Eigentlich dachte ich, das Thema ist irgendwie noch weit entfernt als ich den sehenswerten Dokumentarfilm Genesis 2.0 im Monopol Kino in München genoss. Mit Regisseur Christian Frei führte ich ein Interview, sah den Film, hörte das Filmgespräch und dann traf mich es massiv: Was in Genesis 2.0 thematisiert wurde, wurde inzwischen von der Realität eingeholt.
In der Neuen Zürcher Zeitung NZZ las ich einen Bericht, dass chinesische Forscher die ersten Klone eines Affen präsentiertem, dessen Genom in einem frühen Embryonalstadium mithilfe der Genschere Crispr/Cas9 verändert wurde. Vor einem Jahr hatten die Chinesen die Geburt zweier geklonter Affen bekanntgaben. Es waren die ersten geklonten Primaten; bis dahin hatten Forscher zwar Embryonen geklont, diese aber nie austragen lassen. Was im Film Genesis 2.0 von Christian Frei angesprochen wird, ist nun Realität. Mir läuft es kalt den Rücken herunter.
Der Film Genesis 2.0 läuft in kleineren Kinos und auf zahlreichen Dokumentarfilm-Festivals und ist wirklich sehenswert.
Als ich mitbekommen hatte, dass Christian Frei nach vier Jahren wieder einen Film gedreht hatte, war es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass ich ihn mir ansah. War Christian Frei doch der Regisseur des bahnbrechenden Films War Photographer (2001), in dem er den Kriegsfotografen James Nachtwey begleitete. Damals ersann Frei eine Kamera, die auf dem Fotoapparat von Nachtwey angebracht war. Der Zuschauer erlebte die Eindrücke von Nachtwey aus seiner Perspektive als Fotograf. Da ich selbst viel fotografierte, schaute ich mir nicht nur die erschreckend faszinierenden Fotos an, sondern nahm auch die Blenden- und Zeiteinstellungen wahr. In meinen Fotoseminaren war und ist War Photographer ein Lehrstück über Kriegsfotografie. Regisseur Frei wurde damals mit dem Oscar nominiert.
Ein zweiter Film, der mich sehr beeindruckt hatte, war Im Tal der großen Buddhas (2005). Der Film handelt von den Buddha-Statuen von Bamiyan und deren Zerstörung am 12. März 2001 durch die Taliban.
In meinem Interview sprachen wir zunächst über die Digitalisierung des Mediums Film sowie der Workflow der Filmentstehung. Bei Genesis 2.0 wurde aufgrund der digitalen Technik mehr Material vom Co-Regisseur Maxim Arbugaev gedreht. Arbugaev drehte für Frei in Sibirien, da Frei als Schweizer im russischen Militärsperrgebiet von der Regierung Putins keine Drehgenehmigung bekam. Frei selbst schneidet auf Avid und führt immer wieder Testscreenings durch. Bach Grading erfolgt ein sehr hoher Aufwand für den Ton. Gerade bei Genesis 2.0 ist der Ton enorm wichtig. Als Score wurde vorhandene Musik von Max Richter und Edward Artemyev herangezogen.
Der Film dokumentiert den gefährlichen Alltag der Sammler von Mammutstoßzähnen, die sich alljährlich auf der abgelegenen Inselgruppe Neusibirische Inseln treffen und sich bei ihrer Suche durch den schmelzenden Permafrost graben müssen. Gleichzeitig porträtiert er Pioniere und Klonforscher, die sich an der neuen Grenze des Möglichen bewegen und aus dem schockgefrorenen genetischen Material das längst ausgestorbene Wollhaarmammut wieder zum Leben erwecken möchten. Die filmische Reise führt von der archaischen Landschaft der Inseln in ein Mammut-Museum in Jakutsk, zu Treffen von jungen Wissenschaftlern in Boston, zu einer kommerziellen Klon-Firma in Südkorea und zu einer Gen-Datenbank in China.
Als Reporterfilmer will sich Christian Frei mit seinem Filmrhythmus von vier Jahren nicht sehen. Sein Film Genesis 2.0 sieht er eher als Reisefilm. „Ich bin sehr interessiert am Realen“, gibt Frei in meinem Interview zu. Die Stilform des Doku-Dramas reizt Frei nicht. „Ich setze mehr auf die Authentizität des Realen.“
„Kino ist Emotion“, so Frei eindeutig. „Im Kino will man sich unterhalten lassen und man will etwas erleben.“
Schaut euch das Interview an. Es erzählt viel von Angst beim Drehen, von Verhältnis Bild und bewegtes Bild, von Richard Wagner, vom großen Kinoerlebnis in Afghanistan und natürlich eine Menge von Genesis 2.0: