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90. Geburtstag von François Truffaut

8. Februar 2022

Wenn ich ans französische Kino denke, fallen mir viele berühmte Regisseure ein: Claude Chabrol, Georges Méliès, Jaques Tati, Jean-Luc Godard und immer wieder François Truffaut.

Das Geniale an der Person François Truffaut war für mich: Er vereinigte in einer Person Regisseur, Produzent, Drehbuchautor, Journalist, Buchautor und Schauspieler. Am 6. Februar 1932 wurde er in Paris geboren und feierte soeben seinen 90. Geburtstag.
Als Filmkritiker, der das legendäre Les Cahiers du cinéma leitete, wechselte er auf die andere Seite. Er schrieb nicht nur über Film, sondern er schrieb Filmgeschichte indem er Mitbegründer der Nouvelle Vague war. Seine Meisterwerke waren sicherlich Sie küssten und sie schlugen ihn, Jules und Jim, Geraubte Küsse und Die amerikanische Nacht, die derart leichtfüßig auf der Leinwand liefen.

Von den siebziger Jahren bleiben mir drei unterschiedliche Ereignisse von Truffaut in Erinnerung. Da wäre zum einen sein Film die amerikanische Nacht von 1973, die deutsche Veröffentlichung des Interview-Klassikers Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? und sein Schauspielauftritt in Steven Spielbergs Unheimliche Begegnung der Dritten Art.

Der Regisseur: Die amerikanische Nacht (1973)
Der Film lebt vom Blaufilter. Die Liebeskomödie wurde bei Tag gedreht, aber durch einen Blaufilter entsteht für den Zuschauer der Eindruck einer Nachtaufnahme, eben eine amerikanische Nacht. Der Film ist ein humorvolles Psychogramm von Dreharbeiten – unterschiedliche Charaktere prallen aufeinander. Ein Filmprojekt droht zu scheitern, doch die Liebe zum Film schweißt die Protagonisten zusammen und sie ziehen gemeinsam ihr Filmprojekt durch. Ein schöner Film für Filmfreunde, der die Differenzen in einem künstlerischen Prozess sehr gut darstellt und Mut macht. Die amerikanische Nacht wurde sowohl 1974, als auch 1975 für den Oscar nominiert. Zunächst als französischer Beitrag in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film, in der er sich gegen die Konkurrenz durchsetzen konnte, und im folgenden Jahr in den Kategorien Beste Regie und Bestes Originaldrehbuch sowie mit der Schauspielerin Valentina Cortese in der Kategorie Beste Nebendarstellerin.

Der Autor: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?
Der Journalist Truffaut hatte die Gelegenheit den Altmeister des Kinos Alfred Hitchcock mehrmals zu interviewen. Heraus kam ein Standardwerk der Filmliteratur, das jeder Filmfan gelesen haben muss. Truffaut stellt die richtigen Fragen und Hitchcock beantwortete sie ausführlich und detailreich. Herausgekommen ist kein oberflächliches PR-Buch, sondern spannende Filmliteratur. Das Buch Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? ist in Deutschland 1973 erstmals bei Hanser erschienen, zwei Jahre später kam es bei Heyne heraus. Das französische Original erschien 1966 und basiert auf einer rund 50-stündiges Interview-Session.


Hier gibt es die original Interviews zum Nachhören.

Der Schauspieler: Unheimliche Begegnung der dritten Art 1977
Truffaut spielt den Sprachwissenschaftler Claude Lacombe, der Kontakt zu Außerirdischen herstellt. Die Spielbergsche Allegorie auf die Bibel ist heute ein Klassiker des Science Fiction-Films, der nochmals in einer erweiterten Version herauskam. Für mich ist die Beteiligung Truffauts, der im Film Französisch spricht, eine Verbeugung Spielbergs vor dem großen europäischen Autorenfilmer. Spielberg bezeichnete ihn 1978 in einem Interview des American Film Institute als „simple Man“ im Sinne von unkompliziert. Er sei genauso wie seine Filme: Leicht und unbeschwerlich. Und ich denke, diese Unbeschwerlichkeit zeigt sich hervorragend in Unheimliche Begegnung.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Facebook-Gruppe ERDBENEN‘74 – Filme und Stars der 70er

Dracula im Film (8): Jonathan (1970) – Vampire sterben nicht

12. August 2020

Jonathan war Geißendörfers zweite Regierarbeit.

Jonathan war Geißendörfers zweite Regierarbeit.

Ein sehenswerter deutscher Beitrag zur Verfilmungen rund um den Mythos stammt von Hans W. Geißendörfer. 1970 brachte der Vater der Lindenstraße den erschreckenden Vampirfilm Jonathan in die Kinos. Es war seine zweite Regiearbeit nach dem Fall Lena Christ.
Aber natürlich können die deutschen Autorenfilmer nicht einfach einen Vampirfilm drehen, nein er musste eine politische Botschaft haben, schließlich stammt der unheimliche Streifen aus dem Jahre 1970. Alle Elemente des klassischen Vampirfilms sind vorhanden: Zähne, Gräber, Kreuze, Pfahl – auch der Name Jonathan verweist auf Jonathan Harker aus Bram Stokers Dracula. Doch der Film ist mehr als ein Vampirfilm – es ist eine politische Parabel in wunderschönen Bildern.

Es zeigt den Aufstand des unterdrückten Volkes gegen den Adel, der dem Volk das Blut aussaugt.
Die Handlung: Ein junger Mann mit Namen Jonathan wird von den Intellektuellen, den Professoren und Studenten, zu den bösen Vampiren geschickt, um zu spionieren. Dort wird er allerdings erwartet und muss Folter und Tortur über sich ergehen lassen. Dann aber die Wendung: Das Volk, die Bauernschaft, die bisher sich selbst quälte und ihre Wut an Schwächeren ausließ – dieses Volk erwacht nun und übt blutige Vergeltung an den Herrschenden und treibt die Blutsauger schließlich ins Meer.
Der Film ist keine leichte Kost, aber wunderschön von Geißendörfer fotografiert. Es gibt kaum Dialoge, dafür eine Kombination von Bildern und Musik und die Farben des Setdesigns sind aufeinander abgestimmt. Die dominanten Farben sind Schwarz, Weiß, Rot – diese Farben kennen wir doch, oder? Gedreht wurde auf Schloss Pommersfelden bei Bamberg, der Gründungsbau des fränkischen Barocks. Die Einstellungen sind meist Totale, kaum Details. Geschnitten wird nur dann, wenn es notwendig ist, also für die jüngeren Zuschauer eine Tortur. Gerne würde ich den Regisseur mal zu seinem Film befragen, vielleicht ergibt sich die Gelegenheit. Auf der DVD gibt es ein aufschlussreiches Interview mit Geißendörfer.

Im Film sind allerhand Anspielungen auf die Kapitalismuskritik der linken siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wahrzunehmen. Auch das Kommunardenleben wird visuell zitiert, die Kommune 1 mit freier Liebe lässt grüßen. Bauern schauen einem jungen Paar beim Sex zu.
Übrigens: der Film wurde ein finanzieller Erfolg. Rund eine Millionen Zuschauer gingen 1970 ins Kino.
Eine Kopie des Films zu bekommen, ist übrigens ziemlich schwer. Es gab mal eine Arthaus-Kollektion auf DVD. Dort ist auch das Presseheft als PDF hinterlegt. Im Interview wird auch von einer härteren japanischen Version gesprochen, die ich allerdings noch nie wirklich gesehen habe. Im Interview betont Geißendörfer, dass hier exzessiv mit Kunstblut gearbeitet wurde. Gerne würde diese Version in die Finger bekommen.
Es ist an der Zeit, dass eine restaurierte Bluray-Version auf den Markt kommt.