Posts Tagged ‘Versöhnung’

Filmkritik The Change ein Kammerspiel der Gefühle

30. Oktober 2025

„The Change“ ist eine Dystrophie in der Tradition von Civil War und Bob Roberts – und ich fühlte mich stark an Woody Allens Innenleben erinnert.

Selten fühlt sich Kino der letzten Jahre so nah, so bedrohlich, so kraftvoll an wie in Jan Komasas „The Change“. Von den ersten Momenten an spinnt der Regisseur ein Netz aus familiärer Nähe und schleichender Angst, das den Zuschauer förmlich einschnürt. Das Haus der liberalen, linken Familie Taylors, erfüllt vom Glanz einer alten, gewachsenen Liebe, wird zum Mikrokosmos des politischen Umbruchs: Ausgerechnet beim Fest zum 25. Hochzeitstag nimmt die Katastrophe Gestalt an. Mit der Ankunft von Liz, einer ehemaligen Studentin mit radikalen Visionen, verändert sich die Dynamik zwischen Eltern und Kindern, zwischen Vertrauen und Zweifel, zwischen Sicherheit und drohendem Abgrund. Die Zeiten ändern sich. Der Film ist ein Versuch eines Spiegelbildes des Wandels in den USA. Der Versuch eine konservative Revolution aufzuhalten und an diesem Wandel zugrunde zu gehen.

Komasas Handschrift ist spürbar. Wie schon in „Corpus Christi“ schaut er hinter Fassaden, tastet nach den Rissen in einer scheinbar heilen Welt. Der Film ist ein Dystopie-Drama, aber sein Schrecken entsteht nicht aus Fantasie, sondern aus der erschütternden Realität einer Gesellschaft, deren Werte ins Wanken geraten. Komasa zeigt: Die Monster sitzen oft nicht unter dem Bett, sondern am Tisch, getarnt als Ideologie – und entfalten ihre zerstörerische Kraft im Vertrauten, im Alltag. Die Kamera bleibt dicht an den Figuren, fängt Blicke, Flüstern und die feinen Verschiebungen im Miteinander ein. Der Ton ist mal nüchtern, mal beängstigend direkt – jede Szene trägt das Versprechen von Eskalation, aber nie lässt Komasa die Figuren zu bloßen Symbolen verkommen.

Die Schauspieler geben alles: Diane Lane als Ellen schwankt zwischen Hoffnung und Abwehr, Kyle Chandler gibt den Zweifler, den Zweikämpfer gegen den eigenen Stillstand. Phoebe Dynevor als Liz ist eine Provokation, wandelnd zwischen Verführung und Bedrohung. Der Zusammenprall der Generationen wird zum Spiegel der politischen Radikalisierung: Die Dialoge tun weh, weil sie so ehrlich, so verzweifelt, so menschlich sind. Thanksgiving, Familientreffen, Geburtstage – jeder Anlass wird zur Prüfstein. Am Ende bleibt die Frage nach Schuld und Versöhnung, nach Verlust und Widerstand. Komasas Film bietet keine einfache Antwort, sondern zwingt zum Mitfühlen, Mitdenken, Mitzittern.

„The Change“ ist mehr als ein Thriller: Es ist ein düsteres, höchst emotionales Stück Zeitbild, ein schmerzlich schöner Film, der noch lange nachhallt. Komasa findet die Tiefe im Alltäglichen, macht die Bedrohung sichtbar und stellt den Menschen ins Zentrum. Ein Werk für alle, die Kino als emotionale Zumutung begreifen – als Warnung, als Plädoyer für den Mut, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Jan Komasas „The Change“ ist ein Film, der die politisch-dystopischen Themen in einer beklemmend nahen Gegenwart verankert. Die Geschichte der politisch eher linken Professorenfamilie, die unversehens zur Keimzelle einer revolutionären Bewegung wird, dient als Mikroskop für die Radikalisierung und Spaltung der Gesellschaft: Eine junge Frau – nach ihrer Exmatrikulation wegen antidemokratischer Thesen – entfacht mit der Bewegung „The Change“ einen Paradigmenwechsel, der das gesamte politische System Amerikas erschüttert.

Der Film analysiert die Ausbreitung faschistoider Ideologien nicht irgendwo in den Hinterzimmern der Macht, sondern dort, wo sie den Einzelnen unmittelbar erfassen: im engsten sozialen Gefüge der Familie. Diese Verlagerung ins Private macht die Bedrohung umso spürbarer, weil Komasa die Emotionalität des Alltags mit den Mechanismen totalitärer Umwälzung kontrastiert. Die Demokratie wird nicht an Wahlurnen verhandelt, sondern in den hitzigen und verzweifelten Gesprächen zwischen Eltern, Kindern und Gästen – selbst in der Unmittelbarkeit des familiären Zusammenseins ist sie fragil und gefährdet.

In der dystophischen Vision von „The Change“ verschwimmen die Grenzen zwischen Überzeugung und Manipulation, zwischen Fürsorge und Fanatismus. Die Bewegung fordert radikale gesellschaftliche Umwälzungen, die der Einzelne kaum noch selbst bestimmen kann. Wer nicht mitzieht oder sich widersetzt, wird ausgegrenzt – ein Motiv, das an historische und aktuelle autoritäre Entwicklungen erinnert. Der Film stellt dabei die Frage nach der Standhaftigkeit demokratischer Werte, wenn sie im emotionalen Ausnahmezustand zwischen Nähe und Verrat neu verhandelt werden müssen.

„The Change“ zeigt auf, wie Politik zur persönlichen Katastrophe werden kann, wenn sie den Raum zwischen Menschen erobert und radikale Ideologien selbst Liebes- und Lebensbeziehungen vergiften. Komasa blickt mit analytischer Härte und emotionaler Wucht auf eine Zukunft, die beängstigend real erscheinen kann. Die Dystopie bleibt dabei nicht abstrakt, sondern wird im privaten Mikrokosmos erschreckend konkret und menschlich erfahrbar.

Als ich in der Pressevorführung von The Change saß, fühlte ich mich unweigerlich an Woody Allens Meisterwerk Innenleben erinnert. The Change“ von Jan Komasa und Woody Allens „Innenleben“ (Interiors) verbindet ein feinsinniger Blick auf den Zerfall einer Familie, die im Schutzraum bürgerlicher Behaglichkeit mit existenziellen Erschütterungen und gesellschaftlichen Umbrüchen konfrontiert wird. Beide Filme verlagern große Themen – gesellschaftlichen Wandel, innere Leere, Unsicherheit – in die Intimität der vier Wände und machen die Familie zum Brennglas für Ängste, Ressentiments und Verstrickungen, die weit über das Private hinausweisen.

In „Innenleben“ spiegelt das kühle, stilisierte Interieur den emotionalen Stillstand, die Sprachlosigkeit und Isolation der Figuren. Allens Drama thematisiert den zerfallenden emotionalen Zusammenhalt und die Unfähigkeit, mit Veränderungen umzugehen. In „The Change“ greift Komasa diese Grundmotive auf, doch übersetzt sie ins Politische: Die Familie wird vom Sog einer radikalen Bewegung aus dem Gleichgewicht gebracht – die Zerrissenheit zwischen den Generationen, gegenseitiges Vorwerfen, Rückzug und Entfremdung eskalieren vor dem Hintergrund einer dystopischen Krise. Wie bei Allen sind es oft Blicke, Schweigen und alltägliche Rituale, in denen sich das Drama abspielt; die Macht der Atmosphäre, die beklemmende Präsenz unausgesprochener Konflikte ist beiden Filmen wesentlich.

Beide Werke erzeugen ihre emotionale Wucht durch die Kollision von Innen- und Außenwelt: Der Familienkreis wird zum Spiegel gesellschaftlicher Ängste und der Schwierigkeiten, Halt zu finden in Zeiten des Wandels. Während Allen seinen Figuren vor allem existenzielle Sinnsuche zumutet, setzt Komasa einen realen, politischen Umbruch als Treiber ein – doch in beiden Fällen stehen Entfremdung, Kontrollverlust und der Verlust von Stabilität im Mittelpunkt. Das Ergebnis ist jeweils ein Kammerspiel der Gefühle, dessen Eindringlichkeit weit über das Private hinausweist und zum Nachdenken über die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen anregt.

Lee Millers Sohn Anthony Penrose über die emotionale Kraft von „Die Fotografin“ im Amerika-Haus München

22. April 2025

Die Fotografin ist weit mehr als ein klassisches Biopic. Der Film zeichnet das bewegende Porträt einer außergewöhnlichen Frau – Lee Miller –, die als Kriegsfotografin, Künstlerin und Kämpferin gegen das Vergessen in die Geschichte einging. Im Amerika-Haus München fand vor kurzem eine Vorführung des Films statt. Anthony Penrose, der Sohn der berühmten Kriegsfotografin, wurde live zu einem Filmgespräch zugeschaltet.

Mit großer Sensibilität und visueller Kraft erzählt der Film nicht nur von den historischen Ereignissen, die Miller dokumentierte, sondern auch von den inneren Narben, die sie davontrug. Kate Winslet verkörpert die widersprüchliche, brillante und verletzliche Lee Miller mit beeindruckender Tiefe und Authentizität.

Im Amerika-Haus ist noch bis 31. Juli eine Ausstellung über das Werk von Lee Miller zu sehen ist. Ich habe hier darüber gebloggt. Im Zentrum des Abends stand jedoch für mich nicht nur der Film selbst, sondern das Gespräch zwischen Anthony Penrose und Julia Weigel, Co-Direktorin des Filmfests München. Penrose, der auch Ko-Direktor des Lee Miller Archivs ist, gab Einblicke in die Entstehung des Films, seine persönliche Beziehung zur Mutter – und wie beides auf unerwartete Weise zusammenfand.

Besonders spannend war die Entstehung des Fotobuchs, das die Grundlage für die Ausstellung im Amerikahaus bildet. Penrose erklärte, dass die Auswahl der Bilder bereits vor Fertigstellung des Films erfolgte: „Ich kannte das Drehbuch gut, weil ich eng mit den Autorinnen zusammenarbeitete, aber bei der Auswahl der Fotos war vieles auch einfach ein Ratespiel – und zum Glück lagen wir meistens richtig.“ Zudem sei es wichtig gewesen, gemeinsam mit dem Amerikahaus Motive auszuwählen, die einen Bezug zur Münchner Geschichte und zum lokalen Kontext haben.

Detailtreue als oberstes Prinzip
Der Film selbst basiert auf einem sehr persönlichen Buch Penroses über das Leben seiner Mutter. Er erzählte, wie Kate Winslet, die nicht nur Hauptdarstellerin, sondern auch Produzentin des Films ist, durch die Lektüre des Buches auf Lee Miller aufmerksam wurde.

Die Arbeit am Drehbuch sei von einem hohen Maß an historischer Genauigkeit geprägt gewesen. Penrose betonte: „Kate und unsere Drehbuchautorin Marion Hume ließen nichts im Film, was wir nicht auch beweisen konnten. Selbst Details wie: Können zwei Menschen nebeneinander die Treppe in Hitlers Wohnung hochgehen? mussten wir belegen.“

Eine Anekdote zur Datierung der Aufnahmen in Dachau veranschaulichte diese Sorgfalt eindrucksvoll. Da Lee Miller ihre Aufnahmen nicht datierte, halfen ihm die Schneeverhältnisse auf den Fotos sowie Archivmaterial aus Dachau, den exakten Tag – den 30. April 1945 – zu bestimmen.

Die Kraft der Fiktion: Gespräch mit der verstorbenen Mutter
Eine besondere narrative Ebene des Films ist der fiktive Dialog zwischen Lee Miller und ihrem erwachsenen Sohn – dargestellt von Josh O’Connor.

Penrose sagte dazu: „Diese Gespräche hat es so nie gegeben – aber es sind die Fragen, die ich ihr gerne gestellt hätte, nachdem ich ihre Fotos und Manuskripte entdeckt habe. Fragen, die ich leider erst nach ihrem Tod hatte.“ Der Film wurde für ihn zu einem emotionalen Raum, in dem Versäumtes doch noch ausgesprochen werden konnte. „Es war sehr berührend für mich, diese Szenen zu sehen. Denn obwohl es Fiktion ist, spiegelte es meine inneren Prozesse wider.“

Kate Winslet als Lee Miller – mehr als Schauspiel
Mit sichtbarer Bewunderung sprach Penrose über die Zusammenarbeit mit Kate Winslet:
„Sie ist warmherzig, klug, absolut professionell – und sie wollte Lee wirklich verstehen. Dafür verbrachte sie Wochen im Archiv, las Briefe, Manuskripte, betrachtete Fotos. Sie hat sich nicht auf mein Urteil verlassen, sondern ist selbst zur Quelle gegangen.“

Der Moment, als Penrose sie zum ersten Mal als alte Lee Miller auf der Leinwand sah, war für ihn überwältigend: „Es war, als ob meine Mutter plötzlich vor mir stand. Die Stimme, die Mimik, die Gesten – alles stimmte. Ich war völlig verwirrt: Ist das meine Mutter? Nein, es ist Kate. Oder doch nicht?“ Diese Erfahrung beschrieb er als tief emotional – als eine Begegnung mit seiner Mutter, die er so zu Lebzeiten nie hatte.

Vom Konflikt zur Versöhnung
Penrose schilderte auch die schwierige Beziehung, die er über viele Jahre zu seiner Mutter hatte. Lee Miller litt nach dem Krieg an posttraumatischer Belastungsstörung, Depressionen und Alkoholismus. „Die Frau, mit der ich aufwuchs, war eine ganz andere als die junge, kraftvolle Frau, die wir im Film sehen“, sagte er.

Die Beziehung war über lange Zeit von Konflikten geprägt – aber kurz vor ihrem Tod fanden Mutter und Sohn wieder zueinander. „Wir wurden keine klassische Mutter-Sohn-Beziehung, aber wir wurden Freunde.“ Erst durch das Schreiben ihrer Biografie, das Studium ihrer Werke – und letztlich durch Kate Winslets Darstellung – habe er seine Mutter wirklich verstehen und sogar lieben gelernt: „Ich hatte dieses Gefühl nie zuvor. Aber durch Kate habe ich meine Mutter bekommen. Und darauf bin ich sehr stolz.“

Eine Einladung zur Begegnung
Zum Abschluss wandte sich Penrose direkt an das Publikum und stimmte auf den Film ein:
„Sie werden vielleicht nicht mit einem Lächeln aus dem Film kommen – aber ich hoffe, Sie werden das Gefühl haben, meiner Mutter begegnet zu sein. Und dass sie in Ihrer Vorstellung weiterlebt. Denn sie ist es wert, gekannt zu werden.“

Auftritt als Komparse
Penrose erklärte in dem Interview, dass er im Film als Komparse zu sehen ist. Er spielt einen Dachau-Häftling – in einer kurzen, aber für ihn sehr bedeutungsvollen Szene. Er hatte sich bewusst diese Rolle gewünscht: „Ich bin der erste Gefangene, den man sieht – in gestreifter Kleidung, an ein Fenster gelehnt, mit einem sehr traurigen Blick. Es war emotional überwältigend für mich.“ Diese Szene war für ihn besonders bewegend, da sie mit einem historischen Ort und mit den Fotografien seiner Mutter verbunden ist. Die Kulisse war so detailgetreu rekonstruiert, dass Penrose den Eindruck hatte, die Fotos seiner Mutter seien zum Leben erwacht.