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Zwischen Vergangenheit und Vision – Tangerine Dream live in der Isarphilharmonie in München 2025

29. April 2025

Es gab für mich immer drei Highlights im Bereich der elektronischen Musik in Deutschland. Meine absoluten Helden sind Kraftwerk und dann kommen Klaus Schulze und Tangerine Dream.

Jetzt konnte ich mal wieder Tangerine Dream in München sehen, nachdem die Pioniere der elektronischen Musik in der Isarphilharmonie gastierten. Die aktuelle Besetzung Thorsten Quaeschning, Hoshiko Yamane und Paul Frick. Ich war neugierig, denn mein zurückliegendes Konzert war noch mit Edgar W. Froese, der aber 2015 verstarb.

Mit TD ist es so eine Sache. Mal ist die Musik bahnbrechend innovativ, mal ist es austauschbare Massenware, die mich eher langweilt als berührt. Bei über 80 Alben sind Perlen und Nieten für mich dabei.

Also war ich auf München gespannt und mir fiel ein Stein vom Herzen als Thorsten Quaeschning zu Konzertbeginn ankündigte: „Wir spielen alte Sachen, neue Sachen und ganz alte Sachen.“ Und der ganze Auftritt dauerte rund 2,5 Stunden.

Tangerine Dream gehört zu den einflussreichsten und stilprägendsten Formationen der elektronischen Musikgeschichte. Seit ihrer Gründung 1967 durch Edgar Froese hat die Band zahllose Wandlungen durchlebt – künstlerisch wie personell. Vom aktuellen Line-up habe ich auf Vinyl viel Gutes gehört, jetzt wollte ich die Band mal wieder live hören. TD tritt in eine neue Phase ein, die gleichermaßen respektvoll mit dem Erbe umgeht wie zukunftsgewandt neue Wege beschreitet.

Thorsten Quaeschning, seit vielen Jahren musikalischer Leiter der Band und einst persönlich von Froese ausgewählt, verkörpert die Brücke zwischen den klassischen Tangerine-Dream-Phasen der Berliner Schule und einer postmodernen, improvisatorischen Klangauffassung. Sein Gespür für Struktur, Dynamik und Klangfarbe ist prägend für die heutige Identität der Band. Er führt die Handschrift der Gruppe weiter, ohne sie zu imitieren – mit einem tiefen Verständnis für die Philosophie, die hinter dem Klang von Tangerine Dream steht. Hinter seinen Keyboard sah er aus meiner Perspektive der zweiten Reihe ein wenig aus wie „Kilroy was here“, aber er dirigierte seine beiden musikalischen Partner perfekt.

Sehr neugierig war ich auf Hoshiko Yamane, die Geigerin und Klangkünstlerin aus Japan. Sie bringt seit 2011 eine neue emotionale und organische Dimension in das klangliche Gefüge. Ihr Spiel auf der elektrischen und akustischen Violine öffnet Räume zwischen elektronischer Präzision und menschlicher Verletzlichkeit. Sie ergänzt das elektronische Fundament durch eine subtile, fast poetische Intimität, die der Musik Tiefe und Seele verleiht.Die Akustik in der Isarphilharmonie war gut, doch leider ging die Geige an meinem Platz ein wenig unter. Vielleicht kommt ja mal ein Live-Mitschnitt der Tour, damit ich ihr Spiel mehr genießen kann. Sie zeigte auch Humor, denn sie brachte einen Pläuschpapagei auf die Bühne.

Paul Frick, bekannt aus dem Trio Brandt Brauer Frick, bringt eine ganz eigene Sprache mit: als klassisch geschulter Komponist und klangexperimentierender Produzent ist er Bindeglied zwischen Minimal, Clubkultur und akademischer Avantgarde. Mit ihm wird der kreative Rahmen noch weiter geöffnet, ohne den typischen Sound von Tangerine Dream zu verwässern. Seine rhythmische und strukturelle Komplexität bringt frischen Atem – ohne Effekthascherei, dafür mit enormer klanglicher Raffinesse.

Gemeinsam gelang es dem Trio in München, das Erbe Edgar Froeses zu bewahren und dennoch etwas Eigenständiges, Gegenwärtiges zu schaffen. Gleich nach dem Konzert habe ich mir das jüngste Werk „Raum“ (2022) angeschafft, das eindrucksvoll belegt, wie diese Besetzung die ursprüngliche DNA von Tangerine Dream aufgreift und in die Gegenwart transportiert – mit langen, hypnotischen Sequenzen, präzisem Sounddesign und einer meditativen Tiefe, wie man sie lange nicht mehr gehört hat. Und ich war wirklich froh ein paar wirklich alte Stücke, so wie versprochen, gehört zu haben.

Für mich steht nach dem Münchner Konzert fest: Tangerine Dream unter Quaeschning, Yamane und Frick ist mehr als ein nostalgisches Weiterleben der Vergangenheit. Es ist eine künstlerische Behauptung im Hier und Jetzt – voller Respekt, voller Vision und frei von befürchteten Retro-Kitsch. Sie zeigen, dass elektronische Musik auch 50 Jahre nach ihrer Entstehung noch immer etwas über unsere Zeit erzählen kann – mit Spannung, Eleganz und Tiefe. Es hat sich für mich gelohnt.