Posts Tagged ‘Sebastião Salgado’

Soundtrack meines elektronischen Lebens – Jean-Michel Jarre live in Stuttgart 2025

26. Juli 2025

Jean-Michel Jarre und ich sind zusammen alt geworden. Als Schüler war ich von seinen Alben Oxygène, Equinoxe und Les Chants Magnétiques begeistert und bin dem französischem Musiker all die Jahre treu geblieben. Ich verbeuge mich vor der enormen Wandlungsfähigkeit des 76jährigen. Während meine anderen Helden der elektronischen Musik wie Kraftwerk kaum eine Veränderung ihres Werkes zulassen, schreitet Jarre immer weiter voran.

In Stuttgart auf den JazzOpen hatte ich mal wieder die Gelegenheit Jean-Michel Jarre mit seiner bombastischen Show live zu erleben – soundtechnisch, musikalisch und optisch ein Erlebnis.

Ich bin mit meiner Konzertkritik ein paar Tage hinten dran, aber wollte dennoch meine Eindrücke festhalten. Der Schlossplatz im Herzen Stuttgarts verwandelte sich in ein elektrisierendes Gesamtkunstwerk aus Klang, Licht und Vision. Vor 6.400 begeisterten Besucherinnen und Besuchern setzte der französische Elektronik-Pionier mit einer multimedialen Show Maßstäbe und bestätigte seinen Legendenstatus eindrucksvoll.

Bühnenbild & Atmosphäre
Das visuelle Konzept des Abends unterstrich Jarres Anspruch auf Innovation: Zwölf hochauflösende LED-Stelen verschmolzen mit riesigen Projektionen und einer Armada von Lasern. Jarres berühmte Lasertechnik wurde nicht nur als klassisches Showelement genutzt, sondern als integraler Bestandteil des künstlerischen Konzeptes. Die Strahlenfächer, Wellen und dynamischen Muster tauchten Schlossplatz und Publikum in ein sich ständig wandelndes Farbenmeer.
Dabei hatte fast jeder Song eine eigene Lichtsprache. Durch intelligente Abstimmung zwischen Sound und Technik entstand für jedes Stück eine individuelle Atmosphäre – von sphärisch-ruhig bis hin zu explosiv-lebendig.

Für mich der Höhepunkt war die Musik aus Zoolook. Zoolookologie war damals und heute für mich ein Beispiel für die Experimentierfreudigkeit des Franzosen. Das Album Zoolook setzte 1984 die noch recht neue Sample-Technik massiv ein, indem er Sprachaufnahmen aus unterschiedlichen Ethnien in kleine Sequenzen zerschnitt. Eine wunderbare Weiterführung von Pierre Schaeffers Musique concrète. Und auch wunderbar und nur für Hardcore-Fans erkennbar, gab es vor dem Countdown Musik aus dem Soundtrack zur Ausstellung Amazônia, eine Verbeugung vor dem Fotoreporter Sebastião Salgado, der im Mai 2025 in Paris verstarb.

Die Kunstwerke, teils poetisch von Künstlicher Intelligenz generiert, begleiteten jeweils die Songs — weit entfernt vom typischen „AI-Slop“ überzeugten die Animationen mit einer eigenen, künstlerischen Handschrift.

Die Atmosphäre war elektrisierend, ohne aufgesetzt zu wirken. Das Publikum – eine internationale Mischung, darunter viele französische Fans – feierte Jarre enthusiastisch. Der fast 77-Jährige wirkte auf der Bühne überraschend jugendlich und interagierte charmant mit den Zuschauern, darunter sogar ein spontaner Handylichter-Sternenhimmel auf seine Einladung.

Jarre präsentierte einen Querschnitt seines Schaffens von Klassikern wie „Oxygene“ und „Équinoxe“ über experimentelle Neuheiten bis hin zu technoiden Soundcollagen. Die Soundqualität war dabei unfassbar transparent, druckvoll und dennoch nie zu laut – jedes Klangdetail kam zur Geltung.

Der Abschluss seiner Europa-Tour bei den JazzOpen 2025 in Stuttgart hatte für Jean-Michel Jarre eine besondere Bedeutung: Das Konzert wurde als Finale der Tour inszeniert und war sowohl für das Festival als auch für Jarres aktuelle Karrierephase ein Meilenstein.

Audiotipp: Amazonia von Jean-Michel Jarre

10. April 2021

Wenn andere den Ruhestand genießen, ist Jean-Michel Jarre weiterhin produktiv tätig. Seine beiden jüngsten VR Konzerte hauten mich vom Hocker. Jetzt legt der 72jährige einen Soundtrack zu einer Fotoausstellung vor: Amazônia nach den Fotografien von Sebastião Salgado. Der Meister der Schwarzweiß-Fotografie war in Südamerika unterwegs und hat Eindrücke vom Amazonas eingefangen, Jarre liefert jetzt den Sound dazu. Ich schreibe bewusst nicht, dass er die Musik dazu liefert, denn es ist weitaus mehr. Es ist die Atmosphäre des Amazonas in Klang gepackt. Stimmen, Sprachsamples, Geräusche, Klänge, Wörter, Husten, Kreischen, das Prasseln des Feuers als wiederkehrendes Element, verknüpft mit Rhythmen, Schläge, Ambient-Klängen – eine elektronische Weltmusik, die inspiriert und provoziert.

Wie schon bei Zoolook 1984, also vor Jahrzehnten, geht Jarre weit über die klassische elektronische Musik hinaus. Er, der eigentlich auch für Bombastik bekannt ist, reduziert in Amazonia und durchbricht als 72 etablierter Musiker wieder Grenzen. Jarre lässt sich nicht einengen. Er macht keinen gefälligen Sound und stößt mit diesem Album die Tanzbären des Techno vor den Kopf. Amazônia ist ein Album für den Kopf und ich habe mir einen älteren Fotoband von Salgado mit dem wegweisenden Titel GENESIS herausgeholt. Amazonia erscheint erst im Mai 2021 bei meinem Lieblingsverlag Taschen. Sebastião Salgado bereiste sechs Jahre lang das brasilianische Amazonasgebiet und fotografierte die unvergleichliche Schönheit dieser einzigartigen Region: den Regenwald, die Flüsse, die Berge, die Menschen, die dort leben – ein unersetzlicher Schatz der Menschheit, in dem die ungeheure Kraft der Natur wie nirgendwo sonst auf der Erde zu spüren ist. 200 Bilder umfasst die Ausstellung, die seit dem 7. April 2021 in der Pariser Philharmonie zu sehen ist. Mal sehen, ob und wann die Ausstellung nach Deutschland kommt.

Seite für Seite habe ich den Band Genesis durchgeblättert und mich in den teils meditativen Sound von Jean-Michel Jarre vertief und verloren. Ja, der Sound ist gewöhnungsbedürftig und ich möchte das Album nicht als Musiktipp, sondern eher als Audiotipp bezeichnen. Es ist der Klang eines Ökosystems. Ich habe es mir genau zum Erscheinungstag bei Apple Music geladen und am selben Tag traf die CD bei mir ein.

Mein Rat: Lasst euch auf den Meister und seine Interpretation von Amazônia ein.

Buchtipp: Genesis von Sebastião Salgado

17. Mai 2013

teaser_fo_salgado_genesis_top_1212171540_id_645724

Leider fotografiere ich nicht mehr so viel, wie ich eigentlich gerne möchte. Aber meine Liebe zu Fotos ist weiterhin voll entbrannt. Nicht zuletzt als ich das Prospekt für das wunderbare Buch Genesis von Sebastião Salgado geschickt bekam. Der Taschen-Verlag, zugegeben einer meiner Lieblingsverlage, bringt das opulente Werk in den nächsten Tagen auf den Markt. Allen Fotofreunden, die über das entsprechende Kleingeld verfügen, rate ich: Greift zu – es lohnt sich.

In meinen Fotoseminaren zeige ich immer wieder Ausschnitte aus der Fotogeschichte. Bei Anselm Adams flippen die Seminarteilnehmer aus. Künftig werden sie es auch bei Sebastião Salgado tun, das verspreche ich. Für mich ist Salgado der Anselm Adams des 21. Jahrhunderts, nicht mehr, nicht weniger.

Acht Jahre hat der brasilianische Fotograf gebraucht, um sein Projekt Genesis fertig zu stellen. Herausgekommen ist eine Liebeserklärung an unseren Planeten, an das Ursprüngliche.  Salgado hat mehr als 30 Reisen unternommen, in kleinen Propellermaschinen, zu Fuß, mit dem Schiff, im Kanu und sogar im Fesselballon, und dabei klimatischen Extremen und lebensbedrohlichen Situationen getrotzt, um Bilder zu sammeln, die uns Natur, Tierwelt und eingeborene Völker in atemberaubender Pracht vor Augen führen. „In Genesis sprach die Natur durch meine Kamera zu mir. Und ich durfte zuhören“, sagt Sebastião Salgado. Als ich die Bilder betrachtete, kam Bewunderung, Hochachtung und Wut auf. Bewunderung für dieses Mammutprojekt, Hochachtung für die Leistungen der Natur und Wut, weil wir Menschen Gefahr laufen, alles zu verlieren. Das Projekt Genesis ist für mich ein Appell an die Mitmenschen, die Schöpfung zu bewahren. Sebastião Salgado führt uns mit atemberaubenden Bildern seine Sicht auf die Schöpfung vor. Im Moment läuft bis September die Genesis-Ausstellung im Londoner Natural History Museum. Dort kann man die Bilder live betrachten.

In dem YouTube-Video schaue ich mir den Werbeprospekt für die Luxusausgabe des Buches genauer an:

In Sachen Pressefotografie ist der Fotograf eine Berühmtheit. Er ist Mitglied der legendären Agentur Magnum, die vom Urvater der Pressefotografie Robert Capa gegründet wurde. 1981 fotografierte Sebastião Salgado das Attentat auf US-Präsident Ronald Reagan und wurde schlagartig in der aktuellen Pressefotografie bekannt. Zuvor widmete sich er sich der sozialkritischen Fotografie.

Das Buch gibt es in einer Volksausgabe für rund 50 Euro, aber auch in unterschiedlichen Sammlerausgaben von 3000 bis 8000 Euro, je nach Geldbeutel.