Posts Tagged ‘Julian Reichelt’

Buchtipp: Ohne Rücksicht auf Verluste: Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet

19. Oktober 2021

Morgens nach dem Aufwachen habe ich im Bett ein journalistisches Ritual: Ich scanne die sozialen Netzwerke, lese die Schlagzeilen der relevanten News-Website und schmökere in digitalen Zeitungen am iPad mini. Darunter ist auch die BILD, die ohne Zweifel Meinungsführer in Deutschland ist.

Ich bin gespannt, was und ob sich etwas in der Boulevard-Berichterstattung nach dem Rauswurf von Julian Reichelt vom Posten des Chefredakteurs ändert. In der BILD selbst stand auf Seite 3 eine Meldung dazu. Ich habe Reichelt selbst nur einmal bei einer Podiumsdiskussion in München kennengelernt als er über die Arbeit von Polizeipressesprecher Marcus da Gloria Martins im Rahmen des OEZ-Attentats mokierte. Ich war nicht Reichelts Meinung. Ich konnte aber sehen, wie streitbar Julian Reichelt argumentierte und wie sein Weltbild ist. Am Ende der Veranstaltung ließ ich mir sein Buch signieren und wechselte ein paar Worte, um mir ein Bild zu machen.

Und als Reichelt gestern bei Springer rausgeflogen ist – oder wie es diplomatischer bei Springer hieß: „Entbunden“ wurde, da griff ich zur Lektüre des Buches Ohne Rücksicht auf Verluste: Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet spaltet. Ich habe immer wieder in einem Kapitel geschmökert und gestern habe ich das Buch aufgrund der aktuellen Ereignisse fertig gelesen. Erschreckend, wie das Geschäftsmodell des erfolgreichsten deutschen Medienhauses auf Angst basiert. Die Autoren Moritz Tschermak und Mats Schönauer haben eine beeindruckende Recherche vorgelegt. Sie liest sich zwar nicht so flüssig wie das Wallraff-Buch von 1977 Der Aufmacher: Der Mann, der bei Bild Hans Esser war, aber es ist auch eine andere Zeit heute: BILD ist komplexer als zu Wallraffs Zeiten.

Moritz Tschermak und Mats Schönauer betreiben seit 2004 den BILDblog und analysieren Tag für Tag den Medienkomplex BILD. Sie stellen fest: Unter Reichelt sei das Boulevard-Blatt noch brutaler, noch menschenverachtender, noch populistischer geworden. Jetzt muss Boulevard Position beziehen und zum Teil auch überspitzen, doch Reichelt hat den Bogen überspannt. Das wird in dem Buch eindrucksvoll belegt. In den Kapitel geht es unter anderem um BILD und die Justiz, Leser, Politik, Migration, Rechtspopulisten, Frauen und Hartz IV. Das Kapitel über Sport habe ich übersprungen, weil mich Sportberichterstattung null interessiert. Aber auch hier bezieht die Zeitung mit den vier Großbuchstaben wohl auch Position.

Julian Reichelt und sein Team waren erfindungsreich.Die Unsitte des Leserreporters schlug wie eine Bombe ein. Es gab sogar noch einen Presseausweis für diese Knipser. Die Leser-Blatt-Bindung war enorm. Als die Print-Auflage zusammenbrach, setzt man massiv auf Online, führte konsequent mit Bild Plus ein Bezahlabo ein und mit dem TV-Sender Bild TV wird der Verlag wohl den gleichen Weg gehen. Die Mannschaft um Reichelt nimmt es mit Persönlichkeitsrechten nicht so genau ist aus dem Buch ebenso zu lesen, wie die Redaktion Stimmung gegen Minderheiten macht.

Das Buch Ohne Rücksicht auf Verluste: Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet ist ein wichtiges Buch zur Medienkultur. Das Buch zeigt, wie Journalismus funktioniert und wie er am Beispiel der BILD eben nicht funktionieren darf. Nach der Lektüre war ich erbost und erzürnt. BILD unter Reichelt machte sich seine eigenen Wahrheiten. Ich empfehle die Lektüre so manchen besorgten Bürger, der meint, die BILD sei die Zeitung des kleinen Mannes und ergreife seine Partei. Der kleine Mann irrt – er irrt gewaltig.

Buchtipp: Kriegsreporter von Julian Reichelt

28. August 2011

Interessiert verfolge ich die Lage in Libyen und stoße bei meinen Recherchen immer wieder auf Artikel des Bild-Journalisten Julian Reichelt, der als Kriegsreporter in der Region unterwegs ist. Der Typ interessierte mich und ich kaufte mir sein gleichnamiges Buch Kriegsreporter, das 2009 schon erschienen ist. Der Untertitel lautet „Ich will von den Menschen erzählen“ und das tut das Buch auch.

Reichelt hat den Boulevardstil seines Arbeitgebers auch in diesem Buch angewendet. Das bedeutet: Kurze Sätze, drastische Beschreibungen, sehr, sehr einfühlsam gemacht – ein Lehrbuch für Reportagen im Boulevard. Reichelt kann mit diesem Buch nicht Konflikte erklären und analysieren.Das will er auch hoffentlich nicht. Nein – vielmehr ergreift er Partei für eine Seite.

Der Buchtitel „Kriegsreporter“ erinnert an die Kerle wie Capa und Nachtwey und Kollegen. Leider ist der Titel komplett irreführend, denn das Buch beginnt mit der Tsunami-Katastrophe in Thailand, schweift auch mal zur Berichterstattung des Todes von Papst Johannes Paul II ab – alles anderes als Kriegsgeschichten. Hier sind dem Autor oder dem Verlag Fackelträger die Gäule durchgegangen. „Aus dem Leben eines Krisenreporters“ wäre der bessere Titel. Und ich muss zugeben, der Beitrag über den Papst war journalistisch überflüssig.

Egal. Ich werde das Buch bei meinen Journalistenschulungen einsetzen, denn die Reportagen sind zum Teil sehr bewegend, sehr eindrucksvoll geschrieben. Besonders gut gelungen sind Reichelts Ausführungen über den Libanonkrieg, als er über das bange Warten auf einen israelischen Soldaten schrieb, der von der Hisbollah entführt wurde und tot zurückkam. Hier spielt Julian Reichelt alle Karten des Boulevard-Journalisten. Kollegen wie Peter Scholl-Latour oder Gerd Ruge haben natürlich ein anderes journalistisches Kaliber, dennoch schlägt sich der junge Reporter hervorragend. Er gibt auch zu, gar nicht mehr objektiv zu sein und er bemüht sich auch gar nicht mehr darum in diesem Buch. Und hier liegt die Gefahr: Journalismus ist Dienstleister – er soll die Welt erklären, damit sich der Leser ein Urteil bilden kann. Mit diesem Buch bekommt der Leser ein fertiges Urteil präsentiert und ihm wird die Meinung Reichelts quasi aufgezwungen. Der Boulevardstil ist meines Erachtens großartig und ich kann auch viele Einschätzungen des Autoren teilen. Dennoch kommt Sensationslust immer wieder durch, aber das muss dem Leser bei einem Autoren der Bild klar sein.