Posts Tagged ‘Kunstgeschichte’

Das Gesicht an der Mauer – und warum es mich jeden Tag zum Lächeln bringt

2. Juni 2025

Ich gehe jeden Tag an dieser Steinfigur vorbei, und jeden Tag zaubert mir diese Figur ein Lächeln auf die Lippen. Die Steinfigur zeigt ein markantes Gesicht mit stark stilisierten Zügen: hochgezogene Augenbrauen, ein überbetonter, leicht diabolischer Gesichtsausdruck, die Zunge hängt provokativ heraus, und die Figur stützt ihren Kopf auf eine Hand.

Mehrere Jahre war der Gargoyle-Stein Gartenschmuck und stark von Efeu umrankt, was ihr eine geheimnisvolle, fast spöttische Wirkung verlieh.

Nun wurde wohl das Haus dahinter verkauft, und der neue Besitzer hat das Efeu um die Figur weggeschnitten. Es sah ein wenig nackt aus.

Nach ein paar Tagen ergänzte der neue Hausbesitzer einen farbigen Gartenzaun hinter der Figur. Ich mag die Farben. Immer wieder bleibe ich vor der Figur stehen. Für mich ist sie karikaturartig, grotesk, mit Anklängen an mittelalterliche oder barocke Fratzen. Die herausgestreckte Zunge und die gelangweilte Pose wirken auf mich ironisch, spöttisch oder sogar boshaft – typisch für sogenannte „Grotesken“ oder „Maskarons“.

Sie erinnert mich an einen Gargoyle oder eine Groteske. Solche Fratzen sind besonders an gotischen Kathedralen verbreitet – ursprünglich Regenwasserspeier (Gargoyle), aber oft auch rein dekorativ (Groteske). Sie sollten Dämonen abschrecken oder ironische Kommentare über den Menschen liefern.
Nun, bei uns steht die Figur auf einer Gartenmauer und nicht an einer gotischen Kathedrale – aber das sind Details.

Vielleicht ist es auch ein Maskaron. In der Kunstgeschichte bezeichnet der Begriff „Maskaron“ ein rein dekoratives Gesichtsmotiv an Fassaden, Brunnen oder Gartenmauern – oft mit Fratzen, Dämonen- oder Satyrköpfen. Diese Figur passt gut in diese Kategorie.

William Turner – der Meister des Lichts

24. April 2025

Ich bin einen Tag zu spät dran, aber gratuliere dem großen englischen Maler zum Geburtstag am 23. April 1775. Dankbar, sehr dankbar bin ich, dass ich viele der Turner-Bilder in der Münchner Ausstellung im Lenbachhaus sehen konnte. Die Bilder haben einen großen Eindruck auf mich gemacht.

William Turner (1775–1851), oft als „Meister des Lichts“ bezeichnet, zählt für mich zu den größten und einflussreichsten Malern der britischen Kunstgeschichte. Mit seiner visionären Bildsprache, seiner fast modernen Abstraktion und seinem tiefen Gespür für Atmosphäre und Naturgewalt hat er die Landschaftsmalerei revolutioniert – und die Tür zur Moderne weit aufgestoßen. Hier ein schneller Rundgang durch die Ausstellung.

Geboren 1775 in London, begann Turner bereits früh mit dem Zeichnen. Schon als Jugendlicher wurde sein außergewöhnliches Talent erkannt. Er wurde Mitglied der Royal Academy, stellte mit 15 Jahren erstmals aus – und entwickelte sich rasch zu einem Künstler von großer Anerkennung. Doch statt sich auf akademische Konventionen zu verlassen, begann Turner, mit Farbe, Licht und Form zu experimentieren.

Viele seiner Bilder sind der Allgemeinheit bekannt, spätestens durch James Bond- Seine Werke wie „Das brennende Kriegsschiff Temeraire“, „Regen, Dampf und Geschwindigkeit“ oder „Schneesturm – Dampfer vor der Hafeneinfahrt“ sind keine bloßen Abbilder der Wirklichkeit, sondern emotionale Verdichtungen, in denen Naturkräfte wie Wind, Wasser, Licht und Feuer zu fast metaphysischen Erlebnissen werden. Turner malte nicht, was er sah, sondern was er empfand, wenn er es sah – und genau darin liegt seine Modernität.

In einer Zeit, in der Realismus und Detailtreue hoch geschätzt wurden, wagte Turner einen radikalen Schritt: Seine späten Werke lösen sich zunehmend von der Form, hin zu einem reinen Farb- und Lichtspiel. Damit wurde er zu einem direkten Vorläufer des Impressionismus – Claude Monet verehrte ihn, und viele Moderne sahen in ihm einen Pionier.

Doch Turners Werk ist nicht nur technisch und stilistisch bedeutend, sondern auch philosophisch tiefgründig. In seinen Gemälden schwingt stets ein Nachdenken über Vergänglichkeit, Naturgewalt und die Stellung des Menschen im Kosmos mit. Der Mensch erscheint bei ihm oft klein, fast verloren – eingebettet in eine Welt, die größer, älter und mächtiger ist als er selbst.
William Turner starb 1851 in London. Er hinterließ der britischen Nation einen Großteil seiner Werke – als Vermächtnis für kommende Generationen. Bis heute berühren seine Bilder nicht nur das Auge, sondern auch das Herz. Sie sind wild, poetisch, radikal – und in ihrer Zeit weit voraus. Ein Genie, das seiner Epoche entglitt und die Zukunft der Malerei vorausahnte.

Buchtipp: The Art of Inside Out

1. Januar 2016

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Als ich den Trailer zum Pixar-Film Alles steht Kopf zum ersten Mal sah, dachte ich mir enttäuscht: eine belanglose Komödie über das Erwachsenwerden aus der Animationsschmiede. Ich kam mir vor als ob ich einen Otto Sketch meiner Jugend sah: Hirn an Faust … Richtig begeistert war ich aufgrund des deutschen Trailers vom Film nicht, schaute mir aber pflichtbewusst den Film Alles steht Kopf im örtlichen Kino an. Schließlich hatte mich Pixar in der Vergangenheit noch nie enttäuscht.
Und was soll ich sagen? Der Film war ganz, ganz anders als der Trailer es versprochen hatte. Der 15. Pixar Film war wahnsinnig unterhaltsam und hatte eine große Tiefe, genau wie ich es von einem Pixar-Film erwarte.

Im Februar 2016 wird der Film als DVD, Blu ray und Download erscheinen. Zudem gibt es eine limitierte 3-Disc Special Edition. Als Bonus gibt es ein Wiedersehen mit Riley und ihren Emotionen in der exklusiven Premiere des Kurzfilms „Rileys erstes Date?“ sowie der paradiesisch-schöne Kurzfilm „Lava“.
Im Grunde geht es bei Alles steht Kopf um Emotionen. Es geht um die Kombination von Freude, Zorn, Ekel, Kummer und Angst. Der alte Freud hätte seine Freude an diesem Film gehabt. Regisseur Peter Docter, der uns schon Monster AG und Oben brachte, hat ganze Arbeit geleistet und wurde von den beiden Hirnforschern Paul Ekman und Dacher Keltner fachlich unterstützt.


Meine Neugierde über die Entstehungsgeschichte des Films war geweckt. Nachdem Alles steht Kopf technisch keine Neuerungen aufwies, musste die Innovationen auf anderen Gebieten liegen. Technisch war Pixar immer vorne mit dabei. Als Chefredakteur der wichtigsten deutschsprachigen 3D-Zeitschriften erlebte ich die Wasserspiegelungen in Findet Nemo, die Haare in die Unglaublichen und das Fell in Monster AG. Alles steht Kopf brachte in dieser Hinsicht keine Erneuerung durch die Software Renderman und Marionette. Pete Docter setzte auf erzählerische Tiefe und Kreativität.
Diese Kreativität kommt bei dem Buch The Art of Inside Out voll zum Tragen. Anders als die frühen Pixar-Filme wurde hier gleich zu Beginn mit digitalen Werkzeugen gearbeitet. Kreide, Marker, Pinsel kommen aber ebenso weiterhin zum Einsatz. Diese Abwechslung bringt unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema Emotionen. Die Frage ist doch: Wie stellt ein Künstler Emotionen bildlich dar? Nicht, wie erzeugt ein Künstler Emotionen? Da wäre der Film beim Walt Disney-Konzern an der richtigen Adresse. Disney ist Spezialist, wenn es um das Erzeugen von Emotionen geht. Da braucht es dann schon Pixar, um die Emotionen selbst darzustellen. Und das gelingt in diesem Buch fabelhaft.
Deutlich bemerkt der Leser den Einsatz von Farben, die in unserem Kulturkreis mit Emotionen besetzt sind, wie Rot für Zorn. Ich würde gerne den Film mit Leuten aus anderen Kulturkreisen ansehen und mit ihnen über die Farben und Emotionen diskutieren. Für mich ist die Darstellungsweise meine gewohnte westliche Sichtweise.


Beim Lesen des Buches bzw. Betrachten der Bilder habe ich mir Gedanken über Emotionen gemacht. Es hat mich entsetzt, dass ich Helden meiner Jugend ebenso vergessen habe, wie die Helden in dem Film. Was ist das Gehirn doch für ein seltsamer Ort?
Ich empfehle jedem den Film Alles steht Kopf und das Buch The Art of Inside Out, wenn er sich über Gefühle Gedanken machen will, wenn er etwas über Kunstgeschichte lernen will, wenn er sich selbst kennenlernen will. Und Gott sei Dank ist kein Film/Buch auf Otto Niveau herausgekommen.