Posts Tagged ‘Gerichtsbarkeit’

Estland (13): Sitten und Eigenheiten in der Unistadt Tartu

20. Januar 2025

Jede Unistadt hat seine eigenen Sitten und Gebräuche. Das ist im Baltikum nicht anders. Die älteste Universität des Estlands steht in Tartu und ist über die gesamte Stadt verstreut.

Karzer und Uhr
Im Hauptgebäude der Universität in dessen Dachgeschoss befinden sich noch fünf Karzer. Der Karzer war bis ins frühe 20. Jahrhundert eine Arrestzelle in Universitäten. Leider konnte ich diese bei meinem Besuch in Estland nicht besichtigen. Im Erdgeschoss im Eingangsbereich gibt es noch eine historische Uhr. Das ist ein beliebter Treffpunkt der Studenten. Paare treffen sich unter der Uhr, damit keine behaupten kann, man wisse nicht, wieviel Uhr es ist.

Gesang von den zwei Brücken
Gesungen wird in Estland sehr viel – auch in Tartu und ich meine nicht das Studium des Gesangs. So treffen sich die Studenten auf zwei Brücken im Park. Die einen auf der Teufelsbrücke, eine Steinbrücke, und die anderen auf den gelben hölzernen Engelsbrücke und sie singen gegeneinander an. Eine Art von Sängerkrieg, den ich gerne einmal hören würde.

Balancieren über die Bogenbrücke
Zu den studentischen Sitten in Tartu gehört es, einmal im Studium über die Bogenbrücke zu balancieren. Das ist zwar eigentlich verboten, doch gemacht wird es trotzdem. Das Erklimmen der Brücke ist vergleichsweise einfach. Viel schwieriger ist der Abstieg von dem gebogenen Geländer. So mancher Student ist in en darunter fließenden Fluss gefallen.

Die Polizei ahndet diese Ordnungswidrigkeit. Wenn den Studenten bei ihrer Flucht vor der Polizei auf den etwas höheren Eingangsbereich der Universität gelingen, dann greift ein althergebrachtes Uni-Recht: Die Studenten unterstehen dann der „Gerichtsbarkeit“ des Universitätsrektors und die Polizei darf die Übeltäter nicht festnehmen. Es ist kein Fall bekannt geworden, dass die Universität die Studenten für das Erklimmen der Bogenbrücke bestraft.

Konflikt mit Lenin
Einen besonderen Humor hatten die Studenten von Tartu schon immer – auch als man unter sowjetischer Herrschaft stand. So hatten die verhassten Sowjets in den achtziger Jahren ein Denkmal eines sitzenden Lenins ersetzt durch einen stehenden Lenin. Unter den Studenten hieß es dann: „Jetzt steht er, bald geht er!“ Sie hatten Recht. 1991 wurde Estland wieder selbstständig und der steinerne Lenin wurde abgebaut.

Blick vom Turm
Unter den Jugendlichen von Tartu gab es eine gefährliche Mutprobe. Es gab zur Sowjetzeit einen hohen Turm der katholischen Kirche. Unter Lebensgefahr und bei strengem Verbot wurde der Turm bestiegen. Auf dem Turm war ein Blick auf den sowjetischen Miltärflughafen möglich und die aufsteigenden und landeten MIGs konnten beobachtet werden. Dass wurde in sowjetischer Zeit als Spionage geahndet, denn offiziell gab es diesen Miltärflughafen nicht und war sowjetisches Sperrgebiet. Heute liegt auf dem ehemaligen Flugfhafengelände das estnische Nationalmuseum. Den Turm der katholischen Kirche gibt es heute noch immer. Er wurde allerdings befestigt.

Riga – sinnvolle und sinnlose Superlative im Tourismus

10. Januar 2020

Brauchen Tourismusorte wirklich immer Superlative?

Brauchen Tourismusorte wirklich immer Superlative?

Tourismusorte werben mit Superlativen. Der schönste Ort, der höchste Ort, der interessanteste Ort … Blablabla. Da werden noch so kleine Details zu Superlativen aufgebauscht, um Touristen anzulocken. Das hat vielleicht im vergangenen Jahrhundert funktioniert, doch heute? Gerade komme ich aus Riga, der Hauptstadt Lettlands im Baltikum, zurück und mir schwirrt der Kopf vor lauter Superlative. Ich möchte mal drei nennen, die ich komplett unterschiedlich bewerte: Der älteste Christbaum der Welt, ein Baum so alt die die Pyramiden und der nördlichste Roland der Geschichte.

Älteste Christbaum stand in Riga
Auf dem Platz vor dem Rathaus in Riga steht ein Denkmal, dass es in Riga den ältesten Christbaum der Geschichte gegeben haben soll. Es wurde eine Schrift gefunden, die das beweisen soll, das 1510 in Riga der erste Christbaum stand. Schnell wurde ein Denkmal mit dem Superlativ aufgestellt und die PR-Trommel gerührt. Also soll im Jahr 1510 vor dem Schwarzhäupter-Haus die erste öffentlich aufgestellte und geschmückte Tanne gestanden haben. Offiziell verkündete die Stadt: „Riga ist die Geburtsstätte des ersten Weihnachtsbaumes, der bereits 1510 aufgestellt und dekoriert wurde.“ Bisher erinnere eine im Kopfsteinpflaster eingelassene Gedenktafel – und seit 2017 eine enthüllte Mini-Tanne aus Bronze. Bei meinem Besuch stand zudem ein echter Christbaum neben der künstlichen Tanne.
Experten halten den Superlativ für übertrieben. Zwar wurde 1510 ein Baum erwähnt, allerdings handelt es sich hier einen Fastnachtsbaum und nicht um einen Christbaum, wie mir ein Historiker bestätigte. Naja, ob das also mit dem ältesten Christbaum so stimmt, sei dahingestellt, aber Hauptsache Superlative.

Ein Stück Eiche mit 3500 Jahren
Und gleich noch eine Superlative, die aber wirklich eindrucksvoll ist. Beim Wiederaufbau des im Zweiten Weltkriegs abgebrannten Rathauses wurde ein Baumstamm einer Eiche gefunden, der rund 3500 Jahre alt ist. Er wuchs vor 3500 Jahren am Fluss Düna (Daugava), der Riga durchfließt. Und jetzt die Superlative: Vor 3500 Jahren wurde Ägypten von Pharao Tutanchamun regiert – also ein schöner zeitlicher Vergleich. Der Baum, bzw die Reste der Eiche, sind in der Rathauspassage ausgestellt.

Der nördlichste Roland
Der Roland ist ein Standbild eines Ritters und symbolisiert das Stadtrecht. Und – hier die Superlative – die nördlichste Roland-Figur steht in Riga am Rathausplatz vor dem Schwarzhäupter-Haus. Auf dem Schild des Ritters ist das Wappen der Stadt Riga zu sehen. In der anderen Hand hält der Roland ein Richtschwert. Der Roland symbolisierte die Eigenständigkeit einer Stadt mit Marktrecht sowie Gerichtsbarkeit. Der Roland von Riga wurde 1412 errichtet und schon 1474 und 1896 ersetzt. Heute steht er im Nationalmuseum und an seiner Stelle am Rathaus eine schöne Kopie aus dem Jahre 1999 fahren.