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Über die Linie und zurück: Ein Aquavit mit dem Geschmack der Weltmeere

13. September 2025

Wenn ich in Lübeck bin, dann gehört ein Fischessen beim Seewolf einfach dazu. Ich hatte Scholle mit Krabben und anschließend einen Aquavit.

Als Landratte kenne ich nicht unbedingt die Unterschiede beim Schnaps, machte aber im Seewolf Bekanntschaft mit der Linie beim Aquavit, den ich in dieser Qualitätsstufe bisher nicht genossen hatte. Wirtin Rosi Engelhardt erzählte bereitwillig die Geschichte. Der Seewolf ist im Handelshaus Carl Tesdorpf in Lübeck und war eine von Deutschlands ältesten Weinhandlungen.

Der Begriff „Linie“ beim Aquavit bezieht sich auf eine ganz besondere Reifungsmethode dieser skandinavischen Spirituose, die ihren Ursprung in Norwegen hat und den Genuss von Aquavit zu etwas Einzigartigem macht. „Linie“ ist dabei der norwegische Begriff für den Äquator. Die Besonderheit des sogenannten Linie-Aquavits liegt darin, dass die Spirituose nach der Destillation in ehemaligen Sherryfässern für etwa 19 Wochen auf Schiffen gelagert wird, die auf einer ausgedehnten Seereise mindestens zweimal die Äquatorlinie – also die „Linie“ – überqueren.

Geschichte des Linie Aquavit
Die Geschichte des Linie Aquavit beginnt im Jahr 1821, als Jørgen B. Lysholm eine Destillerie nahe Trondheim in Norwegen gründete und dort den charakteristischen Aquavit herstellte. Doch die besondere Reifungsmethode, die den Linie Aquavit so berühmt machte, reicht noch weiter zurück und ist von einer faszinierenden Legende umgeben: Im Jahr 1805 schickte die norwegische Handelsfamilie Lysholm ein Segelschiff mit mehreren Fässern Aquavit sowie weiteren Handelswaren auf eine lange Reise bis nach Ostindien. Dabei blieb das Interesse an dem Produkt vor Ort gering, und das Schiff kehrte nach mehreren Monaten oder gar Jahren mit der vollen Ladung zurück nach Norwegen.

Als man die Fässer entlud und den Aquavit probierte, stellte man überrascht fest, dass die lange Seereise, bei der das Schiff zweimal die Äquatorlinie – die sogenannte „Linie“ – überquert hatte, zu einer besonderen Reifung geführt hatte. Das ständige Schaukeln der Fässer, die salzhaltige Meeresluft und die Temperaturschwankungen hatten den Aquavit deutlich milder, feiner und vollmundiger gemacht. Seit Ende der 1830er Jahre wurde diese Reifungsmethode fest etabliert: Schiffe, die Kabeljau nach Südamerika transportierten, nahmen den Aquavit in Eichenfässern mit auf die Reise, was den besonderen Reifeprozess garantierte.

Zufall sorgt für Qualität
Diese einzigartige Lagerung auf hoher See sorgt dafür, dass der Aquavit durch das ständige Schaukeln der Fässer, die salzhaltige Seeluft und die wechselnden Temperaturen eine milde, feine und außergewöhnlich harmonische Geschmacksentwicklung erhält. Die Seereise ersetzt dabei gewissermaßen die statische Fassreifung an Land durch eine dynamische Reifung unter besonderen klimatischen Bedingungen. Auf jeder Flasche Linie-Aquavit ist sogar der Name des Schiffes sowie der Zeitraum der Äquatorüberquerung vermerkt, was die Einzigartigkeit und Herkunft dieses „Seereif“-Aquavits unterstreicht.

Seitdem ist diese Art der Reifung das Markenzeichen der Linie-Aquavits und macht sie weltweit bekannt und geschätzt. Diese Verbindung aus traditioneller Spirituosenherstellung und maritimem Reifeprozess macht den Begriff „Linie“ zum Synonym für Qualität, Handwerk und skandinavische Kultur im Glas. „Nich‘ lang schnacken, Kopp in Nacken“, erklärte Rosie vom Seewolf und das Schicksal nahm seinen Lauf.