Posts Tagged ‘Rock’n’Roll’

Musikkritik: „The Bootleg Series Vol. 18: Through The Open Window, 1956-1963“ von Bob Dylan

5. November 2025

Diese Veröffentlichung ist ausschließlich für Fans geeignet und als solcher möchte ich mich bezeichnen. Die neue Veröffentlichung von Bob Dylan liegt vor und geht weit, ganz weit zurück. Neueinsteiger in Sachen Dylan seien gewarnt.

„The Bootleg Series Vol. 18: Through The Open Window, 1956-1963“ ist für mich eine monumentale Veröffentlichung, die Bob Dylans frühe Jahre als Musiker bis ins kleinste Detail archäologisch freilegt und musikalisch dokumentiert. Die acht CDs des Deluxe-Sets bieten insgesamt 139 Titel, darunter 48 bislang unveröffentlichte Songs sowie 38 weitere, bisher nur selten zugängliche Aufnahmen – ein wahres Schatzkästchen für Dylanologen und historisch Interessierte gleichermaßen. Natürlich haben Fans viele der Aufnahmen auf Bootlegs, nun als offizielle Version des Meisters.

Die Sammlung beginnt an Heiligabend 1956 mit „Let The Good Times Roll“, aufgenommen im zarten Alter von 15 Jahren im Terlinde Music Shop, St. Paul: Dort träumt der junge Robert Zimmerman noch von Rock’n’Roll, bevor sich die entscheidende Wendung zum Folk anbahnt. Es ist schon interessant, welche Karriere dieser junge Bursche genommen hat.

Authentizität und Unmittelbarkeit
Was dieses Boxset so außergewöhnlich macht, ist die Authentizität und Unmittelbarkeit der Aufnahmen. Man erlebt Dylans Wandlung vom begeisterten R’n’B-Liebhaber zum ernsthaften Songwriter, dessen Vorbilder – Woody Guthrie und Pete Seeger – anfangs unüberhörbar sind. Der Weg führt von informellen Mitschnitten und Aufnahmen in Wohnzimmern und kleinen Clubs in Minnesota über Sessions in East Orange und ersten Bühnenmomenten in New York direkt in die legendäre Carnegie Hall, deren vollständiges Konzert von 1963 erstmals veröffentlicht wird – ein Höhepunkt der Edition, der musikalische Reife und Gespür für gesellschaftspolitische Themen eindrucksvoll dokumentiert.

Dabei darf man keine audiophilen Maßstäbe anlegen: Viele Tracks stammen aus privaten Umgebungen oder von Live-Auftritten und spiegeln gerade durch ihren rohen Sound die Unmittelbarkeit und Energie jener Zeit wider. Trotzdem gelingt es der Edition durch sorgfältige Restaurierung, die Entwicklung vom suchenden Teenager zur pointierten Stimme der Folk-Bewegung nachvollziehbar zu machen – von Coverversionen klassischer Folksongs über erste eigene Stücke wie „Talkin’ Bear Mountain Picnic Massacre Blues“ bis zu den wegweisenden Outtakes und Livesongs der „Freewheelin’“-Zeit, in denen Dylan seinen eigenen, unverkennbaren Stil entwickelt.

Das Booklet der Deluxe-Variante ordnet die Reise kenntnisreich ein, bebildert sie mit Fotos und zeitgenössischen Dokumenten und beleuchtet den Einfluss des Umfelds auf Dylans Songwriting. Wer den Künstler nicht nur als Ikone, sondern als Suchenden und Experimentierenden kennenlernen will, der fühlt sich durch diese Auswahl an seltenen und neuen Aufnahmen zurückversetzt in eine Zeit, in der jedem Anfang tatsächlich ein Zauber innewohnt.

Insgesamt ist „Through The Open Window“ ein zwingender Blick in die Ursprünge eines Musikers, dessen späterer Einfluss die Folk- und Songkultur unwiderruflich prägen sollte. Die Edition ist weit mehr als nur ein Prequel – sie zeigt, dass Dylans Weg zum Künstler und Weltveränderer in zahllosen Schritten und Experimenten begann und öffnet klanglich wie historisch ein Fenster zu einer Ära des Aufbruchs und der Verwandlung.

Als die Beatles noch Silber waren – Eine Nacht in Inverness

2. August 2025

Es war der 21. Mai 1960, ein Samstagabend im noch frischen Frühsommer der schottischen Highlands, als eine junge Band namens The Silver Beetles im Northern Meeting Ballroom in Inverness auftrat. Niemand ahnte damals, dass diese fast namenlose Begleitgruppe wenige Jahre später die bekannteste Band der Welt werden sollte: The Beatles. An diesem Abend aber waren sie einfach nur fünf junge Männer auf Tour, erschöpft, schlecht bezahlt – aber voller Musik und Hoffnung. Durch Zufall stand ich bei meinem Streifzug durch das schottische Inverness vor diesem Veranstaltungsort, der heute ein Frühstückslokal ist.

Die Silver Beetles begleiteten den englischen Sänger Johnny Gentle auf einer einwöchigen Schottland-Tournee, die später unter dem Namen “The Beat Ballad Show” in die Popgeschichte eingehen sollte. Inverness war die zweite Station dieser kleinen Tour, die durch abgelegene Orte wie Fraserburgh, Forres, Nairn und Keith führte – fernab von Glanz, Ruhm oder großer Bühne.

Der Northern Meeting Ballroom war ein typischer Mehrzwecksaal seiner Zeit. Neben der Rock’n’Roll-Show mit Johnny Gentle und seinen Silver Beetles traten dort an diesem Abend auch Ronnie Watt & The Chekkers Rock Dance Band auf. In einem Nebenraum spielte eine Tanzkapelle traditionelle Musik für ein älteres Publikum – eine typische Doppelnutzung, wie sie für lokale Säle in Schottland damals üblich war. Der Eintritt kostete vor 20 Uhr drei Schilling, danach fünf. Der Abend begann um 19:30 Uhr und ging bis Mitternacht – Unterhaltung für jeden Geschmack.

Die Beatles, wie wir sie heute kennen, traten hier noch unter Pseudonymen auf: John Lennon nannte sich „Long John“, Paul McCartney war „Paul Ramon“, George Harrison firmierte als „Carl Harrison“, Stuart Sutcliffe als „Stuart de Staël“, und ihr damaliger Schlagzeuger Tommy Moore blieb schlicht Tommy. Sie waren unsicher, grün hinter den Ohren – aber hungrig auf Musik. Während sie Gentle begleiteten, improvisierten sie, lernten, wie man sich auf der Bühne verhält, wie man ein Publikum mitreißt – und wie hart das Musikerleben sein kann.

Johnny Gentle erinnerte sich später, dass John Lennon in Inverness abends in einem Hotelzimmer half, an einem Song zu schreiben: I’ve Just Fallen For Someone. Lennon bastelte spontan einen Mittelteil. Es war das erste Mal, dass er an einem „fremden“ Song mitarbeitete. Vielleicht war es auch der erste Moment, in dem seine Fähigkeit, andere mit seiner Kreativität zu inspirieren, in vollem Licht aufblitzte.

Doch hinter den Kulissen war nicht alles glänzend. Die Band war müde, das Tourmanagement chaotisch, die Bezahlung unregelmäßig. John Lennon soll in dieser Zeit wütend an ihren damaligen Promoter Larry Parnes geschrieben haben: “We’re fuckin’ skint up here. We haven’t got a pot to piss in. We need money, Larry!” – ein wütender Hilferuf aus der Realität des Musikeralltags.

Und doch war diese Nacht in Inverness ein Schritt. Einer von vielen, der zur Legende führen sollte. Es war ein Abend, an dem fünf junge Männer vor einem kleinen, ahnungslosen Publikum spielten – mit Gitarren, Energie und Träumen. Ein Abend, der heute kaum dokumentiert, aber nicht vergessen ist. Denn hier, im Schatten der Highlands, an den Ufern des River Ness, begann eine der größten Geschichten der Popmusik.

So sieht der Laden heute aus:

Und die Beatles spielen in GB noch immer medial eine Rolle.