Meine Meinung zu #Neuland

merkel

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit #Neuland den Trending Topic des Tages erhalten. Grund war nicht die begeisterte Zustimmung der Internetgemeinde, vielmehr machte sie sich lautstark über die Aussage der Kanzlerin lustig. Ich denke aber, die Kanzlerin hat Recht. Das nachfolgende Video zeigt die Aussage der Kanzlerin bei der Berliner Pressekonferenz mit US-Präsident Obama.

Seit vielen Jahren bin ich im Bereich der Erwachsenenbildung tätig. In meinen Schulungen spreche ich viel vom Wandel der Zeit und vom Wandel der Technik. Auch wenn wir in der Internetgemeinde glauben, dass wir die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, täuschen wir uns. Viele bei uns in Deutschland sind noch nicht so weit, gehören nicht dazu. Hier in Bayern wird viel von Laptop und Lederhose gesprochen, aber meist ist nur die Lederhose gemeint. Hochleistungsnetze sind noch immer nicht Standard.

Vielen, ja sehr viele meiner Kursteilnehmer wissen nichts von Twitter, wissen nichts vom Neuland Internet. Sie haben Angst und sie sind unsicher. Vielen Teilnehmern muss ich (! Mac-User) noch das Datei-Ablagesystem von Windows erklären, muss ich erklären, wie sie einen Browser-Tab öffnen oder wie man ganz banal seine E-Mails von unterwegs abruft.

Ich bin mit meinen Beobachtungen nicht alleine. Die D21-Studie bestätigte vor kurzem meine Einschätzungen. Knapp ein Drittel der Deutschen sind nicht im Internet zuhause. Ein weiteres Drittel ist nur ganz, ganz vorsichtig im Netz unterwegs. Für sie ist das Netz auch Neuland. Im Grunde spielen zwei Drittel der Deutschen gar nicht mit in unserem Internet. Die digitale Spaltung in unserem Land ist ein sehr ernsthaftes Problem. Darüber sollten wir uns als Internetgemeinde nicht lächerlich machen, sondern lieber aktiv mithelfen diese Spaltung zu überwinden.

Ich zitiere aus der D21-Studie: „Der „Außenstehende Skeptiker“ (28,9 Prozent) ist durchschnittlich 63 Jahre alt und stellt somit den ältesten der sechs Nutzertypen dar. Diese eher weibliche Nutzergruppe verfügt über eine niedrige formale Bildung. Gleichzeitig sind rund 70 Prozent nicht (mehr) berufstätig. Entsprechend gering ist das monatliche Einkommen. Nur jede fünfte Person nutzt aktuell das Internet. Es werden kaum Vorteile in der Internetnutzung gesehen. Hinsichtlich der Endgeräte ist diese Gruppe eher schlecht ausgestattet. Ausnahme: Rund 80 Prozent besitzen einfache Handys.

Der „Häusliche Gelegenheitsnutzer“ (27,9 Prozent) ist eher weiblich, im Schnitt 44 Jahre alt und verfügt über eine niedrige bis mittlere formale Bildung. Jeder Zweite dieser Gruppe geht aktuell keiner bezahlten Tätigkeit nach, über 50 Prozent leben in einem Haushalt mit drei und mehr Personen. Obwohl über 98 Prozent das Internet nutzen, ist diese Gruppe nur oberflächlich mit neuen Technologien vertraut – die mit Abstand häufigste Online-Anwendung ist die Internetrecherche. Beliebter ist vor allem das Fernsehen, über das öffentlich-rechtliche Nachrichten oder Dokumentationen angesehen werden.“

Also wenn die Bundeskanzlerin nun vom Internet als Neuland spricht, dann hat sie im Grunde Recht. Viele Organisationen, viele Vereine, viele Verwaltungen – viele Menschen in unseren Lande sind im Internet nicht zuhause.

Und was machen wir? Wir machen uns über diese Leute lächerlich. Wir jagen die neue digitale Sau #Neuland durchs digitale Dorf. Ach wie gut das tut, endlich einmal wichtig zu sein, über den Leuten zu stehen. Endlich einmal den Mächtigen zu zeigen dass man auch was beizutragen hat. Ganz nach dem Motto: Herr Lehrer, ich weiß was. Schon immer gab es diese Besserwisser, auch damals in der Schule: die Typen, die sich gemeldet haben mit den Worten: „Herr Lehrer, im Gang brannte das Licht, aber ich habe es schon ausgemacht.“ Diesen Typen hat man doch gerne eine aufs Maul gegeben.

Wir brauchen endlich mehr Medienkompetenz in unserem Lande und weniger Lächerlichkeit und arrogantes Herabsehen auf andere Leute.

 

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10 Antworten to “Meine Meinung zu #Neuland”

  1. Dirk Kuepper Says:

    Wenn Frau Dr. Merkel das (abgekürzt auch denkbar) so gesagt hätte, wäre das eine ganz andere Aussage gewesen. So hat sie sich aber völlig zu dem Thema verhauen. Bloß nicht das Thema Medienkompetenz anfassen. Es könnte ja Geld kosten!

  2. someone Says:

    Hallo? Kein Wort über PRISM und die unfassbaren Aktivitäten der NSA? Die hätte auch über Gummibärchen sprechen können. Das ist doch die Frechheit.

  3. Sven Weisz (@svenweisz) Says:

    Das mag ja alles richtig sein, doch es rechtfertigt keine totale Überwachung des sogenannten „Neulands“ per NSA oder BND.
    Ich komme ebenso wie die Frau Merkel aus einem Land, das die totale Überwachung ab Absurdum durchgeführt hat und am Ende daran erstickt ist.
    Seien wir doch mal ehrlich: 95% der in diesem „Neuland“ erfassten Daten (twitter, facebook, Google, Skype etc.) sind irrelevant oder schlicht unwichtig, bleiben glatt 5% für Informationen und sonstiges. Das ist OK, kann ja jeder für sich selber filtern aber brauchen wir da eine Rasterfahndung? Soweit ich weiß führten die Rasterfahndungen der letzten Jahre zu keinem nennenswerten Ergebnis. Beim BND springt das Band an, wenn via Telefon das Wort „Bombe“ erwähnt wird – welcher Terrorist ist so blöd? Bei der NSA springt kein Band an, es wird schlicht alles gescannt und der BND plant das jetzt auch. Wollen wir die totale Überwachung (ohne Beschluss) für zusätzlicher 0,001% Sicherheit? Ich denke: Nein! Wollen wir darüber informiert werden(?): Ganz sicher: Ja! Will ich meine Meinung auch im Internet äußern dürfen, ohne irgendwelche Konsequenzen seitens eines Dienstes fürchten zu müssen(?): Ja!
    Und an dieser Stelle ist es gerade für Frau Merkel kein „Neuland“!

  4. Dirk Beichert Says:

    Das Problem ist ja nicht, dass so viele Ältere mit dem Internet wenig anfangen können. Das Problem ist, dass unsere Führungs-Elite damit sowenig anfangen kann. Und dabei ist Angie noch jemand, die viel SMSt und mailt.

    Wenn aber auf der anderen Seite bei Obama und Prism der (angeblich) mahnende Zeigefinger gehoben wird, wenngleich die eigenen Planungen in dieselbe Richtung gehen – und dann auch noch erzählt wird „das ist Neuland“, da kenne man sich noch nicht richtig mit aus, dann wird es kritisch.

    Social Media, das zeigen die vergangenen Jahre, hat immer mehr Gewicht. Türkei und Brasilien sind nur dieser Tage in den Nachrichten. Der Nordafrika, Syrien, Tibet, China – die Liste der Orte, an denen das Web zu Veränderungen beigetragen hat ließe sich beliebig verlängern. Dagegen sind vor allem die konservativen Parteien, die eben „konservieren“ wollen.

    Natürlich sind damit immer auch Risiken verbunden. Auf einmal sind statt des Diktators Fundamentalisten an der Macht … Aber der Fortschritt lässt sich (auf lange Sicht) aber nicht aufhalten.

    Dennoch danke für Dein Posting. Es ist immer auch wichtig, mal die andere Seite zu beleuchten.

  5. Chris Says:

    Leider geht auch dieser Kommentar meilenweit am Kern der Sache vorbei.

    Hier geht es nicht um Besserwissertum oder Arroganz. Niemand erwartet, daß sich „ALLE“ auskennen, daß sich „ALLE“ so natürlich in diesem Netz bewegen können, wie wir „Digital Natives“. Aber genau wie auch die „American Natives“ waren wir schon da. Wir SIND da. Wir würden unser Wissen über diesen unseren Lebensraum gerne teilen. Gebräuche, Kulturen.

    Aber genau wie die amerikanischen Ureinwohner (aka Indianer) nie jemand gefragt hat, fragt auch uns keiner. (Und wenn doch, dann wird die Expertise gerne als nichtig abgetan)

    Statt also mal zuzuhören, statt sich mit diesem Lebensraum zu beschäftigen, statt überhaupt nur zu versuchen zu verstehen, wie „unsere“ Situation ist, stellt sich eine Angela Merkel hin und tönt: „Das Internet ist für uns ALLE Neuland“.
    Genauso stelle ich mir einen Christopher Kolumbus (bzw. eher seine Königin Isabella I. von Kastilien) vor, der in der „Neuen Welt“ ankommt und spricht: „Amerika ist für uns alle Neuland“, wobei er die Indianer explizit einschließt, oder sie für nicht relevant betrachtet, waren die Natives doch nur störendes Beiwerk bei den Expansionsplänen der Kolonialmächte.

    In einem Kommentar habe ich gelesen, wir Digital Natives seien die Siedler, die den Weg bereiten. Nein. Wir sind die Indianer. Was mit denen passiert ist, wissen wir ja. Dahingerafft von eingeschleppten Seuchen & Krankheiten (die Analogie hierauf darf sich nun jeder selbst bilden), eingepfercht in Reservate, betrogen um ihr Land, ihrer Kultur entrissen.

    Die Reaktion des Netzes ist kein Hochmut. Keine Arroganz. Kein Besserwissertum. Es ist eher der verzweifelte Aufschrei gegen NSA, PRISM, VDS, BDA, staatliche Zensur und so vieles andere, gegen das wir machtlos sind, weil sich Menschen wie Merkel hinstellen, die Finger in die Ohren stecken und „#Neuland #Neuland #Neuland“ trällern.

  6. Wolfgang Schwirz Says:

    Besonders diese Stelle Deines Kommentars gefällt mir: „Und was machen wir? Wir machen uns über diese Leute lächerlich. Wir jagen die neue digitale Sau #Neuland durchs digitale Dorf. Ach wie gut das tut, endlich einmal wichtig zu sein, über den Leuten zu stehen. Endlich einmal den Mächtigen zu zeigen dass man auch was beizutragen hat. Ganz nach dem Motto: Herr Lehrer, ich weiß was. Schon immer gab es diese Besserwisser, auch damals in der Schule: die Typen, die sich gemeldet haben mit den Worten: “Herr Lehrer, im Gang brannte das Licht, aber ich habe es schon ausgemacht.” Diesen Typen hat man doch gerne eine aufs Maul gegeben.“ – Diese Häme, diese Besserwisserei unter dem Schzutzmantel der Anonymität! Frau Merkel hat auch deshalb Recht, weil es auch und gerade im Rechtsbereich in Sachen Internet ständig neue Entwicklungen gibt, die „Neuland“ sind. Das hat Frau Merkel wohl auch gemeint, doch das wollen die „Besserwisser“ ja gar nicht wissen, denn dann wäre ihrer Häme die Grundlage entzogen!

  7. Stephan Goldmann Says:

    Dreiviertel der Deutschen sind online. Im Jahre 2006 hatte eBay 20 Million registrierte deutsche Mitglieder. Von Amazon ganz zu schweigen. Und twitter ist nicht das Internet, das denkt keiner.

    Keiner verlangt, dass Dreiviertel der Deutschen verstehen, was das Internet ist. Es reicht, dass sie täglich damit umgehen und junge Generationen schon gar nicht mehr ohne können. Was muss also passieren, ehe sich die Deutsche Politik angemessen damit beschäftigt?

    Niemand macht sich lustig über Hans Meier oder Lieschen Müller, die nicht wissen, was das Internet ist. Wir verschaffen uns Luft darüber, dass es die Regierung (!) bisher nur zu einer Überwachungs- und Blockadehaltung gebracht hat. Netzsperren, Leistungsschutzrecht, Vorratsdatenspeicherung … und dann so ein Satz gegenüber dem US-Präsidenten. Eine Staatsführerin.

    Kein Wunder, dass unter der Top 40 der weltweit führenden IT-Unternehmen eine Deutsche Firma ist: SAP. Und die liegt ganz weit hinten.

    Nein, niemand ist gezwungen mitzumachen und nicht jeder muss online sein. Aber Fakt ist: Es sind verdammt viele, und viele verdienen damit ihre Brötchen.

  8. casowi Says:

    „Für uns alle“ kann auch einfach mal bedeuten „für uns alle, die sich mit Bedrohungen und Gefährdungen unserer Sicherheit auseinander setzen müssen“. Die Damen und Herren Politiker sowie die entsprechenden Sicherheitsentwickler und -verantwortlichen also. Weltweit. Oder meinetwegen auch nur in D und den USA. Mit den Themen und Wegen des „konventionellen Terrorismus“ konnte man sich immerhin seit einigen Jahrzehnten auseinandersetzen. Das via Netz ausgeheckte und/oder durchgeführte Klein- oder Großkriminelle ist vergleichsweise jung – und damit „neu“. Ich jedenfalls finde es keineswegs erstrebenswert, wenn sich irgendwelche Schurken in die Steuerung des AKWs nebenan einhacken könnten, und bin dankbar dafür, dass Sicherheitskräfte weltweit gegen diese Art von Terrorismus vorgehen wollen und an einem Strang ziehen.

    Betrachtet man das Neuland-Zitat mal im Zusammenhang, so wird ganz klar, dass Frau Merkel sich auf PRISM bezieht. Und das lässt sich doch wohl klar als Neuland bezeichnen. Siehe also diesen Mitschnitt ihrer Rede ab 2:20:

    Und ja, ich stimme Matthias in großen Teilen zu: mehr Medienkompetenz wäre gut. Warum gelingt es denn sonst heute noch wie auch immer gearteten Bösewichten, erfolgreich zu phishen oder Trojaner und sonstige Malware durch die Weiten des Webs zu jagen?

  9. Würzburcher » Die anonyme “Netzgemeinde” der Besserwisser Says:

    […] 19.09 Uhr: Gerade sehe ich auf redaktion42, dass ich mit meiner Meinung auch nicht alleine bin: Matthias J. Lange denkt genauso über die digitalen Besserwisser, er hat vor gar nicht so langer Zeit einen Vortrag für die Eltern an unserer Schule gehalten, für […]

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