Posts Tagged ‘Typografie’

Meine Abrechnung mit Comic Sans

4. April 2011

Nachdem ich mich gerade ein wenig wieder mit Typografie beschäftigen muss, erinnere ich mich an Hasstiraden meines geschätzten Kollegen Thomas Gerlach über die Schrift Comic Sans. Er kann die Schrift nicht mehr sehen und ich versteh ihn nur zu gut. In unseren gemeinsamen Seminaren kommt immer wieder die Frage nach dieser Schriftkrankheit und der Werte Kollege muss immer an sich halten. Die Schrift ist vielleicht nett für Lehrerinnen der Grundschule, die unter ihre Proben „viel Erfolg“ schreiben, aber zu sonst nichts. Da kommt ein Tweet von @graupause genau richtig, der via Twitter vermeldet „Die Bahn klebt in Comic Sans geschriebene „Defekt“-Schilder auf ihre Ticketautomaten. Rundherum liegen Designer mit epileptischen Anfällen.“ Böse, böse, aber wahr.

Und jetzt erfahre mit Schrecken, dass uns das nächste Grauen droht. Die Comic Sans, eine der bekanntesten Schriften von Microsoft, wurde von Monotype Imaging grundlegend überarbeitet. Die neue Comic Sans Pro entstammt der Feder des US-amerikanischen Schriftgestalters Terrance Weinzierl und bringt neben Regular und Bold zwei Kursivschnitte mit. Dank OpenType-Format verfügt das Redesign über eine Vielzahl an typografischen Elementen, zum Beispiel Sprechblasen, Zierbuchstaben, Kapitälchen sowie alternative Glyphen und vieles mehr. Das bedeutet, wir werden weiter gequält und unsere Augen weiter beleidigt.

Jeder der vier Schnitte beinhaltet mehr als 1.000 Zeichen. Zusätzlich zu den OpenType-Funktionen verfügt Comic Sans Pro über paneuropäische Zeichensätze (WGL-Ausbau). Dadurch wird die Verwendung der Fonts außer in lateinischen Sprachen auch in Griechisch, Kyrillisch, Türkisch und in baltischen Sprachen ermöglicht.

Comic Sans Pro entfaltet ihr volles Potenzial in allen Programmen, die OpenType unterstützen. Die neue Comic Sans Pro ist ab sofort auch bei Linotype, einem Unternehmen der Monotype Imaging Gruppe, zu beziehen und steht zum Download bereit.

Und in einer Pressemitteilung von Linotype wird das Dilemma beschreiben. Vincent Connare, der Comic Sans ursprünglich im Jahr 1994 für Microsoft gezeichnet hat, begrüßt die Überarbeitung: „Ich ziehe meinen Hut vor Monotype Imaging dafür, dass sie die Aufgabe gemeistert haben, die Comic Sans neu zu beseelen und dabei zurück zu den Wurzeln als Textschrift für Comics zu führen. Durch den Pro-Ausbau lässt Comic Sans jetzt Jedermann wie einen professionellen Layouter erscheinen.“ Genau das ist das Problem. Die Layoutwildsäue nutzen die Schrift und glauben es sei schön. Herr im Typohimmel vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Allan Haley, Director of Words and Letters bei Monotype Imaging, sagt: „Jeden Tag zählen Millionen Menschen auf Comic Sans. Nicht nur in privaten Notizen, Schulprojekten oder Examensarbeiten, auch im geschäftlichen Umfeld wird die Comic Sans geschätzt: Von Gebrauchsanleitungen über Krankenwagenbeschriftung bis hin zu der Gestaltung von Unternehmensleitbildern – überall ist sie im Einsatz. Sogar in öffentlichen Briefen von Sportteam-Besitzern an ihre Fans! Mit dem Pro-Ausbau ist jetzt wirklich alles denkbar: Mit dem Ehepartner Schluss machen? Warum dazu nicht einen Brief schreiben, verschönert mit einem typografischen ‚Pow!’, ‚Whack!’ oder ‚Bam!’ ? Comic Sans ist überall, und jetzt ist sie besser denn je!“

Weinzierl, der Vater der Comic Sans Pro, ergänzt: „Unser aller Ziel war, Spaß und Funktionalität wieder zu vereinen. Ich kann es kaum erwarten, Comic Sans Pro überall zu sehen – auf den Einladungen und Anzeigen zur zweiten Vermählung bis hin zu Warnschildern. Lang lebe Comic Sans!“

Bitte nicht, sondern Herr schmeiß Hirn vom Himmel.

Bitte nicht noch mehr Comic Sans.

Bitte nicht noch mehr Comic Sans.

 

Endlich: Neue DIN-Schrift

19. März 2009

neue DIN-Schrift

Ja, so was ist in Deutschland erfolgreich. Wahrscheinlich hat die Welt darauf gewartet: Der Schriftenhersteller Linotype bringt neue Schriftfamilie mit 25 Schnitten auf Basis der DIN 1451 heraus.

Bei uns ist alles genau geregelt und da gehören die Schriften auch dazu. De große Nachfrage nach weiteren Strichstärken zur DIN 1451 hat Linotype dazu veranlasst, mit der DIN Next eine komplette, neue Schriftfamilie aufzulegen, die auf dem bewährten Konstruktionsprinzip der „Normschrift“ basiert.

Jetzt das Beste: Akira Kobayashi, künstlerischer Leiter von Linotype, hat die beiden populären Schnitte der 1451 auf ihre gestalterische Konsistenz hin untersucht. Dabei hat er Ungereimtheiten festgestellt, die bei der Konzeption der neuen Schriftfamilie beseitigt wurden. Ja, ja genau, ich konnte deswegen auch nicht schlafen.

Und jetzt die Lösung: Die DIN Next ist in den Strichstärken Ultra Light, Light, Regular, Medium, Bold, Heavy und Black erhältlich. Alle sieben Fetten gibt es in den drei Lagen Normal, Kursiv und Condensed. Jeder Schnitt enthält typografische Besonderheiten, wie Kapitälchen oder Mediävalziffern, und ist außerdem mit vielen Alternativzeichen ausgestattet.

Und das ist eben Deutschland: Die DIN 1451 wurde 1936 vom Deutschen Institut für Normung als Standardschrift für die Bereiche Verkehr, Technik, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft festgelegt. Auch als DIN-Schrift bezeichnet, verdankt sie ihren Namen der Nummer ihres Normdokuments. Die 1451 wurde von Ingenieuren entwickelt, die besonderen Wert auf Lesbarkeit und maschinelle Reproduzierbarkeit legten. Bekannt ist die serifenlose Schrift vor allem von Straßen- und Ortsschildern, auf denen sie nach wie vor zum Einsatz kommt. Bis zum Jahr 2000 wurde sie in Deutschland auch auf Kfz-Kennzeichen verwendet. Wegen ihrer Bekanntheit und der besonderen Lesbarkeit wird sie auch in der Werbung gerne genutzt. Von der DIN 1451 existieren allerdings lediglich zwei Schnitte: die Mittelschrift und die Engschrift. 

Aus für die Zeitungszeugen

27. Januar 2009

Zwei Seelen schlagen in meiner Brust, wenn es um das Thema „Zeitungszeugen“ geht. Als ich die Werbung im Privatfernsehen gesehen hatte, dachte ich mir als erstes: „Nazi-Propaganda frei verkäuflich, dürfen die das?“ Doch wenn man sich näher mit der Zeitungssammlung beschäftigt, stellt man fest: Das Zeug ist gut aufgebreitet und wird wissenschaftlich begleitet.

Ein britischer Verleger druckt Woche für Woche alte NS-Zeitungen aus den Jahren 1933-1945 nach. In der ersten Ausgabe des „Zeitungszeugen“ bekommt man  „Deutsche Allgemeine Zeitung“, „Der Kämpfer“ und „Der Angriff“. Und der Nachdruck eines SPD-Posters ist auch dabei. Der Inhalt der Zeitungssammlung sind üble Kampfblätter der NS-Zeit “. Es sind Hetzreden gegen die Demokratie von linker und rechter Seite. Und dieses Zeug wird frei verkauft zum Einzelpreis von 3,90 Euro. Und das soll Woche für Woche so weitergehen. Wer die gesammelten Werke der Propaganda haben möchte, legt 165 Euro hin.

Ob nun die Sache Propaganda für die eklige braune Sache ist oder nicht, interessiert in Bayern im Moment keinen. Die „Zeitungszeugen“ verletzten nach bayerischer Meinung geltendes Urheberrecht und dürfen in Bayern nicht verkauft werden. Da hatte ich Glück, dass ich mir noch ein Exemplar schnappen konnte. Das bayerische Finanzministerium hat als Inhaber der Rechte des früheren NS-Verlags Eher den Originalnachdruck von Hetzblättern untersagt. Die bayerische Staatsregierung hat jetzt begonnen, Exemplare des an Kiosken angebotenen Editionsprojekts beschlagnahmen zu lassen. Außerdem werde gegen den Herausgeber wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz ermittelt, teilte das bayerische Justizministerium mit.

Nazi-Musik aus der Zeit darf aus gutem Grund nicht verkauft werden. Allerdings: Nazi-Filme wie „Kollberg“ mit seinem Goebbels-Aufruf „Volk steh auf und Sturm brich los“ sind im deutschen Fernsehen schon über die Mattscheibe geflimmert. Warum dürfen die einen das und die anderen nicht? Wer sich die Zeitungen rein aus ideologischen Gründen antun, wird sich schwer tun. Die Schreibe der Autoren ist entsetzlich und die Typografie ist für moderne Leser nicht zu lesen.

Ich denke, wir brauchen eine sinnvolle Diskussion zu diesem Thema. Rechteverletzungen sind hier nur ein vorgeschobenes Argument, um sich einer ernsthaften Diskussion nicht zu stellen. 

 

Update (27.1. 9 Uhr): Der Tagesspiegel schreibt: Etwa  2500 Nachdrucke des NS-Blattes „Völkischer Beobachter“ hat die Polizei in Bayern beschlagnahmt. Das Projekt „Zeitungszeugen“ will in seinen kommenden Ausgaben vorübergehend auf das umstrittene Propaganda-Medium verzichten