Posts Tagged ‘Gaswerk Augsburg’

Bunt, riesig, bedeutungsvoll: Das Reh, das uns zum Umdenken bringt

2. September 2025

Als meine Frau beim Geocaching auf dem Gelände des Gaswerkes Augsburg war, entdeckte ich ein Reh der besonderen Art: riesig, bunt und aus Müll. Die swa‑REHcycling‑Skulptur, erschaffen im Sommer 2020, ist weit mehr als ein Kunstobjekt: Sie ist ein emotionales Statement für Trinkwasserschutz, Umweltbewusstsein und gesellschaftliche Verantwortung.

Die Skulptur misst stolze vier Meter in der Höhe und etwa drei Meter in der Länge – ein imposanter und zugleich verspielter Blickfang, der Besucher bereits aus der Ferne in seinen Bann zieht. Ihre äußere Hülle besteht aus Verpackungsmüll, gesammelt unter anderem von Augsburger Schülern, eine bewusste künstlerische Entscheidung.

Entstanden ist die Skulptur in Zusammenarbeit zwischen den Stadtwerken Augsburg und der Künstlergruppe GiKaMa, bestehend aus Sebastian Giussani, der Architektin Ina Kapitola sowie Daniel Man. Das Grundgerüst wurde aus stabilem Holz gefertigt, ergänzt durch Siebdruckplatten, die die Formgebung ermöglichten – darauf wurde rund 20 kg Plastikmüll aufgebracht, was in etwa dem Müll entspricht, den ein durchschnittlicher Haushalt in einem Monat produziert. Das gesamte Fundament ruht auf Beton, das Gesamtgewicht liegt bei 3,5 Tonnen.

Das Reh fungiert als mahnendes Symbol für die Müllproblematik im Siebentischwald – einem wichtigen Trinkwasserschutzgebiet der swa. Damit soll auf die jährlich rund 226 kg Verpackungsmüll pro Kopf aufmerksam gemacht werden soll – Müll, der oft in der Natur zurückbleibt und das Trinkwasser gefährden kann.

Zwei Monate lang stand das Reh am stark frequentierten Hochablass, faszinierte Passanten und sensibilisierte für das Thema. Im Oktober 2020 zog es schließlich in sein dauerhaftes Zuhause um: das Gaswerksgelände im Augsburger Norden – heute ein Kunst- und Kreativstandort. Der Umzug war ein logistischer Kraftakt: Kräne und Bagger hoben das Fundament mit der Skulptur und transportierten es sicher zum neuen Standort.

Für mich steht fest: Aus Verpackungsmüll geschaffen, macht das vier Meter hohe Reh der Stadtwerke Augsburg eindrucksvoll sichtbar, wie wertvoll unsere Natur und unser Trinkwasser sind. Es verbindet Nachhaltigkeit, Kreativität und Bewusstsein und erinnert uns daran, dass jeder von uns Verantwortung trägt. Und ja, meine Frau hat den Geocache gefunden.

Eine Kathedrale des Klangs – der Gaskessel Augsburg und die Magie von Bach

30. August 2025

Ich bin von Industriedenkmälern fasziniert. Fabriken, Kraftwerke, Bahnhöfe, Produktionsanlagen, die in der Zwischenzeit stillgelegt sind, aber sich aber wie eine Ikone vergangener Zeiten am Horizont erheben und auf eine stolze Vergangenheit zurückblicken. Die Fragen sind natürlich, soll man diese Industriedenkmäler erhalten und noch wichtiger: Wer finanziert einen solchen Erhalt?

Ich schaute mir mit meiner Familie das Gaswerk in Augsburg an. Im Jahr 1915 nahm das Gaswerk Augsburg im Stadtteil Oberhausen seinen Betrieb auf – eine moderne Anlage zur Erzeugung von Stadtgas aus Steinkohle, deren Baustrukturen bis heute weitgehend erhalten sind. Bemerkenswert ist, dass diese Gebäude den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden.

Der wahre Blickfang des gesamten Ensembles ist jedoch der sogenannte Scheibengasbehälter, der zwischen 1953 und 1954 von der Firma MAN errichtet wurde. Er avancierte zum Wahrzeichen des Geländes. Der Kessel kann bis zu 100.000 Kubikmeter Gas speichern und agierte als wesentlicher Bestandteil der städtischen Energieversorgung bis zur Stilllegung im Jahr 2001.

Technisch ist der Gaskessel faszinierend: Er enthält eine bewegliche Stahl-Scheibe von 219 Tonnen, die das Gas im unteren Bereich von der darüber befindlichen Luftschicht trennt. Um den notwendigen Druck zu gewährleisten, ruht die Scheibe auf 1.820 Betongewichten, was eine Gesamtmasse von 356 Tonnen ergibt. Nach der Stilllegung wurde die Scheibe sicher auf den Boden des Behälters gesenkt.

Mit einer Höhe von rund 85 Metern zählt der Gaskessel zu den höchsten Gebäuden in Augsburg – er rangiert sogar als viertgrößtes Bauwerk der Stadt. Für Besucher gibt es seither die Möglichkeit, mit fast 400 Stufen bis zur Spitze zu steigen. Meine Familie hat dies gemacht, ich habe Höhenangst. Von dort oben eröffnet sich ein beeindruckender 360°-Panoramablick über Augsburg.

Seit dem Umbau des Geländes ab ca. 2017 durch die Stadtwerke Augsburg (swa) steht das Areal als Kultur- und Kreativquartier wieder im Rampenlicht. Das historische Ensemble, das als Industriedenkmal von europäischem Rang gilt, dient heute als inspirierender Ort für Kulturangebote und kreatives Schaffen mitten in einem Industriegebiet und Rotlichtbezirk.

Der Gaskessel erhielt bereits faszinierende künstlerische Nutzung: Seit 2008 hängt im Inneren ein 70 Meter langes Foucault’sches Pendel, mit dem die Erdrotation visualisiert wird. Zusätzlich wurde 2009 eine Klanginstallation namens Bach_10k installiert, bei der 58 Orgelpfeifen im extrem langsamen Takt von Bachs C‑Dur-Präludium ertönen – so wird der Kessel zu einem begehbaren Klangkunstwerk.

Immer wieder wird der Gaskessel auch als Bühne genutzt – so eröffnete etwa ein Spezialkonzert im Rahmen des Denkmaltags 2024 diesen eindrucksvollen Raum mit Licht- und Musikinszenierung. Im Augsburger Gaskessel, einem denkmalgeschützten Scheibengasbehälter, wird die Klanginstallation „Bach_10k“ präsentiert – eine Klanglandschaft, die beeindruckend Bachs Präludium in C-Dur (das berühmte „Präludium“ des „Wohltemperierten Klaviers“ BWV 846) in extrem langsamer Form erklingen lässt.

Es erklingt das Präludium in C-Dur von Johann Sebastian Bach, jedoch stark verlangsamt. Die Töne des Stücks werden Note für Note über rund 10 000 Sekunden (also fast 3 Stunden) nacheinander wiedergegeben – synchron zum Pendelschlag eines 70 Meter langen Foucault’schen Pendels, das im Gaskessel installiert ist. Hier zwei VR 360 Grad Videos vom Rundgang um den Gaskessel:

Die Harmonien bauen sich sukzessive auf, beginnend mit dem Grundton C‑Dur über verschiedene Spannungspunkte bis zum fulminanten Schlussakkord, der über dem mächtigen Basston der etwa fünf Meter hohen C‑Pfeife verhallt.

Die sehr langsame Abspielgeschwindigkeit (rund 100 Mal langsamer als das Originaltempo) erlaubt, die harmonische Struktur intensiv wahrzunehmen – jede Harmonieveränderung wird dadurch sinnlich erlebbar. Hier ein VR 360 Grad Video im Zentrum des Gaskessels:

Die Klanginstallation nutzt die akustischen Eigenschaften des historischen Gasbehälters und macht ihn so zu einem begehbaren Klangkunstwerk, in dem der Besucher den Ton in einem immersiven Raum wahrnimmt. Und hier eine klassische Aufnahme aus dem Zentrum des Kessels.

Das Pendel fungiert dabei als gigantisches Metronom: Jeder Pendelhub löst eine Note aus, wodurch sich eine enge Verbindung zwischen physikalischer Bewegung und musikalischer Zeitstruktur einstellt.
Obwohl kaum jemand den gesamten Zyklus von 10 000 Sekunden live erlebt, wechseln sich harmonische Spannungen alle etwa 13 Minuten ab – je nachdem, wo man sich im Klangraum befindet, empfindet man die Musik anders.