrebt. Die Optiken haben sich in den vergangenen Hundert Jahren verbessert. Bis der Graf zu erkennen ist, wird viel auf eine geringe Tiefenschärfe eingesetzt, bei dem einzig die langen Finger mit alten Nägeln fokussiert sind. Das Symbol der Hände zieht sich durch ganzen Film, suchende Hände, verlangende Hände, grausame Hände, oft in Begleitung der mahnenden Worte „er wird kommen“.

Von Beginn an verbreitet der Film eine depressive Stimmung der Angst und der Hoffnungslosigkeit. Obwohl der Stoff ja allbekannt ist, gelingt es Eggers immer wieder neue Szenen des Grauens zu erzeugen. Wer sich wirklich Zeit nimmt für die Geschichte, wer sich die Zeit nimmt, sich auf die Bilder, die Musik einlässt, wird einen Schauerfilm mit gotischen Elementen entdecken und eine besondere Faszination zum Film entwickeln. Und es werden Motive verwendet, die wir Fans des Schauerfilms so lieben. So beginnt und endet der Film mit der schwarzen Katze Greta und wird auch bei dem Besuch beim okkulten Wissenschaftler Prof Albin (!) Eberhart von Franz (hervorragend Willem Dafoe) wieder aufgenommen. Albin Grau lässt grüßen.

Eggers ist ja Vertreter des Folk-Horrors und so dürfen die folkloristischen Elemente nicht fehlen, wie die Suche nach einem Vampir auf einem Friedhof durch eine nackte Schönheit auf dem Pferde. Das Pferd kann nicht über das Grab eines Untoten steigen und so wird ein begrabener Vampir entdeckt und gepfählt – eine schöne Interpretation des Themas durch Eggers,

Natürlich interessiert den Fan die Rolle des Vampirs, des Untoten. Hier muss sich Bill Skarsgárd mit Max Schreck und Klaus Kinski als Orloks Namensvetter messen lassen. Skarsgárd macht nicht mit Eggers den Fehler und versucht eine Kopie dieser Darstellungen zu erreichen, sondern er bringt eine tierische, brutale, untote Version des Vampirs auf die Leinwand. Im englischen Original kommt die Stimme Skarsgárd aus den tiefen eines Grabes, die deutsche Version habe ich (noch) nicht gehört. Es ist ein grausamer, unbarmherziger Ton mit schweren Atmen. Der Vampir wird nicht edel dargestellt wie in den Dracula-Versionen von Bela Lugosi, Christopher Lee oder Frank Langella oder Gary Oldman. Von deren Eleganz ist bei Bill Skarsgárd keine Spur zu sehen und auch das Leiden von Kinski weicht dem brutalen Terror und dem Wahn der Worte „du kannst nicht lieben.“ Der Vampir wird hier zum Tier und nicht zum Gentleman. Das zeigt sich auch in der Opferszene. Der Vampir beißt nicht in den Hals, wie seine filmischen Vorgänger, sondern saugt das Blut, die Energie aus der Brust der Schönheit. Dabei wird der Körper aufgerissen, wie bei der Attacke eines Tieres.

Ellen Hutter, dargestellt von Lily-Rose Deep, ist Opfer und Heldin zugleich. Verletzlich und schockiert erkennt sie das Schicksal ihrer Mission der Opferung und lockt den Grafen bis zum Hahnenschrei in ihr Bett. Sie gibt sich hin und rettet dadurch ihre rattenverseuchte Heimatstadt Wisbourg. Versteckt und offen wird hier eine Sexualität gezeigt, wie sie ins viktorianische Zeitalter nur schwerlich vorstellbar war, Hier schafft es Eggers die verklemmte Sexualmoral von Bram Stokers in den Fokus zu stellen, die in Wahrheit eine triebgesteuerte Obsession ist, obwohl von Liebe gesprochen wird.

Auf der anderen Seite verbeugt sich Eggers vor den großen Bildern der Vorgänger. Wir finden Motive von Murnau und Herzog. Der Spaziergang durch die mit Kreuzen versetzten Dünen sind das eine, die Fahrt mit der Kutsche am Borgo-Pass ist die erste Schlossszene bei Tod Browning. Das Motiv der Ratten erschreckt heute keinen mehr, wie noch zu Murnaus Zeiten als Symbol der Wirren von Weimar oder bei Herzog als Zeichen des kalten Kriegs. Das ist vielleicht ein Manko des Films, dass die Symbole der Vergangenheit in dieser Neuinterpretation nicht mehr funktionieren, trotz der Analogien Spanische Grippe oder Aids mit Corona oder Inflation des Geldes. Daher legt Eggers wohl eher seinen Schwerpunkt auf den inneren Kampf der Darsteller mit Besessenheit, Liebe und schlechter Träume.
Das Betreten des Schlosses, das erste Mahl mit dem Grafen, überall zitiert Eggers ohne zu kopieren. Der Fan sitzt im Kinosessel, erkennt, nickt und genießt. Eggers hätte so gerne seinen Film im Zeitalter des Expressionismus gedreht, aber dafür kommt er 102 Jahre zu spät, obwohl er seine Bilder in Szene zu setzen weiß.

Die Motive der Hand, die nach der Weiblichkeit sucht, waren bei Murnau, bei Herzog und nun auch bei Eggers zu sehen und zu genießen. So macht Kino Spaß, wenn Vorgängerfilme zitiert und interpretiert werden. Eggers ist ein Könner seines Genres.

Persönlich war mir die Interpretation von Exozist, auch schon 50 Jahre alt, zu weit gegangen. Wenn Art Professor von Franz die besessen Ellen untersucht und sich der Dämon zeigt, sehe ich in erster Linie Linda Blair und Max von Sydow und nicht Lily-Rose Deep und Willem Dafoe.

Also Nosferatu – der Untote kommt nicht an Friedrich Wilhelm Murnaus Vorbild Nosferatu – eine Sinfonie des Grauens heran, steht mindestens gleichberechtigt neben Werner Herzogs Nosferatu – Phantom der Nacht. Es ist eine schaurige Verbeugung vor der Kathedrale des deutschen Films, wie Herzog einsmals Murnaus Meisterwerk bezeichnet hat. Und es ist endlich wieder ein Vampirfilms, der richtig Angst macht. Mein Tipp: Lasst euch auf Nosferatu – der Untote ein, lasst euch nicht ablenken vom Popcorn und vom Smartphone und genießt einen grauenhaften Kinofilm (und das meine ich positiv)

Lange erwartet: Der Trailer von Robert Eggers „Nosferatu – Der Untote“ – Versuch einer Analyse

25. Juni 2024

Lange erwartet und endlich ist er da: der Trailer zu Robert Eggers „Nosferatu – Der Untote“. Robert Eggers wagt sich an die dritte Verfilmung des Vampirstoffes, und die Messlatte liegt hoch. Murnaus Klassiker aus dem Jahr 1922 ist schlichtweg ein Meisterwerk des Expressionismus, das Filmgeschichte geschrieben hat. Für mich ist „Nosferatu – eine Sinfonie des Grauens“ einer der besten Filme überhaupt. Max Schreck als Vampir ist unglaublich grausam und stilprägend für das Genre. Dann wagte sich Werner Herzog an diese Kathedrale des deutschen Films, wie er sich selbst ausdrückte, und schuf seine Version des Blutsaugers Nosferatu – Phantom der Nacht mit einem zischenden und großartigen Klaus Kinski.

Und nun kommt am 2. Januar 2025 die Interpretation von Robert Eggers in die Kinos. Der Mann versteht sein Handwerk, hat er doch mit „The Witch“ und „Der Leuchtturm“ sehr überzeugende Schauermärchen abgeliefert. „The Northman“ hatte zumindest gute Bilder, leider hing die Story durch. Meine Erwartungen an „Nosferatu“ sind entsprechend hoch. Bitte, Robert Eggers, versau es nicht. Du hast einen heiligen Stoff des deutschen Films verfilmt, und ich bin sicher, dass Eggers sich der Verantwortung bewusst ist, wie wichtig „Nosferatu“ für Fans und Filmhistoriker ist. Aber da ist er nun, der erste Trailer.

Der erste Eindruck: Robert Eggers macht es gut, sehr gut. Sein Nosferatu ist ebenso stimmungsvoll wie das Original von Murnau oder die Hommage von Herzog, bringt den Stoff in seinem optischen Stil auf die Leinwand. Gedreht wurde unter anderem in Prag. Im Filmtrailer sehen wir CGI, was mich bei einem Vampirfilm immer nervös macht, aber warten wir es ab. Eggers setzt auf Dunkelheit, und der Schrecken zieht mit düsteren Bildern unaufhaltsam in die Stadt ein. Er spielt mit den gefährlichen Symbolen der Ratten und ist sich hoffentlich seiner Verantwortung dieses Bildes bewusst. Auch Herzog hatte mit Ratten ja seine Erfahrungen.

Es ist wohltuend: Eggers setzt die Elemente des Gothic Horrors ein, die lange nicht mehr auf der Leinwand zu sehen waren. Atmosphäre verspricht dieser Film im Trailer durchaus, der sich in Eggers Version den Schwerpunkt auf Ellen setzt, die von Lily-Rose Depp („The Idol“) gespielt wird. „Komm zu mir, höre mein Rufen“ wird gebetsartig im Trailer wiederholt. Es ist wie ein Mantra, das den Tod heraufbeschwört. Der Vampir kündigt sich mit dem schwarzen Tod an. Die schwarze Hand schwebt symbolisch über die Stadt – sehr schön gemacht und ein wahnsinnig gutes Bild.

Apropos Wahnsinn: Die Macht des Grafen zeigt sich auch in der Szene, als einer Taube in das Genick gebissen wird und wohl der Kopf abgerissen wird. Natürlich wird bildgenau geschnitten, sodass sich die irre Tat im Kopf des Zuschauers abspielt. Wir sehen bisher keine Fledermäuse, aber wir erblicken am Ende einen hochgewachsenen Vampir im Cape samt Wölfen. Hören Sie die Kinder der Nacht? Wir sehen eine subjektive Kamerafahrt ins Schloss in den Karpaten und wir sehen die Kutsche am Borgo-Pass, die Murnau so revolutionierend mit Positivaufnahmen in Szene gesetzt hatte.

Und der Trailer deutet die Erbarmungslosigkeit des Vampirs an. Nicht der elegante Vampir wie Lugosi oder Lee, nein, der Graf Orlok bleibt ein brutales Monster ohne Gnade. Bill Skarsgård spielt den Vampir. Wie bei „Es“ werden wir wohl das Gesicht von Bill Skarsgård unter der Maske nicht so richtig erkennen, aber die Andeutungen des Grafen machen Appetit auf mehr. Bei der Auswahl der Schauspieler hat er eine gute Wahl getroffen. Willem Dafoe spielt Professor Albin Eberhart von Franz und den Grafen Orlok spielt Bill Skarsgård.

Noch mit dabei sind Aaron Taylor-Johnson („Godzilla“) als Friedrich Harding und Emma Corrin („The Crown“) als Anna Harding. In weiteren Rollen sind Nicholas Hoult, Ralph Ineson, Simon McBurney sowie Paul A. Maynard und Stacy Thunes zu sehen.

Dracula im Film (22): Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens

5. März 2022

Der Film ist die Mutter aller Vampirfilme. Nachdem Nosferatu am 4. März 1922 ins Kino kam, änderte sich die Welt des fantastischen Films. Friedrich Wilhelm Murnau schuf ein Meisterwerk des expressionistischen Horrorfilms – vielleicht nur mit dem Einfluss des Kabinetts des Dr. Caligari vergleichbar.

Und auch 100 Jahre nach seiner Premiere ist der Stummfilm Nosferatu – eine Symphonie des Grauens unheimlich. Das liegt zum einen an der Regiearbeit von Murnau, zum anderen an der Darstellung des Vampirs durch Max Schreck, der in Klaus Kinski, Willem Dafoe und Reggie Nalder seine Nachfolger hatte. Dabei hätten wir beinahe den Film nie zu Gesicht bekommen. Die Produktionsfirma Prana-Film von Enrico Dieckmann und des Okkultisten Albin Grau nahmen die Dracula-Vorlage von Bram Stoker ohne sich um die Rechte zu kümmern. Stokers Witwe klagte, bekam 1925 recht und alle Kopie sollten vernichtet werden. Das geschah allerdings nur teilweise und so wurde der Filmschatz bis in die heutige Zeit gerettet. Es tauchten Szenen von Nosferatu noch in dem Film „die zwölfte Stunde“ 1930 als erweiterte Raubkopie auf. Ich hab über diesen Film und eine Live-Klavierbegleitung von Richard Siedhoff mal gebloggt.

Ich sehe nach 100 Jahren Parallelen zur heutigen Zeit. Murnaus Nosferatu traf damals den Nerv der Zeit und tut es sicher heute auch noch. Das Ende des schrecklichen ersten Weltkriegs lag 1922 noch nicht lange Zeit. Europa lag in Trümmern, die Menschen hatten schwerste körperliche und seelische Verletzungen. Und auch die spanische Grippe hatte auf dem Kontinent gewütet und die Seuche forderte viele Todesopfer. Und es stand damals die gewaltige Inflation vor der Tür, die 1928 ausbrach und die wirtschaftliche Welt zusammenbrechen ließ. Weimar scheiterte und der Nationalsozialismus stürzte die Welt in den nächsten schrecklichen Krieg. Die eine oder andere Parallele gibt es zu heute: Krieg, Corona, Inflation. Und ich sehe den Einfluss des Übernatürlichen. 1922 war es der Okkultismus, heute ist es New Age oder Esoterik.


Ohne Nosferatu hätte es keinen Carl Theodor Dreyers Vampyr – Der Traum des Allan Grey gegeben, wir hätten nie Bela Lugosi in Tod Brownings Dracula 1931 genießen können, Christopher Lee hätte 1958 bei Hammer nie seinen Einstand gehabt und auch Werner Herzog hätte 1979 nie Kinski als Nosferatu die Kamera verführen dürfen, MTV wäre bei Coppola Dracula in Kostümen geschwelgt und auch Shadow of the Vampire hätte nie das Gedankenspiel durchspielen können, ob Max Schreck vielleicht doch ein Vampir war.

Hinweis: Zum Jubiläum des Films bin ich zu einem kleinen Filmsymposium eingeladen. Am Sonntag, 6. März, kehrt das Grauen nach 100 Jahren zurück. Mit einer Matinee ehren wir im Scala Kino Fürstenfeldbruck um 12 Uhr das Meisterwerk des Vampirfilms. Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens.

Dracula im Film 2: Shadow of the Vampire 2000

22. März 2012

Sonnenaufgang für einen Vampir.

Sonnenaufgang für einen Vampir.

Eine wohltuende Überraschung ist dieses Bonbon, das wahren Vampirfreunden einfach Spaß machen muss. Der Film Shadow of the Vampire ist ein Genuss. Shadow of the Vampire zeigt in einer fiktiven Story, was wirklich hinter der besten Dracula-Verfilmung aller Zeiten stecken könnte. Was wäre, wenn Max Schreck in Murnaus Klassiker Nosferatu – eine Symphonie des Grauens in Wahrheit doch ein Vampir gewesen wäre?

Ein netter Gedanke und daraus entstand ein atmosphärisch dichter Film mit den beiden Hollywoodstars John Malkovich als Friedrich Wilhelm Murnau und Willem Dafoe als Vampir Max Schreck. Dafore wurde mit dem Oscar für seine eindrucksvolle Leistung und nochmal für die ausdrucksstarke Maske nominiert. Als Gage für sein realistisches Auftreten im Film bekommt der Vampir die Hauptdarstellerin versprochen – auch ein interessantes Geschäftsmodell, das Hollywood wieder einführen sollte.

Der Film ist voller Extreme: Murnau ist ein Besessener und Schreck ist es ebenso – aber eben jeder auf seine Weise. Aber anders als bei klassischen Dracula-Verfilmungen kommt dieses Mal keine Sympathie für den Vampir auf. Die gnadenlosen Helden des düsteren Filmes gehen buchstäblich über Leichen. Murnau opfert bedenkenlos seine Mitarbeiter für die Kunst, denn wir wissen ja, für die Kunst müssen Opfer gebracht werden. Der Vampir dagegen hat einfach nur Hunger, fett Kohldampf und spielt sich selbst als gieriger verbitterter Mann. Wer ist nun das größere Monster? Der Künstler oder der Vampir?

Und der Film von No-Name E. Elias Merhige ist eine wunderbare Hommage an den Meisterregisseur Plumpe, der sich als Künstler Murnau nannte. Der Film spielt wunderbar mit der Filmtechnik der damaligen Zeit – wir standen mitten im Expressionismus. Sehr schön ist ein Dialog von Murnau und Schreck vor einer gemalten Sonne in der Höhle des Vampir. Wir lernen viel über das Filmemachen im Stummfilmzeitalter, wenngleich das Genie des wahren Murnaus mit seiner neuartigen Montageart ein wenig auf der Strecke bleibt. Wenn ein Film wie „The Artist“ den Stummfilm im heutigen Kino wieder aufleben lässt, dann ist Shadow of the Vampire eine schöne Verbeugung an diese vergangene Zeit und ein blutiger Leckerbissen für Vampirfans.