Leider komme ich erst heute dazu, der vor kurzem verstorbenen Claire Bretécher zu gedenken. Die französische Comiczeichnerin verstarb bereits am 11. Februar 2020 im Alter von 79 Jahren.
Ich traf auf ihre Comics als Schüler etwa Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Ich kam von den Marvel- und DC-Helden und machte einen Abstecher über Asterix und Lucky Luke, liebte die Comicgeschichten aus YPS und Zack und verehrte abgöttisch das MAD-Magazin. Und dann drückte mir mein Schulkumpel Alexander Faroga auf dem Schulhof eine Sammlung von Claire Bretécher in die Hand. Das Buch hieß „die Frustrierten“ und es erschien im Rowohlt-Verlag. Die Comics waren anders als die Comics, die ich bisher gelesen hatte, ganz anders.
Die Bildergeschichten thematisierten Probleme einer intellektuellen großstädtischen Wohlstandsgesellschaft. Sie konfrontierte mich mit Feminismus, diskutierten Fragen der Kirche, der Religion und ich erfuhr von ihr Theorien der antiautoritären Erziehung, die ich bisher nur aus den schweren deutschen und grottenlangweiligen Autorenfilmen kannte. Nicht, dass ich als Schüler alle diese Probleme selbst erlebt, geschweige denn sie verstanden hatte, aber der Stil von Claire Bretécher gefiel mir. Sie zeichnete und verfasste die Comic selbst, es waren schwarzweiß-Geschichten, reduziert.
In Deutsch erschienen fünf Bände der Frustrierten, die ich mir nach und nach kaufte. Meinen Kumpels sagte ich nichts davon. Ich glaubte, diese Comics wären uncool, denn wir standen ja auf den Schenkelklopferhumor von MAD und Co. Als ich Jahre später die Comics von Ralf König stieß, allen voran Der bewegte Mann, erkannte ich Claire Bretécher wieder. Die große Dame des französischen Comics hat einen gewaltigen Einfluss auf die Comicszene hinterlassen.
Claire Bretécher hat in den Siebzigerjahren mit „Die Frustrierten“ nicht irgendeinen Comicklassiker geschaffen, sondern den ersten feministischen Comic und eine der komischsten Serien überhaupt. Sie war eine der ersten Comiczeichnerinnen, die ihre eigenen Geschichten zeichnete, Geschichten von echten Frauen, ihrem Frust und ihrer Lust. Dass auch der darin enthaltene Kampf der Frauen um Gleichberechtigung heute noch so aktuell ist, hätte sie sich wohl kaum träumen lassen.
2016 wurde sie beim Comic-Salon Erlangen als erste Frau mit dem Sonderpreis für ein herausragendes Lebenswerk des Max-und-Moritz-Preises ausgezeichnet. Ich wollte damals den Comic Salon besuchen, um Claire Bretécher zu treffen. Irgendwas kam dazwischen. Nun werde ich sie nicht mehr treffen, schade.
Im Juni erscheinen die Frustrierten in einer neuen Auflage alsDie Bibliothek der Comic-Klassiker: Die Frustrierten. Nach den Frustrierten kamen in den neunziger Jahren die Comics zu Agrippine, die habe ich allerdings noch nicht gelesen.