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Wenn Autos zu Erde werden – ein Abschied von Münchens Blechträumen

6. Dezember 2025

Ich war bei einem Vortrag in München und stieß auf Kunst von Folke Köbberling im öffentlichen Raum. ‌Erst schüttelte ich den Kopf, dann begann das Nachdenken, denn ich war vom Autoverkehr in München genervt.

Die Künstlerin Folke Köbberling hatte im September 2024 drei SUVs aus organischen Materialien im Münchner Stadtraum platziert, die sich über einen Zeitraum von einem Jahr zersetzten. Als kritischer Kommentar zur Dominanz des Automobils und der Flächenversiegelung der Stadt fungierten die Skulpturen als Gradmesser für die Nutzung des öffentlichen Raums in München. An den drei Standorten – Europaplatz, Herzog-Wilhelm-Straße / Kreuzstraße und Schleißheimerstraße / Dach-auer Straße – wurden sie unterschiedlich genutzt: Sie dienten als Behausung, erlebten Vandalismus oder wurden von Nachbarn gepflegt und bewahrt.

Noch vor der IAA Mobility 2025 – und der Enthüllung des neuesten BMW-SUV – endete das Kunstprojekt mit einem besonderen Schlusspunkt: Zwei der Fahrzeug-Imitate wurden in einer Prozession durch München getragen und dort mit dem dritten Automobil an der Schleißheimer Straße zusammengeführt – einem symbolischen Begräbnis gleich. Dort wird nun die letzte SUV-Skulptur über zwei weitere Jahre kompostieren und sich schließlich in eine grüne Skulptur verwandeln.

Ich sehe darin ein Statement zu Mobilität, Urbanismus und Nachhaltigkeit in der Stadt München. „Mash & Heal“ nimmt das allgegenwärtige Symbol des SUVs — ein Auto als Zeichen von Mobilität, Status und individueller Freiheit — und transformiert es in etwas Vergängliches, Organisches: Drei Großskulpturen in Originalgröße, gefertigt aus kompostierbaren Materialien wie Lehm, Holz, Wolle, Erde und Samen.

Indem Folke Köbberling die Skulpturen an prominenten und stark frequentierten innerstädtischen Orten wie dem Europaplatz, der Ecke Herzog‑Wilhelm‑Straße / Kreuzstraße und der Ecke Schleißheimerstraße / Dachauer Straße platziert wurden, brachten sie den Konflikt um Raum – wer darf ihn nutzen, wer beansprucht ihn – buchstäblich ins Gesicht der Stadt.

Die Stadt wird dabei als materielles und soziales Geflecht verstanden: Nicht nur als Verkehrsraum, sondern als Ort des Lebens, der Öffentlichkeit, der Gemeinschaft — und nicht als Parkplatz oder Asphaltwüste. Köbberling stellt die richtigen Fragen: Wem gehört der städtische Raum? Wem gehört die Stadt?

München gilt als eine der am stärksten versiegelten Städte Deutschlands — viel Fläche ist durch Straßen, Parkplätze und Bebauung überdeckt. Mit „Mash & Heal“ lenkt Köbberling den Blick auf die Folgen dieser Versiegelung: weniger unbehandelter Boden, weniger Raum für Pflanzen, weniger Raum für andere Formen des Lebens.

Die SUVs aus natürlichen Materialien sind ein Kommentar auf das wachsende Phänomen der SUV-Flut in Städten: große, häufig überdimensionierte Fahrzeuge, die viel Raum beanspruchen – nicht zuletzt Parkraum, Straßen und städtischen Platz. Durch die Verwandlung dieser SUV-Nachbildungen in Erde wird diese ressourcenintensive Spitze des Individualverkehrs symbolisch „zur Erde zurückgeführt“.

Der Begriff „automobiles Wettrüsten“ taucht explizit in der öffentlichen Wahrnehmung dieses Projekts auf: Die Kunstwerke entlarven die SUV als Statussymbol und zeigen auf, dass hinter der glatten Karosse etwas Rohes, Vergängliches und Ressourcenverbrauchendes steckt — eine Einladung zur Reflexion über Konsum, Umwelt und Stadtentwicklung.

Die Materialien der Skulpturen sind biologisch und kompostierbar. Über rund zwölf Monate sollen sie verrotten, ihre Struktur aufgeben und sich in Erde zurückverwandeln — idealerweise mit Pflanzenbewuchs. Damit schlägt Köbberling einen Bogen von Konsum und Überdimensionierung hin zu Kreislauf, Natur und Regeneration.

Die Vergänglichkeit wird bewusst inszeniert — als künstlerisches Mittel, das Zeit, Wandel und Entsiegelung spürbar macht. Die SUV bleiben nicht starr, sondern unterliegen einem Prozess: Aus Symbolen des Luxus werden Reste des Ursprungs — Erde. Das wirkt wie ein Ritual der Rückkehr: eine Umkehr von Wegwerfmentalität und Betonierung hin zu Natürlichkeit und Verwurzelung.

Das Projekt fordert die Betrachter der Stadt dazu auf, ihr Verhältnis zu Mobilität, Besitz und öffentlichem Raum zu überdenken: Was bedeutet es, wenn Autos zu dominierenden Objekten im Stadtbild werden? Wen verdrängen sie? Wer hat Zugang zu städtischem Raum — und wer nicht? Diese Fragen werden nicht theoretisch gestellt, sondern visuell und räumlich erlebbar gemacht.

Ästhetisch provoziert „Mash & Heal“ mit der unheimlichen Mischung aus vertrauter Form (SUV) und ungewohnter Materialität (Erde, Lehm, Wolle). Die Fahrzeuge wirken echt — erst bei genauerem Hinsehen erkennt man ihre Fragilität. Dieser Kontrast öffnet einen Raum für Reflexion: Schönheit vs. Zerbrechlichkeit; Luxus vs. Vergänglichkeit.
Gleichzeitig verbindet die Arbeit künstlerisches Gestalten mit sozialer und ökologischer Verantwortung: Kunst als Intervention, nicht als (nur) ästhetische Ergänzung des öffentlichen Raums, sondern als aktiver Beitrag zu Debatten über Stadt, Umwelt und Zukunft.

Bunt, riesig, bedeutungsvoll: Das Reh, das uns zum Umdenken bringt

2. September 2025

Als meine Frau beim Geocaching auf dem Gelände des Gaswerkes Augsburg war, entdeckte ich ein Reh der besonderen Art: riesig, bunt und aus Müll. Die swa‑REHcycling‑Skulptur, erschaffen im Sommer 2020, ist weit mehr als ein Kunstobjekt: Sie ist ein emotionales Statement für Trinkwasserschutz, Umweltbewusstsein und gesellschaftliche Verantwortung.

Die Skulptur misst stolze vier Meter in der Höhe und etwa drei Meter in der Länge – ein imposanter und zugleich verspielter Blickfang, der Besucher bereits aus der Ferne in seinen Bann zieht. Ihre äußere Hülle besteht aus Verpackungsmüll, gesammelt unter anderem von Augsburger Schülern, eine bewusste künstlerische Entscheidung.

Entstanden ist die Skulptur in Zusammenarbeit zwischen den Stadtwerken Augsburg und der Künstlergruppe GiKaMa, bestehend aus Sebastian Giussani, der Architektin Ina Kapitola sowie Daniel Man. Das Grundgerüst wurde aus stabilem Holz gefertigt, ergänzt durch Siebdruckplatten, die die Formgebung ermöglichten – darauf wurde rund 20 kg Plastikmüll aufgebracht, was in etwa dem Müll entspricht, den ein durchschnittlicher Haushalt in einem Monat produziert. Das gesamte Fundament ruht auf Beton, das Gesamtgewicht liegt bei 3,5 Tonnen.

Das Reh fungiert als mahnendes Symbol für die Müllproblematik im Siebentischwald – einem wichtigen Trinkwasserschutzgebiet der swa. Damit soll auf die jährlich rund 226 kg Verpackungsmüll pro Kopf aufmerksam gemacht werden soll – Müll, der oft in der Natur zurückbleibt und das Trinkwasser gefährden kann.

Zwei Monate lang stand das Reh am stark frequentierten Hochablass, faszinierte Passanten und sensibilisierte für das Thema. Im Oktober 2020 zog es schließlich in sein dauerhaftes Zuhause um: das Gaswerksgelände im Augsburger Norden – heute ein Kunst- und Kreativstandort. Der Umzug war ein logistischer Kraftakt: Kräne und Bagger hoben das Fundament mit der Skulptur und transportierten es sicher zum neuen Standort.

Für mich steht fest: Aus Verpackungsmüll geschaffen, macht das vier Meter hohe Reh der Stadtwerke Augsburg eindrucksvoll sichtbar, wie wertvoll unsere Natur und unser Trinkwasser sind. Es verbindet Nachhaltigkeit, Kreativität und Bewusstsein und erinnert uns daran, dass jeder von uns Verantwortung trägt. Und ja, meine Frau hat den Geocache gefunden.