Am heutigen Tag der Deutschen Einheit werden sicher wieder bedeutungsschwere Reden geschwungen, ob Deutschland nun endlich zusammengewachsen ist. Meiner Meinung ist dieses Land zutiefst gespalten, wenn ich mir Wahlergebnisse und Umfragen ansehe. Aber ich kenne auch glückliche Deutsch-Deutsche Ehepaare bei denen die Vereinigung geklappt hat (hach Wortspiel).
Aber ich will nicht politisieren. Mindestens einmal im Jahr, aber immer am Tag der Deutschen Einheit hole ich eine Schallplatte der Berliner Philharmoniker hervor und spiele sie in Ruhe ab. So auch heute. Das Album heißt das Konzert November 1989.

Der 9. November 1989 wurde zu einem historischen Datum. Dieser Donnerstag und das folgende Wochenende rückten die beiden deutschen Staaten in den Mittelpunkt des Interesses der Weltöffentlichkeit und prägten sich vor allem den Berlinern tief ins Gedächtnis ein. 28 Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer öffnete die DDR ihre Grenzen zum Westen. Als ersten Schritt eines Reformprogramms, das die innenpolitischen Ereignisse erzwungen hatten, erlaubte die Regierung des zweiten deutschen Staates ihrer Bevölkerung freies Reisen.
Vor allem West-Berlin wurde daraufhin von Hunderttausenden Berlinern aus dem anderen Teil der Stadt überschwemmt. Auch die Berliner Philharmoniker blieben nicht unberührt von der Woge freudiger Begeisterung, die die Stadt erfasst hatte. Natürlich haben viele ihrer Mitglieder freund- und verwandtschaftliche Beziehungen nach „drüben“, und noch kurz vor dem Mauerbau waren einige junge Musiker aus dem Ostteil der Stadt neu zum Orchester gestoßen. Spontan beschlossen die Philharmoniker daher, zur Feier des Ereignisses, am Sonntag, den 12. November 1989, ein Sonderkonzert für Besucher aus der DDR als ihren Beitrag zu geben: Nachdem sie ein halbes Jahr zuvor zum ersten Mal nach über dreißigjähriger Zwangspause wieder im anderen Teil der Stadt konzertiert hatten, wollten sie sich interessierten Besuchern aus Ost-Berlin und der DDR nun auch im eigenen Haus, in der Scharoun-Philharmonie am Kemperplatz vorstellen.Schon an den alten Übergangsstellen und den schnell eingerichteten neuen Mauerdurchbrüchen wurden sie von wartenden Menschengruppen mit Beifall und Blumen begrüßt. In der Gegend um Gedächtniskirche und Ku-Damm brach der Verkehr im Gedrängel der Menschenmassen völlig zusammen, es herrschte Volksteststimmung, die Nacht wurde zum Tage, immer wieder fielen sich Unbekannte aus Freude über das Ereignis, das noch ein paar Wochen zuvor unvorstellbar schien, in die Arme.
Die Gelegenheit war dem Vorhaben günstig: Das Orchester von Daniel Barenboim arbeitete an einer Schallplattenaufnahme von Mozarts Così fan tutte, und mit Barenboim, dem langjährigen Chef des Orchestre de Paris und designiertem Nachfolger Sir Georg Soltis an der Spitze des Chicago Symphony Orchestra, hatten sie erst Ende Oktober ein Programm mit Beethovens erstem Klavierkonzert und der siebenten Symphonie aufgeführt. Der damals 47jährige Dirigent, der schon 1969 zum ersten Mal am Pult des Eliteorchesters gestanden hatte, war sofort einverstanden, dieses Sonderkonzert nicht nur zu leiten, sondern auch als Solist zu gestalten. Und so zufällig war auch die Programmfolge von das Konzert November 1989.zustandegekommen.
Niemand hätte aus Anlass dieser deutsch-deutschen Wiederbegegnung eine bessere und passendere Wahl treffen können. Denn wie Beethoven sowohl in seinem Grand Concert von 1798 als auch in seiner A-Dur-Symphonie von 1812 zugunsten heiterer, ja tänzerischer Beschwingtheit auf alle heroischen und pathetischen Töne verzichtete, so fehlte es der „ersten unblutigen Revolution der Deutschen“, die sich seit dem 40, Gründungstag der DDR jenseits von Mauer und Stacheldraht abspielte, an allen Zügen von Aggressivität und Gewalt. Besonders an diese friedliche Revolution sollten wir uns erinnern und nicht in German Angst verfallen. Nutzen wir die Chancen zum heutigen Tag der Deutschen Einheit.




