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Ein stählerner Zeuge vom Sterben der Wale

23. Juni 2025

Wie brutal der Walfang war und ist, zeigt sich für mich an einem Symbol im Stadtteil Leith in Edinburgh, direkt am Uferbereich „The Shore“. Dort steht eine auffällige Harpunenkanone, die an die lange und bedeutende Geschichte des Walfangs in Schottland erinnert. Sofort kommen wir Moby Dick und andere Geschichten über dieses grausame Unterfangen der Menschen an ihrer Umwelt in den Sinn.

Diese Kanone wurde einst für den industriellen Walfang verwendet und ist heute ein stummes Zeugnis einer vergangenen Epoche. Sie stammt aus der Zeit des modernen Walfangs und basiert auf dem norwegischen Modell von Svend Foyn, das ab 1870 durch den Einsatz von Treibladungen die Jagd auf Wale erheblich effizienter machte. Die industrielle Jagd begann. Der Mensch rüstete auf und die Wale hatten keine Chance.

Leith war seit dem 17. Jahrhundert ein Zentrum des Walfangs. Zunächst segelten Schiffe von hier aus in arktische Gewässer, insbesondere nach Grönland. Lokale Unternehmer wie Peter Wood betrieben dort Walfangstationen und errichteten Tran-Schmelzhütten im Bereich Timber Bush. Ein neuer Abschnitt begann im Jahr 1908, als das Unternehmen Christian Salvesen mit seiner antarktischen Flotte operierte. Die Firma entwickelte sich zum weltweit führenden Walfangunternehmen mit Hauptquartier in Leith und einer bedeutenden Basis in Leith Harbour auf der Insel Südgeorgien. Von dort aus wurden Wale im Südpolarmeer gefangen, zerlegt und verarbeitet – ein Geschäft, das bis 1965 andauerte.

Die heute in Leith sichtbare Harpunenkanone wurde 1996 von Christian Salvesen aufgestellt, als das Unternehmen seinen Hauptsitz verlegte. Sie dient als Mahnmal und Erinnerungsstück an die Rolle Schottlands in der weltweiten Walfangindustrie. Ergänzt wird dieses maritime Erbe durch weitere Denkmäler in der Umgebung, etwa das Merchant Navy Memorial, das der zivilen Handelsschifffahrt gewidmet ist. Das Denkmal ist ein paar Meter weiter zu sehen.

Die Harpunenkanone steht somit nicht nur für eine technologische und wirtschaftliche Blütezeit, sondern auch für den Wandel im gesellschaftlichen Umgang mit Natur und Tierwelt. Sie symbolisiert die industrielle Ausbeutung der Meere ebenso wie das zunehmende Bewusstsein für deren Schutz. Wenn sich dieser Gedanke wirklich durchsetzen würde und kein frommer Wunsch bleibt.

Zwischen Stein und Stille – Geschichten eines vergessenen Friedhofs

21. Juni 2025

Der North Leith Burial Ground in Edinburgh, gelegen an der Coburg Street im Stadtteil Leith, ist ein bemerkenswerter historischer Friedhof mit einer bewegten Geschichte, reichen Symbolik und tiefen kulturellen Wurzeln. Durch Zufall entdeckte ich den Friedhof. Es war heller Sonnenschein, eigentlich untypisch für die schottische Hauptstadt.

Der Friedhof wurde im Jahr 1664 angelegt, nachdem der ursprüngliche Friedhof der alten St-Nicholas-Kirche durch den Bau einer Zitadelle im Auftrag Oliver Cromwells zerstört worden war. Für rund acht Jahre war der Stadtteil Leith ohne eigene Begräbnisstätte, bis dieser neue Friedhof nahe dem Water of Leith als Ersatz eingerichtet wurde. Mit seiner Fläche von etwa 0,2 Hektar war er über Jahrhunderte der Hauptbegräbnisplatz der Gemeinde North Leith.

Der Friedhof ist eng mit der Geschichte der North Leith Parish Church verbunden. Diese befand sich ursprünglich neben dem Friedhof, zog aber 1815 an die Madeira Street um. Trotz dieses Umzugs blieb der North Leith Burial Ground lange Zeit in Benutzung. Erst im 20. Jahrhundert wurde er für neue Bestattungen geschlossen. In den 1980er-Jahren wurde ein Teil des Geländes für den Ausbau des Water of Leith Walkways zerstört, was einige Gräber unwiederbringlich verlorengehen ließ.

Besonders eindrucksvoll sind die zahlreichen historischen Grabsteine aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Sie sind reich verziert mit klassischen Motiven der Vergänglichkeit: Totenschädel, gekreuzte Knochen, Sanduhren, Engelsköpfe, Spaten, Herzen, Anker und sogar der sogenannte „Green Man“ – eine mythische Figur der Naturverbundenheit, die in einem Fall mit einem Anker im Mund dargestellt ist. Viele dieser Symbole deuten nicht nur auf den Tod hin, sondern erzählen auch von den Berufen und Lebensumständen der Verstorbenen, etwa durch eingemeißelte Werkzeuge oder Berufszeichen. Die Gestaltung ist oft barock, theatralisch und voller religiöser Anspielungen.

Unter den hier Bestatteten befinden sich einige bemerkenswerte Persönlichkeiten. Einer der bekanntesten ist Pfarrer David Johnstone (1734–1824), der über 59 Jahre lang der Gemeinde als Geistlicher diente und das Blindenasyl von Edinburgh mitbegründete. Auch Robert Nicoll, ein junger Dichter und Journalist mit politischem Engagement, fand 1837 hier seine letzte Ruhe. Umstritten ist die tatsächliche Grabstätte von Colonel Anne Mackintosh, einer Unterstützerin des Jakobitenaufstands von 1745, die möglicherweise ebenfalls auf dem North Leith Burial Ground liegt. Eine weitere historische Figur ist die Großmutter des späteren Premierministers William Ewart Gladstone, die ebenfalls in Leith begraben wurde. Ihre Grabstätte gilt als ein Hinweis auf die Verbindung der Familie zum kolonialen Plantagenhandel.

Heute ist der Friedhof ein öffentlich zugänglicher Ort der Erinnerung und Reflexion. Er dient nicht nur der Ahnenforschung, sondern wird auch im Rahmen von Führungen, Theaterprojekten und historischen Stadtspaziergängen belebt. So widmen sich Veranstaltungen wie „Ghosts of North Leith“ der szenischen Darstellung der hier begrabenen Persönlichkeiten, wobei Geschichte auf kreative Weise erfahrbar gemacht wird.

Der North Leith Burial Ground ist somit mehr als ein Friedhof – er ist ein Geschichtsspeicher, ein Spiegel religiöser und gesellschaftlicher Vorstellungen vergangener Jahrhunderte und ein inspirierender Ort, der bis heute zum Nachdenken anregt. Seine Lage am Fluss, umgeben von alten Gebäuden und modernen Entwicklungen, macht ihn zu einem einzigartigen Zeugnis der Wandlung Edinburghs – ruhig, eindrucksvoll und voller Geschichten. Mal sehen, wann ich mal in den Abendstunden hinkomme.