Posts Tagged ‘Wehrsportgruppe Hoffmann’

Heute vor 45 Jahren Bob Dylan in Nürnberg auf dem Nazigelände

1. Juli 2023

Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein Bob Dylan-Fan bin. Ich habe alle regulären Alben und zig Bootlegs auf Vinyl, CD und als Datei. Und heute höre ich ein Konzert, rauf und runter, das sich heute zum 45. Mal jährt: Bob Dylan live in Deutschland an einem ganz besonderen Ort.

Am 1. Juli 1978 trat er zusammen mit seiner Band und Eric Clapton auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände vor 80.000 Fans auf. Gegenüber der Tribüne auf der Hitler seine Ansprachen gehalten hatte, spielte der Jude Bob Dylan seine 1978-Tour. Die Zuschauer auf dem Zeppelinfeld wandten Hitler symbolisch den Rücken zu und feiern Dylan, wie es Konzertimpressartio Fritz Rau in mehreren Interviews ausdrückte. Das muss für Dylan ein sehr starkes emotionales Ereignis gewesen sein und sofort dachte ich an seine Zeile „Don’t follow Leaders“.

Ich habe das Konzert auf mp3 und höre es mir immer wieder an. Gerne, sehr gerne hätte ich diesen denkwürdige Konzert als offizielle Bootleg Series, denn es sollte der Nachwelt zugänglich gemacht werden. „Ich weiß, wo und warum ich diesen Song heute spiele“, hatte Dylan seinen Song „Masters Of War“ kommentiert. Hier eine Aufnahme davon.

Angereist ist Dylan von Berlin nach Nürnberg per Zug mit der damaligen Bundesbahn. Und er hatte einen besonderen Wagon. Es war der Salonwagon von Reichsmarschall Hermann Göring samt Bett und Küche. Wie muss sich Dylan gefühlt haben, als er sich dieser Tatsache bewusste wurde. Er bereiste seine Europakonzerte mit dem Zug, denn er wollte etwas von der Landschaft sehen. Er war ja nur davor 1965 auf seiner Tour durch England in Europa. In Berlin wurde Dylan ausgepfiffen, weil er nicht den Protestler geben wollte. 1978 stand für ihn eher eine Las Vegas-Show mit Chor im Vordergrund. In Nürnberg aus Respekt vor dem Ort allerdings nicht in Show-Klamotten. Die Stimmung in Nürnberg war nicht so feindselig gegenüber Dylan.

Das Nürnberger Konzert war auch gefährdet. Die Wehrsportgruppe Hoffmann mit ihrem Anführen dem Nürnberger Grafiker Karl-Heinz Hoffmann, eine Gemeinschaft bundesdeutscher Rechtsterroristen, hatte angekündigt, das Konzert auf dem Reichsparteitagsgelände zu stören oder gar zu verhindern. Passiert ist offiziell nichts, Gott sei Dank. Ob etwas hinter den Kulissen abgelaufen ist, kann ich nicht beurteilen.

Die Band spielte 30 statt der gewohnten 28 Songs, so die Setlist.
She’s Love Crazy
Baby, Stop Crying
Mr. Tambourine Man
Shelter from the Storm
It’s All Over Now, Baby Blue
Tangled Up In Blue
Ballad of a Thin Man
Maggie’s Farm
I Don’t Believe You (She Acts Like We Never Have Met)
Like a Rolling Stone
I Shall Be Released
Going, Going, Gone
A Change Is Gonna Come
Love Minus Zero/No Limit
A Hard Rain’s A-Gonna Fall
One of Us Must Know (Sooner or Later)
You’re a Big Girl Now
One More Cup of Coffee (Valley Below)
Blowin’ in the Wind
I Want You
Señor (Tales of Yankee Power)
Masters of War
Just Like a Woman
Don’t Think Twice, It’s All Right
All Along the Watchtower
All I Really Want to Do
It’s Alright, Ma (I’m Only Bleeding)
Forever Young
I’ll Be Your Baby Tonight
The Times They Are A-Changin’

Erinnerungen an das Oktoberfestattentat vom 26. September 1980

12. Dezember 2014

Die Ermittlungen werden wieder aufgenommen - gut so.

Die Ermittlungen werden wieder aufgenommen – gut so.

Die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat von 1980 werden nach 34 Jahren wieder aufgenommen. Es ist wichtig und richtig, da sich neue Zeugen aufgetaucht sind – nach 34 Jahren. Ich hörte auf einer Reise von einem Seminar im Radio von der Wiederaufnahme des Verfahrens und schlagartig waren die Bilder von damals wieder in meinem Kopf präsent.
Ich war zum Zeitpunkt des Attentats fast zwölf Jahre alt und genoss wie Tausende andere auch die Wiesn. Ich war einen Tag zuvor mit meinen Eltern auf dem Oktoberfest und erfuhren von dem feigen Attentat aus dem Fernehen. Es war totenstill im elterlichen Wohnzimmer, als die schrecklichen Bilder über die Mattscheibe flimmerten. Keiner sprach ein Wort bei uns in der Familie, wir schauten nur den Ort der Verwüstung an, an dem wir einen Tag zuvor waren. Mein Gott, der Irrsinn hätte auch uns erwischen können. Auch wir gingen durch den Eingang auf die Wiesn.

Erinnerungen an die Opfer.

Erinnerungen an die Opfer.

Ich hatte seitdem immer ein ungutes Gefühl, wenn ich auf die Wiesn ging. Es war nicht Angst, sondern eine gewisse Trauer, gemischt mit Wut. So einen Anschlag hatte es in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bis dahin nicht gegeben. Zu jedem Wiesn-Besuch gehörte bei mir ein Besuch des Mahnmals dazu, das zur Erinnerung an den 26. September 1980 errichtet wurde. Und wenn einer der Betrunkenen am Denkmahl im Suff krakelte, dann kam bei mir die Galle hoch. Meist wurde aber die Würde des Ortes geachtet, die Gaudi ging dann ein paar Meter weiter los.

Besoffen - keinen Respekt vor den Toten.

Besoffen – keinen Respekt vor den Toten.

Zum fünften Jahrestag des Wiesnattentats bekam ich eine Dokumentation der Stadt München in die Hände, die ich bis heute aufgehoben habe und die mein Archiv gewandert ist. Es war eie quadratische Broschüre in Schwarz. Auf dem Titel war in dunklen Farben das Mahnmal und dahinter die Fahrgeschäfte zu sehen. Daneben stand in serifenloser Schrift: 26. September 1980 – Dokumentation zum 5. Jahrestag des Bombenanschlags auf dem Oktoberfest in München.“

Dokumentation zum Wiesnattentat

Dokumentation zum Wiesnattentat

Jetzt zur Wiederaufnahme des Verfahrens habe ich diese Doku wieder hervorgeholt und darin gelesen. Schockierend waren nach wie vor die zahlreichen Schwarzweiß-Fotos von der Attentatsnacht. Zeitungsbilder waren damals immer in Schwarzweiß. Der Eingang zur Theresienwiese sah aus wie ein Kriegsgebiet. Um 22.19 Uhr detonierte die Bombe in einem Mülleimer und riss 13 Menschen in den Tod. Darunter auch das Riesenarschloch und Attentäter Gundolf Köhler, ein 21jähriger Rechtsextremist aus dem Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann.
Am heftigsten prägte sich mir ein Bild von damals ein, als ein Turnschuh eines Opfers neben einer Blutlache lag. Einem Opfer musste sich der Schuh wohl durch die Detonation vom Fuß gelöst haben. So ein Bild kannte ich von fernen Kriegen, aber nicht vom braven München. Unter den Opfern waren auch drei Kinder, etwas jünger als ich damals.
Am 30. September 1980 fand ein Trauergottesdienst im Alten Rathaus statt. Münchens Oberbürgermeister Erich Kiesl sagte damals: „Wir müssen eintreten gegen jede Haltung, die Gewalt übt, sie predigt, sie billigt, duldet oder nur verharmlost.“ – Wahre Worte, die noch heute gelten (müssen).

Schreckliche Bilder in meinem Kopf.

Schreckliche Bilder in meinem Kopf.

Ich weiß noch, wie wir den Unterricht in unserer Schule unterbrachen und unsere Lehrer mit uns Schülern über das Attentat sprachen. Von Mathe und Physik hab ich nicht mehr viel Erinerungen aus meiner Schulzeit, wohl aber von den Gesprächen, das unsere Lehrer damals mit uns führen. Es war ein gutes Gefühl, dass wir damals darüber sprachen und ich hoffe, dass Padagogen es heute auch noch bei einschneidenden Ereignissen mit ihren Schülern tun, Lehrplan hin oder her.


Aufmerksam lese ich heute den Abschlussbericht des Landeskriminalamtes von damals: „Nachdem jetzt vorliegenden abschließenden Ermittlungsergebnis ist festzustellen, dass Gundolf Köhler als Alleintäter gehandelt wird. Konkrete Anhaltspunkte oder Indizien dafür, dass Dritte seinen Tatentschluss hervorgerufen oder mitbestimmt haben könnten, sind nicht vorhanden. Die Vielfalt und das Gewicht, der aufgezeigten Beweismittel, Beweiszeichen und Zeugenaussagen zwingen zu dem Schluss, dass Gundolf Köhler den Sprengsatz gebaut, ihn zum Tatort gebracht und seine Explosion verursacht hat. Obwohl Gundolf Köhler bis zuletzt rechtsextremistisch eingestellt war und früher Kontakte zu rechtsextremistischen Gruppen hatte, spricht nichts konkret dafür, dass Angehörige dieser Gruppierungen mit dem Sprengstoffanschlag in München in Verbindung stehen. Auch wurden keine Kontakte Köhlers zur Tatzeit und in der Zeit unmittelbar davor, zu rechtsextremistischen Gruppen festgestellt.“
Ich bin sehr gespannt, was die neuen Ermittlungen und Zeugenaussagen nun ergeben – 34 Jahre später.