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Django (1966) – Rückblick auf meine Matinee

18. Dezember 2025

Sergio Corbuccis „Django“ von 1966 zählt zu den Filmen, die den Italo-Western nicht nur geprägt, sondern radikal erneuert haben. Mit Franco Nero in der Titelrolle entstand eine Figur von ikonischer Wucht: ein schweigsamer Antiheld, getrieben von Rache, gefangen zwischen Einsamkeit und moralischer Unschärfe – ein Mann, der mehr Abgrund als Hoffnung in sich trägt. Der nächste Film in meiner Western-Matinee am 28. Dezember 2025 im Scala-Kino Fürstenfeldbruck. Ich bespreche und zeige den Clint Eastwood-Western Erbarmungslos. Karten gibt es hier.

Schon die berühmte Anfangssequenz, in der Django einen Sarg durch den Schlamm einer trostlosen Grenzstadt zieht, entfaltet eine verstörende Symbolkraft. Sie steht für den Zerfall des amerikanischen Mythos, für eine Welt, in der Leben und Tod, Schuld und Erlösung untrennbar ineinander übergehen. Hier die Aufzeichnung meines Vortrags.

Corbucci entwirft ein Amerika, das mit den heroischen Bildern des klassischen Westerns nichts mehr gemein hat. Statt weiter Landschaften und klarer Ehrenkodizes herrschen Morast, Gewalt und Hoffnungslosigkeit. Die Stadt, in der Django ankommt, wird zum Sinnbild einer zerfallenen Ordnung. Zwei rivalisierende Gruppierungen bestimmen das Geschehen: auf der einen Seite brutale, rassistische Südstaatenmilizionäre, auf der anderen mexikanische Revolutionäre. Zwischen diesen Fronten bewegt sich Django als zynischer Einzelgänger, der weder Partei ergreift noch moralische Gewissheiten kennt – einzig sein persönlicher Rachefeldzug treibt ihn voran.

Die Darstellung von Gewalt war zur Entstehungszeit des Films revolutionär. „Django“ zeigt sie roh, überhöht und zugleich von eigentümlicher Ästhetik. Corbucci inszeniert das Töten als groteskes Ritual einer Welt, in der moralische Maßstäbe längst aufgehoben sind. Besonders eindringlich ist die Szene, in der Djangos Hände zertrümmert werden: ein Akt der Entmachtung, der den vermeintlichen Helden bricht und ihn zugleich zutiefst menschlich erscheinen lässt. Django ist kein unverwundbarer Revolvermann, sondern ein Verwundeter, der seinen letzten Kampf aus nackter Verzweiflung führt.

Über seine stilistische Radikalität hinaus ist der Film auch politisch lesbar. Geprägt von den gesellschaftlichen Spannungen der 1960er-Jahre nutzt Corbucci den Western als Allegorie auf Macht, Unterdrückung und Gewaltstrukturen. Die Südstaatenmilizionäre mit ihren roten Kapuzen erinnern unübersehbar an den Ku-Klux-Klan; ihre Brutalität ist ideologisch aufgeladen und zutiefst rassistisch. Djangos Widerstand wird so zum Kampf des Individuums gegen ein System – ein zentrales Motiv des politisch geprägten Italo-Westerns.

Untrennbar mit der Wirkung des Films verbunden ist die Musik von Luis Bacalov. Das Titellied „Django“, gesungen von Rocky Roberts, verleiht dem Film eine melancholische, beinahe sakrale Grundstimmung und bildet einen eindrucksvollen Kontrast zur schmutzigen, gnadenlosen Bildwelt.

Franco Nero prägt die Figur mit einer Mischung aus kühler Eleganz und stiller Verlorenheit. Sein Blick, seine sparsamen Gesten und die kontrollierte Körperhaltung machen Django zum Prototyp des einsamen Rächers – ein Archetyp, der spätere Westernfiguren ebenso beeinflusste wie Quentin Tarantinos moderne Neuinterpretation.

In der Rückschau steht „Django“ heute gleichberechtigt neben den Klassikern Sergio Leones – allerdings dunkler, kompromissloser und politischer. Corbuccis Film ist weniger Abenteuergeschichte als Abgesang auf die Mythen des Westens. Schlamm, Wind und Blut werden zur ästhetischen Sprache eines Genres, das Schönheit im Verfall sucht.

Verpassen Sie diesen Meilenstein des Italo-Westerns nicht. „Django“ ist ein visuell kraftvoller, moralisch vielschichtiger und bis heute verstörend aktueller Film. Trotz seines geringen Budgets entfaltet er eine enorme Wirkung und bleibt ein düsteres Gedicht über Rache, Schuld und Einsamkeit.

Der nächste Film in meiner Western-Matinee am 28. Dezember 2025 im Scala-Kino Fürstenfeldbruck. Ich bespreche und zeige den Clint Eastwood-Western Erbarmungslos. Karten gibt es hier.

Django (1966) – Western-Matinee am 26. Oktober im Scala Fürstenfeldbruck

24. Oktober 2025

Sergio Corbuccis „Django“ aus dem Jahr 1966 gehört zu jenen Filmen, die das Genre des Italo-Westerns nicht nur geprägt, sondern neu definiert haben. In der Rolle des wortkargen Antihelden Django schuf Franco Nero eine ikonische Figur, die zwischen Einsamkeit, Rache und moralischer Ambivalenz pendelt – ein Mann, der mehr Schatten als Seele zu haben scheint. Bereits die Eröffnungsszene, in der er seinen Sarg durch den Schlamm einer verlassenen Grenzstadt zieht, ist von verstörender Wucht und symbolischer Dichte: Sie steht für die Verwesung des amerikanischen Traums, für die Vermischung von Leben und Tod, Schuld und Erlösung. Wir besprechen und zeigen den Film in unserer Western-Matinee im Scala Fürstenfeldbruck am Sonntag, 26. Oktober. Karten gibt es hier.

Corbucci präsentiert ein Amerika, das kaum mehr etwas mit der heroischen Welt des klassischen Westerns gemein hat. Statt weiter Himmel und ehrenvoller Duelle zeigt er ein Niemandsland aus Morast, Elend und Gewalt. Die Stadt, in der Django strandet, wird zum Mikrokosmos der Hoffnungslosigkeit – beherrscht von zwei rivalisierenden Banden: rassistische Südstaatenmilizionäre auf der einen, mexikanische Revolutionäre auf der anderen Seite. Zwischen ihnen bewegt sich Django als zynischer Mittler, der weder Gut noch Böse kennt, sondern nur sein eigenes, von Rache getriebenes Ziel verfolgt.

Die Brutalität des Films war für die damalige Zeit revolutionär. „Django“ zeigte eine neue Form von Gewalt – roh, überstilisiert, aber zugleich von seltsamer Schönheit. Corbucci inszeniert das Töten als groteskes Schauspiel, als Ausdruck einer Welt, in der Moral längst bedeutungslos geworden ist. Besonders berüchtigt ist die Szene, in der Djangos Hände zertrümmert werden – ein symbolischer Akt, der den Helden entmachtet und ihn zugleich menschlicher macht. Er wird nicht zum unbesiegbaren Westernhelden, sondern zu einem gebrochenen Menschen, der seinen letzten Kampf aus purer Verzweiflung führt.

Der Film ist dabei nicht nur ein Meisterwerk der Inszenierung, sondern auch eine Studie über politische und gesellschaftliche Spannungen. Corbucci, selbst geprägt von den Umbrüchen der 1960er-Jahre, versteht den Western als Allegorie auf Unterdrückung, Macht und Revolution. Die Südstaaten-Schergen tragen rote Kapuzen, die unübersehbar an den Ku-Klux-Klan erinnern; ihre Gewalt ist ideologisch, rassistisch und archaisch. Djangos Kampf gegen sie wird zum Kampf des Einzelnen gegen Systeme der Gewalt – ein Thema, das den Italo-Western zu einem politischen Kino der Verzweiflung machte.

Unvergesslich ist auch die Musik von Luis Bacalov, die den Film in eine eigentümliche Melancholie taucht. Das Titellied „Django“ – gesungen von Rocky Roberts – ist längst zum Klassiker geworden, seine schwermütige, fast sakrale Stimmung bildet einen Gegenpol zu der schmutzigen Brutalität des Films.

Franco Nero verleiht der Figur eine Mischung aus kalter Eleganz und stiller Verzweiflung. Mit seinem durchdringenden Blick, den wenigen Worten und der kontrollierten Körperlichkeit verkörpert er den Prototyp des einsamen Rächers, der später Figuren wie Clint Eastwoods „Man with No Name“ oder Tarantinos modernen Django inspirierte.

In der filmhistorischen Rückschau steht „Django“ heute auf einer Stufe mit Leone-Klassikern wie „Für eine Handvoll Dollar“ – nur düsterer, kompromissloser und politischer. Corbuccis Werk ist weniger ein Abenteuerfilm als ein Abgesang auf die Mythen des Westens. Der Dreck, der Wind, das Blut – sie sind Teil einer neuen Ästhetik, die Schönheit im Verfall sucht.

Verpassen Sie nicht diesen Klassiker des Italo-Westerns zwischen Dreck, Blut und Mythos. Sergio Corbuccis „Django“ ist ein bahnbrechender, visuell kraftvoller und moralisch vielschichtiger Film, der das Genre des Westerns in eine neue Ära führte. Trotz seines niedrigen Budgets entfaltet er eine beispiellose Wucht, die bis heute spürbar ist. Wer Western liebt, sollte ihn gesehen haben – nicht nur als Actionfilm, sondern als düsteres Gedicht über Rache, Schuld und Einsamkeit. Karten gibt es hier.

Ein verlorenes Kind, das weiter lebt – Annie in Mary King’s Close – Spukgeschichte

7. Juli 2025

Ich liebe Spukgeschichten seit ich ein Kind bin. Die Vorstellung von Geistern lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen und übt eine Faszination auf mich aus. Da bin ich in Schottland ja an der richtigen Stelle und bin in Edinburgh in der Mary King’s Close fündig geworden. Danke Isi für den Tipp.

In den Schatten unterhalb der Royal Mile, tief in den Gewölben von Mary King’s Close, lebt eine Geschichte, die so leise beginnt wie ein Atemzug – und doch von einer Traurigkeit durchdrungen ist, die den Raum erfüllt wie kalter Nebel: die Geschichte von Annie, dem verlorenen Kind.

Mary King’s Close ist eine historische Gasse im Herzen der Altstadt von Edinburgh, die heute unter der Royal Mile liegt. Im 17. Jahrhundert war sie ein belebter Wohn- und Handelsort, benannt nach der wohlhabenden Händlerin Mary King. Durch den Bau des heutigen Rathausgebäudes wurde die Gasse teilweise überbaut und geriet lange in Vergessenheit. Heute gilt sie als faszinierende Touristenattraktion, die Besuchern einen authentischen Einblick in das Leben der Menschen im mittelalterlichen Edinburgh bietet – inklusive Geschichten über Pest, Aberglauben und das harte Alltagsleben der damaligen Zeit.

Man sagt, der Geist von Annie sei dort – in einem kleinen, abgetrennten Raum, verborgen hinter den Mauern der Vergangenheit. 1992 war es die japanische Spiritistin Aiko Gibo, die als Erste ihre Gegenwart spürte: Ein kleines Mädchen, verlassen in einer Zeit der Pest, voller Sehnsucht nach etwas, das mehr war als ein Spielzeug – ihre Puppe, ihre Familie, ihre Heimat in einer Welt, die sie vergessen hatte. Gibo spürte ein Ziehen an der Hand, am Bein, als würde ein Kind um Aufmerksamkeit bitten – nicht aggressiv, sondern einsam. Und so hinterließ sie eine Geste der Versöhnung: eine Puppe im Tartan-Kleid. Eine kleine Barbie, die fortan Frieden brachte. Seither nennen sie den Ort Annie’s Room. Ich habe einen Film von der vermeintlichen Geisterbegegnung gefunden.

Und etwas geschah. Besucher aus aller Welt begannen, Gaben zu hinterlassen – Stofftiere, Kinderzeichnungen, kleine Erinnerungsstücke. Feuerwehrabzeichen, als wolle jemand das verlorene Kind retten. Der Boden des Raumes ist heute übersät mit Puppen, als hätte man das Leid mit Anteilnahme überschreiben wollen. Der Raum atmet schwer, sagen einige. Andere berichten von plötzlicher Kälte, vom Gefühl, beobachtet zu werden, vom Ziehen an der Wade, als würde ein kleines Mädchen dich bemerken, wenn du nicht achtsam bist. Ich muss zugeben, ich habe nichts gespürt außer meinem journalistischen Interesse für die Geschichte.

Historisch ist Annie kaum greifbar. Es gibt Hinweise auf ein Kind zur Zeit der Pest, die Tochter einer Jean McKenzie, doch nichts Konkretes. Vielleicht ist Annie ein modernes Märchen, geboren aus Düsternis und dem Bedürfnis nach einer greifbaren Seele inmitten der Kälte alter Steine.

2018 verschwand die ursprüngliche Puppe. Niemand weiß, wohin. Die Öffentlichkeit reagierte mit Bestürzung. Der Hashtag #BringBackTheDoll verbreitete sich wie ein digitales Gebet. Ob sie zurückkam, bleibt ungeklärt – aber der Raum füllt sich weiter. Die Puppen, die Geschichten, das Gefühl.

Wer den Close betritt und sich in Annie’s Room wiederfindet, spürt mehr als nur feuchte Luft und gedimmtes Licht. Es ist, als ob der Raum atmet. Als würde er beobachten. Vielleicht ist Annie nichts weiter als ein Gedanke. Vielleicht ist sie alles, was bleibt, wenn man ein Kind vergisst.