Im Westen nicht Neues – Ultimate Edition und Netflix

Der Antikriegsfilm „Im Westen nicht Neues“ gehört zu den schockierendsten Filmbeiträgen des Genres. Soeben ist eine absolut empfehlenswerte Ultimate Edition mit der restaurierten Version des Klassikers von 1930 und unterschiedlichen Fassungen bei Capelight auf 6-Discs erschienen. Jeder Filminteressierte hat nun die Chance, die unterschiedlichen Schnittfassungen zu vergleichen und ich freue mich sehr auf einen cineastischen Marathon mit einem Meisterwerk der Filmgeschichte. Ich nehme mir dazu extra ein Wochenende Zeit.

Zwei Oscars bekam die 1930 erschienene Verfilmung von Lewis Milestone nach dem Roman von Erich Maria Remarque. Das Buch sollte unbedingt Pflichtschullektüre in Deutschland werden.
Der Erste Weltkrieg hat begonnen, das Deutsche Reich befindet sich im Rausch. Angestachelt von ihrem nationalchauvinistischen Lehrer beschließen Paul Bäumer und seine Mitschüler, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. Doch der Idealismus verfliegt schnell im Angesicht der harten Realität an der Westfront: ein zermürbender Stellungskrieg in den Schützengräben, permanentes Trommelfeuer und Maschinengewehrsalven. Statt Ruhm und Ehre wartet auf die jungen Kameraden ein dreckiges, sinnloses Sterben in einem mechanisierten Krieg.

Ein paar Tage zuvor veröffentlichte Netflix die deutsche Neuverfilmung des dramatischen Stoffes, der auch der deutsche Beitrag zu den Oscars sein wird. Technisch perfekt zeigt der Streifen das Schlachten und die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs in beeindruckenden Bildern. Die Geschichte wurde vom Regisseur um historische Beiträge ergänzt, wie die Kapitulation der deutschen Gesandtschaft im Eisenbahnwagon von Compiègne stattfand. Das ist gut für die historische Einordnung der Filmzuschauer. Wir erinnern uns: Zur Unterzeichnung des Waffenstillstands zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich am 22. Juni 1940 ließ Hitler das Fahrzeug wieder auf die Waldlichtung bei Compiègne stellen. Außerdem erklärt Regisseur die Entwicklung der so genannten Dolchstoßlegende, nachdem das Deutsche Heer im Feld nach Meinung der Offiziere nicht besiegt wurde.

Der Netflix-Film von Edward Berger legt weniger Wert auf die Schulszene und die Vorgeschichte. Das wird nur am Rande erwähnt. So wird der Zuschauer schnell in das Geschehen des ersten Weltenbrandes hineingeworfen. Sehr schön erzählt ist die Maschinerie des Krieges am Beispiel einer getragenen Uniform. Ein Soldat fällt, er wird entkleidet und begraben, seine Uniform wird gewaschen und geflickt und dann dem nächsten Rekruten überreicht. Die Maschinerie des Krieges ist ein brutaler Kreislauf.

Die Kameraarbeit von James Friend ist spektakulär. James Friend verbeugt sich in seinen Schlachten vor Kubricks Wege zum Ruhm, die ebenso den Irrsinn des ersten Weltkrieges eingefangen haben. Während Kubrick auf schwarzweiß setzt, dreht James Friend in Farbe, entzieht aber durch geschicktes Colour-Grading die Farbsättigkeit und verändert so die Stimmung der Bilder. Ganz hervorragend diese Arbeit.

Die Bilder der Grabenkämpfe, der sinnlosen Angriffe und Gegenangriffe ist heftig. Sie erinnern an die ersten Minuten von Saving Private Ryan von Steven Spielberg. Hier wird geopfert, zerfetzt, erschossen, aufgespießt, vernichtet. Die Schlachtenszenen sind enorm eindrucksvoll. Vor allem der Einsatz der Panzerwaffe im Grabenkrieg und das Verbrennen des Gegners durch Flammenwerfer samt Luftunterstützung beeindrucken.

Interessant ist auch die Musik von Volker Bertelmann. Ich kenne seine Musik unter dem Künstlernamen Hauschka. Zu Beginn und am Ende wirkt das düstere, dreitönige Motiv brutal und brachial. Ich bin beim ersten Hören zusammengezuckt. Das Motiv prägt sich ein und schreibt Musikgeschichte. Entstanden ist der wuchtige Klang durch ein Harmonium von Bertelmanns Urgroßmutter, verfremdet durch einen Gitarrenverstärker. Mir als Zuschauer läuft es eiskalt den Rücken herunter und die Musik und Klangfetzen unterstreichen die brutalen Bilder, die das Auge sieht. In den friedlichen Zeiten des Films, in Zeiten der Kameradschaft wechselt die Musik zu Harmonie, ergänzt durch den Einsatz von Streichern, sehr gut gemacht. Wenn der Score jemals auf Vinyl erscheint, werde ich ihn mir sofort kaufen. Derzeit gibt es ihn ausschließlich digital bei den Streamingdiensten.

Aber leider …

Leider habe ich aber auch meine Probleme mit der Neuverfilmung. Es stört mich ausdrücklich nicht, dass Regisseur Edward Berger neue Storyelemente eingefügt hat und auch das Ende des Films im Vergleich zum Buch verändert, wobei der Titel „Im Westen nichts Neues“ so richtig nicht mehr passt. Es stört mich, dass mich die gezeigten Rollen kaum emotional berühren. Sie sind für mich als Zuschauer zu weit entfernt, so dass mich trotz der grausamen Bilder ihr Schicksal kalt lässt. Dabei ist an der Schauspielerei nichts auszusetzen, für mich passt die Charakterzeichnung einfach nicht. Ich sehe opulente Bilder, aber das Schicksal der Personen im Film berühren mich nur sehr wenig. Anders bei dem Schauspiel der Darsteller von 1930.

Auf jeden Fall drücke ich Regisseur Edward Berger die Daumen bei der Oscar-Vergabe. Im Westen nicht Neues lief ja zum Netflix-Start in ein paar ausgewählten Kinos, damit er an der Oscar-Auswahl teilnehmen kann. Gerne hätte ich den Film im Kino gesehen, aber mir blieb nur das Heimkino mit Beamer und Soundanlage.

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Eine Antwort to “Im Westen nicht Neues – Ultimate Edition und Netflix”

  1. Andi Says:

    Mein Urgroßvater war als Kriegsteilnehmer an der Front in Verdun und hat jahrelang das Gemetzel des Stellungskriegs mitmachen müssen. Sobald was über den 1. Weltkrieg kommt, muss ich unweigerlich dran denken, was er als junger Kerl (18 Jahre bei Kriegsbeginn) hat ertragen müssen.

    Er wurde sogar 1939 nochmals eingezogen und hat somit die Jahre 1914-1918 und 1939-1945 seines Erwachsenenlebens im Krieg verbracht.

    Die Neuverfilmung werde ich mir heute Abend in Ruhe anschauen. Reviews sind eher gemischt bis negativ. Ich lass mich überraschen.

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