Ausstellungstipp: Mit Davidstern und Lederhose – Jüdische G’schichten on Tour

Die gute Idee hatte die Europäische Janusz-Korczak-Akademie mit ihrer Wanderausstellung „Mit Davidstern und Lederhose – Jüdische G’schichten on Tour“. Statt auf Besucher in München zu warten, geht man mit einer Wanderausstellung durch die sieben bayerischen Bezirke und bringt der Öffentlichkeit das Thema näher.
Und noch eine gute Idee hatte die Europäische Janusz-Korczak-Akademie. Anstatt drögen historischen Stoff zu verbreiten, erzählen die Ausstellungsmacher Geschichten, die die Menschen betreffen und betroffen machen. Und sie lassen Zeitzeugen auftreten, die die Besucher durch die Pop-up-Ausstellung führen. In Zeiten, in denen Antisemitismus und Verschwörungstheorien neue Hochkonjunktur haben, ist es umso wichtiger, positive Erfahrungen zu vermitteln.

Bayern ist verbunden mit der jüdischen Geschichte und Gegenwart, auch wenn es uns nicht immer bewusst ist. Ich hab mir die Ausstellung in Mering angesehen. Die Pop-up-Ausstellung „Mit Davidstern und Lederhose“ erzählte nicht nur ein Stück bayerisch-schwäbisch-jüdische Heimatgeschichte, sondern auch aus dem jüdischen Leben in Bayern heute.

Viele Details gibt es zu entdecken: Interessant, dass das Bier, das nach dem Reinheitsgebot gebraut ist, koscher ist. Und dass es auch dem aus einer jüdischen Familie stammenden Arzt Friedrich Adalbert Marcus zu verdanken ist, dass der Pockenepidemie im frühen 19. Jahrhundert ein Ende gesetzt wurde.
Jüdische Jugendliche führen die Besucher durch die Ausstellung und erzählen unbekannte, überraschende, lustige und traurige Geschichten über Jüdisches in Bayern, damals und heute.

„Wir beobachten leider seit einiger Zeit, und noch verstärkt durch die Pandemie, dass sogar mittelalterliche Verschwörungstheorien wieder auftauchen und offener Antisemitismus auch in der Mitte der Gesellschaft zunimmt‘, sagt die Präsidentin des gemeinnützigen Vereins, Evi Haller. Information und Aufklärung, vor allem aber zwischenmenschliche Kontakte seien der beste Weg, Ängste abzubauen und Vorurteilen entgegenzutreten.

Zusammen mit Eva Haller

Von den zahlreichen anschaulichen Beispielen habe ich nur eine Geschichte herausgepickt, weil ich sie für besonders bezeichnend finde – und sie zudem aus meiner Geburtstag München stammt. Es ist die Geschichte von Julius und Moritz Wallach

Haus für Volkskunst und Tracht
Es ist das Jahr 1899. Julius Wallach ist aus seiner preußischen Heimatstadt nach München gezogen. München ist die Hauptstadt des Königreiches Bayern eines Staates, der sich durch die Bemühungen der Wittelsbacher Herrscherdynastie weltweit das einzigartige Image eines modernen, aber zugleich traditionsbewussten Teils des Deutschen Reiches verschafft hat. Ganz im Sinne von Julius: Der starke Patriotismus des späten 19. Jahrhunderts begeistert nicht nur ihn, sondern auch seinen Bruder Moritz und viele andere deutsche Juden. Es ist eine ganz besondere Art der jüdisch-deutschen Identität, aus der bei den Brüder bald eine jüdisch-bayerische werden soll.

Julius und Moritz sind in einem oberbayerischen Dorf unterwegs. Es ist eine der Lieblingsbeschäftigungen der Brüder: Im Münchner Umland sehen sie sich gerne Märkte in Dörfern und Kleinstädten an. Ihnen gefällt die ländliche Lebensweise der Bayern, doch was sie wirklich fasziniert ist der Kleidungsstil, die Tracht des bayerischen Dorfes. Jedes Dorf kleidet sich anders, und aus jedem Ort bringen die Brüder Wallach andere Stoffe, Kleidung und traditionelle Kunst mit.

Auch Julius, aktives Mitglied des Alpenvereins, trägt gerne Tracht, doch die ist in der Großstadt München nicht in Mode; die Tracht gilt als Bauernkleidung, welche von höheren Schichten der Gesellschaft abgelehnt wird. Julius beschließt das zu ändern.
Im Jahr 1900 gründet er das „Haus für Volkskunst und Tracht“ im Herzen von München, sein Bruder Moritz, ein gelernter Kaufmann, steigt wenig später ins Geschäft ein. Sie beginnen, Trachten zu entwerfen, die sich an der traditionellen Kleidung ihrer Sammlung orientieren, aber zugleich stadtfein sind: Im Geschäft Wallach werden teure Stoffe verwendet und den Trachten wird ein elegantes Aussehen verliehen. Der Erfolg lässt nicht auf sich warten: Den Münchnern gefällt der neue Kleidungsstil und durch den museumshaften Charakter des Geschäftes, in dem neben den Trachten auch Möbel und andere Kunstobjekte ausgestellt sind, gilt das Volkskunsthaus Wallach als eine Hauptattraktion in München und schafft es sogar in die Reiseführer.

1910 werden die Brüder Wallach beauftragt, den Trachtenzug zum 100-jährigen Jubiläum des Oktoberfestes auszustatten – ehrenamtlich. Als Belohnung werden sie vom bayerischen Königshaus zu königlich bayerischen Hoflieferanten ernannt. Doch der Erfolg hört auch damit nicht auf: Auf einem Ball in Paris erscheint eine preußische Prinzessin in einem Seiden-Dirndl von Wallach, und 1930 entwerfen die Wallachs Kleidung für die Operette „Im weißen Rößl“. Daraufhin wird die Firma weltweit bekannt. Wallach-Trachten werden von berühmten Persönlichkeiten, darunter auch Lotte Lehmann und Marlene Dietrich, getragen. Das Volkskunsthaus – von jüdischen Deutschen gegründet – wird in der Gesellschaft zum Synonym für die bayerische Kultur.
Doch 1933 kommt die NSDAP an die Macht. Im Zuge der Novemberpogrome von 1938 wird das Geschäft beschlagnahmt und die Brüder gezwungen, es zu übergeben. Julius und Moritz entkommen dem Holocaust in die USA. Dass die bayerische Tracht wie wir sie kennen von Juden gestaltet wurde, hielt die NS-Führung nicht davon ab, sie zu eigenen Zwecken zu nutzen: Das Volkskunsthaus bestand während der NS-Zeit fort, und die Tracht wurde als deutsches Kulturgut für Propagandazwecke genutzt, wobei die teils jüdische Geschichte der Kleidung gezielt verschwiegen wurde. Auf Aufnahmen aus dem Berghof in Obersalzberg sieht man Eva Braun in Dirndl, und auch im Bund Deutscher Mädel wurde es getragen.

Nach der Befreiung Deutschlands forderte die Familie Wallach ihr Geschäft zurück, und nach langen Bemühungen war es 1949 wieder zu ihrem Besitz. Das Geschäft bestand bis 2004 in der Residenzstraße 3 fort.
Was interessant ist: Das Dirndl mit tiefem Ausschnitt und kurzer Bluse wurde nicht von den Wallachs, sondern vom NS-Reichsbeauftragten für Trachtenarbeit entworfen. Es hat mit der traditionellen bayrischen Kleidung wenig gemeinsam und erinnert nur entfernt an das ländliche Dirndl. Die Kleidung der jüdischen Brüder Wallach dagegen spiegelt viel mehr die bayerische Gewandtradition wider.

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