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Näher dran am Leben – warum Lokaljournalismus mehr ist als nur Nachrichten

21. Mai 2025

Meine journalistische Laufbahn bei einer Tageszeitung begann beim Fürstenfeldbrucker Tagblatt/Münchner Merkur mit Stationen in Fürstenfeldbruck, München und Bonn. Und als unlängst mein alter Arbeitgeber den Tag des Lokaljournalismus zusammen mit der hauseigenen Boulevardzeitung tz ausrief, wollte ich dabei sein. Also auf nach München .

Im ehrwürdigen Pressehaus an der Bayerstraße in München gab es für die Leserinnen und Leser einen Blick hinter die Kulissen. Neben einer kurzen Führung gab es in der Eventarena, der ehemaligen Rotation, drei Podiumsdiskussionen.

Lokaljournalismus und Meinungsvielfalt – Ein Blick hinter die Kulissen beim Münchner Merkur
Dirk Ippen, Verleger und Herausgeber, zeigte sich stolz und dankbar gegenüber der Redaktion, die diesen Tag der offenen Tür organisiert hatte – mit dem Ziel, Leser, Werbekunden und Mitarbeitende miteinander in den Austausch zu bringen. „Sie sind unsere wichtigsten Menschen“, sagte Ippen, „und ich finde es großartig, dass Sie heute erleben können, wie eine Zeitung wirklich funktioniert.“

Im Zentrum seiner Ausführungen stand der Lokaljournalismus – die Herzkammer des Münchner Merkur und seiner angeschlossenen Heimatzeitungen. Viele dieser Titel wie das Tölzer Kurier, das Freisinger Tagblatt oder die Schongauer Nachrichten existieren seit dem 19. Jahrhundert. Ihr Fortbestehen sei einzig und allein der Arbeit engagierter Lokaljournalistinnen und -journalisten zu verdanken. „Guter Lokaljournalismus lebt von Neugier“, so Ippen. Die Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen und ihre Geschichten sichtbar zu machen, sei dabei wichtiger als jeder Zugang zu Bundespolitikern. „Jeder Mensch hat etwas Interessantes zu erzählen – und unsere Aufgabe ist es, das herauszufinden.“

Chefredakteur Georg Anastasiadis, ebenso wie seine Stellvertreter, blickte ebenfalls auf seine Anfänge im Lokalen zurück. Er erinnerte sich an das Jahr 1995, als durch eine vermeintliche Meteoritenexplosion in Andechs plötzlich Redaktionen weltweit – vom Wall Street Journal bis zur New York Times – anriefen. Später stellte sich heraus, dass es sich um eine illegale Sprengung handelte. Ein Beispiel dafür, wie Lokaljournalismus manchmal unverhofft ins Zentrum des Weltgeschehens rückt.

Auch Sebastian Arbinger, tz-Chefredakteur, berichtete von seinen Anfängen in der Lokalredaktion der Passauer Neuen Presse. Dort lernte er das journalistische Handwerk von Grund auf – etwa, wie man aus zwei handgeschriebenen A4-Seiten eines Vogelzuchtvereins einen spannenden Artikel macht.

Ein weiteres Thema des Gesprächs war der Unterschied zwischen Münchner Merkur und tz. Während der Merkur als überregionale Zeitung stärker auf Politik und umfassende Hintergrundberichterstattung setzt, versteht sich die tz als schnelle Stadtzeitung mit starkem Bezug zur Münchner Lebensrealität. Über 2.000 Zeitungskästen im Stadtgebiet unterstreichen diese Präsenz. Titelzeilen müssen pointiert und aktuell sein – manchmal auch provokant –, um im Alltag der Leser sichtbar zu bleiben.

Eine kritische Leserfrage griff die Rolle von Verleger Dirk Ippen als Kommentator auf. Ob es angemessen sei, dass sich ein Verleger so regelmäßig mit Meinungsbeiträgen zu Wort melde, wo dies bei anderen Häusern wie der Süddeutschen Zeitung unüblich sei? Ippen begegnete der Frage mit Offenheit: „Ich schreibe als Privatperson. Es ist meine Meinung – nicht die der Redaktion.“ Weder gebe es Druck noch Einflussnahme auf die Chefredaktion. Im Gegenteil: Die Redaktion verfüge über völlige Unabhängigkeit. Auch Georg Anastasiadis bestätigte: „Wir diskutieren durchaus leidenschaftlich. Unsere Zeitung ist nicht gleichgeschaltet.“

Anastasiadis ging auch auf die Kritik ein, die Kommentierung der Ampelregierung sei zu harsch. Rückblickend habe er die Koalition zum Start wohlwollend begleitet, doch zentrale politische Entscheidungen – etwa der Atomausstieg nach dem Ukraine-Krieg – hätten bei ihm Zweifel geweckt. „Da fehlte mir die ideologiefreie, pragmatische Herangehensweise“, so der Chefredakteur. Er betonte jedoch: „Wir wollen nicht belehren, sondern informieren. Unsere Leser sollen sich eine eigene Meinung bilden.“

Rolle der Leserbriefe
Der Diskurs zeigte, wie stark Lesermeinungen geschätzt und eingebunden werden. Leserbriefe und Hinweise spielen eine wichtige Rolle in der redaktionellen Arbeit. So wurde etwa die Enthüllung über mutmaßlich korrupte Vorgänge in der Münchner KVR der Ausländerbehörde durch einen anonymen Leserhinweis ausgelöst – innerhalb weniger Stunden konnte die Redaktion mit offiziellen Stellen sprechen und am nächsten Tag berichten.

Auch die Digitalisierung war Thema: Die gedruckten Ausgaben bleiben vorerst erhalten, werden aber technisch angepasst (kleineres Format), während parallel das ePaper und Online-Angebot weiter ausgebaut werden. So können Leser Inhalte auch unterwegs oder auf Reisen aktuell verfolgen – ein Service, den auch Ippen persönlich regelmäßig nutzt.

Zwischen Gemeinderat und Kanzleramt – Einblicke in den Politikjournalismus
Zwei erfahrene stellvertretende Chefredakteure Christian Deutschländer und Mike Schier erzählten offen über ihren Werdegang, den Alltag im politischen Journalismus und die Herausforderungen, die sich in Zeiten von Social Media und Künstlicher Intelligenz stellen.

Beide Journalisten starteten ihre Laufbahn über den Lokaljournalismus. Der eine begann mit 16 als Schülerpraktikant in der Lokalredaktion Wolfratshausen, der andere berichtete zunächst aus Gemeinderäten in kleinen oberbayerischen Gemeinden wie Kirchseeon und Glonn. Beide betonten, dass sie „Kinder des Merkur“ seien – geprägt von einer Redaktion, in der die Nähe zur Leserschaft und der direkte Kontakt zu kommunalen Akteuren von Anfang an eine große Rolle spielen. Diese Anfänge hätten ihnen ein tiefes Verständnis für politische Prozesse vermittelt – ein Wissen, das bis heute ihre Arbeit auf Landes- und Bundesebene prägt.

Interessant war die Reflexion darüber, wie ähnlich sich politische Berichterstattung auf kommunaler und nationaler Ebene tatsächlich gestaltet. Während sich große Politiker oft hinter Pressestäben und Protokoll verstecken, begegnet man auf kommunaler Ebene der unmittelbaren Reaktion: Ein Bürgermeister steht schon mal persönlich in der Redaktion – nicht selten mit scharfer Kritik an einem Artikel. Genau das macht Lokaljournalismus so herausfordernd und wertvoll: Er ist nah dran, spürbar, und oft emotional aufgeladen.

Beziehungsarbeit
Wie aber kommt man an die großen Namen der Politik heran? Hier zählt vor allem eins: langfristige Beziehungsarbeit. Wer früh Kontakte knüpft – etwa zu jungen Abgeordneten nach einer Landtagswahl –, hat später bessere Chancen, wenn diese Karrieren machen. Wer mit einem Ministerpräsidenten seit Jahren spricht, hat dessen Handynummer und kann auf einem Vertrauensverhältnis aufbauen. Diese Nähe ist entscheidend – nicht, um parteilich zu berichten, sondern um besser einordnen zu können, was hinter Entscheidungen steckt.

Braucht es noch Politikjournalismus?
Gerade in Zeiten von Social Media sehen sich viele Menschen täglich mit Informationen, Meinungen und Kommentaren überflutet. Wozu braucht es da noch den klassischen Politikjournalismus? Die Antwort der Merkur-Redakteure: mehr denn je. Ihre Aufgabe sei nicht nur, zu berichten, was gesagt wurde, sondern vor allem zu erklären, warum. Warum äußert sich ein Politiker auf eine bestimmte Weise? Welche Strategie steckt dahinter? Was bedeutet das für die politische Entwicklung? Diese Einordnung wird immer zentraler, während reine Nachrichtenschilderung an Bedeutung verliert.

Natürlich wurden auch strukturelle Fragen besprochen – etwa zur Größe der Redaktion: Die Politikredaktion zählt etwa 14 Personen, der Sportbereich ist ähnlich stark besetzt. Dabei sei die inhaltliche Gewichtung bei TZ und Merkur unterschiedlich – während bei der TZ der Sport eine größere Rolle spielt, ist es beim Merkur eher die Politik.

Ein Hoch auf die Pressefreiheit
Ein weiteres Thema: Pressefreiheit. Die Redakteure betonten, dass in Deutschland niemand vorgibt, was geschrieben wird. Es gebe keine Zensur, keine Vorabgenehmigungen – wohl aber die Pflicht zur Sorgfalt und gegebenenfalls zur juristischen Auseinandersetzung, falls Berichte falsch oder beleidigend seien. Interviews würden aus Transparenzgründen autorisiert, was manchmal zu Konflikten führe, wenn Politiker Aussagen nachträglich ändern wollten. In Extremfällen – wie einst beim SPD-Politiker Olaf Scholz – habe die taz Interviews sogar mit geschwärzten Antworten gedruckt, um den Zensurversuch offenzulegen.

Unabhängigkeit auf Reisen
Einen unterhaltsamen Einblick boten auch die Berichte über Reisen mit Politikern. Wenn Ministerpräsidenten oder Kanzler ins Ausland reisen, wird ein Pool an Journalisten eingeladen – allerdings auf eigene Kosten, was wiederum Unabhängigkeit garantiere. Die Plätze im Regierungsflieger sind hart umkämpft, der Zugang zu Hintergrundgesprächen wichtig. Dabei gebe es – je nach Politiker – sehr unterschiedliche Erfahrungen: Markus Söder etwa sei sehr kommunikativ, komme mit klaren Botschaften und wisse genau, was er in einem Gespräch vermitteln wolle.

Auch über das Verhältnis von Print- und Onlinejournalismus wurde gesprochen. Die Redaktionen arbeiten unabhängig, aber kooperativ. Print sei regional fokussiert, während online Reichweite über Themen mit bundesweitem Interesse erzeugt werde. Beide Seiten profitieren voneinander, agieren jedoch mit unterschiedlichen Zielsetzungen.

KI in der Redaktion
Künstliche Intelligenz spielt bislang nur eine untergeordnete Rolle im Politikjournalismus der Redaktion. Zwar werde sie vereinzelt zur Recherche genutzt, echte Texte schreibe aber niemand mit Hilfe von KI. Viel zu groß sei das Risiko von Fehlern und ungenauen Informationen.

Die Diskussion offenbarte auch die oft unterschätzte emotionale Komponente des Berufs: die Herausforderung, professionell zu bleiben, auch wenn man selbst eine politische Meinung hat. Viele Journalisten, so ein Redakteur, hätten im Laufe ihrer Karriere gemerkt, dass in allen Parteien kluge Köpfe wie auch Karrieristen zu finden seien – was die politische Einordnung oft komplexer, aber auch interessanter mache. Politikjournalismus ist kein Selbstzweck. Er lebt von Nähe, Vertrauen, Sorgfalt und der Bereitschaft, sich immer wieder auf neue Situationen und Menschen einzulassen. Die Podiumsdiskussion zeigte, wie engagiert, reflektiert und verantwortungsvoll Journalistinnen und Journalisten beim Münchner Merkur diesem Anspruch gerecht werden.

Sportjournalismus hautnah
Für mich völlig unwichtig, aber für die Leser enorm wichtig ist der Sportjournalismus. Die Diskussionsrunde war hochkarätig besetzt: Mit dabei waren FC-Bayern-Reporterin Hannah Reif, Bayern-Reporter Manuel Bonke sowie 1860-München-Experte Marco Blanco-Ucles.

Ein zentrales Thema: Wie arbeitet eigentlich eine Sportreporterin? Hannah Reif schilderte anschaulich den Redaktionsalltag – vom morgendlichen Austausch im Team über spontane Themenänderungen durch aktuelle Ereignisse bis hin zur Arbeit am Spielfeldrand. Die Herausforderungen bei Champions-League-Spielen kamen ebenso zur Sprache. Bei Abpfiff muss der Text stehen, auch wenn man frierend im Stadion sitzt – „manchmal im Schneesturm mit der Kapuze über dem Kopf“. Fehler sollten trotzdem nicht passieren, doch das Umfeld ist oft alles andere als einfach.

Bei knappen Spielen müssen zwei Textversionen vorbereitet werden: Plan A bei Sieg, Plan B bei Niederlage – eine zusätzliche Stressquelle, wenn sich Spielverläufe in den letzten Sekunden dramatisch ändern.

Auch das Verhältnis der Reporter untereinander wurde thematisiert. Trotz aller Vereinsrivalität – zwischen Bayern und 1860 – herrscht in der Redaktion ein kollegialer Umgang. Blanco-Ucles berichtete mit einem Augenzwinkern von seiner Rolle als “Löwen-Reporter” in einem Team von Bayern-Journalisten.

Die Frage, ob man als Sportreporter Fan sein dürfe, wurde differenziert beantwortet. Natürlich gäbe es Sympathien – aber auf der Pressetribüne ist professionelle Distanz gefragt. Einblicke gab es auch in die Logistik: Bei Champions-League-Reisen reisen die Reporter gemeinsam mit dem Team – „ganz hinten, kurz vor der Bordtoilette“. Es wird überall gearbeitet: im Flugzeug, am Gate, in der S-Bahn. „Die Texte entstehen unterwegs – aber sie entstehen!“

Besonders interessant war der Blick hinter die Kulissen der sogenannten „Mixed Zone“ nach den Spielen. Dort, wo keine Kameras laufen, seien die Aussagen der Spieler oft offener und gehaltvoller. Thomas Müller, so wurde bedauert, werde der Redaktion mit seinen originellen Zitaten fehlen.