Ich mag den blutsaugenden Grafen. Ich liebe Dracula-Filme, egal ob mit dem theatralischen Bela Lugosi, dem gnadenlosen Christopher Lee, den irren Klaus Kinski, den verführerischen Frank Langella, den erschreckenden Max Schreck oder den opulenten Gary Oldman. Und wer diese großartigen Verfilmung liebt, der greift auch immer wieder zur literarischen Vorlage von Bram Stoker.

Der Roman des Iren hat eine besondere Form der Erzählweise. Dracula ist eine Mischung aus Reise-, Liebes-, Abenteuerroman und Schauergeschichte und besteht aus einer Folge von Tagebucheintragungen, Mitschriften von Phonographaufnahmen, Briefen und Zeitungsartikeln. Was sehr abstrakt klingt, liest sich auch heute noch genial. Obwohl der Roman 1897 erschienen ist, hat er nichts an Modernität und Spannung verloren. Wer des Englischen mächtig ist, der liest seinen Dracula natürlich im Original.
Bei den deutschen Übersetzungen liegen eine Vielzahl von Versionen vor und ich will versuchen, sie einzuordnen und gar zu bewerten. Die Frage ist also: Welche Dracula Übersetzung ist die beste?
Ulrich Bossier und Andreas Nohl
Die beiden modernsten Übersetzungen stammen aus dem Jahre 2012 zum 100. Todestag des Autors. Die Übersetzer Ulrich Bossier und Andreas Nohl haben sich dem Werk angenommen. Zunächst mochte ich die Version von Andreas Nohl, der eigenständiger an das Buch herangeht, sogar Dialekt einbaut. Manches Mal interpretiert er seinen Stoker auch, womit ich aber kein Problem habe. Dem Leser des 21. Jahrhunderts wird die Übersetzung gefallen und er liest Dracula in einem Rutsch ungestört durch. Und dennoch: Irgendwie bin ich Purist und hab mich dann gegen die glatte Übersetzung von Andreas Nohl entschieden und lieber zu Ulrich Bossier gegriffen.

Ulrich Bossier hält sich näher ans Original. Ich kenne den Übersetzer nicht persönlich, aber er scheint ein Pedant zu sein und übersetzt sehr akribisch. Damit bleibt er für mich sehr nahe am englischen Ausgangstext, auch wenn jüngere Leser mit der Satzstrukturen auf den ersten Blick ihre Probleme haben werden. Da müssen Dracula-Fans aber durch. Mir hat der Reclam-Verlag eine schöne Taschenbuch-Ausgabe des Buches Dracula im Mai 2020 überlassen. Ich kam aber erst über die Weihnachtstage zum Lesen und Vergleichen, aber Dracula ist zeitlos.
Karl Bruno Leder und Stasi Kull
Wer noch ein wenig weiter in die Geschichte der Übersetzungen zurückgeht und sich vor der alten Rechtschreibung sich nicht scheut, dem empfehle ich die Übersetzungen von Karl Bruno Leder und Stasi Kull. Beide Übersetzungen sind vollständige Übersetzungen, was für die Beurteilung des Werkes von Stoker wichtig ist.

Mein erstes Dracula-Buch stammte aus der schwarzen dtv Phantastica-Reihe von 1981, die Übersetzung von Stasi Kull selbst stammt aus dem Jahre 1967. Stasi Kull ist ein Pseudonym. Dahinter verbirgt sich der österreichische Lyriker, Schriftsteller und Übersetzer H. C. Artmann. Dabei übersetzte der im Dezember 2000 verstorbene Artmann auch Lovecraft ins Deutsche und schuf eine wienerische Ausgabe von Asterix als Legionär. Ich mag die Übersetzung, sicherlich vor allem weil es mein erstes Dracula-Buch als Jugendlicher war.

Karl Bruno Leder hat für den Insel-Verlag auch den von mir sehr geschätzten Roman Frankenstein von Mary Shelley übersetzt. Seine Übersetzung stammt aus dem Jahre 1968 und liest sich flüssiger und leichter als die Version von Kull.
Es gibt zudem noch Übersetzungen von Heinz Widtmann aus dem Jahre 1908, Tausendsassa Wulf Bergner (bekannt durch zahlreiche Stephen King Übersetzungen) von 1967, Bernhard Willms 1993. Nun als Fazit: Greift zur Ausgabe von Ulrich Bossier, dann könnt ihr als Dracula-Fan nichts falsch machen.