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Wenn Klänge atmen – Ein Abend mit Martin Kohlstedt bei den Jazzopen 2025

17. Juli 2025

Es war einer dieser lauen Sommerabende, an denen das Schlossplatz-Flair in Stuttgart wie elektrisiert in der Luft lag. Die Jazzopen 2025 hatten schon viele magische Momente geboten – doch als Martin Kohlstedt die Bühne betrat, wurde es still und erwartungsvoll zugleich. Im ersten Moment kaum greifbar, wie ein zaghafter Hauch, tastete sich sein Spiel — irgendwo zwischen akustischer Poesie und elektronischer Vision — in die Herzen des Publikums.

Ich kenne und schätze Martin Kohlstedt seit Jahren und als ich hörte, dass er vor dem großen Jean-Michel Jarre in Stuttgart auftritt, dann war klar: Da muss ich hin.

Meines Wissens war in Stuttgart das größte Publikum versammelt, vor dem Kohlstedt je gespielt hat. Daher war der Musiker sicherlich nervös, was man seinem Spiel aber nicht anmerkte, wohl aber seinen Ansagen.

Kohlstedts Hände flogen förmlich über die Tasten, als suchten sie nach einer Sprache jenseits der Worte. Seine Klavierlinien verschlangen sich mit feinen elektronischen Texturen, mal zart wie Morgentau, dann wieder fordernd, fast eruptiv. Mit jedem einzelnen Takt schien die Musik zu pulsieren, zu atmen, sich neu zu formen — getragen von einer Intimität, die das Publikum mitten ins Geschehen holte. Die modulare Kompositionsweise des Künstlers sorgte dafür, dass Altvertrautes urplötzlich in neuen Farben leuchtete, dass die Grenzen zwischen Improvisation und festem Werk verschwammen.

Die meisten Menschen im Publikum waren sicherlich wegen Jean-Michel Jarre gekommen und kamen zum ersten Mal in Kontakt zu Martin Kohlsted. Für mich steht fest: Kohlstedt hat durch diesen Auftritt neue Fans gewonnen, die über die musikalische Begabung des Thüringers begeistert waren.

Der Abend war ein Fluss von Emotionen — an manchen Stellen schwebte sanfte Nachdenklichkeit durch die Luft, dann wieder blitzten Momente purer Euphorie auf. Kohlstedts Mut, musikalisch das Ungewisse zu suchen, zog sich wie ein roter Faden durch das Set. Jeder Ton, jede Pause, jeder elektronische Impuls schien eine Botschaft zu sein: Hier entsteht etwas Einzigartiges – gemeinsam, im Hier und Jetzt.

Das Publikum ließ sich mittragen, leise erste „Bravo“-Rufe gingen in tosenden Applaus über. Wer zuvor vielleicht noch skeptisch war, stand am Ende berührt und inspiriert da, dankbar für einen Musiker, der den Mut hat, Musik als lebendigen Dialog zu begreifen. Die Jazzopen 2025 erhielten in diesem Augenblick eine neue Facette: Martin Kohlstedts Klangwelten verdichteten sich zu einer Erfahrung, die weit mehr war als ein Konzert — sie war ein emotionales Eintauchen in den unvorhersehbaren Zauber des Moments.

Wie ich auf Nachfrage bestätigt bekam, gab es hinter der Bühne einen Handschlag vom französischen Meister schon während des Soundchecks. Ich denke, hier ist auch ein Herzenswunsch von Kohlstedt in Erfüllung gegangen. Ich freu mich auf die nächsten Konzerte mit diesem Künstler.

Zwischen Vision und Wirklichkeit – Ein elektrisierender Abend mit Kraftwerk

14. Juli 2025

Es gibt diese seltenen Momente, in denen Musik nicht nur erklingt, sondern den Raum verwandelt. Am 8. Juli 2025 wurde der Stuttgarter Schlossplatz zur digitalen Kathedrale, als Kraftwerk die Bühne der Jazzopen betraten. 7.200 Menschen, ausverkauftes Haus, und doch lag eine gespannte Ruhe in der Luft, als die ersten Vocoder-Klänge den Countdown zur „Mensch-Maschine“ einleiteten.

Der Himmel über dem Schlossplatz färbt sich langsam violett. Die Jazzopen 2025 haben geladen, und mit Kraftwerk steht eine Legende der elektronischen Musik auf dem Programm. Schon Stunden vor Beginn ist die Atmosphäre elektrisiert. Menschen aller Generationen strömen herbei, viele tragen T-Shirts mit den ikonischen Kraftwerk-Grafiken, einige sogar in Anzügen und Krawatten – Hommage an die Ästhetik der Band. Ich habe nach Essen und Wien nun die wichtigste deutsche Band zum dritten Mal gesehen, jedes Mal mit einem anderen Konzept, aber immer mit der für mich wegweisenden Musik. Es wird immer weiter gehen, Musik als Träger von Ideen.

Die Bühne als Zeitmaschine
Als die Lichter erlöschen, ist es, als würde eine Zeitmaschine anspringen. Vier Silhouetten erscheinen hinter ihren Pulten, umgeben von geometrischen Formen, die über die Leinwand tanzen. Die ersten Takte von „Nummern“ erklingen, und sofort ist klar: Hier wird keine Nostalgie zelebriert, sondern eine musikalische Vision, die nie an Aktualität verloren hat. Die Beats sind präzise, die Sounds glasklar – und doch schwingt eine Wärme mit, die Kraftwerk immer von ihren Nachfolgern unterschieden hat. Der Sound in Stuttgart war wirklich für mich hervorragend. Mich drückte der Sound regelrecht in den Klappstuhl.

Wackelkontakt
Ich will nicht päpstlicher sein als der Papst, aber dieses Mal hatte die Band ihre Anzugtechnik nicht im Griff. Da schaffen es die Techniker eine großartige Light- und Multimedia-Show auf die Bühne zu bekommen, aber die Lampen an den Anzügen der vier Akteure flackerten. Techniker kamen während des Konzerts auf die Bühne und legten wohl eine Duracell nach. Am Ende stand Mastermind Ralf Hütter mit halberleuchteten Anzug hinter seinem Pult. Ist es wirklich so schwer, Lampen in einen Bühnenanzug zu schrauben? Es gab wohl bei fast allen im Team Schwierigkeiten.

Der Puls der Stadt
Der Schlossplatz vibriert. „Computerwelt“ und „Autobahn“ – Hymnen einer digitalisierten Gesellschaft – entfalten ihre hypnotische Wirkung. Die Menge wiegt sich im Takt, von den ersten Reihen bis zu den hinteren Stehplätzen. Die Projektionen, mal minimalistisch, mal verspielt, erzählen Geschichten von Datenströmen, urbaner Mobilität und dem ewigen Traum vom Fortschritt. Es ist, als würde der Puls der Stadt mit dem der Musik verschmelzen. Erinnerungen kommen hoch, als Alexander Gerst einmal von der ISS zugeschaltet wurde. Was war das für ein geschichtsträchtiger Moment! So etwas lässt sich nicht toppen. Ausfallende Lampen am Anzug sind vielleicht ein Zeichen, dass Ralf Hütter vielleicht mal was neues auflegen sollte.

Zwischen Euphorie und Melancholie
Doch Kraftwerk können auch anders. Bei „Radioaktivität“ wird die Stimmung nachdenklicher. Die Projektionen zeigen atomare Warnzeichen und Mahnungen an die Verantwortung des Menschen. Die Musik wird düsterer, fast bedrohlich. Es ist ein Moment der Reflexion, der zeigt, wie politisch und relevant Kraftwerk immer noch sind. Für mich eines der stärksten Songs der Band.

Die Roboter tanzen – und wir mit ihnen
Als die Zugabe „Die Roboter“ erklingt, wird die Bühne zur futuristischen Performance. Die Musiker bewegen sich kaum, und doch ist alles Bewegung: Die Visuals, die Musik, das Publikum. Für einen Moment scheint es, als wären wir alle Teil einer großen Choreografie – Mensch und Maschine, vereint im Rhythmus. Es ist ein Gänsehautmoment, in dem die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum verschwindet.

Ein Fest für die Sinne
Die Setlist ist ein Streifzug durch fünf Jahrzehnte Musikgeschichte: „Das Model“, „Spacelab“, „Tour de France“ „Trans Europa Express“ – jeder Song ein Meilenstein, jeder Beat ein Stück Zukunft. Die Visuals sind ein Fest für die Sinne: Mal leuchtende Zahlenkolonnen, mal rasende Autobahnen, dann wieder die ikonischen Roboterfiguren. Wer mittig steht, erlebt ein Gesamtkunstwerk aus Klang und Bild; an den Rändern bleibt manches Detail verborgen, doch die Energie ist überall spürbar. Die Mensch-Maschine funktioniert.

Das Publikum: Von jung bis alt, von Nerd bis Tänzer
Was besonders berührt: Das Publikum ist so vielfältig wie selten bei einem Konzert. Ältere Fans, die Kraftwerk noch aus den 70ern kennen, tanzen neben jungen Menschen, die die Band erst durch Techno und Electro für sich entdeckt haben. Es ist ein generationenübergreifendes Erlebnis, das zeigt, wie zeitlos und verbindend Musik sein kann.

Finale mit Zukunftsvision
Nach mehr als zwei Stunden endet das Konzert mit „Musique Non Stop“. Die Musiker verabschieden sich einzeln, jeder mit einer kleinen Verbeugung, während die Musik weiterläuft. Es ist ein symbolischer Akt: Die Maschine spielt weiter, auch wenn der Mensch die Bühne verlässt. Ein letzter Blick auf die leuchtenden Projektionen, dann verschwindet Kraftwerk im Dunkel der Nacht – und hinterlässt ein Publikum, das noch lange nach dem letzten Ton auf dem Schlossplatz verweilt. Als Zugabe gab es die Roboter. Ralf Hütter, Henning Schmitz, Falk Grieffenhagen und Georg Bonartz machten die gewohnte Verbeugung vor der Zugabe.

Ein Abend, der bleibt
Kraftwerk bei den Jazzopen 2025 war weit mehr als ein Konzert. Es war eine Reise durch Raum und Zeit, ein Fest der Sinne, ein Nachdenken über Technik, Kunst und Menschlichkeit. Es war ein Abend, der zeigte, dass Musik nicht nur unterhalten, sondern bewegen, verbinden und inspirieren kann. Wer dabei war, wird diesen Moment nicht so schnell vergessen – denn für ein paar Stunden war die Zukunft in Stuttgart zu Gast. Jetzt bin ich gespannt auf München im Winter. Dort spielen die Herrschaften in der schlechtesten Halle der Stadt. Ich hoffe, dass ausgefallene Anzugslampen das kleinste Übel sein werden.

Konzertkritik: Bob Dylan in Stuttgart 2019 – Jazz Open

12. Juli 2019

Bereits zum zweiten Mal habe ich Bob Dylan live in diesem Jahr gesehen. Nach Augsburg jetzt vor kurzem in Stuttgart beim Jazz Open. Bereits zum zweiten Mal war es ein herausragendes Konzert. Mit 78 Jahren rockt er zusammen mit seiner bewährten und famosen Combo die Hütte.

Routiniert begann der Bühnenaufbau. Auf der linken Seite (von der Bühne aus gesehen) stand die Statue aus Tempest und dahinter der Oscar für Things have Changed. Die Clubscheinwerfer waren zunächst während der Abendsonne über Stuttgart ausgeschaltet. Dylan sprach wie immer kein Wort in Richtung Publikum.

Oscar links, Tempest rechts

Oscar links, Tempest rechts

Und dennoch war es anders als sonst: Ich habe viele Dylan-Konzerte in aller Herren Länder gesehen, doch dieses war anders: Es gab links und rechts neben der Bühne zwei große Display-Wände, die Dylan den rund 7000 Zuschauern auf dem Stuttgarter Schlossplatz näher brachten. Ich hatte Dylan noch nie zuvor auf einer Monitorwand gesehen. So nah war ich optisch den Meister noch nie begegnet.

Zwar hatte ich in Stuttgart Front of Stage Karten, aber der Bühnenaufbau in Stuttgart war katastrophal. Wer vorne stand, sah Dylan aufgrund der hohen Bühne kaum, der die meiste Zeit hinter seinem Klavier stand oder saß. Ab und zu kam bis Bobness hervor und sang posend hinter dem Standmirko – wunderbar seine Gesten. Daher genoss ich es, Dylan auf den Großbildleinwänden zu sehen. Und wenn der Kameramann bei Charlie Sexton vielleicht die Sache mit der Schärfe hinbekommen hätte, wäre es perfekt gewesen. 

Und was anderes war neu: Der erste Song des Abends war Ballad of a Thin Man. Damit wich Dylan von der klassischen Setlist seiner Tour ab und machte Stuttgart zu einem Highlight unter uns Dylan-Fans.

Ich hatte den Eindruck, dass es Dylan auch gut gefallen hat. Er hatte Spiellaune. Ab und zu sah es fast so aus, als ob er zu uns Fans was sagen wollte, was er freilich nicht tat. Er grinste, zog Grimassen und genoss scheinbar den Abend. Als er im letzten Drittel des Konzerts seinen Hut abnahm und die wilde Lockenpracht des 78jährigen hervorkam, wurde heftig applaudiert. Offiziell gibt es keine Fotos, denn der Meister hat wie immer ein Fotoverbot ausgesprochen. Das wird von den Ordnern auch durchgesetzt – und von den Fans. Als eine Reihe vor mir ein Mann sein Smartphone zücken will, raunzt ihn ein Fan an. Wir wissen ja, was vor kurzem in Wien passiert ist. Und ich will mir den Abend wegen eines solchen Deppen nicht versauen lassen. Fans überwachen Fans – so beginnt es. 

Keine Fotos bei Bob Dylan.

Keine Fotos bei Bob Dylan.

Musikalisch war Bob Dylan top. Neue Arrangements seiner alten Lieder, wunderbar verändert, dass man sie zunächst nur am Text erkannte. Er gab uns ein Best-of, ohne uns ein Best-of der alten Sachen zu geben. Genau so etwas erwartet der Fan von Dylan. Alte Songs in neuen Kleidern – damit mögen ein paar neue Fans in Stuttgart nicht gerechnet haben. Hinter mir maulte eine Mitfünfzigerin in breitesten Württembergschwäbisch, dass es anders sei als auf CD. Ja gute Frau und deshalb gehen wir zu einem Dylan-Konzert. A daube Nuss und halt dei Gosch.

Die Band war wieder grandios. Tony Garnier am Bass hat den Chef im Auge und gibt die Kommandos weiter. Die Combo ist so perfekt eingespielt, wie selten eine Tourband. Schlagzeuger George Recile, Gitarrist Charlie Sexton und Multiinstrumentalist Donnie Herron sind eine Einheit. Dylan dirigiert sie mit Blicken, Handzeichen – alles ist aufeinander abgestimmt und sie rocken, was das Zeug hält. 

Nach einer Zugabe ist alles vorbei. Exakt 1 Stunde 45 Minuten war vereinbar und bezahlt, exakt 1 Stunde 45 Minuten wurde gespielt. Am Ende verbeugt sich die Band und Abgang. Vielleicht sagt Dylan in London im Hyde Park etwas, wenn er mit seinem Kumpel Neil Young auftritt. Karten hab ich keine, aber das Netz wird uns Fans versorgen. 

Hier die Setlist vom Stuttgarter Konzert: 

Ballad of a Thin Man

It Ain’t Me, Babe

Highway 61 Revisited

Simple Twist of Fate

Can’t Wait

When I Paint My Masterpiece

Honest With Me

Tryin‘ to Get to Heaven

Scarlet Town

Make You Feel My Love

Pay in Blood

Like a Rolling Stone

Early Roman Kings

Girl From the North Country

Love Sick

Thunder on the Mountain

Soon After Midnight

Gotta Serve Somebody

Zugabe:

Blowin‘ in the Wind