Als Hutträger ist diese Ausstellung eine Offenbarung: Hauptsache heißt die exzellente Schau im Bayerischen Nationalmuseum in München, die noch bis zum 30. April zu sehen ist. Der Untertitel Hüte.Hauben.Hip-Hop-Caps bringt es auf den Punkt, worum es geht – um Kopfbedeckungen aller Art durch die Jahrhunderte.

Das Museum lud zu einem Bloggerwalk und dem Ruf bin ich freilich gefolgt. Mit rund 250 Hüten, Hauben, Mützen, Schleiern und anderen Kopfbedeckungen sowie Gemälden und Skulpturen gibt die Ausstellung einen Überblick zur Kulturgeschichte der Kopfbekleidung: Kopfbedeckungen sind ein wichtiges Element der Selbstdarstellung. Sie verleihen Würde und machen Hierarchien sichtbar, können Distanz schaffen, aber auch das Gemeinschaftsgefühl stärken.

Die Hut-Spezialist und Kurator Dr. Johannes Pietsch kannte noch so jedes kleine Detail und ich bin erstaunt, was sich alles über Hüte erzählen lässt. Großen Respekt hatte ich auch vor Dipl.-Rest. Dagmar Drinkler. Sie hat alte Knüpf- und Webtechniken ausgegraben und für die Neuzeit erhalten.
Großes Glück für Dr. Frank Matthias Kammel, den Museumschef, der die Bezeichnung Generaldirektor trägt. Nach seiner Begrüßung im „Schatzhaus an der Eisbachwelle“ ging es los. Mir schwirrte der Kopf vor lauter Zahlen und Fakten, die sich erst mal setzen mussten. Geballtes Hutwissen pur, so dass schnell klar war: Ich muss die Ausstellung nochmals besuchen, um noch mehr zu sehen.
Beim Rundgang erinnerte ich mich an eine Geschichte meines Vaters. Noch in den Fünfziger und bis Mitte der Sechziger Jahre war es für ihn selbstverständlich, einen Hut zu tragen. Erst durch die Studentenunruhen und außerparlamentarische Opposition galt der Hut als spießig und konservativ. Die Hüte meines Vaters verschwanden aus der Familie und als ich geboren wurde, gab es in unserem Haushalt keine Hüte mehr, vielleicht noch Mützen. Meine Frau erzählte mir eine ähnliche Geschichte, da blieb der Hut allerdings noch beim sonntäglichen Kirchgang lange Zeit erhalten.
Heute trage ich wieder Hut und Mützen, nur ganz selten Kappen. Ich bilde mir ein, dass ich ein Hutgesicht habe. Mit US-amerikanischen Kappen sehe ich seltsam aus, so meine Empfindung. Und der Hut hat wohl eine gewisse Renaissance unter jungen Menschen, die es chic finden, gut zu tragen.
Im Nationalmuseum war die Geschichte der Kopfbedeckungen zu erkunden. Die Bandbreite reicht von prächtigen Mitren über anmutige Damenhüte bis hin zu aktuellen Designermodellen. Hüte des Märchenkönigs Ludwig II. oder Otto von Bismarcks werfen ein Schlaglicht auf Vorlieben prominenter Persönlichkeiten. Neben Modellen von Dior, Cardin und Saint Laurent sind Unikate von Philip Treacy und Stephen Jones zu sehen. Geschichte und Gegenwart werden unter einen Hut gebracht: Kopfbedeckungen bieten eine einzigartige Vielfalt und sind einfach wunderschön – dem kann ich nur zustimmen. Hier ein 360 Grad Rundgang durch einen Teil der Ausstellung.
Kopfbedeckungen erfüllen unterschiedliche Zwecke: Der Schutz vor Witterung, das „Behüten“, ist eine davon. Im Zentrum der Ausstellung steht die schmückende Funktion. Kopfbedeckungen sind wichtige Elemente der Selbstdarstellung. Sie lassen einen Menschen größer und bedeutender erscheinen, dabei bilden Kopf und Gesicht des Trägers den Mittelpunkt. Nie wirkt ein Hut, eine Haube oder Mütze für sich allein. Kleidung und Accessoires erschaffen ein modisches Gesamtbild.
Frauenhauben und Schleier
Verheiratete Frauen bedeckten schon in der Antike ihre Haare. Der Brauch setzte sich im Christentum fort. In Ägypten gab es in frühbyzantinischer Zeit reizvolle Haarnetze.
Im Mittelalter benutzten Ehefrauen zum Verhüllen ihrer Haare dichtgewebte Tücher, die „Hauben“ oder „Schleier“ hießen. Heiratete eine Frau, kam sie also „unter die Haube“. Nonnen trugen als Bräute Christi ebenfalls Schleier. Aus den weltlichen Hauben entwickelten sich um 1470 komplizierte, vielfach um den Kopf gewundene Gebilde, die man sogar mit Polsterungen unterfütterte.

Zum Kirchgang war ein Schleier mit fester Kinnbinde Pflicht. Darüber wurde ein zusätzliches, immer größeres Tuch gebreitet, das schließlich als „Sturz“ die weiße Kirchenhaube bildete. Hier konnte die Texttilrestauratorin Dagmar Drinkler zeigen was sie konnte. Ihr gelang 2021 die Rekonstruktion eines vollständigen frühbyzantinischen Haarnetzes nach alten Techniken. Ich könnte mir vorstellen, dass ein solches Haarnetz heute wieder von der Modeindustrie aufgegriffen wird.
Hüte und Hutschmuck
Seit etwa 1550 war die Spanische Mode das wichtigste Leitbild. Dort entwickelte sich das Barett zu einer eigenständigen For mit oben abgeflachter Kopfpartie und gerafftem unterem Rand. Später wuchs die weiche Mütze zu einem hohen Zylinder an.Diese Ausführung ahmte man in ganz Europa nach.
Die ebenfalls überall modernen, sehr steifen spanischen Hüte besaßen eine schmale Krempe und ein hohes Kopfteil. Meist bestanden sie aus Filz mit einem Überzug aus Gewebe. Einfarbige Barette und Hüte boten den idealen Anbringungsort für Schmuck wie Metalldekorationen, Edelsteine oder Perlen. Sehr beliebt waren Zierspangen, die sogenannten Agraffen. Auch aufwendige Hutbänder gehörten zur Ausstattung.
Ab etwa 1630 bestimmte Frankreich die Mode in ganz Europa. Aus dem spanischen Hut war um 1600 ein Modell geworden, das ein hohes Kopfteil und eine mäßig breite Krempe besaß. Sie wurde breiter, die Höhe des Kopfes nahm dagegen ab. Daraus entstand der typische Soldatenhut der Zeit um 1620/50. Solche Schlapphüte mit aufgeschlagener Krempe und Federn prägten während des Dreißigährigen Krieges das Alltagsleben. Auch Frauen trugen sie häufig zu dieser Zeit.
Gleichzeitig blieben die Huttypen mit hohem Kopfteil in Mode, nun aber mit breiterer Krempe als zuvor. Ähnlich hohe Hüte mit kegelförmig zugespitztem Kopfteil trugen einfache Handwerker und Bauern noch lange Zeit.
Hauben für die Frau
In der Ausstellung ist eine Flinderhaube aus Nürnberg zu sehen, die wohl zwischen 1640 bis 1680 getragen wurde. Sie besteht aus Metalldraht, Seidenfäden, vergoldete Kupferlegierung, Leinengewerbe und Baumwollwatte. Es gibt weltweit nur noch drei Exemplare. Sie bringt zwei Kilogramm auf die Waage.



Anfang des 17. Jahrhunderts trugen Frauen oft Leinenhauben. Danach ließ die französische Mode die Haare völlig unbedeckt. Daneben existierte in Süddeutschland eine Haube für zuhause, die am Kopf anlag, den Haarknoten hinten aber frei ließ.
Zunächst lag sie in einem glatten Bogen über der Stirn und bekam dann in der Mitte eine dreieckige Schneppe.
In Frankreich brachten die 1670er-Jahre die Hauben zurück.
Die Damen trugen nun mehrlagige Spitzenhauben. Um 1685 kam die „Fontange“ mit hochstehenden Rüschen auf. Sie wurde nach einer Mätresse von König Ludwig XIV. benannt. Die immer höhere Haube musste schließlich gestützt werden, und zwar durch ein Drahtgestell, die „Commode“.
Um 1691/92 wuchs die Fontange noch mehr in die Höhe, die Rüschen fielen aber schmaler und später abgestuft aus. Seit 1708 wurde die nun niedrigere Fontange runder. 1713 endete die Mode der extravaganten Hauben in Versailles und im Laufe der folgenden Jahre auch überall sonst in Europa.
Nachdem die hochbarocke Fontange um 1715/20 abgelegt war, kamen mit dem Rokoko kleinere Spitzenhauben in Mode. Um sie aus mehreren Teilen zu stecken und zusammenzunähen, benötigte man einen Haubenstock in Form einer Holzbüste. Als solide Basis diente ein leicht gepolstertes Stepphäubchen, das mit einem Band auf dem Haubenstock befestigt wurde. Daneben gab es einfachere kleine, anliegende Stoffhauben, zudem als Sonderformen fantasievolle Zierhäubchen.
Im 18. Jahrhundert kamen Frauenhüte ganz eigener Form auf. Seit den 1730er-Jahren waren in England Strohhüte beliebt. Anfangs waren diese Strohhüte eher noch einfach gestaltet. Um 1760 wurden sie üppiger und saßen dann nach vorn gekippt auf den in die Höhe wachsenden Frisuren der Damen. Reisende bemerkten, solche Hüte wären typisch für England und würden dort von Frauen aller Klassen getragen. Bald verbreitete sich diese Mode auch auf dem Kontinent.


Gruseln muss auch sein
Was wäre eine Ausstellung ohne einen gewissen Gruselfaktor. Den gibt es auch im Bayerischen Nationalmuseum. 250 Jahre lang schlummerte dieser Filzhut im Moor bis in den 1920 Jahren in Rosenheim beim Abbau von Torf eine männliche Leiche entdeckt wurde. Bei ihm der Hut eines einfachen Mannes.
Zeitsprung zur Hutkrise
Machen wir einen Zeitsprung und hier deckt sich die Wissenschaft mit meinen Geschichten meines Vaters. Um 1960 wollten moderne Frauen keine Hüte mehr tragen.
Wirklich neu und aufregend waren jetzt die hohen Frisuren. Zudem wurde das Autofahren auch für Frauen zum Standard, und dabei störten Hüte ungemein.
Die innovativen Kreationen von Courrèges und Cardin in Paris hatten auch Auswirkungen auf die Damenhutmode. Dennoch war die große Hutkrise nicht aufzuhalten. In den 1970er-Jahren waren Hüte kein großes Thema mehr. Sie verschwanden aber trotzdem nie ganz aus dem Straßenbild. Im Sommer sah man elegante Strohhüte mit breiten Krempen, die den Retro- oder Nostalgietrend aufgriffen. Prinzessin Diana brachte als meistfotografierte Frau ihrer Zeit Hüte Anfang der 1980er-Jahre wieder in Mode. Dieser Boom hielt auch noch in den 1990er-Jahren an, obwohl frühere Verkaufszahlen nie mehr erreicht wurden.




Klassische Herrenmodelle wie Fedora, Trilby und Porkpie kommen nie ganz aus der Mode, doch treten Variationen hinzu. Nicht nur Herren mittleren Alters, sondern auch junge Männer tragen zunehmend Hüte, die ihnen Individualität verleihen.
Ebenso spielen Schirmmützen modisch wieder eine große Rolle. Seit 2009 setzen die MvBoshi-Mützen einen frischen Trend. Um das Jahr 2000 kam eine neue Art Damenkopfbedeckung auf: der „Fascinator“, ein meist üppig dekorierter, pfiffiger Kopfputz. Aber auch große elegante Damenhüte sind immer noch gefragt.
Der Klimawandel befördert das Tragen von Kopfbedeckungen als Sonnenschutz bei Menschen aller Altersklassen. Heute liegen Kopfbedeckungen wieder voll im Trend. Soziale Medien stärken das Bedürfnis nach Selbstdarstellung. Ein Hut oder eine Mütze kann hier wunderbare Dienste leisten. Baseball- oder Hip-Hop-Caps gehören zur beliebten Streetwear, und neben gängigen Huttypen kommen ganz neue Formen auf. Ob schlicht oder schrill, konservativ oder künstlerisch: Jede Frau und jeder Mann findet für sich das passende Modell.
So gibt es eine Hip-Hop-Cap von Smudo zu sehen, den ich erst einmal googeln musste, weil mir seine Musik ganz fremd ist. Soll der Mann sie tragen, mein Stil ist es einfach nicht.


Vom Filz zum Hut
Nach dem Walk konnten die Blogger bei einem Live-Event staunen. Modistin Christine Halbig aus München zeigte dem Bloggervolk, wie Hüte aus Filz gemacht werden.