Meine subjektiven Eindrücke vom Amoklauf in München

Der Mittlere Ring war voller Polizei, die Richtung OEZ fuhr.

Der Mittlere Ring war voller Polizei, die Richtung OEZ fuhr.

Über den Tathergang, Motive und Hintergründe des Amoklaufs in München will ich nicht spekulieren. Ich bin in Gedanken bei den Opfern dieser Nacht. Ich danke allen Einsatzkräften und ich danke allen Münchnern, die solidarisch ihre Wohnungen und Häuser für Gestrandete geöffnet haben. Von dieser Menschlichkeit habe ich auch erfahren und ich bin dankbar dafür. Hier kommen also meine subjektiven Eindrücke vom Geschehen des Amoklaufs in München. So habe ich den Abend und die Nacht erlebt:
Als verspätetes Geburtstagsgeschenk besuchten K1 und ich die Star Wars-Ausstellung am Nachmittag in der kleinen Olympiahalle. Mit guter Laune und Posterrollen untern Arm zogen wir gegen 18:15 Uhr Richtung Olympiapark zur U-Bahnhaltestelle Olympiazentrum. Wir nahmen uns vor, noch ein bisschen zu feiern, vielleicht in Kino zu gehen. Meine Frau war auswärts und K2 übernachtete bei Freunden – K1 und ich hatten also sturmfrei. Auf der Fußgängerbrücke über den Georg-Brauchle-Ring, einer der Hauptverkehrsadern der Landeshauptstadt, wollte ich ein Hyperlapse-Video vom Verkehrsfluss drehen. Hyperlapse-Vidoes sind Filme, die schneller ablaufen und dadurch einen interessanten visuellen Effekt durch Zeitraffer erzeugen.

Beim Drehen des Videos wunderten wir uns, warum auf einmal so viel Polizei und Krankenwägen unterwegs waren. Wir wechselten die Blickrichtung und sahen, dass der Verkehr zusammenbrach, die Münchner nur schwer eine Rettungsgasse bilden können. Polizei, Feuerwehr, Notarzt, Krankenwägen sowie zivile Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht und Sirene bahnten sich ihren Weg auf dem Mittleren Ring/Georg-Brauchle-Ring Richtung Olympiaeinkaufszentrum OEZ.

Twitter als Nachrichtenmedium
Via Twitter fragte ich meine Follower, ob und was denn passiert sei. Amoklauf im OEZ war die Antwort. Ich habe lange in der Gegend gearbeitet, kannte also die Weitläufigkeit der Shopping Mall. Das OEZ ist immer gut besucht. Wir blieben erst einmal auf der Brücke über den Ring, um abzuarten und die Lage zu klären. Die Meldungen in den sozialen Medien überschlugen sich. Von Toten und Verletzten war in sozialen Netzwerken die Rede. Videos wurden gepostet. Auch ich postete Videos, wusste aber genau, dass ich die Taktik der Polizei in meinen Videos nicht verraten darf. Für wie blöd halten mich eigentlich einige Twitterer in Oberlehrermanier?
Als gelernter Journalist versuchte ich die vorliegende Nachrichtenlage zu sondieren, um die Gefahr für mein Kind und mich einzuschätzen. Was sind seriöse Quellen, was ist Müll? Mit K1 sprach ich immer wieder über die Situation und wir entschieden uns, den Geburtstagsabend abzubrechen und heim aufs Land zu fahren. Mit unseren Star Wars-Plakaten untern Arm machten wir uns auf durch den Olympiapark in Richtung U-Bahn. Über dem OEZ kreiste ein Polizeihubschrauber.

ÖPNV eingestellt
An der U-Bahnstation Olympiazentrum angekommen, fuhr auch gleich eine U-Bahn ein. Wir hatten Hoffnung, von der Situation schnell wegzukommen. Doch der komplette öffentliche Personennahverkehr in München wurde aufgrund polizeilicher Anordnung eingestellt. U- und S-Bahnen sowie Straßenbahnen und Busse fuhren nicht. Taxifahrern war es untersagt, Passagiere aufzunehmen.

Nachdem es nun auch anfing zu regnen, entschlossen wir uns, den Schauer unter dem schützenden Vordach der U-Bahnstation direkt bei der BMW-Welt abzuwarten. Via Twitter bekam ich mit, dass der oder die Täter auf der Flucht waren. Zu diesem Zeitpunkt wurde von bis zu drei Tätern mit Langwaffen spekuliert. Ich schaute auf meine zusammengerollten Star Wars-Poster und hatte ein mulmiges Gefühl – hoffentlich verwechselt uns bei der Dunkelheit keiner. Die Polizei fuhr verstärkt im Gelände auf.


Um 19:31 Uhr bremsten bei unserer U-Bahnstation mehrere Polizeiwägen. Polizisten mit Westen mit der Aufschrift Polizei und mit gezogener Waffen sicherten die U-Bahnstation. Ihre Bewaffnung war Pistolen und Maschinenpistolen. Mit K1 ging ich ans Ende der Überdachung. Ich ermahnte mein Kind ruhig zu bleiben, erkläre ihm die Situation und falls es ernst würde, den Anweisungen der Polizei strikt Folge zu leisten. K1 hat gemerkt, dass es kein Spiel ist.


Gegen 19:41 Uhr verschärfte sich die Situation. Ein Polizeihubschrauber kreiste knapp über der BMW-Welt und kam immer tiefer über das Vordach der U-Bahnstation. Die Rotorblätter wirbelten den Dreck der Straße auf. Weitere Polizeiwägen fuhren vor. Es entstiegen schwere Einheiten, mit gepanzerten Westen, Schildern, schweren Helmen. Unruhe breitete sich unter uns aus. Die Einsatztruppen begannen den Bahnhof zu räumen und forderten uns auf, das Gelände zu verlassen. Gerüchte gingen herum, dass es am Stachus zu einem weiteren Schusswechsel gekommen sei. Ich entschied mich mit K1 den Ort des Geschehens zügig zu räumen. Es war uns mittlerweile egal, ob es regnete. Richtung Studenten- und Pressestadt des Olympischen Dorfes gingen wir besser nicht. Als ich in der Nähe des OEZ gearbeitet hatte, habe ich meine Mittagsspaziergänge immer dort gemacht, weil mich die Architektur der siebziger Jahre faszinierte. Und falls der oder die Täter auf der Flucht waren, dann könnten sie in diese Richtung unterwegs sein.

Unterkunft in einer griechischen Kneipe
Also gingen K1 und ich in die entgegengesetzte Richtung, an der BMW vorbei, querten den Georg-Brauchle-Ring, auf dem immer noch Einsatzwagen fuhren. Wir bewegten uns Richtung Lerchenauer Straße Richtung Innenstadt. Via Twitter erfuhr ich, dass inzwischen der Marienplatz evakuiert und der Hauptbahnhof geschlossen sei. Es sah ganz so aus, dass wir die Nacht in München verbringen müssten. Nachdem berichtet wurde, dass Restaurants in der Innenstadt geschlossen werden, suchten wir uns hier draußen eine kleine Kneipe. Wir entschieden uns für die Gastfreundschaft einer griechischen Kneipe namens Korfu.

In der griechischen Kneipe lief der Fernseher mit den aktuellen Ereignissen.

In der griechischen Kneipe lief der Fernseher mit den aktuellen Ereignissen.

Die Wirtsleute blickten streng auf meine Posterrolle, erkannten aber das Star Wars-Motiv und wir nahmen Platz. Zunächst setzten wir uns vor dem Fernseher und verfolgten die Berichterstattung am Flachbildschirm. Sehr gut dabei die Pressearbeit der Münchner Polizei mit ihrem Pressesprecher Marcus da Gloria Martins. Kluge, sachliche Antworten – so muss Pressearbeit sein. Also ich merkte, dass K1 bei den Wiederholungen der Videos unruhiger wurde, zogen wir uns in den hinteren Teil der Gaststätte zurück und verspeisten erst einmal Pommes. Via Facebook berichteten mir Freunde, dass auch meine Videos in den Tagesthemen und RTL gezeigt wurden – freilich ohne Quellenangaben. Am Nebentisch saß ein US-Bürger mit seinem 13jährigen Sohn. Er erkannte das Star Wars Logo und wir lieferten uns eine Diskussion über Star Wars. Welcher der Filme sei jetzt nun der beste? Der Amerikaner und ich wussten, dass unseren Kinder die Ablenkung gut tun würde. Die Spannung bei K1 fiel ab. Ich übersetzte dem Amerikaner, der aus New York kam, das Geschehen vom Fernseher. Seine Frau sei im Hotel und er wartet auf eine Möglichkeit zu ihr zu kommen. Taxis fuhren ja nicht und er hielt sich an den Rat der Polizei, erst einmal in geschlossenen Räumen zu bleiben.

Immer wieder meldete KAT Alarm.

Immer wieder meldete KAT Alarm.

Gegen 20 Uhr kam es zu wiederholten KAT-Warn-Meldungen auf der Apple Watch und dem Smartphone. Der Nachrichtendienst hat uns früher schon vor Unwetter gewarnt, jetzt kam es zu einer Sondermeldung über den Amoklauf. Der oder die Täter seien noch immer nicht gefasst.

#Opendoor und #offeneTuer
K1 und ich berieten unser weiteres Vorgehen. Die griechische Kneipe hatte bis 2 Uhr morgens geöffnet, aber bis dahin hat sich die Lage sicher nicht entspannt. Via Twitter fragte ich, ob zufällig jemand in München mit dem Auto unterwegs sei und uns Richtung Heimatdorf mitnehmen könnte. Der Tweet wurde zig Mal retweetet, aber leider meldete sich niemand. Allerdings mehrere Münchner Freunde boten uns an, bei ihnen zu übernachten, danke an Franziska, Sonya, Carmen, Sabine und Tobias – doch alle ihre Unterkünfte lagen in anderen Stadtteilen deutlich weg von unserer griechischen Kneipe. Einen Fußmarsch wollten wir mit unseren Star Wars-Postern nicht riskieren – vielleicht sieht eine Langwaffe auch so aus und der/die Täter waren ja noch auf der Flucht.

Meine Rettung

Meine Rettung

Via Twitter begann ich unter dem Hashtag #Opendoor und #OffeneTuer zu suchen. Ich finde es gewaltig, welche Solidarität in München entstand. Leute öffnen ihre Wohnungen für Fremde, die gestrandet sind. So kenne ich mein München und ich bin stolz auf diese Stadt – weltoffen und tolerant.
Ich war in Kontakt mit vielen Leuten, die wissen wollten, ob es uns gut geht. Danke für die Nachfrage. Mittlerweile hatte Facebook für München zudem seinen Safty-Check geöffnet – eine sehr gute Sache. Leute können sich melden und sagen, dass sie in Sicherheit sind.
Beim Surfen durch soziale Netzwerke stieß ich auch auf eine Twitterbekannte, die wunderbare @Emillota, die auch ihr Heim an Gestrandete öffnete. Ich meldete mich und Gott sei Dank war ihr Mann @Devteros mit dem Auto in unserer Gegend unterwegs. Wir dankten den freundlichen Griechen und stiegen ins Auto ein. Ich erklärte K1 die Situation und wir fuhren zum Heim von @Emillota und @Devteros. Das Paar hatte Freunde zu Gast und wir erzählten unsere Geschichten. Sie nahmen uns eine Nacht auf. Erleichtert und glücklich über so viel Menschlichkeit und Solidarität sprachen wir noch ein, zwei Stunden. Wir bekamen Bier (K1 Apfelschorle), WLAN und Strom für unsere iPhones. @Emillota und @Devteros arbeiten für den Verein Heimatstern. Dieser Verein arbeitet auf ehrenamtlicher Basis und unterstützt Menschen auf der Flucht und beim Ankommen – eine tolle Sache.

Nachts verfolgten wir die Nachrichtenlage.

Nachts verfolgten wir die Nachrichtenlage.

Alle verfolgten via Smartphone und Rechner die aktuellen Geschehnisse in München. Immer wieder klingelten die Handys und man versicherte sich die gegenseitige Anteilnahme und Hilfe. Toll, so etwas zu erleben. Gegen 0 Uhr zogen K1 und ich mich auf eine Matratze zurück. Ich schickte meiner Frau noch Gute-Nacht-Grüße. Sie hielt sich in Regensburg auf einem Konzert auf und wir standen den ganzen Abend über in Kontakt. Auch sie machte sich Sorgen.
Am nächsten Morgen bekamen wir ein tolles Frühstück. Der Espresso weckte meine Lebensgeister. Vielen, vielen Dank. Meine Nacht war schlecht, aber Hauptsache K1 konnte durchschlafen. Ich hatte einen unruhigen Schlaf, wachte immer wieder auf. Am Vormittag brachen wir wieder Richtung Heimatdorf auf. Der öffentliche Personennahverkehr in und um München war wieder angelaufen. In einer nächtlichen Pressekonferenz wurden erste Details der Bluttat bekannt: Neun Opfer wurden vom dem 18jährigen erschossen, bevor er sich selbst richtete. 27 Verletzte gab es, zehn von ihnen schwer. 300 Schuss Munition hatte der Mörder in seinem Rucksack. Weitere Fakten werden in den nächsten Tagen von der Polizei veröffentlicht.
Nochmals danke an die Sicherheitskräfte, die sofort gehandelt haben. Und ein ganz besonderer Dank an mein München, das geholfen hat.

Boulevardmedien am nächsten Tag.

Boulevardmedien am nächsten Tag.

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