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Persönliche Geburtstagswünsche an Hans-Jürgen Syberberg zum 90. Geburtstag

8. Dezember 2025

Einer meiner filmischen Helden wird heute 90. Jahre alt und ich gratuliere tief bewegt zum Geburtstag: Hans-Jürgen Syberberg. Bis auf ein kurzes Hallo habe ich Hans-Jürgen Syberberg nie persönlich kennengelernt. Ich war einmal bei der Tochter mit Freunden zu Gast als der Meister hereinschaute und ich zu doof war, ihn zu erkennen. Jahre später besorgte mir ein Kumpel über seine Tochter ein Autogramm, was in meinem Arbeitszimmer hängt. Für mich ist Hans-Jürgen Syberberg ein wirklicher Held des Kinos. Er hat viele Filme gedreht. Persönlich sind für mich Parsifal und Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfriedd seine Meisterwerke.

Parsifal
Hans-Jürgen Syberbergs Parsifal ist ein filmisches Monument, ein Werk, das sich jeder einfachen Einordnung entzieht und gerade deswegen so überwältigend wirkt. In diesem Film bündelt Syberberg all das, was sein Schaffen seit den 1970er-Jahren geprägt hat: den Mut zur ästhetischen Radikalität, die kompromisslose Auseinandersetzung mit deutscher Kultur und Geschichte, und den Glauben daran, dass Film mehr sein kann als Illusion – nämlich ein metaphysischer Raum, ein innerer Kontinent. Leider ist der Film nur auf DVD erschienen. Ich habe noch die signierte Langspielplatte und das Filmbuch.

Sein Parsifal aus dem Jahr 1982 ist keine Verfilmung der Oper Richard Wagners im klassischen Sinne. Es ist vielmehr eine Beschwörung, ein rituelles Sich-Hineinbewegen in den Kern des Mythos. Syberberg hebt die Oper nicht nur ins Filmische, er seziert und überhöht sie zugleich. Bühnenbilder werden zu Symbolwelten, Requisiten zu Metaphern, und die Kamera wird zum schweifenden Blick eines Wanderers, der durch eine Traumlandschaft aus deutscher Kulturgeschichte streift. Figuren sind weniger Charaktere als Archetypen, und mittendrin entfaltet sich Parsifals Reise – eine Seelenwanderung, die sich vor den Augen des Publikums fast wie ein Gebet entwickelt.

Syberberg schafft Bilder, die nicht nur gesehen, sondern empfunden werden wollen: das Dunkel, aus dem plötzlich Lichtkegel schneiden; die ikonischen, manchmal verstörenden Arrangements; die stille Größe der Tableaux, die lange im Gedächtnis nachhallen. In einer Zeit, in der sich der Film mehr und mehr von großen symbolischen Erzählungen entfernte, wagte Syberberg das Gegenteil: Rückkehr zum Mythos, zur großen Form, zur metaphysischen Frage nach Schuld, Erlösung, Identität. Parsifal wird dadurch zu einem Film über Deutschland – und über den Menschen überhaupt.

Doch Syberbergs Leistung erschöpft sich nicht in diesem Werk. Sein Gesamtœuvre erzählt von einer beharrlichen Suche nach dem Umgang mit Geschichte und Erinnerung. Bereits Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König (1972) war ein filmischer Traum, ein elegisches, fast schwebendes Porträt des Märchenkönigs, das historisches Material und poetische Vision miteinander verbindet. Mit Hitler – Ein Film aus Deutschland (1977) schuf er ein gigantisches, siebenstündiges opus magnum, das als eines der mutigsten, kontroversesten und zugleich bedeutendsten filmischen Projekte der Nachkriegszeit gilt. Hier verschränkt er Theater, Puppenspiel, Archivmaterial, Bühnenmagie und symbolische Überfrachtung zu einer radikal subjektiven Begegnung mit dem deutschen Trauma. Kein Regisseur zuvor oder danach hat es gewagt, Hitler so zu „inszenieren“ – nicht als Person, sondern als kulturellen Schatten, der das kollektive Gedächtnis durchdringt.

Sein Werk folgt dabei nie den Regeln des Mainstream-Kinos. Syberberg ist ein Solitär – ein Künstler, der unbeirrt seinen eigenen Weg verfolgt, auch wenn dieser steinig ist. Seine Filme sind Kunstinstallationen, Gedankenräume, ästhetische Expeditionen. Sie fordern Geduld, Aufmerksamkeit, Hingabe. Und sie belohnen mit Momenten von atemberaubender Schönheit und geistiger Tiefe.

Wenn man Syberbergs Leistung würdigt, würdigt man nicht nur einen Regisseur, sondern einen Visionär. Einen Künstler, der sich weigert, einfache Antworten zu geben. Der den Mut hat, das Dunkle zu zeigen, um das Helle überhaupt sichtbar zu machen. Der glaubt, dass Film heilen kann – nicht durch Vergessen, sondern durch Anschauen, durch Bewusstwerden, durch das schmerzhafte, aber notwendige Hinsehen.

Parsifal ist in diesem Sinne vielleicht sein reinster, poetischster Film. Ein Werk, das tröstet und gleichzeitig verstört. Ein Film, der von der Sehnsucht nach Erlösung erzählt – und von der unerschütterlichen Hoffnung, dass Kunst ein Weg dorthin sein kann.

Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried
Hans-Jürgen Syberbergs Dokumentarfilm „Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried“ ist eines der eindringlichsten, mutigsten und zugleich intimsten filmischen Zeitzeugnisse des 20. Jahrhunderts. Mit derselben schonungslosen Offenheit, derselben poetischen Wucht und demselben melancholischen Blick auf die deutsche Kulturgeschichte, die sein Gesamtwerk durchzieht, wagt Syberberg sich hier an eine Person, deren Name wie kaum ein anderer im Spannungsfeld zwischen Genieverehrung, politischer Blindheit und moralischem Abgrund steht.

Winifred Wagner, Schwiegertochter des Komponisten Richard Wagner und Hüterin des Hauses Wahnfried, öffnet Syberberg im Film eine Tür, die man kaum für möglich hält. Über Stunden hinweg spricht sie – frei, ungeschützt, ohne das Bedürfnis nach Rechtfertigung. Und Syberberg hört zu. Er bedrängt nicht, er verurteilt nicht; er lässt einen Raum entstehen, in dem Winifreds Erinnerungen, Verdrängungen, Treuebekundungen und unerschütterliche Überzeugungen sichtbar werden. Ihr ungebrochener Glaube an Adolf Hitler, ihre Verklärung einer Zeit, die millionenfaches Leid brachte – all das legt sich offen vor die Kamera. Es ist kein Porträt der Anklage, sondern eines der entwaffnenden Selbstdarstellung.

Syberbergs Leistung besteht in dieser besonderen Art des Zuhörens. Er erlaubt der Protagonistin, sich selbst zu zeigen – und darin zeigt sich alles. Der Film wird so zu einem moralischen Brennspiegel, der nicht durch Agitation, sondern durch das gesprochene Wort erschüttert. Da sitzt eine Frau, die sich ihr Leben lang als Hüterin eines künstlerischen Erbes verstand, als Vermittlerin zwischen Vergangenheit und Zukunft, und die gleichzeitig einem politischen Wahn verfallen war, dessen Tragweite sie nie begriff. Syberberg macht diese Ambivalenz nicht erklärbar – er macht sie erfahrbar.

In den langen Einstellungen, in der ruhigen Kamera, in der ungefilterten Präsenz Winifreds entsteht ein Gefühl, das selten im Dokumentarfilm gelingt: Man betritt eine Atmosphäre. Das Haus Wahnfried wird darin zum Symbol – ein Ort, an dem Kunst, Ideologie, Sehnsucht und Irrtum untrennbar miteinander verwoben sind. Syberberg verknüpft die Geschichte des Hauses mit der Stimme Winifreds, mit den Schatten der Vergangenheit, die über Bayreuth liegen, und mit den Fragen, die auch sein übriges Werk durchziehen: Was macht der Mythos aus dem Menschen? Und was macht der Mensch aus dem Mythos?

Wie schon in Hitler – Ein Film aus Deutschland oder seinem Parsifal arbeitet Syberberg nicht mit klassischen dokumentarischen Methoden. Er will nicht erklären – er will offenlegen. Er nimmt das Publikum mit hinein in die innere Welt seiner Figuren und in die symbolische Landschaft, die sie umgibt. Winifred Wagner wird dadurch nicht entschuldigt, aber verständlich gemacht: als Teil eines historischen Gefüges, als Trägerin eines Erbes, als Mensch in einer Mischung aus Stolz, Verblendung und ungebrochener Verehrung.

Die Dokumentation ist dadurch ein erschütterndes, gleichzeitig faszinierendes Werk. Sie trägt jene emotionale Intensität, die Syberbergs Filmkunst auszeichnet: ein langsames, aber gnadenlos ehrliches Sezieren der Vergangenheit. Und sie ist ein wichtiger Baustein in seinem Gesamtwerk, das immer wieder darum kreist, wie Deutschland mit seinen Mythen, seinen Künstlern, seinen Ideologien und seinen eigenen Schatten umgeht.

Syberbergs Film über Winifred Wagner ist ein Dokument der Wahrheit – nicht im journalistischen, sondern im tief existenziellen Sinne. Ein Werk, das zeigt, dass Erinnerung kein einfaches Terrain ist. Und dass der Mut, jemanden wirklich aussprechen zu lassen, manchmal die brutalste Form der Aufklärung sein kann.

Hans-Jürgen Syberberg bleibt für mich eine der großen, unbeugsamen Stimmen des deutschen und europäischen Kinos. Eine Stimme, die man nicht überhören kann – und nicht überhören sollte.