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Ist „Fack Ju Göhte“ vulgär?

25. Januar 2018
Was meint ihr? Ist der Film vulgär?

Was meint ihr? Ist der Film vulgär?

„Fack Ju Göhte“ ist keine Marke, sondern der Titel ist vulgär und verstößt gegen die guten Sitten. So ein Urteil des Gericht der Europäischen Union (EuG). Hier das Aktenzeichen: T-69/17. Die Bildungsbürger unter den Juristen stellen dies klar. Wissen wir das nun auch.

Nix ist es mit der Merch-Kohle durch Fack Ju Göhte
Constantin Film wollte aus der erfolgreichen Kinoserie Fack Ju Göhte fette Kohle machen. Bettdecke, Kaffeetasse, Klamotten und mehr so Merchandising-Kram als Lizenzprodukte. George Lucas hat es mit Star Wars vorgemacht und bei ihm rollt der Rubel, aber „Star Wars“ ist nicht eben vulgär. Jetzt will ich nicht Fack Ju Göhte mit Star Wars vergleichen, aber das Prinzip dahinter ist gleich. Es lässt sich aus der Marke Geld machen. In Deutschland liefen beispielsweise die Wilde Kerle gut im Kino und auch die Merch-Produkte haben gut Kasse bei Kindern gemacht. Viele Kinder waren von den Wilden Kerlen begeistert und kaufen begeistert Schulranzen, Federmäppchen, T-Shirts und mehr. Tja Constantin Film, Pech gehabt.
Jetzt urteilte das EU-Gericht, dass Fack Ju Göhte vulgär sei. Verfall der guten Sitten. Hey, Goethe fick dich. Ich würde mich freuen, wenn die Zielgruppe den Herrn Goethe überhaupt kennen würde. Auf der anderen Seite merke ich mehr und mehr eine Verrohung der Sprache. Öffne ich Facebook oder die Kommentare in YouTube sehe ich den Untergang des Bildungsbürgertums.

Begründung des Gerichts zu Fack Ju Göhte
Ich finde die Begründung des Gerichts interessant. „Außerdem richteten sich die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen zwar an den Allgemeinverbraucher, manche aber richteten sich an Kinder und Jugendliche. Die maßgeblichen Verkehrskreise nähmen die Aussprache des Wortbestandteils „Fack Ju“ so wahr, als sei er identisch mit dem englischen Ausdruck „fuck you“, so dass er dieselbe Bedeutung habe.“
Noch besser wird es: Weiter stellte die Beschwerdekammer fest, dass der Ausdruck „fuck you“, selbst wenn die maßgeblichen Verkehrskreise ihm keine sexuelle Bedeutung beimäßen, nicht nur eine geschmacklose, sondern auch eine anstößige und vulgäre Beleidigung darstelle. Der ergänzende Bestandteil „Göhte“, mit dem ein hochangesehener Schriftsteller wie Johann Wolfgang von Goethe posthum in herabwürdigender und vulgärer Weise verunglimpft werde, noch dazu in fehlerhafter Rechtschreibung, könne vom verletzenden und gegen die guten Sitten verstoßenden Charakter der Beschimpfung „Fack Ju/fuck you“ keinesfalls ablenken. Zudem eröffne die Bezugnahme auf Johann Wolfgang von Goethe möglicherweise sogar eine weitere Ebene des Sittenverstoßes.

Werbeeffekt für Fack Ju Göhte
Nun Constantin Film hat zumindest durch das Urteil einen gewissen Werbeeffekt. Der Film ist sicherlich kein großes Kunstwerk, kam aber bei der Zielgruppe gut an. Ich hatte sogar ein Schülerzeitungsseminar mit den Schülern der Schule gemacht, an deren Teil 1 und 2 von Fack Ju Göhte gedreht wurde. Es war das Lise-Meitner-Gymnasium in Unterhaching als Drehort für die Goethe-Gesamtschule. Und jetzt die Frage: Wenn ein Gymnasium seine Schule als Drehort zur Verfügung stellt, hat das Direktorat und Lehrer wohl kein Problem mit Fack Ju Göhte. Und ich finde das ausdrücklich gut, dass sich die Schule zu diesem Schritt entschlossen hat. Das Gymnasium diente auch schon für Marco Petris Komödie „Schule”, Gregor Schnitzlers Drama „Die Wolke” und die ZDF-Fernsehserie „Klimawechsel” als Filmkulisse.
An der Schule gibt es verantwortungsvolle Pädagogen, die den Humor des Films verstanden haben. Goethe dreht sich nicht im Grabe um. Aber die europäischen Juristen fühlen sich auf den Schlips getreten. Constantin kann jetzt innerhalb von zwei Monaten vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ziehen.

 

Musiktipp: Jahreszeiten 1967-2013 von Reinhard Mey

28. Juli 2015

mey

Reinhard Mey ist sicherlich der wichtigste deutschsprachige Liedermacher unserer Zeit. Wobei ich das Wort Liedermacher schon wieder so typisch deutsch finde, nach dem Motto: Vorsicht, jetzt kommt ein Bildungsbürger. Vielleicht sollte ich besser so beginnen: Reinhard Mey ist sicherlich der wichtigste deutschsprachige Musikwortkünstler unserer Zeit. Ich habe ihn mehrmals live gesehen und seine Musik gibt mir etwas.

Daher habe ich mich entschlossen, doch endlich die fette Box Jahreszeiten 1967-2013 zu kaufen. Zwar hatte ich bereits das eine oder andere Mey-Album, jetzt habe auf jeden Fall alle deutschen Studioalben der Jahre 1967-2013. Und ich sage gleich: Es ist nicht der komplette Reinhard Mey – es fehlen die französischen Alben (die Edition Francaise), es fehlen die holländischen Ausgabe und die englische ONE VOTE FOR TOMORROW, und die Live-Alben (daher eine Studiobox).
Da werden die Sammler und Experten aufheulen und auf die Werkausgabe von Reinhard Mey hoffen. Es sind die kompletten deutschen Studioaufnahmen als Solo-Künstler, nicht mehr, nicht weniger. Ich wollte die Werkausgabe von Reinhard Mey nicht abwarten und investierte eine schöne Stange Geld, um die ein Exemplar der auf 4000 Stück limitierte Ausgabe Jahreszeiten 1967-2013 in der Hand zu halten. Die schöne Box umfasst 28 Datenträger, darunter 26 Studioalben, vier Bücher mit sämtlichen deutschen Liedertexten der Studioalben, eine für mich überflüssige CD mit Coverversionen anderer Liedermacher (hier hätte ich lieber rare Liveaufnahmen gehabt), eine DVD mit TV-Auftritten und TV-Portraits, ein 100-seitiges, gebundenes Buch mit zu groß gedruckten Texten (sollte wohl für die ältere Zuhörerschaft gemacht sein) sowie einen nummerierter Kunstdruck (gefällt mir nicht und wird im Archiv verschwinden). Lobenswert: Reinhard Mey spendet seinen Anteil am Verkauf dieser Edition den von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel.


Wer die CDs am Stück hört, kann die Entwicklungen und Strömungen des Künstlers schön erkennen. Schrecklich war für mich übrigens die Pop-Phase des Künstlers, der dann immer wieder zur Liedermacherszene zurückkehrte. Die Weiterentwicklung des Künstlers findet leider nur wenig statt, auch wenn mir der Pop-Ausflug nicht gefallen hat. Eigentlich reproduziert sich Mey immer wieder. Und da ist mein und sein Dilemma: Eigentlich mag ich den Liedermacher Reinhard Mey mit seinem Liedermacher-Repertoire. Die Songs sind eindringlich und sprechen mich emotional und intellektuell an – eine Weiterentwicklung will ich eigentlich nur bedingt. Musikalisch kann Reinhard Mey stehen bleiben und alle Jahre neue Alben in diesem Stil auf den Markt werfen (die ich brav auch kaufe). Seine Sicht und seine Kommentare auf die Welt und das Leben an sich sind mir wichtig. Aber ich denke, es langweilt einen als Künstler, der an neue Grenzen stoßen und diese überwinden will. Immer wieder versuchte Reinhard Mey auf seinen 26 Studioalben musikalische Zäune nieder zu reißen und diese Grenzen zu überwinden. Aber ist ihm das geglückt? Wohl eher nicht – und das ist ein Dilemma, das Dilemma des Reinhard Mey. Er gibt uns das, was wir hören wollen. Und wer Reinhard Mey mag, der kann mit dieser Box Jahreszeiten 1967-2013 absolut nichts falsch machen.

Buchkritik: Der Fixierungscode von Ibrahim Evsan

26. April 2010
Der Fixierungscode von Ibrahim Evsan

Der Fixierungscode von Ibrahim Evsan

Ich empfehle dieses Buch den Zweiflern, den Zauderern, den Leute, die Angst vor Veränderung haben. Ibrahim Evsan hat seinem launigen Buch „Der Fixierungscode“ im Grunde ein Plädoyer für das Internet abgegeben, ohne blindlings eine Jubelarie anzustellen. Kritische Distanz zum Web geht bei ihm einher mit Begeisterung über die Möglichkeiten, die dieses revolutionäre Medium mit sich bringt.
Geschickt geschrieben beobachtet der Web 2.0-Visionär und erfolgreiche Unternehmensgründer Entwicklungen im Web und erläutert sie vermeintlich aus der Distanz. Und das ist geschickt gemacht. Er gibt den Sachbuchautor vor, ist aber der Faszination des Netzes erlegen – und das ist gut so.
Beim ersten Lesen des Buches dachte ich mir: Ein bisschen mehr Begeisterung und Humor würde ich gerne in diesem Buch spüren, denn Evsan ist ein begeisterungsfähiger und humorvoller Mann. Doch beim zweiten Lesen von Der Fixierungscode: Was wir über das Internet wissen müssen, wenn wir überleben wollen stelle ich fest: Immer wieder blitzt diese Begeisterung bei ihm durch. Ein Beispiel: „Wer nicht im Netz ist, lebt nicht, existiert nicht. So zumindest ist die Sicht der jungen Generation und sie wird sich durchsetzen.“
Auf dem ersten Blick ist ihm mit dem „Fixierungscode“ ein klassisches deutsches Sachbuch für den klassischen Bildungsbürger gelungen. Evsan erläutert, erklärt, hinterfragt auf Sachebene, aber wer genau hinschaut, findet eine emotionaler Ebene, wie es angloamerikanische Autoren tun. Und dieser Stil ist großartig.
Großartig ist aber auch, dass Evsan die richtigen Fragen stellt. Ist das Deutschland, in dem wir aufgewachsen sind, reif für das Netz? Und damit ist vor allem die Arbeitsweise gemeint. Arbeitsteilung ist bei uns noch ein Fremdwort, obwohl gerade das Web die neuen Tools dafür schafft. Arbeiten über Entfernungen hinweg, von zu Hause aus – so was geht in einem Deutschland mit Zeiterfassung und steilen Hierarchien nur schwerlich. Teamwork wird bei uns nicht gelebt, die einzelne Leistung zählt. Mühsam müssen unsere Kinder Teamwork erlernen, wenn sie aus Schule und Uni entlassen werden. Dort hat man ihnen individuelles Lernen eingetrichtert und Zusammenarbeit liegt höchstens bei der Vorbereitung von gemeinsamen Referaten vor. Hier spricht Ibrahim Evsan unbequeme Wahrheiten an.
Aber der Autor ist kein Schwarzmaler. Sein Buch „Der Fixierungscode“ soll ein Beitrag sein, den Rückstand des Landes aufzuholen. Sehr gut schreibt er: „Es wird höchste Zeit, dass wir mitwachsen, Nischen besetzen und Raum im Netz erobern.“ Dazu gehört Information und diese bietet Ibrahim Evsan mit seinem Buch, das im Verlag Zabert Sandmann erschienen ist.
Aufmunternd finde ich seine Aussage: „Es ist also wichtig, dass wir an dieser digitalen Welt nicht nur teilnehmen, sondern sie mitbestimmen.“ Das Web gibt uns dazu die Tools an die Hand.