Viel gelernt – Vortragsstil von Wander Woman Christine Thürmer im Kurhaus von Bad Tölz

Ab und zu schaue ich mir Vorträge an, um mich zu unterhalten, weiterzubilden und zu lernen. So geschehen bei einem Vortrag von Christine Thürmer im Kurhaus von Bad Tölz. Christine Thürmer gilt in unseren Breiten als die “Wander Woman”, eine unglaublich zähe Langstreckenwanderin mit beeindruckenden Zahlen: Sie ist mit 65.000 Kilometern eineinhalb Mal um die Erde gewandert, hat 50 Paar Schuhe verschlissen, 40 Länder bereist, 2.000 Nächte im Zelt verbracht und – oho – eine halbe Tonne Schokolade verzehrt.

Ich genoss den Vortrag der ehemaligen Unternehmenssaniererin und kann ihre Bücher sowie Vorträge wärmstens empfehlen. Einen sehr guten Eindruck ihrer Leidenschaft für das Thru-Hiking vermittelt ihr Facebook– und Instagram-Kanal. Während ihrer Wanderungen dienen diese als Tagebuch, während der Vortragszeiten als Infoquelle mit Appetithäppchen, Tipps und Hinweisen. Für mich ist das vorbildliche Kommunikation in den sozialen Medien. In ihrem unterhaltsamen Vortrag erfuhren wir viel über Motivation, Eigenheiten und die Herausforderungen ihrer Wanderungen. Mich interessierte jedoch besonders ihre Vortragsweise.

Zunächst ahnte ich Schlimmes: Der Veranstalter stammelte auf der Bühne eine langatmige Begrüßung, unterbrochen von ständigen Vergewisserungen, ob er auch nichts vergessen habe, und spulte sein Werbeprogramm herunter. Professionalität sieht anders aus.

Doch als Christine Thürmer die Bühne betrat, hob sich das Vortragsniveau sofort. Thürmer setzte vollständig auf eine visuelle Präsentation.

Eine visuelle Präsentation vermittelt Informationen und Ideen mithilfe von visuellen Elementen, um das Publikum besser zu erreichen und Inhalte verständlicher sowie ansprechender zu gestalten. Zu ihren typischen visuellen Elementen gehörten Bilder und Grafiken: Fotos, Diagramme, Illustrationen, Schlagworte oder kurze Sätze, die das Hauptthema zusammenfassen. Auf spezielle Farben verzichtete sie jedoch. Sie zeigte einzelne oder mehrere hochformatige Bilder auf ihren Slides und erzählte dazu Geschichten. Der Zuschauer folgte ihr – nicht der Präsentation im Hintergrund. Die Bilder dienten lediglich als Unterstützung, mal erklärend, mal humorvoll. Diesen wechselnden Rhythmus beherrscht Christine Thürmer perfekt.

Zahlenmaterial präsentierte sie visuell aufgelockert. Als selbsternannte Excel-Liebhaberin und studierte Absolventin des Studiengangs Wirtschaftskommunikation reduzierte sie es auf das Wesentliche und ließ unnötigen Zahlenballast weg. Dadurch gewannen ihre Argumente an Wirkung. Selbst ein wenig Motivationspsychologie verpackte sie einfach und erreichte damit ihr Publikum.

Sie hat die Prinzipien von Garr Reynolds und dessen Presentation Zen offensichtlich hervorragend verinnerlicht. Immer wieder nahm sie Kontakt zum Publikum auf, provozierte ein wenig, und interagierte humorvoll, etwa beim Thema Frauenhygiene auf der Wanderschaft – sehr zur Belustigung des Publikums, insbesondere der männlichen Zuschauer in der ersten Reihe.

Trotz ihres Erfolgs als Spiegel-Bestsellerautorin hat Christine Thürmer ihren Humor nicht verloren. Sie kann in ihrer Show über sich selbst lachen, was für Glaubwürdigkeit und Sympathie sorgt. Sie ist unangefochten der Star der deutschen Wanderszene, weiß das auch, bleibt jedoch nahbar.

Nach der Pause band sie das Publikum noch stärker ein. Die Zuhörer konnten in der Pause Fragen in eine Box werfen, die sie dann humorvoll beantwortete. Dabei drehte sich vieles – wie bei all ihren Shows – um Standardfragen zu Ausrüstung, Kosten und Nahrung. Ein gelungener Schachzug, denn das Publikum fühlte sich wahrgenommen und ernst genommen.

Dennoch habe ich eine kleine Kritik: Christine Thürmer nutzte nur wenig die gesamte Bühne als Präsentationsfläche. Sie verharrte auf der linken Seite, vermutlich weil ihr dort ein Monitor mit Moderationsnotizen zur Verfügung stand. Besser wären mehrere Monitore oder eine zentrale Positionierung gewesen, da die Zuschauer auf der anderen Seite der Bühne dadurch zu weit entfernt waren. Zudem lenkte das während des Vortrags aufgestellte Einmann-Zelt mit wechselnden Lichtern von ihr ab.

Den Abend habe ich dennoch sehr genossen, habe ein Selfie mit Christine Thürmer gemacht und der engagierten Fotografin mein Smartphone aus der Hand genommen, weil sie ausschließlich Hochformat-Bilder machen wollte.

Auf der Heimfahrt dachte ich über den Vortrag und Christine Thürmer nach – und beging dabei einen massiven Denkfehler: Ich rätselte, wie Christine Thürmer in Deutschland lebt und wohnt, während sie Bücher schreibt und Vorträge hält, also ihr “normales Leben” meistert. Doch genau das ist der Denkfehler: Ihre Zeit in Deutschland ist für sie Arbeit. Die Zeit auf Wanderschaft, als Wander Woman, ist ihr Leben – das Leben, das sie genießt. Für diesen Irrtum schäme ich mich.

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