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Estland (8): Sängerfeste in Estland – Ein kulturelles und nationales Symbol

12. Januar 2025

Im Baltikum wird viel gesungen. Es wurde auch von der singenden Revolution gesprochen und jedes der drei baltischen Ländern veranstalten eigene Sängerfestvials. In Estland wird diese nationale Großveranstaltung im Juli 2025 nach fünf Jahren wieder durchgeführt. Tausende Sänger aus dem ganzen Land kommen zusammen und singen estnische Volkslieder. Sie sind weit mehr als nur kulturelle Ereignisse – sie sind tief mit der estnischen Identität, Geschichte und dem Kampf um Unabhängigkeit verwurzelt.

Das erste Sängerfest
1869 fand das erste Sängerfest statt. Es entfaltete eine enorme nationale Kraft der Einigkeit. Deutsch war die Amtssprache, aber nun entdeckten die Esten ihre eigene Sprache. Bei so kleinen Nationen ist diese nationale Identität wichtig. So gibt es den Ausspruch: „Wenn du dein Lied in deiner Sprache nicht singst, dann singt es bald keiner mehr.“ Das erste Fest wurde in der Zeit der nationalen Erweckung Estlands abgehalten, als das estnische Volk nach Jahrhunderten der Fremdherrschaft seine nationale Identität und Kultur stärkte.

Zu den Hauptorganisatoren des ersten Sängerfestes zählten Johann Voldemar Jannsen, ein bedeutender estnischer Journalist und Nationalist, sowie weitere Kulturschaffende, die das estnische Bewusstsein stärken wollten. Beim ersten Fest traten 46 Chöre mit etwa 800 männlichen Sängern sowie eine Blaskapelle auf. Obwohl die Teilnehmerzahl bescheiden war, legte dieses Ereignis den Grundstein für eine langjährige Tradition.

Während der sowjetischen Besatzung Estlands (1940–1941 und 1944–1991) gewannen die Sängerfeste besondere Bedeutung. Obwohl sie von den Besatzungsmächten kontrolliert und reglementiert wurden, blieben sie ein Ort, an dem die Esten ihre nationale Identität und Einheit ausdrücken konnten.
Ein berühmtes Beispiel ist das Sängerfest von 1947, bei dem trotz strenger Zensur estnische Volkslieder gesungen wurden, die heimlich patriotische Botschaften enthielten. Natürlich wurden auch Lieder gesungen, die die Besatzungsmacht hochleben ließ.

In den späten 1980er Jahren, während der singenden Revolution, spielten die Sängerfeste eine zentrale Rolle. Menschenmassen sangen gemeinsam nationale Lieder, um gegen die sowjetische Herrschaft zu protestieren und die Unabhängigkeit Estlands zu fordern. 1991 wurde Estland schließlich wieder ein unabhängiger Staat.

Die Sängerfeste finden alle fünf Jahre in der estnischen Hauptstadt Tallinn statt und ziehen Chöre und Besucher aus dem ganzen Land und darüber hinaus an. Sie werden von der Estonian Song and Dance Celebration Foundation organisiert.

Das Sängerfestgelände in Tallinn (Lauluväljak) ist ein beeindruckender Austragungsort. Es wurde 1960 gebaut und umfasst eine große Freilichtbühne mit einer charakteristischen Bögenstruktur, die für ihre exzellente Akustik bekannt ist. Viele sagen auch Muschel zum Veranstaltungsort.

Das Gelände bietet Platz für bis zu 25.000 Sänger auf der Bühne und etwa 100.000 Zuschauer im Publikum. Die Sängerfeste vereinen Chöre aus allen Teilen Estlands und aus verschiedenen Altersgruppen. Kinder-, Jugend- und Erwachsenenchöre singen gemeinsam auf der Bühne. Die Gesamtzahl der Sänger kann bis zu 30.000 betragen.

Das musikalische Programm umfasst sowohl traditionelle estnische Volkslieder als auch moderne Chorwerke. Viele Lieder sind mit der nationalen Geschichte und Identität verbunden, darunter das bekannte Lied „Mu isamaa on minu arm“ („Mein Vaterland ist meine Liebe“), das während der sowjetischen Besatzung zu einer inoffiziellen Hymne wurde.

Tanzfeste
Parallel zu den Sängerfesten finden auch Tanzfeste (Tantsupidu) statt, die die estnische Tanztradition feiern. Diese Tanzfeste sind eng mit den Sängerfesten verbunden und ergänzen die musikalische Seite durch farbenfrohe, synchronisierte Aufführungen von Tänzern in traditionellen estnischen Trachten. 2003 wurden die estnischen Sänger- und Tanzfeste zusammen mit den ähnlichen Traditionen in Lettland und Litauen in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen. Diese Anerkennung unterstreicht die kulturelle und historische Bedeutung dieser Feste.

Estland (6): Die KGB Folterkeller in Tallinn

10. Januar 2025

„In Tallinn steht das höchste Gebäude Estlands. Da kann man sogar vom Keller bis nach Sibirien schauen.“ Diesen Spruch hab ich gehört als ich vor dem Gebäude der Pagari-Straße 1 in der estnischen Hauptstadt Tallinn stand. Hier befand sich das ehemalige KGB-Gebäude des sowjetischen Geheimdienstes.

Menschen, die sich gegen die sowjetischen Okkupationen auflehnten, wurden verhaftet und zum Verhören hierher gebracht. Viele wurden später in Arbeitslager nach Sibirien deportiert oder hingerichtet. Bei einer Stadtführung bin ich an diesem schlimmen Platz vorbeigekommen und gedachte kurz den Opfern.

Düsterer Ort
Das KGB-Gebäude in Tallinn ist daher ein historisch bedeutender und düsterer Ort, der eng mit den beiden sowjetischen Besatzungen Estlands verbunden ist. Im Keller befanden sich die berüchtigtsten Zellen des Untersuchungsgefängnis. Die Fenster wurden zugemauert, um die Hilferufe der Gefangenen zu dämmen. Während den sowjetischen Besatzungen Estlands wurde das Gebäude als Hauptquartier des Geheimdienstes genutzt. Es war berüchtigt für Verhöre, Folter und Inhaftierungen politischer Gegner und anderer Personen, die des “Anti-Sowjetismus” verdächtigt wurden.

Symbol der Unterdrückung
Das Gebäude steht heute als Symbol der Unterdrückung und erinnert an die Repressionen während der Sowjetzeit in Estland (1940–1941 und 1944–1991).

Das Gebäude in der Pagari-Straße 1 hat eine wechselvolle Geschichte. Ursprünglich 1912 als Wohnhaus erbaut, diente es später als Sitz der provisorischen Regierung der Republik Estland, von wo aus der Freiheitskrieg geführt wurde. Bis 1940 beherbergte es das estnische Kriegsministerium. Während der sowjetischen Besatzung wurden in den Kellerräumen des Gebäudes estnische Politiker, Staatsbeamte, Intellektuelle, Veteranen des Freiheitskrieges und andere Personen inhaftiert, verhört und oft zu Gefängnisstrafen oder dem Tod verurteilt.

Die Kellerräume mit zwei Gängen, sechs Zellen und einer Arrestkammer sind heute der Öffentlichkeit zugänglich und dienen als Erinnerungsort, der die Ereignisse dieser Zeit dokumentiert. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Estlands im Jahr 1991 wurde das Gebäude von der estnischen Polizei genutzt, bevor es schließlich wieder in ein Wohnhaus umgewandelt wurde.

Museum über Okkupationen
Wer sich für das Thema interessiert, sollte unbedingt auch das Museum über Okkupationen, Widerstand, Wiederherstellung der Unabhängigkeit und Freiheit ansehen. Anhand von Artefakten, persönlichen Schicksalen werden Fragen zu den Wendepunkten der estnischen nationalen Geschichte aufgezeigt. Deutsche und sowjetische Besatzung spielen hier eine große Rolle. Bedrückend empfand ich persönlich den Nachbau eines Eisenbahnwagons. 40 Gefangene wurden hier hineingepresst auf den Weg nach Sibirien, wobei viele beim Transport starben.