Posts Tagged ‘Subjektivität’

Persönlicher Nachruf auf Franz Josef Wagner

8. Oktober 2025

Nein, ich war nie ein Anhänger von ihm, aber er war ein Fels an dem man als Journalist nicht vorbeikam. Seine Kommentare erzeugten Reaktion und manches Mal auch Nachdenken. Nun ist der BILD-Kolumnist Franz Josef Wagner im Alter von 82. Jahre verstorben.

Ich hab mich über viele Kommentare von Wagner geärgert, aber man kam nicht an ihm vorbei. Er hat vielleicht dem Volk aufs Maul geschaut und dies in seine eigene Sprache transferiert. Oft habe ich seine Kolumne „Post von Wagner“ gelesen, mich aufgeregt, manchmal zugestimmt, manchmal einen dicken Hals bekommen. Ignorieren konnte ich Franz Josef Wagner nicht. In seiner letzten Kolumne widmete er sich Putin und endete: „Ein Mörder lacht uns aus.“ Da hatte Wagner recht.

Seine BILD-Kolumne endete immer versöhnlich mit: „Herzlichst. Ihr Franz Josef Wagner“.
Der Werdegang kann überall nachgelesen werden: Volontariat bei der Nürnberger Zeitung, später streitbarer Chefredakteur der Bunten. Ich hörte mal den Ausruf, der ihm wohl zugeschrieben wird, belegen kann ich es allerdings nicht: „Ich recherchiere mir doch meine Geschichte nicht kaputt“. Das ist gefährlich, aber Wagner war eine journalistische Trüffelsau, er roch die Geschichten, denn er war ein hervorragender Geschichtenerzähler. Gerne lese ich noch im Bild-Buch von Taschen.

In meinen Journalismus-Seminaren analysierte ich seine Sprache mit meinen Teilnehmern immer wieder: Franz Josef Wagners journalistische Sprache war unverkennbar und polarisiert bis zuletzt: Sie war geprägt von kurzen, oft abgehackten Sätzen, die eine enorme emotionale Wucht entfalten konnten. Seine Kolumnen waren ein Wechselspiel aus Anklage, Flehen, Dialog und oft ironischem Schmunzeln, immer im direkten, adressierenden Stil.

Wagner wurde häufig als „Gossen-Goethe“ bezeichnet, weil er einerseits gerne große Gefühle und existenzielle Themen behandelte, andererseits aber nie den Tonfall des Boulevardscheues: Einfachheit, Direktheit, sprachliche Provokation und bewusste Zuspitzung prägten seine Texte. Seine Sprache war poetisch wie drastisch zugleich – immer auf der Suche nach dem perfekten, einprägsamen Satz. Er stilisierte das Fragmentarische, verwendete viele rhetorische Fragen, spielte mit Sehnsucht, Melancholie und Nostalgie.

Sein Schreiben war dabei persönlich, subjektiv und stets auf das Lebensgefühl der Leserschaft gezielt. Wagner hatte keine Angst vor Pathos, konfrontierte sich und seine Leser mit den Abgründen des Alltags, war aber auch selbstironisch und stellte seine eigene Position immer wieder in Frage. Häufig wurde sein Stil als „bissig“, „impulsiv“, mitunter „hysterisch“ oder „zynisch“ beschrieben.

Während viele seine Kolumnen als „Gedichte für das Boulevardpublikum“ feierten, warf man ihm oft Übertreibung, gezielte Provokation und grobe Vereinfachungen vor. Er wurde gefeiert wie kritisiert und galt als Stimme des Volkes, als „Volksschriftsteller“ mit großer Leidenschaft für die Sprache, dabei aber immer auch als umstritten.

Persönlicher Nachruf auf Georg Stefan Troller

28. September 2025

Ich bin um Trauer um ein journalistisches Vorbild. Georg Stefan Troller ist im Alter von 103 Jahren in Paris gestorben – und mit ihm verlässt die Welt einen der eindringlichsten, neugierigsten und zugleich sensibelsten Journalisten ihrer Zeit. Ich durfte Troller im hohen Alter in München treffen und verneige mich vor seinem journallistischen Werk. Es hat mich inspiriert.

Trollers Leben war vom Fluch der Geschichte ebenso geprägt wie von einer fast trotzigen Hingabe zur Sprache: Geboren als jüdischer Pelzhändler-Sohn in Wien, vertrieben vom Nationalsozialismus, floh der Jugendliche 1938 mutterseelenallein über die Tschechoslowakei und Frankreich in die USA, bevor er als GI nach Deutschland zurückkehrte, das KZ Dachau miterlebte und Zeugnis ablegte für ein Jahrhundert voller Brüche.

Doch Trollers Antwort auf die Unwirklichkeit der Vertreibung war nie Resignation, sondern das Gespräch, die lebendige Begegnung, das behutsame Öffnen der Biografie des Gegenübers. Seine Fernseharbeit – legendär das „Pariser Journal“ und die „Personenbeschreibung“ im ZDF – wurde zur Schule der Empathie, zur Bühne des Menschlichen jenseits glänzender Oberflächen. Während andere am Sensationshunger der Medien rührten, suchte Troller nach den verborgenen Wunden, nach Absurdität und Wahrheit – immer mit der leisen Hoffnung, dass sich im Erzählen der Schmerz mildern lässt und Herkunft nicht mehr Fluch, sondern eigene Wahrheit sein darf. Dass er dabei strikt seine jüdische Herkunft jahrzehntelang verheimlichte – aus Furcht vor antisemitischer Ablehnung – macht seine Sendungen umso eindringlicher: denn seine Fragen galten nie nur dem Porträtierten, sie leuchteten stets in die Schatten der eigenen Geschichte. Troller starb in einer Zeit, in der der Antisemitismus in unserem Land wieder erwacht. Ich könnte kotzen.

Seine Interviewtechnik veränderte den deutschen Fernsehjournalismus nachhaltig. Er lehnte jede neutrale Distanz ab, bestand auf Subjektivität, auf der Aufrichtigkeit der eigenen Zweifel und Sehnsüchte. Der poetische Kommentar, die Montage von Bild, Wort und biografischer Erschütterung, machten seine Fernseharbeiten stilbildend – für Generationen von Kulturvermittlern, die ihm nachfolgen sollten. Vielleicht war Troller einer der ersten Blogger. Troller selbst bezeichnete den Journalismus als Mittel der Selbstrettung, der Begegnung mit Menschen als Versuch, Lebensberechtigung zu finden, dort, wo Sprache und Erinnerung ihre Heimat haben. Zu seinem 100. Geburtstag habe ich ein Video für ihn aufgenommen.

Sein Paris wurde ihm als Emigrant zum Symbol einer zweiten Geburt. Im Viertel Saint-Germain-des-Prés, im Herz der Geschichte, fand er Vergangenheit und Zukunft, die Brücken seiner eigenen Existenz. Der Verlust von 19 Angehörigen im Holocaust, die unablässige Fremdheit, wurden nie Schlusspunkt – sondern der Ausgang einer lebenslangen Reise, der Suche nach eigenen Leuten, nach dem, was Mensch-Sein jenseits aller historischen Verheerung bedeutet.

Was bleibt nach Trollers Tod, ist mehr als ein Nachruf. Es ist die Einladung, hinter Fassaden zu schauen, der Welt subtil und mitfühlend Fragen zu stellen. Sein Werk mahnt, die Verletzlichkeit in anderen zu sehen, das Gespräch zu suchen, selbst und immer wieder. Troller, der Zeitzeuge und Menschenfreund, hat mit seinen Fragen das Fernsehmedium in eine Schule der Sensibilität verwandelt und die Hoffnung hinterlassen, dass Verständigung möglich bleibt – solange Sprache, Erinnerung und Menschlichkeit nicht verstummen.

Gerne hätte ich ihn noch einmal getroffen und mit ihm über seinen Deutschland-Film gesprochen. In seinem Leben hat Troller mehr als 1.700 Interviews geführt, drehte rund 200 Filme und schrieb Drehbücher und Bücher, darunter 1988 die Autobiographie „Selbstbeschreibung“. Seine Arbeit wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit mehreren Adolf-Grimme-Preisen, einer Oscar-Nominierung, Bambis und der Goldenen Kamera.